Beschluss vom 15.09.2006 -
BVerwG 1 B 116.06ECLI:DE:BVerwG:2006:150906B1B116.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 15.09.2006 - 1 B 116.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:150906B1B116.06.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 116.06

  • Bayerischer VGH München - 20.02.2006 - AZ: VGH 9 B 04.30561

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. September 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und Prof. Dr. Dörig
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Februar 2006 wird verworfen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Beschwerde ist unzulässig. Sie legt die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und der Divergenz nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise dar.

2 1. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

3 a) Die Beschwerde hält zunächst die Frage für grundsätzlich bedeutsam, „ob im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK eine lediglich regional bestehende Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung ausreichend sein soll, wenn der Ausländer faktisch gar nicht in seinen Herkunftsstaat - sondern nur in einen Teil davon - zurückkehren kann“ (Beschwerdebegründung S. 3 unten). Die Beschwerde ist der Auffassung, dass eine ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG begründende Gefahr landesweit drohen müsse. Dem stehe die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts entgegen, wonach eine in Berg-Karabach als Teilgebiet Aserbaidschans drohende menschenrechtswidrige Behandlung ausreiche, weil den Klägern die Einreise in das übrige Staatsgebiet praktisch unmöglich sei.

4 Mit ihrem Vorbringen legt die Beschwerde nicht - wie erforderlich - ein Klärungsbedürfnis für die von ihr aufgeworfene Frage dar. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bereits geklärt, dass Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 2 bis 3 und 5 bis 7 AufenthG (zuvor § 53 AuslG) zwar grundsätzlich landesweit drohen müssen, um für den Betroffenen ein Abschiebungsverbot zu begründen. Allerdings liegt ein Abschiebungsverbot auch dann vor, wenn der Ausländer bei lediglich in Gebietsteilen drohenden Gefahren das sichere Gebiet in seinem Heimatstaat nicht erreichen kann (vgl. Urteil vom 16. November 1999 - BVerwG 9 C 4.99 - BVerwGE 110, 74 <79>; Urteil vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <330>; Beschluss vom 10. Oktober 2002 - BVerwG 1 B 339.02 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 65; Beschluss vom 29. September 2005 - BVerwG 1 B 54.05 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 3). Denn die Subsidiarität der Schutzgewährung im Zufluchtsstaat greift nicht, wenn Schutz im Heimatstaat - hier wegen fehlender Erreichbarkeit von Schutz bietenden Regionen in Aserbaidschan - nicht erlangt werden kann. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass insoweit ein weitergehender oder erneuter Klärungsbedarf bestehen soll.

5 b) Die Beschwerde hält im Übrigen die Frage für klärungsbedürftig, „ob im Rahmen der abschiebungsschutzrechtlichen Entscheidung - in Anlehnung an die Rechtsprechung zur asylrechtlichen Relevanz oder der im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG - die ‚Ausbürgerung’ und/oder Wiedereinreiseverweigerung etwa die menschenrechtswidrige Behandlung darstellen müsste, um trotz tatsächlicher Unmöglichkeit der Rückkehr noch zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf diesen speziellen Zielstaat gelangen zu können“ (Beschwerdebegründung S. 4). Sie legt aber auch insoweit einen Klärungsbedarf nicht dar, insbesondere zeigt sie nicht auf, dass es auf diese Frage für die Entscheidung des Rechtsstreits ankommt. Denn das Berufungsgericht hat ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht aus einer Ausbürgerung oder Wiedereinreiseverweigerung durch den Staat Aserbaidschan abgeleitet, sondern aus einer menschenrechtswidrigen Behandlung der Kläger in Berg-Karabach, der sie sich nicht durch ein Ausweichen nach Stamm-Aserbaidschan entziehen können (vgl. UA S. 7 - 10).

6 2. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt auch nicht die Zulassung der Revision wegen einer Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Denn die Beschwerde zeigt keinen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts auf, von dem das Berufungsgericht abgewichen ist.

7 Die Beschwerde sieht in der Beschränkung der Gefährdungsprüfung durch das Berufungsgericht auf Berg-Karabach als einen Teil des Staatsgebietes von Aserbaidschan eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG eine landesweite Gefährdung fordert. Sie geht allerdings nicht darauf ein, dass nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung auch lediglich in Gebietsteilen drohende Gefahren ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG begründen können, wenn der Ausländer das sichere Gebiet in seinem Heimatstaat nicht erreichen kann. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass das angefochtene Urteil von dieser Rechtsprechung abweicht.

8 Soweit die Beschwerde weiter rügt, dass bei fehlender Rückkehrmöglichkeit nach dem Urteil des Senats vom 10. Juli 2003 in dem Verfahren BVerwG 1 C 21.02 (BVerwGE 118, 308) „eine Verpflichtung zur Feststellung diesbezüglicher Abschiebungshindernisse grundsätzlich nicht in Betracht“ komme (Beschwerdebegründung S. 3 Mitte), entspricht sie ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen für eine Divergenz nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Denn sie bezeichnet keinen Rechtssatz aus dem Urteil des Berufungsgerichts, der von einem Rechtssatz in dem genannten Urteil des Senats abweicht. Im Übrigen ergibt sich aus dem Urteil des Senats nur, dass ein Gericht unter den dort genannten besonderen Bedingungen von der Prüfung des Vorliegens von Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 2 bis 3 und 5 bis 7 AufenthG (zuvor § 53 AuslG) absehen „darf“, hierzu aber nicht verpflichtet ist (BVerwGE 118, 308 <312 f.>). Auch mit der Bezugnahme auf das Urteil des Senats vom 4. Dezember 2001 in dem Verfahren BVerwG 1 C 11.01 (BVerwGE 115, 267) zeigt die Beschwerde keine Divergenz auf. Ebenso geht die Bezugnahme auf die Ausführungen im Urteil des Senats vom 22. Februar 2005 in dem Verfahren BVerwG 1 C 17.03 (BVerwGE 123, 18) zu Staatenlosen fehl, weil das Berufungsgericht - wie die Beschwerde nicht verkennt - keine Feststellungen zur Staatenlosigkeit der Kläger getroffen, es vielmehr als möglich angesehen hat, dass sie weiterhin aserbaidschanische Staatsangehörige sind (UA S. 7).

9 Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

10 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.