Ver­fah­rens­in­for­ma­ti­on

Die Klä­ge­rin, ein Un­ter­neh­men der Wind­ener­gie­bran­che, ist Pflicht­mit­glied der be­klag­ten In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer und ver­langt von die­ser, aus dem Deut­schen In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer­tag e.V. (DIHK) aus­zu­tre­ten. Der DIHK ist der Dach­ver­band der deut­schen In­dus­trie- und Han­dels­kam­mern. Nach sei­ner Sat­zung hat er de­ren Zu­sam­men­ar­beit zu för­dern und de­ren ge­mein­sa­men Stand­punkt zum Ge­samt­in­ter­es­se der ge­werb­li­chen Wirt­schaft zu ver­tre­ten. Die Klä­ge­rin macht gel­tend, der DIHK ha­be sich im Wi­der­spruch da­zu wie­der­holt all­ge­mein­po­li­tisch, et­wa zur Bil­dungs­po­li­tik, ge­äu­ßert. Au­ßer­dem wen­de er sich in en­er­gie­po­li­ti­schen Stel­lung­nah­men ein­sei­tig ge­gen den Aus­bau des Markt­an­teils er­neu­er­ba­rer En­er­gi­en und ge­gen den Aus­stieg aus der Kern­ener­gie. Die Be­klag­te dür­fe nur in­ner­halb ih­res ei­ge­nen Zu­stän­dig­keits­be­reichs tä­tig wer­den und kei­ner Ver­ei­ni­gung an­ge­hö­ren, die sich in die­ser Wei­se po­li­tisch be­tä­ti­ge.


Das Ver­wal­tungs­ge­richt hat die Kla­ge auf Ver­ur­tei­lung der Be­klag­ten zum Aus­tritt aus dem DIHK ab­ge­wie­sen. Das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt hat die Be­ru­fung der Klä­ge­rin zu­rück­ge­wie­sen. Ein grund­recht­li­cher An­spruch ei­nes Kam­mer­mit­glieds auf Aus­tritt sei­ner Kam­mer aus ei­nem Dach­ver­band sei zwar denk­bar. Das gel­te nicht nur, wenn die Sat­zung dem Dach­ver­band Auf­ga­ben jen­seits der Kam­mer­kom­pe­ten­zen zu­wei­se, son­dern auch, wenn der sat­zungs­ge­mä­ße Auf­ga­ben­kreis sich im Rah­men der Kam­mer­kom­pe­ten­zen hal­te und le­dig­lich fak­tisch über­schrit­ten wer­de. Ei­ne Ver­pflich­tung der Kam­mer zum Aus­tritt aus dem Dach­ver­band kom­me aber nur als letz­tes Mit­tel in Be­tracht. Vor­ran­gig müs­se das Kam­mer­mit­glied die Kam­mer dar­auf in An­spruch neh­men, ih­rer­seits im DIHK dar­auf hin­zu­wir­ken, dass die­ser nur sat­zungs­ge­mäß im Rah­men der Kam­mer­kom­pe­ten­zen tä­tig wer­de. Da­ge­gen wen­det sich die Klä­ge­rin mit der vom Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on.


Pres­se­mit­tei­lung Nr. 23/2016 vom 23.03.2016

Kam­mer­mit­glied kann Aus­tritt sei­ner IHK aus dem Dach­ver­band ver­lan­gen, wenn die­ser sich all­ge­mein­po­li­tisch be­tä­tigt

Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt in Leip­zig hat heu­te ent­schie­den, dass ei­nem Ge­wer­be­be­trieb, der ge­setz­li­ches Mit­glied ei­ner In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer ist, ge­gen sei­ne Kam­mer ein An­spruch auf Aus­tritt aus dem Deut­schen In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer­tag (DIHK e.V.) zu­ste­hen kann, wenn die­ser sich au­ßer­halb des den Kam­mern ge­zo­ge­nen Kom­pe­tenz­rah­mens be­tä­tigt, na­ment­lich Stel­lung­nah­men zu all­ge­mein­po­li­ti­schen The­men ab­gibt.


Ge­klagt hat­te ein Un­ter­neh­men der Wind­ener­gie­bran­che aus Müns­ter, das un­ter an­de­rem be­män­gel­te, der (frü­he­re) Prä­si­dent des DIHK ha­be sich wie­der­holt zu all­ge­mein­po­li­ti­schen The­men so­wie ein­sei­tig zu Fra­gen der Um­welt- und Kli­ma­po­li­tik ge­äu­ßert. Der Klä­ger ist ge­setz­li­ches Mit­glied der ört­li­chen In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer Nord West­fa­len, die ih­rer­seits dem DIHK an­ge­hört. Er for­der­te die ört­li­che Kam­mer schon 2007 zum Aus­tritt aus dem Dach­ver­band auf, weil des­sen Tä­tig­keit den ge­setz­li­chen Kom­pe­tenz­rah­men der In­dus­trie- und Han­dels­kam­mern über­schrei­te. Als die Kam­mer sich wei­ger­te, er­hob der Klä­ger ge­gen sie Kla­ge auf Aus­tritt aus dem Dach­ver­band. Kla­ge und Be­ru­fung blie­ben oh­ne Er­folg.


Auf die Re­vi­si­on des Klä­gers hat das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt das Be­ru­fungs­ur­teil auf­ge­ho­ben und die Sa­che an das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Müns­ter zu­rück­ver­wie­sen. Zur Be­grün­dung weist das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt dar­auf hin, dass ein Un­ter­neh­men durch die ge­setz­li­che Pflicht, ei­ner be­rufs­stän­di­schen Kam­mer an­zu­ge­hö­ren, in sei­ner all­ge­mei­nen Hand­lungs­frei­heit be­schränkt wird. Des­halb muss es die Tä­tig­keit der Kam­mer nur in dem Rah­men hin­neh­men, den das Ge­setz der Kam­mer zieht. Nach dem IHK-Ge­setz ge­hört es zu den we­sent­li­chen Auf­ga­ben der Kam­mer, das Ge­samt­in­ter­es­se der ihr an­ge­hö­ren­den Ge­wer­be­trei­ben­den ih­res Be­zirks wahr­zu­neh­men, na­ment­lich die Be­hör­den durch Vor­schlä­ge, Gut­ach­ten und Be­rich­te zu un­ter­stüt­zen und zu be­ra­ten; die Wahr­neh­mung so­zi­al­po­li­ti­scher und ar­beits­recht­li­cher In­ter­es­sen ist aus­drück­lich aus­ge­nom­men.


Die In­ter­es­sen der Ge­wer­be­trei­ben­den wer­den auch durch über­re­gio­na­le Fra­gen be­rührt, wes­halb die Kam­mern sich zu ei­nem Dach­ver­band wie dem DIHK zu­sam­men­schlie­ßen dür­fen, um ih­re Be­lan­ge ge­gen­über den Län­dern, dem Bund oder der Eu­ro­päi­schen Uni­on zu ver­tre­ten. Das setzt aber vor­aus, dass der DIHK sich sei­ner­seits in­ner­halb des den Kam­mern ge­setz­lich ge­zo­ge­nen Kom­pe­tenz­rah­mens be­wegt. Äu­ßert der DIHK sich dem­ge­gen­über auch zu all­ge­mein­po­li­ti­schen oder zu so­zi­al­po­li­ti­schen und ar­beits­recht­li­chen The­men, so darf kei­ne Kam­mer dies dul­den. Das­sel­be gilt, wenn der DIHK die In­ter­es­sen der Kam­mern ein­sei­tig oder un­voll­stän­dig re­prä­sen­tiert, na­ment­lich be­acht­li­che Min­der­heits­po­si­tio­nen über­geht, oder wenn die Art und Wei­se sei­ner Äu­ße­run­gen den Cha­rak­ter sach­li­cher Po­li­tik­be­ra­tung ver­lässt und die Ge­bo­te der Sach­lich­keit und Ob­jek­ti­vi­tät miss­ach­tet. In der­ar­ti­gen Fäl­len kann je­des Kam­mer­mit­glied von sei­ner Kam­mer ver­lan­gen, das Nö­ti­ge zu tun, dass der DIHK wei­te­re Kom­pe­tenz­über­schrei­tun­gen un­ter­lässt; bei Wie­der­ho­lungs­ge­fahr kann es von sei­ner Kam­mer ver­lan­gen, aus dem DIHK aus­zu­tre­ten.


Im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren hat­te der Klä­ger zahl­rei­che Kom­pe­tenz­über­schrei­tun­gen aus den Jah­ren 2004 bis 2013 nach­ge­wie­sen. Weil das Be­ru­fungs­ge­richt aber zur Fra­ge, ob auch künf­tig ei­ne Wie­der­ho­lung der­ar­ti­ger Äu­ße­run­gen droht, noch kei­ne Fest­stel­lun­gen ge­trof­fen hat, muss­te die Sa­che an das Be­ru­fungs­ge­richt zu­rück­ver­wie­sen wer­den. Die­ses wird bei der Prü­fung der Wie­der­ho­lungs­ge­fahr auch zu be­rück­sich­ti­gen ha­ben, ob der DIHK in sei­ner Sat­zung wirk­sa­me Vor­keh­run­gen ge­gen künf­ti­ge Kom­pe­tenz­über­schrei­tun­gen trifft.


Fuß­no­te:

§ 1 des Ge­set­zes zur vor­läu­fi­gen Re­ge­lung des Rechts der In­dus­trie- und Han­dels­kam­mern vom 18.12.1956, zu­letzt ge­än­dert durch Ge­setz vom 31.08.2015


(1) Die In­dus­trie- und Han­dels­kam­mern ha­ben ... die Auf­ga­be, das Ge­samt­in­ter­es­se der ih­nen zu­ge­hö­ri­gen Ge­wer­be­trei­ben­den ih­res Be­zir­kes wahr­zu­neh­men, für die För­de­rung der ge­werb­li­chen Wirt­schaft zu wir­ken und da­bei die wirt­schaft­li­chen In­ter­es­sen ein­zel­ner Ge­wer­be­zwei­ge oder Be­trie­be ab­wä­gend und aus­glei­chend zu be­rück­sich­ti­gen; da­bei ob­liegt es ih­nen ins­be­son­de­re, durch Vor­schlä­ge, Gut­ach­ten und Be­rich­te die Be­hör­den zu un­ter­stüt­zen und zu be­ra­ten so­wie für die Wah­rung von An­stand und Sit­te des ehr­ba­ren Kauf­manns zu wir­ken.


(2) ...


(5) Nicht zu den Auf­ga­ben der In­dus­trie- und Han­dels­kam­mern ge­hört die Wahr­neh­mung so­zi­al­po­li­ti­scher und ar­beits­recht­li­cher In­ter­es­sen.


BVer­wG 10 C 4.15 - Ur­teil vom 23. März 2016

Vor­in­stan­zen:

OVG Müns­ter, 16 A 1499/09 - Ur­teil vom 16. Mai 2014 -

VG Müns­ter, 9 K 1076/07 - Ur­teil vom 20. Mai 2009 -


Be­schluss vom 20.04.2015 -
BVer­wG 10 B 62.14ECLI:DE:BVer­wG:2015:200415B10B62.14.0

Be­schluss

BVer­wG 10 B 62.14

  • VG Müns­ter - 20.05.2009 - AZ: VG 9 K 1076/07
  • OVG Müns­ter - 16.05.2014 - AZ: OVG 16 A 1499/09

In der Ver­wal­tungs­streit­sa­che hat der 10. Se­nat des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts
am 20. April 2015
durch den Prä­si­den­ten des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts
Prof. Dr. Dr. h.c. Ren­nert,
die Rich­te­rin am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Dr. Held-Daab und
den Rich­ter am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Dr. Häu­ß­ler
be­schlos­sen:

  1. Die Ent­schei­dung des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts für das Land Nord­rhein-West­fa­len über die Nicht­zu­las­sung der Re­vi­si­on ge­gen sein Ur­teil vom 16. Mai 2014 wird auf­ge­ho­ben.
  2. Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.
  3. Die Ent­schei­dung über die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens folgt der Kos­ten­ent­schei­dung in der Haupt­sa­che.
  4. Der Wert des Streit­ge­gen­stan­des wird für das Re­vi­si­ons­ver­fah­ren vor­läu­fig auf 5 000 € fest­ge­setzt.

Grün­de

1 1. Die Be­schwer­de hat Er­folg. Der Rechts­sa­che kommt die von der Klä­ge­rin gel­tend ge­mach­te grund­sätz­li­che Be­deu­tung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 Vw­GO). Der Rechts­streit kann dem Se­nat Ge­le­gen­heit zur Klä­rung der grund­sätz­li­chen Fra­ge ge­ben, ob und un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen ein Pflicht­mit­glied ei­ner öf­fent­lich-recht­li­chen Kam­mer auf der Grund­la­ge ei­nes öf­fent­lich-recht­li­chen Un­ter­las­sungs­an­spruchs aus Art. 2 Abs. 1 GG (ggf. i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) de­ren Aus­tritt aus ei­nem pri­vat­recht­li­chen Dach­ver­band ver­lan­gen kann, wenn die­ser Dach­ver­band im Wi­der­spruch zu sei­ner Ver­eins­sat­zung die der Kam­mer - hier durch § 1 Abs. 1 IHKG - ge­zo­ge­nen Gren­zen zu­läs­si­ger po­li­ti­scher Be­tä­ti­gung über­schrit­ten hat. Klä­rungs­be­dürf­tig ist ins­be­son­de­re die Fra­ge, ob das Pflicht­mit­glied - wie das Be­ru­fungs­ge­richt ent­schei­dungs­tra­gend aus­führt -‌ vor­ran­gig ei­ne Kla­ge mit dem An­trag er­he­ben muss, die Kam­mer zu ver­eins­recht­li­chen Schrit­ten ge­gen den Dach­ver­band zu ver­ur­tei­len.

2 2. Die vor­läu­fi­ge Streit­wert­fest­set­zung für das Re­vi­si­ons­ver­fah­ren be­ruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 und § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Rechts­be­helfs­be­leh­rung


Das Be­schwer­de­ver­fah­ren wird als Re­vi­si­ons­ver­fah­ren un­ter dem Ak­ten­zei­chen BVer­wG 10 C 4.15 fort­ge­setzt. Der Ein­le­gung ei­ner Re­vi­si­on durch den Be­schwer­de­füh­rer be­darf es nicht.
Die Re­vi­si­on ist in­ner­halb ei­nes Mo­nats nach Zu­stel­lung die­ses Be­schlus­ses zu be­grün­den. Die Be­grün­dung ist bei dem Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt, Sim­son­platz 1, 04107 Leip­zig, schrift­lich oder in elek­tro­ni­scher Form (Ver­ord­nung vom 26. No­vem­ber 2004, BGBl. I S. 3091) ein­zu­rei­chen.
Für die Be­tei­lig­ten be­steht Ver­tre­tungs­zwang; dies gilt auch für die Be­grün­dung der Re­vi­si­on. Die Be­tei­lig­ten müs­sen sich durch Be­voll­mäch­tig­te im Sin­ne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 Vw­GO ver­tre­ten las­sen.

Ur­teil vom 23.03.2016 -
BVer­wG 10 C 4.15ECLI:DE:BVer­wG:2016:230316U10C4.15.0

An­spruch ei­nes Kam­mer­mit­glieds auf Aus­tritt sei­ner Kam­mer aus ei­nem Dach­ver­band

Leit­sät­ze:

1. Die In­dus­trie- und Han­dels­kam­mern dür­fen sich zur ge­mein­schaft­li­chen Wahr­neh­mung des Ge­samt­in­ter­es­ses ih­rer Kam­mer­zu­ge­hö­ri­gen auf über­re­gio­na­ler Ebe­ne zu ei­nem pri­vat­recht­lich or­ga­ni­sier­ten Dach­ver­band zu­sam­men­schlie­ßen, die Auf­ga­be der Ge­samt­in­ter­es­sen­wahr­neh­mung je­doch nicht an die­sen de­le­gie­ren. Auch bei ge­mein­schaft­li­cher Auf­ga­ben­er­fül­lung durch den Dach­ver­band bleibt je­de Kam­mer für die Wah­rung ih­rer Kom­pe­tenz­gren­zen aus § 1 Abs. 1 IHKG ver­ant­wort­lich.

2. Dem Pflicht­mit­glied ei­ner Kam­mer steht aus Art. 2 Abs. 1 GG ein An­spruch auf Aus­tritt der Kam­mer aus dem Dach­ver­band zu, wenn die­ser Auf­ga­ben wahr­nimmt, die au­ßer­halb der ge­setz­li­chen Kom­pe­ten­zen der Kam­mer lie­gen. Da­zu ge­nügt, dass die fak­ti­sche Tä­tig­keit des Ver­ban­des den Rah­men der Kam­mer­kom­pe­ten­zen über­schrei­tet, so­fern die Über­schrei­tung sich nicht als für die Ver­band­s­pra­xis un­ty­pi­scher Ein­zel­fall ("Aus­rei­ßer") dar­stellt, son­dern die kon­kre­te Ge­fahr ei­ner er­neu­ten Be­tä­ti­gung jen­seits der Kam­mer­kom­pe­ten­zen be­steht.

  • Rechts­quel­len
  • Zi­tier­vor­schlag

Ur­teil

BVer­wG 10 C 4.15

  • VG Müns­ter - 20.05.2009 - AZ: VG 9 K 1076/07
  • OVG Müns­ter - 16.05.2014 - AZ: OVG 16 A 1499/09

In der Ver­wal­tungs­streit­sa­che hat der 10. Se­nat des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 23. März 2016
durch
den Prä­si­den­ten des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts Prof. Dr. Dr. h.c. Ren­nert,
die Rich­te­rin am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Dr. Held-Daab,
den Rich­ter am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Dr. Häu­ß­ler,
die Rich­te­rin am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Dr. Rub­lack und
den Rich­ter am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Dr. Seegmül­ler
für Recht er­kannt:

  1. Das Ur­teil des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts Nord­rhein-West­fa­len vom 16. Mai 2014 wird auf­ge­ho­ben. Die Sa­che wird zur an­der­wei­ti­gen Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt zu­rück­ver­wie­sen.
  2. Die Kos­ten­ent­schei­dung bleibt der Schluss­ent­schei­dung vor­be­hal­ten.

Grün­de

I

1 Die Klä­ge­rin, ein Un­ter­neh­men zur Pla­nung und Er­rich­tung von Wind­ener­gie­an­la­gen, ist kraft Ge­set­zes Mit­glied der be­klag­ten In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer und be­gehrt de­ren Ver­ur­tei­lung zum Aus­tritt aus dem Deut­schen In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer­tag e.V. (DIHK). Die­ser ver­folgt als pri­vat­recht­lich or­ga­ni­sier­ter Dach­ver­band der deut­schen In­dus­trie- und Han­dels­kam­mern nach § 1 Abs. 1 sei­ner Sat­zung un­ter an­de­rem den Zweck, in al­len das Ge­samt­in­ter­es­se der ge­werb­li­chen Wirt­schaft im Be­reich des DIHK be­tref­fen­den Fra­gen ei­nen ge­mein­sa­men Stand­punkt der In­dus­trie- und Han­dels­kam­mern auf na­tio­na­ler, eu­ro­päi­scher und in­ter­na­tio­na­ler Ebe­ne ge­gen­über der Po­li­tik, der Ver­wal­tung, den Ge­rich­ten und der Öf­fent­lich­keit zu ver­tre­ten. § 1 Abs. 3 der Sat­zung stellt klar, dass die Be­hand­lung all­ge­mein­po­li­ti­scher, ins­be­son­de­re par­tei­po­li­ti­scher Fra­gen nicht zur Zu­stän­dig­keit des DIHK ge­hört.

2 Mit Schrei­ben vom 9. Fe­bru­ar 2007 for­der­te die Klä­ge­rin die Be­klag­te auf, ih­ren Aus­tritt aus dem DIHK zu er­klä­ren. Die Be­klag­te dür­fe sich nur im Rah­men der ihr ge­setz­lich zu­ge­wie­se­nen Auf­ga­ben be­tä­ti­gen und kei­nen Ver­ei­ni­gun­gen an­ge­hö­ren, die jen­seits die­ses Auf­ga­ben­be­reichs tä­tig sei­en. Der DIHK ha­be sich in ei­ner Pres­se­er­klä­rung vom 10. Ja­nu­ar 2007 und in wei­te­ren Ver­öf­fent­li­chun­gen all­ge­mein­po­li­tisch zur Kli­ma­po­li­tik ge­äu­ßert. Da­bei ha­be er sich ein­sei­tig ge­gen die wei­te­re Er­hö­hung des Markt­an­teils von er­neu­er­ba­ren En­er­gi­en, ge­gen den Aus­stieg aus der Kern­ener­gie und ge­gen die Um­set­zung des Kyo­to-Pro­to­kolls ge­wandt. Da­mit ha­be er sei­ne sat­zungs­ge­mä­ßen Auf­ga­ben und die Kom­pe­ten­zen sei­ner Mit­glieds­kam­mern über­schrit­ten. Der Klä­ge­rin ste­he als Pflicht­mit­glied der Be­klag­ten aus Art. 2 Abs. 1 GG ein Recht auf Ab­wehr von Kom­pe­tenz­über­schrei­tun­gen zu. Dar­aus er­ge­be sich der gel­tend ge­mach­te An­spruch auf Aus­tritt der Be­klag­ten aus dem DIHK.

3 Die Be­klag­te lehn­te ei­nen Aus­tritt mit Schrei­ben vom 28. Fe­bru­ar 2007 ab. Die Stel­lung­nah­men des DIHK zur En­er­gie­po­li­tik gin­gen nicht über den Auf­ga­ben­kreis der Mit­glieds­kam­mern hin­aus. Wenn bei der Er­mitt­lung des Ge­samt­in­ter­es­ses kein voll­stän­di­ger In­ter­es­sen­aus­gleich mög­lich sei, dür­fe auch ei­ne Po­si­ti­on ver­tre­ten wer­den, die den In­ter­es­sen ei­ner be­stimm­ten Mit­glie­der­grup­pe zu­wi­der­lau­fe. Den Ver­öf­fent­li­chun­gen lä­gen Grund­satz­be­schlüs­se der Voll­ver­samm­lung des DIHK oder sei­nes Vor­stan­des zu­grun­de. Im Üb­ri­gen sei der DIHK als Pri­vat­rechts­sub­jekt nicht an Ver­fas­sungs­recht ge­bun­den. Selbst bei sat­zungs­wid­ri­gem Han­deln des Dach­ver­ban­des kön­ne die Klä­ge­rin ih­ren Aus­tritt nicht ver­lan­gen, son­dern nur, dass sie selbst ih­ren Auf­ga­ben­kreis nicht über­schrei­te und ih­re Mit­glied­schafts­rech­te im Dach­ver­band wahr­neh­me, um Sat­zungs­ver­stö­ßen ent­ge­gen­zu­tre­ten.

4 Am 6. Ju­li 2007 hat die Klä­ge­rin Kla­ge er­ho­ben. Sie be­gehrt, die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ih­ren Aus­tritt aus dem DIHK zu er­klä­ren und es zu un­ter­las­sen, die be­an­stan­de­ten Äu­ße­run­gen zu wie­der­ho­len. Das Ver­wal­tungs­ge­richt hat die Kla­ge mit Ur­teil vom 20. Mai 2009 ab­ge­wie­sen. Das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt hat die Be­ru­fung nur hin­sicht­lich des An­trags auf Ver­ur­tei­lung zum Aus­tritt aus dem Dach­ver­band zu­ge­las­sen. Im Be­ru­fungs­ver­fah­ren hat die Klä­ge­rin wei­te­re ih­res Er­ach­tens un­zu­läs­si­ge Äu­ße­run­gen des DIHK und sei­ner (da­ma­li­gen) Prä­si­den­ten vor­ge­legt, die un­ter an­de­rem bil­dungs-, steu­er- und ren­ten­po­li­ti­sche Fra­gen, den Hoch­was­ser­schutz und die Si­tua­ti­on in der Re­pu­blik Süd­afri­ka nach dem Tod des ehe­ma­li­gen Staats­prä­si­den­ten Nel­son Man­de­la be­tref­fen.

5 Mit Ur­teil vom 16. Mai 2014 hat das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt die Be­ru­fung der Klä­ge­rin zu­rück­ge­wie­sen. Die Klä­ge­rin kön­ne zwar gel­tend ma­chen, als Pflicht­mit­glied der Be­klag­ten durch ei­ne Über­schrei­tung der Kam­mer­kom­pe­ten­zen in ih­rem Recht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG ver­letzt zu sein. In der Sa­che ste­he ihr der gel­tend ge­mach­te Aus­tritts­an­spruch je­doch nicht zu. Wirt­schafts- und be­rufs­stän­di­sche Kam­mern dürf­ten sich zu pri­vat­recht­li­chen Dach­or­ga­ni­sa­tio­nen zu­sam­men­schlie­ßen. Im Bei­tritt zum DIHK lie­ge auch kei­ne un­zu­läs­si­ge Auf­ga­ben­de­le­ga­ti­on. Die sat­zungs­ge­mä­ßen Tä­tig­kei­ten und Zwe­cke des Dach­ver­ban­des hiel­ten sich im Rah­men der Kam­mer­zu­stän­dig­kei­ten. § 1 Abs. 1 sei­ner Sat­zung ver­la­ge­re die den Kam­mern ge­setz­lich auf­ge­ge­be­ne Wahr­neh­mung des Ge­samt­in­ter­es­ses der ge­werb­li­chen Wirt­schaft in zu­läs­si­ger Wei­se von der Ebe­ne des Kam­mer­be­zirks auf die Bun­des­ebe­ne, oh­ne den Kam­mern ih­re Selb­stän­dig­keit oder ihr In­itia­tiv­recht zu neh­men oder sie in un­zu­läs­si­ger Wei­se an Be­schlüs­se des Dach­ver­ban­des zu bin­den. Ob ei­ne tat­säch­li­che Über­schrei­tung der sat­zungs­ge­mä­ßen Auf­ga­ben des Dach­ver­ban­des zu ei­nem An­spruch der Pflicht­mit­glie­der der Mit­glieds­kam­mern auf Aus­tritt ih­rer Kam­mer aus dem Dach­ver­band füh­ren kön­ne, müs­se nicht ab­schlie­ßend ge­klärt wer­den. Da­für spre­che, dass die Mög­lich­kei­ten ei­nes Kam­mer­mit­glieds, die Kam­mer zum Ein­schrei­ten ge­gen die Auf­ga­ben­über­schrei­tung des Dach­ver­ban­des an­zu­hal­ten, re­gel­mä­ßig be­grenzt und nicht im­mer aus­rei­chend ef­fek­tiv sei­en. Ei­ne ge­richt­li­che Ver­pflich­tung der Kam­mer zum Aus­tritt aus dem Dach­ver­band kom­me aus Grün­den der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit je­doch nur als äu­ßers­tes Mit­tel in Be­tracht. Vor­ran­gig müs­se das Kam­mer­mit­glied sei­ne Kam­mer dar­auf in An­spruch neh­men, im Dach­ver­band auf ei­ne Be­ach­tung des Kom­pe­tenz­rah­mens hin­zu­wir­ken. Erst wenn ein sol­ches, ge­ge­be­nen­falls ge­richt­lich zu er­zwin­gen­des ver­bands­in­ter­nes Vor­ge­hen fehl­ge­schla­gen oder nach­hal­tig oh­ne Er­folg ge­blie­ben sei, kön­ne ein Aus­tritts­an­spruch be­stehen. Da­für ge­be es hier kei­ne be­grün­de­ten An­halts­punk­te. Ab­run­dend wer­de dar­auf hin­ge­wie­sen, dass für In­halt und Form der Äu­ße­run­gen des DIHK zwar mit­tel­bar die glei­chen Re­geln gäl­ten wie für die Äu­ße­run­gen sei­ner Mit­glieds­kam­mern. Die im Be­ru­fungs­ver­fah­ren um­strit­te­nen Äu­ße­run­gen er­wie­sen sich da­nach aber vor­aus­sicht­lich als im We­sent­li­chen un­be­denk­lich.

6 Mit ih­rer vom Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on macht die Klä­ge­rin gel­tend, die Be­klag­te dür­fe nur ei­nem Ver­band an­ge­hö­ren, des­sen Auf­ga­ben sat­zungs­recht­lich auf die Kam­mer­kom­pe­ten­zen be­schränkt sei­en und der sich auch tat­säch­lich nur in die­sem Rah­men be­tä­ti­ge. Äu­ße­run­gen des Dach­ver­ban­des dürf­ten nur Sach­ver­hal­te be­tref­fen, die sich kon­kret auf die ge­werb­li­che Wirt­schaft im Be­zirk der je­wei­li­gen Mit­glieds­kam­mer aus­wirk­ten. Au­ßer­dem sei das Ge­samt­in­ter­es­se der ge­werb­li­chen Wirt­schaft nach § 1 Abs. 1 IHKG al­lein durch die Voll­ver­samm­lun­gen der Mit­glieds­kam­mern zu er­mit­teln. Über­schrei­te der Dach­ver­band sei­ne Auf­ga­ben und die Gren­zen der Kam­mer­kom­pe­ten­zen nach­hal­tig, ver­let­ze dies die Pflicht­mit­glie­der der ihm an­ge­hö­ren­den Kam­mern in ih­rem Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Tre­te die Kam­mer den Auf­ga­ben­über­schrei­tun­gen des Dach­ver­ban­des nicht ent­ge­gen oder ver­tei­di­ge sie die­se so­gar, sei ef­fek­ti­ver Grund­rechts­schutz nur durch ei­nen An­spruch der Kam­mer­mit­glie­der auf Aus­tritt der Kam­mer aus dem Dach­ver­band zu er­rei­chen.

7 Die Klä­ge­rin be­an­tragt,
das Ur­teil des Ver­wal­tungs­ge­richts Müns­ter vom 20. Mai 2009 und das Ur­teil des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts Nord­rhein-West­fa­len vom 16. Mai 2014 zu än­dern und die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ih­ren Aus­tritt aus dem Deut­schen In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer­tag e.V. zu er­klä­ren.

8 Die Be­klag­te be­an­tragt,
die Re­vi­si­on zu­rück­zu­wei­sen.

9 Sie ver­tei­digt das an­ge­grif­fe­ne Ur­teil und trägt er­gän­zend vor, ei­ne Auf­ga­ben­über­schrei­tung des DIHK stel­le die Zu­läs­sig­keit der Mit­glied­schaft ei­ner Kam­mer nicht in Fra­ge. So we­nig ein IHK-Mit­glied aus ei­ner kom­pe­ten­z­wid­rig han­deln­den Kam­mer aus­tre­ten kön­ne, so we­nig be­grün­de ei­ne Auf­ga­ben­über­schrei­tung des Dach­ver­ban­des ei­nen An­spruch auf Aus­tritt der Kam­mer. Ei­nen sol­chen An­spruch zu­zu­er­ken­nen, wi­der­spre­che dem Selbst­ver­wal­tungs­recht der Kam­mer und dem frei­en Man­dat der Mit­glie­der der Voll­ver­samm­lung des Dach­ver­ban­des. Al­len­falls bei ein­deu­ti­gen, nach­hal­ti­gen, be­son­ders schwer­wie­gen­den struk­tu­rel­len Kom­pe­tenz­ver­stö­ßen und de­ren dro­hen­der Wie­der­ho­lung kön­ne ein Aus­tritts­an­spruch als äu­ßers­tes Mit­tel in Be­tracht kom­men. Da­von kön­ne bei ein­zel­nen Fehl­be­ur­tei­lun­gen der Gren­zen zu­läs­si­ger Auf­ga­ben­wahr­neh­mung kei­ne Re­de sein. An die ta­trich­ter­li­che An­nah­me, die üb­ri­gen Stel­lung­nah­men des DIHK sei­en nach Form und In­halt zu­läs­sig, sei das Re­vi­si­ons­ge­richt ge­bun­den. Ein Vor­be­halt der Zu­stim­mung der Voll­ver­samm­lun­gen der Mit­glieds­kam­mern, der zur Hand­lungs­un­fä­hig­keit des Dach­ver­ban­des füh­re, las­se sich recht­lich nicht be­grün­den.

10 Der Ver­tre­ter des Bun­des­in­ter­es­ses beim Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt un­ter­stützt die Re­vi­si­on, oh­ne ei­nen ei­ge­nen An­trag zu stel­len.

II

11 Die Re­vi­si­on der Klä­ge­rin ist be­grün­det. Das an­ge­grif­fe­ne Ur­teil be­ruht auf ei­ner un­rich­ti­gen An­wen­dung von Art. 2 Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 des Ge­set­zes zur vor­läu­fi­gen Re­ge­lung des Rechts der In­dus­trie- und Han­dels­kam­mern (IHKG) in der im BGBl. III, Glie­de­rungs­nr. 701-1 ver­öf­fent­lich­ten be­rei­nig­ten Fas­sung, zu­letzt ge­än­dert durch Art. 254 der Ver­ord­nung vom 31. Au­gust 2015 (BGBl. I S. 1474) und stellt sich auch nicht aus an­de­ren Grün­den als rich­tig dar (§ 137 Abs. 1, § 144 Abs. 4 Vw­GO). Da sei­ne Tat­sa­chen­fest­stel­lun­gen kei­ne ab­schlie­ßen­de Ent­schei­dung zu­las­sen, war das an­ge­grif­fe­ne Ur­teil auf­zu­he­ben und die Sa­che zu­rück­zu­ver­wei­sen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Vw­GO).

12 1. Das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt ist zu Recht da­von aus­ge­gan­gen, dass der Klä­ge­rin als Pflicht­mit­glied der be­klag­ten Kam­mer ge­mäß Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG das Recht zu­steht, Kom­pe­tenz­über­schrei­tun­gen ih­rer Kam­mer ab­zu­weh­ren (da­zu un­ten a). Dar­aus fol­gert es zu­tref­fend, dass der Klä­ge­rin ein An­spruch auf Be­en­di­gung der Mit­glied­schaft der Be­klag­ten in ei­nem pri­vat­recht­lich or­ga­ni­sier­ten Dach­ver­band zu­ste­hen kann, wenn die­ser sich au­ßer­halb des Rah­mens der Kam­mer­kom­pe­ten­zen be­tä­tigt (da­zu un­ten b). Ent­ge­gen dem an­ge­grif­fe­nen Ur­teil kommt ein Aus­tritts­an­spruch in sol­chen Fäl­len aber nicht aus Grün­den der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit nur als ul­ti­ma ra­tio in Be­tracht. Er setzt ins­be­son­de­re kei­ne vor­ran­gi­ge In­an­spruch­nah­me der Kam­mer vor­aus und ver­langt auch nicht, dass ein Vor­ge­hen ge­gen die­se mit dem Ziel, den Dach­ver­band in­tern zur Wah­rung der Kom­pe­tenz­gren­zen sei­ner Mit­glieds­kam­mern an­hal­ten zu las­sen, ge­schei­tert oder oh­ne nach­hal­ti­gen Er­folg ge­blie­ben ist. Viel­mehr be­steht ein Aus­tritts­an­spruch schon dann, wenn es sich bei der Auf­ga­ben­über­schrei­tung nicht um ei­nen aty­pi­schen "Aus­rei­ßer" han­delt, son­dern die kon­kre­te Ge­fahr er­neu­ter Be­tä­ti­gung jen­seits der Kam­mer­kom­pe­tenz be­steht (da­zu un­ten c).

13 a) Die all­ge­mei­ne Hand­lungs­frei­heit des Art. 2 Abs. 1 GG gibt dem Grund­rechts­trä­ger das Recht zur Ab­wehr "un­nö­ti­ger" Zwangs­ver­bän­de. Die Be­grün­dung und die Aus­ge­stal­tung der Pflicht­mit­glied­schaft in ei­nem sol­chen Ver­band müs­sen durch for­mel­les Ge­setz ge­deckt und ver­hält­nis­mä­ßig sein. Das gilt auch für die Pflicht­mit­glied­schaft in der In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer.

14 Nach § 1 Abs. 1 IHKG ist den Kam­mern die ver­fas­sungs­recht­lich le­gi­ti­me Auf­ga­be über­tra­gen, das Ge­samt­in­ter­es­se der ih­nen zu­ge­hö­ri­gen Ge­wer­be­trei­ben­den ih­res Be­zir­kes wahr­zu­neh­men, für die För­de­rung der ge­werb­li­chen Wirt­schaft zu wir­ken und da­bei die wirt­schaft­li­chen In­ter­es­sen ein­zel­ner Ge­wer­be­zwei­ge oder Be­trie­be ab­wä­gend und aus­glei­chend zu be­rück­sich­ti­gen. Als Be­ra­ter der Be­hör­den sol­len sie den Sach­ver­stand und die In­ter­es­sen der Kam­mer­mit­glie­der ge­bün­delt, struk­tu­riert und aus­ge­wo­gen in Wil­lens­bil­dungs- und Ent­schei­dungs­pro­zes­se des Staa­tes ein­brin­gen. Dar­über hin­aus ent­las­ten sie den Staat durch ei­ne de­zen­tra­le, par­ti­zi­pa­ti­ve Er­fül­lung von Auf­ga­ben im Be­reich der Wirt­schafts­ver­wal­tung. Die Kom­bi­na­ti­on bei­der Auf­ga­ben­zu­wei­sun­gen recht­fer­tigt die In­an­spruch­nah­me der Pflicht­mit­glie­der zur Si­che­rung ei­ner dem Ge­samt­in­ter­es­se und dem Ge­mein­wohl ver­pflich­te­ten, re­prä­sen­ta­ti­ven Selbst­ver­wal­tungs­tä­tig­keit, die sich von ei­ner rei­nen, auch pri­vat­recht­lich und auf frei­wil­li­ger Ba­sis zu or­ga­ni­sie­ren­den In­ter­es­sen­ver­tre­tung un­ter­schei­det (BVerfG, Kam­mer­be­schluss vom 7. De­zem­ber 2001 - 1 BvR 1806/98 - NVwZ 2002, 335 <336 f.>). Über­schrei­tet die Kam­mer die ihr ver­fas­sungs­kon­form zu­ge­wie­se­nen Kom­pe­ten­zen, greift sie oh­ne ge­setz­li­che Grund­la­ge in die all­ge­mei­ne Hand­lungs­frei­heit ih­rer Pflicht­mit­glie­der ein. Die­sen gibt Art. 2 Abs. 1 GG das Recht, Kom­pe­tenz­über­schrei­tun­gen der Kam­mer ab­zu­weh­ren, und zwar un­ab­hän­gig da­von, ob sie durch die Kom­pe­tenz­über­schrei­tung ei­nen dar­über hin­aus­ge­hen­den recht­li­chen oder fak­ti­schen Nach­teil er­lei­den (BVerfG, Kam­mer­be­schluss vom 7. De­zem­ber 2001 - 1 BvR 1806/98 - NVwZ 2002, 335 <337>; BVer­wG, Ur­tei­le vom 19. Sep­tem­ber 2000 - 1 C 29.99 - BVer­w­GE 112, 69 <72> und vom 23. Ju­ni 2010 - 8 C 20.09 - NVwZ-RR 2010, 882 Rn. 21).

15 b) Die Bin­dung der Kam­mern an die ge­setz­li­chen Kom­pe­tenz­zu­wei­sun­gen und -gren­zen gilt un­ein­ge­schränkt auch dann, wenn sie sich für die ge­mein­schaft­li­che Auf­ga­ben­wahr­neh­mung ei­nes pri­vat­recht­lich or­ga­ni­sier­ten Dach­ver­ban­des be­die­nen. Zwar wer­den die Auf­ga­ben ei­nes sol­chen Ver­ban­des selbst - im Un­ter­schied zu de­nen sei­ner Mit­glieds­kam­mern - nicht durch § 1 Abs. 1 IHKG ge­re­gelt und be­grenzt. Die an die Kom­pe­tenz­re­ge­lung ge­bun­de­nen Kam­mern dür­fen sich aber an dem Ver­band nur be­tei­li­gen, wenn des­sen Tä­tig­keit sich im Rah­men der ih­nen ge­setz­lich zu­ge­wie­se­nen Kom­pe­ten­zen hält.

16 Das den Kam­mern ge­setz­lich ver­lie­he­ne Selbst­ver­wal­tungs­recht (§§ 1, 4 IHKG) ge­stat­tet es ih­nen, zur ge­mein­sa­men Wahr­neh­mung des Ge­samt­in­ter­es­ses ih­rer Mit­glie­der ei­nen pri­vat­recht­lich or­ga­ni­sier­ten Dach­ver­band zu grün­den und sich an ei­nem sol­chen Ver­band zu be­tei­li­gen, wenn die Rechts­gren­zen der Kam­mer­tä­tig­keit ge­wahrt blei­ben. § 10 IHKG steht dem nicht ent­ge­gen. Er er­mäch­tigt zur Ko­ope­ra­ti­on bei der Er­fül­lung von Ho­heits­auf­ga­ben, oh­ne ei­nen pri­vat­recht­li­chen Zu­sam­men­schluss zur Wahr­neh­mung an­de­rer Auf­ga­ben zu hin­dern. Ein sol­cher Zu­sam­men­schluss er­wei­tert al­ler­dings nicht die Kom­pe­ten­zen der ein­zel­nen Mit­glieds­kam­mern. Die­se dür­fen auch ge­mein­schaft­lich kei­ne an­de­ren als die ih­nen ge­setz­lich zu­ge­wie­se­nen Auf­ga­ben wahr­neh­men. Sie dür­fen dem Dach­ver­band man­gels ge­setz­li­cher Er­mäch­ti­gung zur Auf­ga­ben­de­le­ga­ti­on kei­ne ei­ge­nen Auf­ga­ben über­tra­gen. Viel­mehr blei­ben sie selbst für die Auf­ga­ben­er­le­di­gung zu­stän­dig und da­für ver­ant­wort­lich, dass die Ver­bands­tä­tig­keit die Gren­zen der Kam­mer­kom­pe­tenz wahrt.

17 Für die Tä­tig­keit ei­nes Ver­ban­des mit ei­ge­ner Rechts­per­sön­lich­keit (vgl. da­zu BVer­wG, Ur­teil vom 19. Sep­tem­ber 2000 - 1 C 29.99 - BVer­w­GE 112, 69 <72>) gilt das eben­so wie für ei­nen nicht rechts­fä­hi­gen Ver­band (vgl. da­zu BVer­wG, Ur­teil vom 23. Ju­ni 2010 - 8 C 20.09 - NVwZ-RR 2010, 882, Rn. 21). Die Kam­mern kön­nen sich ih­rer grund­recht­li­chen Bin­dung an Art. 2 Abs. 1 GG und ih­rer ge­setz­li­chen Bin­dung an die Kom­pe­tenz­re­ge­lung des § 1 Abs. 1 IHKG auch dann nicht durch ei­nen Zu­sam­men­schluss ent­le­di­gen, wenn die­ser recht­lich ver­selb­stän­digt ist. Sie dür­fen sich da­her nicht an ei­ner ju­ris­ti­schen Per­son des Pri­vat­rechts be­tei­li­gen, die sat­zungs­ge­mäß Auf­ga­ben jen­seits der Kam­mer­kom­pe­ten­zen wahr­nimmt. Eben­so we­nig dür­fen sie ei­nem Ver­band an­ge­hö­ren, der sich trotz kom­pe­tenz­kon­for­mer sat­zungs­recht­li­cher Auf­ga­ben­zu­wei­sung jen­seits des Kom­pe­tenz­rah­mens der Kam­mern be­tä­tigt. In die­sem Fall lä­ge ein fak­ti­scher Ein­griff in die all­ge­mei­ne Hand­lungs­frei­heit der Pflicht­mit­glie­der der dem Ver­band an­ge­hö­ren­den Kam­mern vor, der man­gels ge­setz­li­cher Grund­la­ge ver­fas­sungs­recht­lich nicht ge­recht­fer­tigt wä­re. Für die Be­ur­tei­lung, ob die Tä­tig­keit ei­nes Zu­sam­men­schlus­ses noch von der Kom­pe­tenz sei­ner Mit­glieds­kam­mern ge­deckt wird, ist da­her nicht al­lein auf die sat­zungs­recht­li­chen Auf­ga­ben des Ver­ban­des, son­dern auch auf des­sen fak­ti­sches Han­deln ab­zu­stel­len (vgl. BVer­wG, Ur­tei­le vom 17. De­zem­ber 1981 - 5 C 56.79 - BVer­w­GE 64, 298 <307> und vom 10. Ju­ni 1986 - 1 C 9.86 - NJW 1987, 337; OVG Ham­burg, Ur­teil vom 5. März 1974 - OVG Bf. III 9/72 - Hamb. JVBl 1974, 181 <183 f.>; OVG Lü­ne­burg, Ur­teil vom 13. De­zem­ber 1978 - X OVG A 97/77 - SchlHA 1979, 113 <114>; OVG Müns­ter, Ur­teil vom 9. De­zem­ber 1999 - 8 A 395/97 - NWVBl. 2000, 425 <428 f.>; OVG Ber­lin, Be­schluss vom 15. Ja­nu­ar 2004 - 8 S 133/03 - NVwZ-RR 2004, 348 <351>; VGH Kas­sel, Ur­teil vom 29. Ju­li 2004 - 11 UE 4505/98 - ju­ris Rn. 25; OVG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 14. De­zem­ber 2006 - 7 B 4.05 - OV­GE Bln. 27, 372 <381 f.>).

18 c) Be­tä­tigt sich der Dach­ver­band in ei­ner Wei­se, die fak­tisch sei­ne Auf­ga­ben und zu­gleich den Kom­pe­tenz­rah­men sei­ner Mit­glieds­kam­mern über­schrei­tet, er­gibt sich aus Art. 2 Abs. 1 GG ein An­spruch je­des Kam­mer­mit­glieds auf Aus­tritt sei­ner Kam­mer aus dem Dach­ver­band, wenn die kom­pe­ten­z­wid­ri­ge Tä­tig­keit sich nicht als aty­pi­scher "Aus­rei­ßer" dar­stellt, son­dern die kon­kre­te Ge­fahr er­neu­ten kom­pe­tenz­über­schrei­ten­den Han­delns be­steht. Wie je­der grund­recht­li­che Un­ter­las­sungs­an­spruch setzt der Aus­tritts­an­spruch nur vor­aus, dass dem Be­trof­fe­nen kon­kret ei­ne rechts­wid­ri­ge Be­ein­träch­ti­gung sei­nes Grund­rechts droht (vgl. BVer­wG, Ur­tei­le vom 23. Mai 1989 - 7 C 2.87 - BVer­w­GE 82, 76 <77 f.> und vom 20. No­vem­ber 2014 - 3 C 27.13 - Buch­holz 418.32 AMG Nr. 69 Rn. 11, je m.w.N.). Da­zu ge­nügt die kon­kre­te Wahr­schein­lich­keit ei­ner künf­ti­gen, den Rah­men der Kam­mer­kom­pe­tenz über­schrei­ten­den Tä­tig­keit des Dach­ver­ban­des.

19 Aus der Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts­hofs er­gibt sich nichts an­de­res. Die­ser misst die Recht­mä­ßig­keit der Mit­glied­schaft in ei­nem Dach­ver­band eben­falls an den Kom­pe­tenz­gren­zen der Mit­glieds­kam­mern. Er ver­neint le­dig­lich ei­nen Aus­tritts­an­spruch bei fak­ti­schen Auf­ga­ben­über­schrei­tun­gen in Ein­zel­fäl­len, de­nen durch ver­bands­in­ter­ne Kon­trol­le zu be­geg­nen ist (BGH, Be­schluss vom 18. De­zem­ber 1995 - Pa­t­An­wZ 3/95 - NJW 1996, 1899 f.). Da­mit schlie­ßt er ei­nen Aus­tritts­an­spruch in an­de­ren Fäl­len, in de­nen ei­ne ver­bands­in­tern nicht zu ban­nen­de Wie­der­ho­lungs­ge­fahr be­steht, nicht aus.

20 Ein An­spruch des Kam­mer­mit­glieds auf Aus­tritt sei­ner Kam­mer aus dem Dach­ver­band ist auch nicht des­halb aus­ge­schlos­sen, weil ein An­spruch des Kam­mer­mit­glieds auf den Aus­tritt aus der Kam­mer selbst aus­ge­schlos­sen ist (so OVG Ko­blenz, Ur­teil vom 23. De­zem­ber 1992 - 11 A 10144/92 - Ge­w­Arch 1993, 289 <290>). Die Pflicht­mit­glied­schaft in der Kam­mer, aus der sich das Feh­len ei­nes Aus­tritts­rechts er­gibt, ist ge­setz­lich ge­re­gelt und in die­sem Um­fang ver­fas­sungs­recht­lich ge­recht­fer­tigt. Ei­ner ge­setz­wid­ri­gen Aus­deh­nung der In­an­spruch­nah­me des Pflicht­mit­glieds durch ei­ne un­zu­läs­si­ge Auf­ga­ben­an­ma­ßung, die durch Zu­ge­hö­rig­keit ei­ner Kam­mer zu ei­nem Dach­ver­band ver­mit­telt wird, der sich au­ßer­halb des Auf­ga­ben­be­reichs der Kam­mer be­tä­tigt, fehlt die­se Recht­fer­ti­gung. Der von der Be­klag­ten ge­zo­ge­ne Ver­gleich zum Feh­len ei­nes An­spruchs der Ge­mein­de­bür­ger auf Aus­schei­den ih­rer Ge­mein­de aus ei­nem rechts­wid­ri­gen Zweck­ver­band über­zeugt eben­falls nicht. Art. 2 Abs. 1 GG ver­mit­telt zwar den Pflicht­mit­glie­dern ge­setz­lich er­rich­te­ter Zwangs­kör­per­schaf­ten, nicht je­doch den Bür­gern der ver­fas­sungs­recht­lich als Ho­heits­trä­ger an­er­kann­ten Kom­mu­nen ei­nen An­spruch auf kom­pe­tenz­ge­mä­ßes Han­deln ih­rer Kör­per­schaft (BVer­wG, Ur­teil vom 19. Sep­tem­ber 2000 - 1 C 29.99 - BVer­w­GE 112, 69 <72>).

21 Der Auf­fas­sung des Be­ru­fungs­ur­teils, der Aus­tritts­an­spruch des Kam­mer­mit­glieds aus Art. 2 Abs. 1 GG wer­de durch den Grund­satz der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit be­grenzt und kön­ne erst ent­ste­hen, wenn die Kam­mer er­folg­los zum Ein­schrei­ten ge­gen den Dach­ver­band an­ge­hal­ten wor­den sei, ver­mag der Se­nat eben­falls nicht zu fol­gen. Das grund­recht­li­che Ver­hält­nis­mä­ßig­keits­ge­bot ist nicht ein­schlä­gig, weil die Kam­mer sich bei der Er­fül­lung ih­rer Auf­ga­ben aus § 1 Abs. 1 IHKG nicht auf ei­ge­ne Grund­rech­te be­ru­fen kann. Ju­ris­ti­schen Per­so­nen des öf­fent­li­chen Rechts ste­hen nach Art. 19 Abs. 3 GG bei der Wahr­neh­mung ho­heit­li­cher Auf­ga­ben grund­sätz­lich kei­ne Grund­rech­te zu. Et­was an­de­res gilt nur, wenn sie - wie et­wa die Uni­ver­si­tä­ten oder die Rund­funk­an­stal­ten - aus­nahms­wei­se un­mit­tel­bar dem grund­recht­lich ge­schütz­ten Le­bens­be­reich zu­ge­ord­net sind (BVerfG, Be­schluss vom 9. April 1975 - 2 BvR 879/73 - BVerf­GE 39, 302 <312 f.> m.w.N.; Kam­mer­be­schluss vom 31. Ja­nu­ar 2008 - 1 BvR 2156/02, 1 BvR 2206/02 - BVerf­GK 13, 276 f.). Das ist hier nicht der Fall. Die Tä­tig­keit der In­dus­trie- und Han­dels­kam­mern nach § 1 Abs. 1 IHKG dient nicht der ge­mein­sa­men Grund­rechts­aus­übung ih­rer Mit­glie­der, son­dern der Ent­las­tung der staat­li­chen Be­hör­den durch sach­kun­di­ge Po­li­tik­be­ra­tung und die de­zen­tra­li­sier­te Wahr­neh­mung von Auf­ga­ben der Wirt­schafts­för­de­rung. Als dem Staat ein­ge­glie­der­te Kör­per­schaf­ten des öf­fent­li­chen Rechts kön­nen die Kam­mern nicht zu­gleich Grund­rechts­ver­pflich­te­te und Grund­rechts­trä­ger sein. Die Be­fug­nis der Kam­mern, die Er­fül­lung ih­rer Auf­ga­ben nach § 1 Abs. 1 IHKG zu or­ga­ni­sie­ren, ist ge­gen­über den Kam­mer­mit­glie­dern auch nicht durch ein grund­rechts­un­ab­hän­gig her­zu­lei­ten­des, rechts­staat­li­ches Ver­hält­nis­mä­ßig­keits­prin­zip ge­schützt. Sie be­steht nur auf­grund ge­setz­li­cher Kom­pe­tenz­zu­wei­sung und nur in de­ren Rah­men. Der rechts­staat­li­che Ver­hält­nis­mä­ßig­keits­grund­satz kann die Kom­pe­tenz­gren­zen nicht re­la­ti­vie­ren, weil de­ren Be­ach­tung eben­falls ein Ele­ment der Rechts­staat­lich­keit ist (vgl. OVG Lü­ne­burg, Ur­teil vom 13. De­zem­ber 1978 - X OVG A 97/77 - SchlHA 1979, 113 <115>).

22 Un­ab­hän­gig da­von wä­re das von der Vor­in­stanz für vor­ran­gig ge­hal­te­ne Vor­ge­hen ge­gen die Kam­mer mit dem Ziel, die­se zum ver­bands­in­ter­nen Vor­ge­hen ge­gen Auf­ga­ben­über­schrei­tun­gen des Dach­ver­ban­des an­zu­hal­ten, we­gen der Rechts­stel­lung der Mit­glieds­kam­mern im Ver­band un­ge­eig­net, ei­nen ef­fek­ti­ven Grund­rechts­schutz der Kam­mer­mit­glie­der zu ge­währ­leis­ten. Die Ver­bands­sat­zung gibt der ein­zel­nen Mit­glieds­kam­mer kein In­itia­tiv­recht in der Voll­ver­samm­lung, ge­schwei­ge denn ein Ve­to­recht ge­gen Auf­ga­ben­über­schrei­tun­gen. Oh­ne mehr­heit­li­che Un­ter­stüt­zung in der Voll­ver­samm­lung könn­te die Mit­glieds­kam­mer des­halb nur form­los - und ab­seh­bar frucht­los - ge­gen Auf­ga­ben­über­schrei­tun­gen pro­tes­tie­ren. Ver­eins­recht­lich be­steht eben­falls kein ge­richt­lich durch­setz­ba­rer An­spruch des ein­zel­nen Ver­bands­mit­glieds auf Un­ter­las­sen sat­zungs­wid­ri­ger Tä­tig­kei­ten des Ver­ban­des (vgl. BGH, Ur­teil vom 25. Fe­bru­ar 1982 - II ZR 174/80 - NJW 1982, 1703 <1706>; LG Frank­furt, Ur­teil vom 6. Fe­bru­ar 1997 - 2-23 O 374/96 - NJW-RR 1998, 396; Ar­nold, in: Mün­che­ner Kom­men­tar zum BGB, 7. Aufl. 2015, § 38 Rn. 27, 30 f.; vgl. Rn. 7 zur Ab­leh­nung ei­ner ac­tio pro so­cio), je­den­falls so­lan­ge die Sat­zung des Ver­ban­des sol­che Durch­griffs­rech­te nicht be­grün­det.

23 Ein Aus­tritts­an­spruch ist auch nicht erst bei an­dau­ern­den, be­harr­li­chen und schwer­wie­gen­den Auf­ga­ben­über­schrei­tun­gen des Dach­ver­ban­des an­zu­er­ken­nen (vgl. OVG Ham­burg, Ur­teil vom 5. März 1974 - OVG Bf. III 9/72 - Hamb. JVBl 1974, 181 <184>; OVG Müns­ter, Ur­teil vom 9. De­zem­ber 1999 - 8 A 395/97 - NWVBl. 2000, 425 <428 f.>; VGH Kas­sel, Ur­teil vom 29. Ju­li 2004 - 11 UE 4505/98 - ju­ris Rn. 27; OVG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 14. De­zem­ber 2006 - 7 B 4.05 - OV­GE Bln. 27, 372 <381 f.>). Der grund­recht­li­che Schutz der Kam­mer­mit­glie­der aus Art. 2 Abs. 1 GG be­wahrt vor je­der rechts­wid­ri­gen In­an­spruch­nah­me und nicht nur vor qua­li­fi­zier­ten Rechts­ver­stö­ßen. Sol­che Rechts­ver­stö­ße sind auch nicht er­for­der­lich, um die den Aus­tritts­an­spruch aus­lö­sen­de Wie­der­ho­lungs­ge­fahr zu be­grün­den. Die kon­kre­te Wahr­schein­lich­keit künf­ti­ger Auf­ga­ben­über­schrei­tun­gen kann sich nicht al­lein aus stän­di­gen und schwer­wie­gen­den Kom­pe­tenz­ver­let­zun­gen er­ge­ben, son­dern eben­so aus schlich­ten Kom­pe­tenz­über­schrei­tun­gen, die über ver­ein­zel­te, für die Ver­band­s­pra­xis aty­pi­sche "Aus­rei­ßer" hin­aus­ge­hen. Ei­ne Wie­der­ho­lungs­ge­fahr ist auch nicht nur zu be­ja­hen, wenn künf­tig ei­ne völ­lig gleich­ar­ti­ge Auf­ga­ben­über­schrei­tung droht, da der ef­fek­ti­ve Grund­rechts­schutz sonst durch stän­di­ges Va­ri­ie­ren der Kom­pe­tenz­über­schrei­tun­gen zu ver­ei­teln wä­re. Ma­ß­geb­lich ist al­lein, ob mit ei­ner er­neu­ten Miss­ach­tung der Kom­pe­tenz­gren­zen zu rech­nen ist oder ob da­von aus­ge­gan­gen wer­den kann, dass wei­te­re Ver­stö­ße un­ter­blei­ben, et­wa weil sie ver­bands­in­tern zu­ver­läs­sig ver­hin­dert wer­den.

24 Dies er­for­dert ei­ne ta­trich­ter­li­che Pro­gno­se, die sämt­li­che In­di­zi­en für und ge­gen die Wahr­schein­lich­keit ei­ner er­neu­ten Grund­rechts­ver­let­zung in Be­tracht zieht. Als In­di­zi­en für das Dro­hen ei­nes er­neu­ten Kom­pe­tenz­ver­sto­ßes kom­men mehr­fa­che oder gar häu­fi­ge Miss­ach­tun­gen der Kom­pe­tenz­gren­zen in Be­tracht, eben­so der Man­gel an Ein­sicht in ver­gan­ge­ne Auf­ga­ben­über­schrei­tun­gen und die Wei­ge­rung, ge­eig­ne­te Maß­nah­men zur Ver­hin­de­rung künf­ti­ger Über­schrei­tun­gen zu tref­fen. Ge­gen ei­ne Wie­der­ho­lungs­ge­fahr spricht hin­ge­gen, wenn der Dach­ver­band die Kri­tik an ei­ner Auf­ga­ben­über­schrei­tung kon­struk­tiv auf­ge­nom­men, sich da­von di­stan­ziert und ge­eig­ne­te Vor­keh­run­gen ge­gen ei­nen er­neu­ten Kom­pe­tenz­ver­stoß ge­trof­fen hat. Dies ist an­zu­neh­men, wenn der Ver­band den Mit­glieds­kam­mern und de­ren Pflicht­mit­glie­dern die Mög­lich­keit er­öff­net, künf­ti­ge Über­schrei­tun­gen der Kam­mer­kom­pe­ten­zen wirk­sam zu un­ter­bin­den. Da­von kann bei­spiels­wei­se aus­ge­gan­gen wer­den, wenn die Ver­bands­sat­zung den ein­zel­nen Pflicht­mit­glie­dern der Mit­glieds­kam­mern ein Recht zur Kla­ge ge­gen den Ver­band auf Un­ter­las­sen von (wei­te­ren) Über­schrei­tun­gen der Kam­mer­kom­pe­tenz ein­räumt. Ge­gen ei­ne Wie­der­ho­lungs­ge­fahr kann auch die Ein­rich­tung ei­ner un­ab­hän­gi­gen Om­buds­stel­le im Ver­band spre­chen, wenn die­se ei­nen wirk­sa­men, ef­fek­ti­ven Schutz vor ei­ner Ver­bands­tä­tig­keit jen­seits der Kam­mer­kom­pe­ten­zen ge­währ­leis­tet, der von je­dem Pflicht­mit­glied ei­ner Mit­glieds­kam­mer ver­bands­in­tern so­wie not­falls ge­richt­lich durch­setz­bar ist. In­so­weit dürf­te es nicht aus­rei­chen, wenn die Om­buds­stel­le Auf­ga­ben­über­schrei­tun­gen nur nach­träg­lich be­an­stan­den, künf­ti­ge aber nicht ver­hin­dern kann, oder wenn ihr Tä­tig­wer­den nicht von den Mit­glie­dern der Mit­glieds­kam­mern durch­ge­setzt wer­den kann. Soll die Om­buds­stel­le ei­nen ef­fek­ti­ven Grund­rechts­schutz ver­wirk­li­chen, muss sie hier­auf ver­pflich­tet so­wie mit zweck­ent­spre­chen­den, um­fas­sen­den In­for­ma­ti­ons-, Teil­nah­me-, An­hö­rungs-, und Be­an­stan­dungs­rech­ten ge­gen­über al­len Ver­bands­or­ga­nen ein­schlie­ß­lich des Vor­stands aus­ge­stat­tet sein und über ein Kla­ge­recht ge­gen Kom­pe­tenz­über­schrei­tun­gen ver­fü­gen.

25 2. Nach den tat­säch­li­chen Fest­stel­lun­gen der Vor­in­stanz, an die der Se­nat man­gels Ver­fah­rens­rü­gen nach § 137 Abs. 2 Vw­GO ge­bun­den ist, be­steht ein Aus­tritts­recht der Klä­ge­rin nicht schon un­ter dem Ge­sichts­punkt un­zu­läs­si­ger Auf­ga­ben­de­le­ga­ti­on oder we­gen die Kam­mer­kom­pe­ten­zen über­schrei­ten­der sat­zungs­recht­li­cher Auf­ga­ben­zu­wei­sun­gen an den DIHK.

26 a) Ei­ne Auf­ga­ben­de­le­ga­ti­on hat nicht statt­ge­fun­den. Die Be­klag­te und die üb­ri­gen Mit­glieds­kam­mern des DIHK sind wei­ter­hin für al­le den Kam­mern ge­setz­lich über­tra­ge­nen Auf­ga­ben zu­stän­dig. Sie be­die­nen sich des Dach­ver­ban­des nur zur ge­mein­schaft­li­chen Er­fül­lung der Auf­ga­be, das Ge­samt­in­ter­es­se der ih­nen je­weils zu­ge­hö­ri­gen Ge­wer­be­trei­ben­den in An­ge­le­gen­hei­ten, die mehr als ei­nen Kam­mer­be­zirk be­tref­fen, ge­gen­über na­tio­na­len und su­pra­na­tio­na­len Stel­len wahr­zu­neh­men. Das er­gibt sich aus § 1 der DIHK-Sat­zung. Das Be­ru­fungs­ge­richt hat die­se ir­re­vi­si­ble Be­stim­mung oh­ne Ver­stoß ge­gen re­vi­si­bles Recht da­hin ver­stan­den, dass nicht die Zu­stän­dig­keit für die Ge­samt­in­ter­es­sen­wahr­neh­mung auf den Dach­ver­band ver­la­gert wird, son­dern die­ser nur be­stimm­te Tä­tig­kei­ten zur Er­fül­lung die­ser Auf­ga­be sei­ner Mit­glieds­kam­mern über­nimmt. Die Kam­mern be­die­nen sich da­nach zur Wahr­neh­mung des Ge­samt­in­ter­es­ses ih­rer je­wei­li­gen Mit­glie­der in Fra­gen, die mehr als ei­nen Kam­mer­be­zirk be­tref­fen, des DIHK als ei­nes "Er­fül­lungs­ge­hil­fen", der die re­gio­nal er­mit­tel­ten Ge­samt­in­ter­es­sen in der Voll­ver­samm­lung sei­ner Mit­glieds­kam­mern (§ 6 ff. der DIHK-Sat­zung) und dem re­prä­sen­ta­tiv zu­sam­men­ge­setz­ten Vor­stand (§ 9 Abs. 2 und 3 der DIHK-Sat­zung) auf Bun­des­ebe­ne bün­delt und struk­tu­riert, ge­mein­sa­me Stand­punk­te zu­sam­men­fasst und durch sei­nen Prä­si­den­ten (§ 13 der DIHK-Sat­zung) ge­gen­über den po­li­ti­schen Ak­teu­ren auf na­tio­na­ler und su­pra­na­tio­na­ler Ebe­ne ver­tritt. Aus der sat­zungs­recht­li­chen Bin­dung der Mit­glieds­kam­mern an be­stimm­te mit Drei-Vier­tel-Mehr­heit ge­fass­te Be­schlüs­se der Voll­ver­samm­lung des Ver­ban­des (vgl. § 3 Abs. 5 Satz 2 der DIHK-Sat­zung) folgt eben­falls kei­ne un­zu­läs­si­ge De­le­ga­ti­on. Nach der re­vi­si­ons­recht­lich feh­ler­frei­en be­ru­fungs­ge­richt­li­chen Aus­le­gung die­ser Be­stim­mung wird da­mit nur ei­ne ver­bands­in­ter­ne Bin­dung nor­miert, die sich nicht auf Au­ßen­rechts­be­zie­hun­gen der Kam­mer - et­wa in ih­rer Auf­ga­ben­wahr­neh­mung ge­gen­über Drit­ten - er­streckt und dar­über hin­aus nach § 3 Abs. 5 Satz 3 der DIHK-Sat­zung durch ab­wei­chen­den Be­schluss der Mit­glieds­kam­mer zu be­sei­ti­gen ist.

27 b) Der DIHK hat sei­ner Sat­zung zu­fol­ge auch kei­ne Auf­ga­ben wahr­zu­neh­men, die den Rah­men der Kom­pe­ten­zen sei­ner Mit­glieds­kam­mern über­schrei­ten.

28 aa) Nach § 1 Abs. 1 IHKG ha­ben die In­dus­trie- und Han­dels­kam­mern das Ge­samt­in­ter­es­se der ih­nen zu­ge­hö­ri­gen Ge­wer­be­trei­ben­den ih­res Be­zirks wahr­zu­neh­men, für die För­de­rung der ge­werb­li­chen Wirt­schaft zu wir­ken und da­bei die wirt­schaft­li­chen In­ter­es­sen ein­zel­ner Ge­wer­be­zwei­ge oder Be­trie­be ab­wä­gend und aus­glei­chend zu be­rück­sich­ti­gen. Da­bei ob­liegt es ih­nen ins­be­son­de­re, durch Vor­schlä­ge, Gut­ach­ten oder Be­rich­te die Be­hör­den zu un­ter­stüt­zen und zu be­ra­ten. Die Be­schrän­kung auf die Wahr­neh­mung des Ge­samt­in­ter­es­ses der Pflicht­mit­glie­der des je­wei­li­gen Kam­mer­be­zirks schlie­ßt Äu­ße­run­gen ge­gen­über na­tio­na­len und su­pra­na­tio­na­len Stel­len nicht aus, da die In­ter­es­sen der Kam­mer­zu­ge­hö­ri­gen auch durch de­ren Ent­schei­dun­gen und nicht nur durch re­gio­na­le Sach­ver­hal­te be­trof­fen wer­den kön­nen.

29 § 1 Abs. 1 IHKG er­laubt den Kam­mern al­ler­dings nur Äu­ße­run­gen zu Sach­ver­hal­ten, die spe­zi­fi­sche Aus­wir­kun­gen auf die Wirt­schaft im je­wei­li­gen Kam­mer­be­zirk ha­ben (vgl. BVer­wG, Ur­teil vom 23. Ju­ni 2010 - 8 C 20.09 - BVer­w­GE 137, 171 Rn. 23 ff., 30 f.). Da­ge­gen ge­nügt nicht, dass die Fol­gen ei­ner po­li­ti­schen Ent­schei­dung in ir­gend­ei­ner wei­te­ren Wei­se auch die Wirt­schaft be­rüh­ren oder dass die Ge­wer­be­trei­ben­den im Kam­mer­be­zirk da­von eben­so be­trof­fen sind wie An­de­re (BVer­wG, Ur­tei­le vom 19. Sep­tem­ber 2000 - 1 C 29.99 - BVer­w­GE 112, 69 <74 f.> und vom 23. Ju­ni 2010 - 8 C 20.09 - BVer­w­GE 137, 171 Rn. 24, 30 ff.). Der er­for­der­li­che spe­zi­fi­sche Wirt­schafts­be­zug muss sich aus der Äu­ße­rung selbst, ih­rer Be­grün­dung oder ih­rem text­li­chen Zu­sam­men­hang er­ge­ben (BVer­wG, Ur­teil vom 23. Ju­ni 2010 - 8 C 20.09 - BVer­w­GE 137, 171 Rn. 31). Er muss um­so ge­nau­er dar­ge­legt wer­den, je we­ni­ger of­fen­kun­dig er ist. Die Wahr­neh­mung so­zi­al­po­li­ti­scher und ar­beits­recht­li­cher In­ter­es­sen fällt nach dem ein­deu­ti­gen Wort­laut des § 1 Abs. 5 IHKG nicht in die Zu­stän­dig­keit der Kam­mern. Die­se In­ter­es­sen­ver­tre­tung ist Ge­gen­stand der Selbst­ver­wal­tung der So­zi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger so­wie der grund­recht­lich ge­schütz­ten Tä­tig­keit frei­wil­li­ger Ver­ei­ni­gun­gen wie et­wa der frei­en Wohl­fahrts­ver­bän­de und der Ta­rif­part­ner.

30 Aus § 1 Abs. 1 IHKG er­ge­ben sich auch Vor­ga­ben für die Art und Wei­se der Ge­samt­in­ter­es­sen­wahr­neh­mung. Aus der Ver­pflich­tung, die In­ter­es­sen der Kam­mer­mit­glie­der und der ver­schie­de­nen Bran­chen und Be­trie­be ab­zu­wä­gen und aus­zu­glei­chen, folgt die Pflicht, das Ge­samt­in­ter­es­se in­ner­halb der je­wei­li­gen Kam­mer grund­sätz­lich im Pro­zess re­prä­sen­ta­ti­ver Wil­lens­bil­dung durch die Voll­ver­samm­lung zu er­mit­teln und da­bei die sat­zungs­recht­li­chen Ver­fah­rens­re­geln zu be­ach­ten (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 IHKG; BVer­wG, Ur­teil vom 23. Ju­ni 2010 - 8 C 20.09 - BVer­w­GE 137, 171 Rn. 34 f.). Die Auf­ga­be, die Be­hör­den durch die Dar­stel­lung des Ge­samt­in­ter­es­ses in Vor­schlä­gen, Gut­ach­ten oder Be­rich­ten zu un­ter­stüt­zen und zu be­ra­ten, ver­langt von den Kam­mern, bei al­len Äu­ße­run­gen Ob­jek­ti­vi­tät und die not­wen­di­ge Sach­lich­keit und Zu­rück­hal­tung zu wah­ren. Po­le­misch über­spitz­te Äu­ße­run­gen oder Stel­lung­nah­men, die auf ei­ne emo­tio­na­li­sier­te Kon­flikt­aus­tra­gung zie­len, sind un­zu­läs­sig. Äu­ße­run­gen zu be­son­ders um­strit­te­nen The­men müs­sen die nach § 1 Abs. 1 IHKG er­for­der­li­che Ab­wä­gung er­ken­nen las­sen. Bei Mehr­heits­ent­schei­dun­gen sind ge­ge­be­nen­falls be­acht­li­che Min­der­hei­ten­po­si­tio­nen dar­zu­stel­len (vgl. BVer­wG, Ur­teil vom 23. Ju­ni 2010 - 8 C 20.09 - BVer­w­GE 137, 171 Rn. 32 f.). Da­zu zäh­len nicht nur Min­der­heits­auf­fas­sun­gen, die von ei­nem be­acht­li­chen Teil der Stim­men ver­tre­ten wer­den, son­dern auch Po­si­tio­nen par­ti­ku­lä­rer Wirt­schafts­struk­tu­ren, et­wa ei­ner Grup­pe von Bran­chen, von re­gio­na­len Wirt­schafts­zwei­gen oder von Be­trie­ben ei­ner be­stimm­ten Grö­ßen­ord­nung.

31 bb) Die sat­zungs­recht­li­chen Auf­ga­ben­zu­wei­sun­gen an den DIHK hal­ten sich in­ner­halb die­ses ge­setz­li­chen Rah­mens. Das er­gibt sich aus der nä­he­ren Aus­le­gung der Sat­zungs­be­stim­mun­gen, die das Re­vi­si­ons­ge­richt vor­neh­men darf, weil das Be­ru­fungs­ge­richt kei­ne sol­che, nach § 137 Abs. 2 Vw­GO bin­den­de Aus­le­gung vor­ge­nom­men hat.

32 § 1 der DIHK-Sat­zung über­nimmt mit dem Rechts­be­griff des Ge­samt­in­ter­es­ses (§ 1 Abs. 1 IHKG) die durch die­sen ge­zo­ge­nen, so­eben dar­ge­stell­ten Gren­zen zu­läs­si­ger In­ter­es­sen­wahr­neh­mung. Das schlie­ßt das Ver­bot ei­ner Ver­tre­tung so­zi­al­po­li­ti­scher oder ar­beits­recht­li­cher In­ter­es­sen ge­mäß § 1 Abs. 5 IHKG mit ein, da die­se Vor­schrift das nach § 1 Abs. 1 IHKG wahr­zu­neh­men­de Ge­samt­in­ter­es­se ein­schrän­kend kon­kre­ti­siert. § 1 Abs. 3 der Sat­zung, der mit der all­ge­mein- und ins­be­son­de­re par­tei­po­li­ti­schen Be­tä­ti­gung nur be­stimm­te, the­ma­tisch ein­deu­tig kom­pe­ten­z­wid­ri­ge Tä­tig­kei­ten ver­bie­tet, ist da­nach nicht als ab­schlie­ßen­de Re­ge­lung, son­dern nur als Be­kräf­ti­gung be­stimm­ter Gren­zen zu­läs­si­ger Be­tä­ti­gung zu ver­ste­hen. § 1 Abs. 1 der Sat­zung über­nimmt mit dem Be­griff des Ge­samt­in­ter­es­ses auch die dar­aus ab­zu­lei­ten­den An­for­de­run­gen an die Art und Wei­se der Ge­samt­in­ter­es­sen­wahr­neh­mung ein­schlie­ß­lich der Ver­pflich­tung zu Ob­jek­ti­vi­tät, Sach­lich­keit und Zu­rück­hal­tung so­wie zur Dar­stel­lung be­acht­li­cher Min­der­hei­ten­po­si­tio­nen. Der sys­te­ma­ti­sche Zu­sam­men­hang mit den Re­ge­lun­gen zur re­prä­sen­ta­ti­ven Wil­lens­bil­dung des Dach­ver­ban­des und der Richt­li­ni­en­kom­pe­tenz sei­ner Voll­ver­samm­lung (§ 6 Abs. 2, § 9 Abs. 1 der Sat­zung) be­stä­tigt, dass sich die In­ter­es­sen­ver­tre­tung durch den Ver­band auf die ge­mein­schaft­li­che Wahr­neh­mung des Ge­samt­in­ter­es­ses der Zu­ge­hö­ri­gen der Mit­glieds­kam­mern im Sin­ne des § 1 Abs. 1 IHKG be­schrän­ken soll.

33 3. Ob die wei­te­re Mit­glied­schaft der Be­klag­ten im DIHK kom­pe­tenz- und da­mit grund­rechts­wid­rig ist, weil der Ver­band sei­ne Auf­ga­ben fak­tisch in ei­ner Wei­se über­schrit­ten hat, die auf die kon­kre­te Ge­fahr er­neu­ter Be­tä­ti­gung jen­seits der Kam­mer­kom­pe­ten­zen schlie­ßen lässt, ist auf der Grund­la­ge der Tat­sa­chen­fest­stel­lun­gen der Vor­in­stanz nicht ab­schlie­ßend zu ent­schei­den. Zwar er­gibt sich dar­aus, dass die Äu­ße­run­gen des DIHK in der Ver­gan­gen­heit mehr­fach und kei­nes­wegs nur in iso­lier­ten, für die Ver­band­s­pra­xis aty­pi­schen Aus­nah­me­fäl­len ("Aus­rei­ßern") die ge­setz­li­che Kam­mer­kom­pe­tenz zur Ge­samt­in­ter­es­sen­wahr­neh­mung über­schrit­ten ha­ben. Die Be­ur­tei­lung der Wie­der­ho­lungs­ge­fahr er­for­dert aber ei­ne Pro­gno­se, die das Be­ru­fungs­ge­richt - nach sei­ner Rechts­auf­fas­sung kon­se­quent - nicht vor­ge­nom­men hat und die das Re­vi­si­ons­ge­richt man­gels hin­läng­li­cher Fest­stel­lun­gen zu den ma­ß­geb­li­chen In­di­zi­en nicht selbst vor­neh­men kann.

34 a) Von den im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren zu be­rück­sich­ti­gen­den, bis zum Ab­schluss der Be­ru­fungs­in­stanz in das Ver­fah­ren ein­ge­führ­ten Äu­ße­run­gen des DIHK ge­hen vie­le the­ma­tisch über die ge­setz­li­chen Gren­zen der Kom­pe­tenz zur Ge­samt­in­ter­es­sen­wahr­neh­mung hin­aus. Die bil­dungs­po­li­ti­sche For­de­rung nach der Ein­füh­rung von Stu­di­en­ge­büh­ren, die Äu­ße­run­gen zur Hoch­schul­fi­nan­zie­rung und die Kri­tik am fö­de­ra­len Bil­dungs­sys­tem (DIHK-Po­si­ti­ons­pa­pier vom Fe­bru­ar 2005; News­let­ter aus der Zeit von März bis Au­gust 2013) wa­ren man­gels Dar­le­gung ei­nes Wirt­schafts­be­zugs the­ma­tisch eben­so un­zu­läs­sig wie die Äu­ße­run­gen zum Hoch­was­ser­schutz (News­let­ter vom Ju­li 2013), die kei­ne über die Be­trof­fen­heit al­ler An­lie­ger hin­aus­ge­hen­de wirt­schafts­spe­zi­fi­sche Be­trof­fen­heit deut­lich mach­ten. Da­ge­gen war das Be­für­wor­ten von Ganz­tags­schu­len und von dua­len Stu­di­en­gän­gen (News­let­ter vom März und Au­gust 2013) von der Kam­mer­kom­pe­tenz ge­deckt. Die kon­kre­ten Aus­wir­kun­gen auf die ge­werb­li­che Wirt­schaft er­ga­ben sich im ers­ten Fall aus dem Hin­weis auf die Mög­lich­keit ei­ner In­te­gra­ti­on bei­der El­tern­tei­le in das Er­werbs­le­ben und im zwei­ten aus der Er­wäh­nung von Vor­tei­len der pra­xis­be­zo­ge­nen Hoch­schul­aus­bil­dung für die mit­tel­stän­di­sche Wirt­schaft.

35 Als kom­pe­ten­z­wid­ri­ge all­ge­mein­po­li­ti­sche Aus­sa­gen stel­len sich dem­ge­gen­über die Äu­ße­run­gen des da­ma­li­gen Prä­si­den­ten des DIHK zum au­ßen­po­li­ti­schen Auf­tre­ten der Bun­des­kanz­le­rin und zur Rat­sam­keit ei­nes Ko­ali­ti­ons­ver­tra­ges II (In­ter­view-Ver­öf­fent­li­chung vom 18. Ju­ni 2007) dar. In­ter­views, die mit dem Prä­si­den­ten des Dach­ver­ban­des in die­ser Ei­gen­schaft ge­führt wer­den, sind dem Ver­band als ei­ge­ne Äu­ße­run­gen zu­zu­rech­nen. In­wie­weit ei­ne Zu­rech­nung aus­schei­det, wenn ein­zel­ne Äu­ße­run­gen im Kon­text ei­nes sol­chen In­ter­views aus­drück­lich als pri­va­te Mei­nungs­kund­ga­be ge­kenn­zeich­net wer­den, ist hier nicht zu ent­schei­den, weil kein sol­cher Fall vor­liegt.

36 Die Stel­lung­nah­men ge­gen die Ein­füh­rung des Min­dest­lohns in Deutsch­land, ge­gen die so­ge­nann­te Müt­ter­ren­te, die So­zi­al­agen­da und die Her­ab­set­zung des re­gu­lä­ren Ren­ten­ein­tritts­al­ters auf die Voll­endung des 63. Le­bens­jah­res (In­ter­view-Ver­öf­fent­li­chung vom 11. Ju­ni 2013) wa­ren un­ge­ach­tet ih­res Be­zugs zur Wirt­schaft in den Kam­mer­be­zir­ken nicht mehr von der Kam­mer­kom­pe­tenz ge­deckt, weil sie sich als un­zu­läs­si­ge Wahr­neh­mung ar­beits­recht­li­cher und so­zi­al­po­li­ti­scher In­ter­es­sen im Sin­ne des § 1 Abs. 5 IHKG dar­stel­len. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Be­klag­ten ist auch ei­ne - von ihr so be­zeich­ne­te - mit­tel­ba­re Ver­tre­tung die­ser In­ter­es­sen durch die Kam­mern ge­setz­lich aus­ge­schlos­sen.

37 Um un­zu­läs­si­ge all­ge­mein­po­li­ti­sche Stel­lung­nah­men han­del­te es sich dar­über hin­aus bei den Äu­ße­run­gen zur wirt­schaft­li­chen und in­nen­po­li­ti­schen Si­tua­ti­on der Re­pu­blik Süd­afri­ka (DIHK, "In­ter­na­tio­nal Ak­tu­ell" 07/2013 vom 6. De­zem­ber 2013). We­der aus ih­rem In­halt noch aus ih­rer Be­grün­dung oder dem text­li­chen Zu­sam­men­hang er­ge­ben sich kon­kre­te Aus­wir­kun­gen der kom­men­tier­ten Sach­ver­hal­te auf die Wirt­schaft in den Be­zir­ken meh­re­rer Mit­glieds­kam­mern des DIHK. Über­dies wi­der­spra­chen die­se Äu­ße­run­gen dem Ge­bot der Ob­jek­ti­vi­tät so­wie der Ver­pflich­tung zu Sach­lich­keit und Zu­rück­hal­tung, so­weit sie der Re­pu­blik Süd­afri­ka ei­ne "Bil­dungs­mi­se­re" at­tes­tier­ten und de­ren Ver­wal­tung als "In­ves­ti­ti­ons­hemm­nis" be­zeich­ne­ten.

38 Von den Aus­sa­gen zur Steu­er- und zur En­er­gie­po­li­tik sind die­je­ni­gen, die mit kon­kre­ten Aus­wir­kun­gen auf die ge­werb­li­che Wirt­schaft in den Mit­glieds­kam­mern - wie et­wa der Ge­fahr von Wett­be­werbs­ver­zer­run­gen - be­grün­det wur­den, the­ma­tisch nicht zu be­an­stan­den. Al­ler­dings miss­ach­te­ten ei­ni­ge die­ser Aus­sa­gen das Ge­bot der Ob­jek­ti­vi­tät und Sach­lich­keit. Das gilt et­wa für die Kom­men­tie­rung ei­ner steu­er­po­li­ti­schen For­de­rung als "der rei­ne Wahn­sinn" (In­ter­view-Ver­öf­fent­li­chung vom 11. Ju­ni 2013) so­wie für die Gleich­set­zung des Kli­ma­schut­zes mit ei­ner Min­de­rung der Le­bens­qua­li­tät, il­lus­triert durch die po­le­mi­sche Fra­ge, ob wir wie­der mit 34 PS über die Al­pen nach Ita­li­en fah­ren woll­ten (In­ter­view-Ver­öf­fent­li­chung vom 8. Ju­li 2007).

39 We­gen ih­rer Ein­sei­tig­keit un­zu­läs­sig wa­ren schlie­ß­lich die For­de­run­gen, die sich ge­gen den Aus­stieg aus der Kern­ener­gie rich­te­ten, oh­ne die in den Kam­mer­be­zir­ken ver­tre­te­nen Ge­gen­auf­fas­sun­gen dar­zu­stel­len und ei­ne Ab­wä­gung der wi­der­strei­ten­den Po­si­tio­nen er­ken­nen zu las­sen. Da die Fra­ge, wel­che Mi­schung von En­er­gie­trä­gern ei­ne si­che­re, wirt­schaft­li­che und nach­hal­ti­ge En­er­gie­ver­sor­gung ge­währ­leis­ten kann, in der Öf­fent­lich­keit und auch in der Wirt­schaft höchst um­strit­ten ist, dür­fen die Kam­mern ih­re Mehr­heits­auf­fas­sung da­zu nicht apo­dik­tisch mit­tei­len, son­dern müs­sen zu­gleich die Min­der­heits­auf­fas­sung(en) of­fen­le­gen und die zur Mehr­heits­auf­fas­sung füh­ren­de Ab­wä­gung der ver­schie­de­nen Po­si­tio­nen er­kenn­bar ma­chen. Das gilt auch für die ge­mein­schaft­li­che Ge­samt­in­ter­es­sen­wahr­neh­mung durch den Dach­ver­band.

40 Wei­te­re Ver­stö­ße ge­gen § 1 Abs. 1 IHKG fol­gen nicht schon dar­aus, dass der DIHK nicht vor je­der Äu­ße­rung ei­ne Zu­stim­mung der Voll­ver­samm­lun­gen sämt­li­cher Mit­glieds­kam­mern ein­ge­holt hat. Die Vor­schrift ver­langt zwar, das von der Mit­glieds­kam­mer zu ver­tre­ten­de Ge­samt­in­ter­es­se grund­sätz­lich in der Voll­ver­samm­lung der Kam­mer zu er­mit­teln. Sie schlie­ßt je­doch nicht aus, dass die Kam­mer die­ses In­ter­es­se zwecks Er­ar­bei­tung und Ver­tre­tung ge­mein­sa­mer Stand­punk­te in den Wil­lens­bil­dungs­pro­zess ei­nes kom­pe­tenz­kon­form ge­grün­de­ten Dach­ver­ban­des mit ein­bringt und des­sen Zu­sam­men­fas­sung der Kam­mer­stand­punk­te oh­ne - er­neu­te - Ab­stim­mung in der ei­ge­nen Voll­ver­samm­lung mit­trägt.

41 b) Ob die kon­kre­te Ge­fahr er­neu­ten die Kam­mer­kom­pe­ten­zen über­schrei­ten­den Han­delns des DIHK be­steht, kann nur auf­grund ei­ner Wür­di­gung sämt­li­cher in Be­tracht kom­men­der In­di­zi­en für und ge­gen das Be­stehen ei­ner sol­chen Wie­der­ho­lungs­ge­fahr ent­schie­den wer­den. Die tat­säch­li­chen Fest­stel­lun­gen des Be­ru­fungs­ge­richts er­mög­li­chen dies nicht. Zwar er­ge­ben sich aus ih­nen, wie ge­zeigt, di­ver­se Miss­ach­tun­gen des Ver­bots all­ge­mein­po­li­ti­scher Aus­sa­gen und meh­re­re Ver­stö­ße ge­gen die Pflicht zu Ob­jek­ti­vi­tät, Sach­lich­keit und Zu­rück­hal­tung so­wie ei­ni­ge ein­sei­ti­ge Stel­lung­nah­men. Es feh­len aber Fest­stel­lun­gen zu den Re­ak­tio­nen des Dach­ver­ban­des - und nicht nur der Be­klag­ten - auf die Kri­tik an sei­nen Äu­ße­run­gen. Ins­be­son­de­re ist bis­lang nicht ge­klärt, ob und ge­ge­be­nen­falls wie ver­bands­in­tern ein wirk­sa­mer und ef­fek­ti­ver, für die Pflicht­mit­glie­der der Kam­mern ver­füg­ba­rer Schutz ge­gen sol­che grund­rechts­wid­ri­gen Auf­ga­ben­über­schrei­tun­gen ge­währ­leis­tet wird. Aus dem Feh­len aus­drück­li­cher Sat­zungs­re­ge­lun­gen da­zu und dem Feh­len ent­spre­chen­der be­ru­fungs­ge­richt­li­cher Fest­stel­lun­gen kann noch nicht auf das tat­säch­li­che Feh­len ei­nes aus­rei­chen­den Schut­zes ge­schlos­sen wer­den, da das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt auf der Grund­la­ge sei­ner Rechts­auf­fas­sung kei­nen An­lass hat­te, ent­spre­chen­de Er­mitt­lun­gen un­ter Be­rück­sich­ti­gung der oben dar­ge­leg­ten An­for­de­run­gen an den er­for­der­li­chen Schutz­stan­dard an­zu­stel­len.