Verfahrensinformation

Die Kläger wenden sich gegen die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag, soweit darin Fremdfinanzierungskosten für die Zeit nach der Erhebung von Vorausleistungen enthalten sind. Sie meinen, die Vorausleistungen müssten als Tilgung auf die zuvor von der Gemeinde zur Finanzierung der Erschließungsmaßnahme aufgenommenen Kredite angerechnet werden. Die Vorinstanzen sind dem gefolgt und haben die angefochtenen Beitragsbescheide in näher bestimmter Höhe beanstandet. Dagegen richten sich die vom Beklagten eingelegten Revisionen.


Urteil vom 18.03.2009 -
BVerwG 9 C 4.08ECLI:DE:BVerwG:2009:180309U9C4.08.0

Leitsätze:

1. Das aus § 128 Abs. 1, § 130 Abs. 1 BauGB folgende Gebot einer möglichst wirklichkeitsgerechten Ermittlung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands gebietet es, im Rahmen der Berechnung der (wegen des gemeindehaushaltsrechtlichen Gesamtdeckungsprinzips nur „fiktiven“) Fremdfinanzierungskosten von der Gemeinde vereinnahmte Vorausleistungen für die Erschließungsanlage wie Tilgungen zu behandeln (im Anschluss an das Urteil vom 23. Februar 2000 - BVerwG 11 C 3.99 - BVerwGE 110, 344 <347 ff.>).

2. Dies hat zur Folge, dass für Jahre, in denen die Summe der anteiligen Tilgungen der Gemeinde sowie der von ihr bis dahin vereinnahmten Vorausleistungen der Anlieger die Höhe des durch die Erschließungsmaßnahme ausgelösten und noch offenstehenden Kreditbedarfs erreicht oder gar übersteigt, keine Fremdfinanzierungszinsen in den Erschließungsaufwand eingestellt werden dürfen.

  • Rechtsquellen
    BauGB § 128 Abs. 1 Satz 1, § 130 Abs. 1
    Stichworte:
    Erschließungsbeitrag; beitragsfähiger Erschließungsaufwand; Fremdfinanzierungskosten; Darlehenskosten; Zinsberechnung; wirklichkeitsgerechter Wahrscheinlichkeitsmaßstab; vereinnahmte Vorausleistungen; Tilgung; Zweckbindung; Gesamtdeckungsprinzip

  • OVG Münster - 16.04.2008 - AZ: OVG 3 A 5207/04 -
    OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 16.04.2008 - AZ: OVG 3 A 5207/04

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 18.03.2009 - 9 C 4.08 - [ECLI:DE:BVerwG:2009:180309U9C4.08.0]

Urteil

BVerwG 9 C 4.08

  • OVG Münster - 16.04.2008 - AZ: OVG 3 A 5207/04 -
  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 16.04.2008 - AZ: OVG 3 A 5207/04

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 18. März 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Buchberger und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Christ und Prof. Dr. Korbmacher
für Recht erkannt:

  1. Die Revision des Beklagten gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. April 2008 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Beklagte.

Gründe

I

1 Die Beteiligten streiten darüber, in welchem Umfang Fremdfinanzierungskosten in den beitragsfähigen Erschließungsaufwand einzubeziehen sind.

2 Im Jahr 2001 zog der Beklagte den Kläger zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 23 390,80 DM heran, auf den er eine erhobene Vorausleistung in Höhe von 25 700 DM anrechnete. Nach der zugrunde liegenden Berechnung des Beklagten betrug der beitragsfähige Erschließungsaufwand bis einschließlich 1981 ca. 114 000 DM, davon waren 65 560,30 DM fremdfinanziert. Seit 1982 erhob der Beklagte Vorausleistungen, die den seitdem bis zum Abschluss der Bauarbeiten entstandenen Aufwand überstiegen. Der gesamte beitragsfähige Aufwand betrug 421 898,35 DM, die auf den bis 1981 angefallenen fremdfinanzierten Aufwand bis einschließlich 2001 entfallenden Zinsen beliefen sich auf 102 244,85 DM. Die Zinsberechnung erfolgte getrennt für den in den Jahren 1976 und 1978 - 1981 jeweils angefallenen fremdfinanzierten Aufwand. Im Haushaltsjahr 1981 fiel ein beitragsfähiger Aufwand von 110 679,44 DM an, die Fremdfinanzierungsquote betrug 57,88 %. Für den danach fremdfinanzierten Aufwand des Jahres 1981 in Höhe von 64 061,26 DM setzte der Beklagte einen Zinssatz von 9,99 % an, so dass darauf allein 100 406,47 DM Zinsen bis 2001 entfallen.

3 Mit seinem Widerspruch beanstandete der Kläger, dass der 1981 aufgenommene Kredit in Höhe von 64 061,26 DM nicht mit den 1981 und 1982 eingegangenen Vorausleistungen in Höhe von ca. 280 000 DM zurückgezahlt worden sei. Die geltend gemachten Fremdfinanzierungszinsen seien daher in dieser Höhe nicht berechtigt. Er werde über Gebühr belastet, weil ihm einerseits durch die Vorausleistung Kapital entzogen worden und eigene Zinsen entgangen seien, andererseits trotz vorhandenen Überschusses angefallene Fremdfinanzierungszinsen auf ihn umgelegt würden.

4 Der Beklagte wies den Widerspruch zurück. Zum Erschließungsaufwand gehörten auch Zinsen und sonstige Kosten für Darlehen, die zur Finanzierung der Erschließungsanlage aufgenommen worden seien. Grundlage der Zinsberechnung sei die Fremdfinanzierungsquote des jeweiligen Haushaltsjahres und der durchschnittliche Zinssatz aller im betreffenden Haushaltsjahr aufgenommenen Kredite. Da wegen des haushaltsrechtlichen Gesamtdeckungsprinzips nicht mehr festgestellt werden könne, welcher Teil einer Kreditaufnahme einer bestimmten Erschließungsanlage zuzuordnen sei, sei eine Tilgung mittels Vorausleistungen unpraktikabel, zumal bei einer vorzeitigen (Teil-)Ablösung Vorfälligkeitsentschädigungen zu zahlen seien.

5 Mit seiner Klage hat der Kläger beantragt, die angefochtenen Bescheide hinsichtlich eines 18 827,95 DM übersteigenden Betrages aufzuheben, und zur Begründung vorgetragen: Der umlagefähige Aufwand sei fehlerhaft ermittelt worden, weil die bis 1981 aufgenommenen Kredite hätten abgelöst werden müssen, sobald ein Überschuss durch Vorausleistungen entstanden sei. Dies sei spätestens 1984 der Fall gewesen. Der von ihm zu leistende Erschließungsbeitrag sei nach einer im Widerspruchsverfahren angestellten Berechnung des Beklagten demgemäß um 4 562,68 DM niedriger festzusetzen.

6 Das Verwaltungsgericht hat die angefochtenen Bescheide teilweise, nämlich hinsichtlich eines 21 376,59 DM übersteigenden Betrages, aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Es hat beanstandet, dass der Beklagte den Zinssatz von 9,99 % für den gesamten Zeitraum von 1981 bis 2001 angesetzt habe. Zwar könne grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der durchschnittliche Zinssatz des Haushaltsjahres, in dem der fremdfinanzierte Aufwand entstanden sei, auch in der Folgezeit maßgeblich bleibe. Etwas anderes müsse aber gelten, wenn - wie hier - feststehe, dass die ursprünglich ausgehandelten Konditionen nicht bis zum Entstehen der sachlichen Erschließungsbeitragspflichten unverändert geblieben seien. Im Streitfall habe der durchschnittliche Zinssatz für die Jahre von 1986 bis 2001 (höchstens) 6,5 % betragen, so dass sich für die 1981 fremdfinanzierten Aufwendungen ein geringerer Zinsaufwand ergebe.

7 Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei jedenfalls im Ergebnis richtig, weil die vom Beklagten vereinnahmten Vorausleistungen als Tilgungen mit den Fremdfinanzierungsbeträgen hätten verrechnet werden müssen. Nach einer auf Anforderung des Oberverwaltungsgerichts vom Beklagten (in zwei Alternativen) vorgelegten Berechnung betrügen die Fremdfinanzierungskosten danach nicht 102 244,85 DM, sondern nur 9 745,20 DM, höchstens aber 37 751,99 DM.

8 Der Beklagte trägt zur Begründung seiner Revision vor: Seine Berechnung der umlagefähigen Fremdfinanzierungskosten entspreche den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Im Streitfall seien zwar Vorausleistungen erhoben worden, die die bis dahin aufgewandten Mittel überschritten hätten, doch seien diese Vorausleistungen ohne spezifisch beitragsrechtliche Zweckbindung dem allgemeinen Haushalt und nicht der Erschließungsanlage zugeschlagen worden. Einnahmen- und Ausgabenansätze für die konkrete Erschließungsanlage zu bilden, sei - unbeschadet der Frage der tatsächlichen Durchführbarkeit - nach dem gemeindehaushaltsrechtlichen Gesamtdeckungsprinzip weder geboten noch zulässig.

9 Der Beklagte beantragt,
den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. April 2008 aufzuheben und unter entsprechender Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 11. November 2004 die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

10 Der Kläger hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

II

11 Die Revision ist nicht begründet. Der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichts verstößt nicht gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO).

12 Das Berufungsgericht hat die den angefochtenen Bescheiden zugrunde liegende Berechnung der in den beitragsfähigen Erschließungsaufwand einzubeziehenden Fremdfinanzierungskosten beanstandet und dabei angenommen, dass eingehende Vorausleistungen wie Tilgungen zu behandeln sind und die Kreditkosten entsprechend mindern. Das habe zur Folge, dass für Jahre, in denen die Summe der anteiligen Tilgungen der Gemeinde sowie der von ihr bis dahin vereinnahmten Vorausleistungen der Anlieger die Höhe des durch die Erschließungsmaßnahme ausgelösten und noch offenstehenden Kreditbedarfs erreicht oder gar übersteigt, keine Fremdfinanzierungszinsen in den Erschließungsaufwand eingestellt werden dürfen. Dies steht mit Bundesrecht, namentlich mit § 128 Abs. 1 Satz 1 des Baugesetzbuchs (BauGB), in Einklang.

13 1. Gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 BauGB umfasst der beitragsfähige Erschließungsaufwand nach § 127 BauGB (u.a.) die Kosten für den Erwerb, die Freilegung der Flächen und die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage einschließlich der Einrichtungen für ihre Entwässerung und ihre Beleuchtung. Zum erforderlichen Aufwand i.S.v. § 128 Abs. 1 Satz 1 BauGB gehören auch Fremdkapitalkosten, mithin Zinsen für Darlehen, die eine Gemeinde zur Finanzierung einer Erschließungsmaßnahme eingesetzt hat (Urteil vom 21. Juni 1974 - BVerwG 4 C 41.72 - BVerwGE 45, 215 <216 ff.>; stRspr).

14 Das gilt auch unter der Geltung des in den 1970er Jahren im Gemeindehaushaltsrecht der alten Bundesländer vollzogenen Wechsels vom Einzel- zum Gesamtdeckungsprinzip (für Nordrhein-Westfalen vgl. § 16 der Gemeindehaushaltsverordnung NRW - GemHVO NRW - vom 6. Dezember 1972 <GV. NRW S. 418>, nunmehr § 20 GemHVO NRW vom 16. November 2004 <GV. NRW S. 644, 659, ber. 2005, S. 15>), das in den neuen Ländern im Zuge der Wiedervereinigung eingeführt wurde. Folge des Gesamtdeckungsprinzips ist es, dass dem Haushalt nicht mehr entnommen werden kann, welcher Teil einer Kreditaufnahme für eine bestimmte Erschließungsanlage verwandt wurde, mithin eine Zuordnung eines bestimmten Darlehens zu einer konkreten Erschließungsmaßnahme nicht mehr möglich ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat es in Konsequenz dessen gebilligt, dass die Gemeinden ausnahmsweise wegen des dem Abgabenrecht in besonderer Weise eigenen Bedürfnisses nach Verwaltungspraktikabilität berechtigt sind, diesen Teil des beitragsfähigen Erschließungsaufwands mit Hilfe gesicherter Erfahrungssätze zu ermitteln (Urteil vom 23. August 1990 - BVerwG 8 C 4.89 - BVerwGE 85, 306 <308 ff.>). Dabei handelt es sich um ein Hilfsmittel, das zwar der Einräumung einer Schätzungsbefugnis gleichkommt, der Sache nach aber ein Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist, mit dem eine relative Wirklichkeitsnähe erreicht werden kann und soll. Bei der näheren Ausgestaltung dieses Hilfsmittels kann den Gemeinden das an Genauigkeit abverlangt werden, was ihnen unter Vermeidung von unvernünftigem und in diesem Sinne unvertretbarem Verwaltungsaufwand möglich ist. Die Berechnung des der einzelnen Erschließungsanlage zuzuordnenden Kreditaufwands darf sich deshalb von der Lebenswirklichkeit, d.h. von dem tatsächlich durch die Erschließungsanlage verursachten Aufwand, nur so weit entfernen, wie dies die die Schätzung rechtfertigenden Umstände, insbesondere das Erfordernis der Verwaltungspraktikabilität und der Vermeidung unzumutbaren Verwaltungsaufwandes, bedingen (Urteil vom 23. Februar 2000 - BVerwG 11 C 3.99 - BVerwGE 110, 344 <348 f.>; OVG Münster, Urteil vom 22. September 1999 - 3 A 3625/97 - OVGE 48, 40 <43>).

15 a) Hiervon ausgehend kann eine Berechnung der Fremdfinanzierungskosten, die dem aus § 128 Abs. 1, § 130 Abs. 1 BauGB folgenden Gebot einer möglichst wirklichkeitsgerechten Kostenermittlung genügt, in der Weise erfolgen, dass der durch den Aufwand für die Herstellung einer Erschließungsanlage ausgelöste Kreditbedarf in jedem Jahr, in dem Kosten ausgelöst werden (Entstehungsjahr), unter Rückgriff auf die Gesamt-Fremdfinanzierungsquote des betreffenden Haushaltsjahres ermittelt wird. Diese Quote errechnet sich ihrerseits aus dem Verhältnis, in dem die Gesamteinnahmen aus Krediten zu den Gesamtausgaben des Vermögenshaushalts für Investitionen stehen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass, wenn alle Investitionen einer Gemeinde in einem Haushaltsjahr zu einem bestimmten Prozentsatz fremdfinanziert sind, auch die Aufwendungen für die bestimmte Erschließungsmaßnahme mit einem hinreichend hohen Maß an Wahrscheinlichkeit in diesem Umfang fremdfinanziert sind, und zwar zu dem Zinssatz, der sich aus den durchschnittlichen Konditionen aller in diesem Haushaltsjahr aufgenommenen Kredite ergibt. Von dem so ermittelten Kreditbedarf für diese Aufwendungen sind allerdings korrigierend abzuziehen etwaige zweckgerichtete Zuschüsse und Vorausleistungen für die konkrete Erschließungsmaßnahme (Urteil vom 23. August 1990 a.a.O. S. 309). Umgekehrt sind bei der Berechnung der Fremdfinanzierungsquote Zuwendungen und Zuschüsse für Investitionen und Investitionsfördermaßnahmen für andere Vorhaben von den Gesamtausgaben des Vermögenshaushalts vorab abzuziehen, wenn diese Einnahmen im Vermögenshaushalt haushaltsrechtlich wirksam zugunsten bestimmter Vorhaben zweckgebunden sind (Urteil vom 23. Februar 2000 a.a.O. S. 348 ff.).

16 Für die Ermittlung der Fremdfinanzierungskosten bei der Zinsberechnung für die Folgejahre ist ebenfalls auf die so ermittelte Fremdfinanzierungsquote des jeweiligen Aufwandsentstehungsjahres abzustellen; den Vorschlag, insoweit auf die jeweilige Quote der Folgejahre abzustellen, hat das Bundesverwaltungsgericht als mit dem Gebot einer möglichst wirklichkeitsgerechten Kostenermittlung unvereinbar verworfen (Urteil vom 23. Februar 2000 a.a.O. S. 351 f.).

17 b) All dies hat der Beklagte im Streitfall in seiner Berechnung der Fremdfinanzierungskosten - insoweit im Ansatz zutreffend - berücksichtigt. Fehlerhaft war allerdings, dass er in die Ermittlung der Fremdfinanzierungskosten die Zinssätze der verschiedenen von ihm aufgenommenen Darlehen mit gleichem Gewicht eingestellt hat (indem die Darlehensbeträge summiert und durch die Anzahl der Darlehen dividiert wurden); richtigerweise hätten sie entsprechend ihrer Höhe gewichtet werden müssen (ebenso Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl. 2007, § 13 Rn. 21). Dieser Fehler wirkt sich allerdings wegen seiner Geringfügigkeit angesichts der von den Vorinstanzen ausgeurteilten Beträge auf die Entscheidung über die Revision nicht aus.

18 2. Mit dem aus § 128 Abs. 1, § 130 Abs. 1 BauGB folgenden Gebot einer möglichst wirklichkeitsgerechten Kostenermittlung ist es dagegen nicht vereinbar und vom Oberverwaltungsgericht daher zu Recht beanstandet worden, dass der Beklagte im Rahmen der Berechnung der Fremdfinanzierungskosten von ihm in den Folgejahren vereinnahmte Vorausleistungen für die Erschließungsanlage nicht wie Tilgungen kreditkostenmindernd berücksichtigt hat.

19 Bei der nach den vorstehenden Grundsätzen anzustellenden Berechnung der beitragsfähigen Fremdfinanzierungskosten handelt es sich - bedingt durch das gemeindehaushaltsrechtliche Gesamtdeckungsprinzip - der Sache nach um eine Betrachtung anhand fiktiver Darlehen (vgl. Driehaus a.a.O. § 13 Rn. 14). Wenn dabei auf der „Passiv-Seite“ (Aufwandseite) des fiktiven Kontos, das für die konkrete Erschließungsanlage gebildet wird, Darlehenszinsen zu Lasten der Anlieger zu Buche schlagen, ist es nur folgerichtig, auf der „Aktiv-Seite“ (Einnahmenseite) dieses fiktiven Kontos von den Anliegern für die Erschließungsanlage gezahlte Vorausleistungen zu ihren Gunsten zu berücksichtigen und diese im Saldo der beiden Kontenseiten mit den bis dahin angefallenen Kreditkosten zu verrechnen. Das Gesamtdeckungsprinzip (hier: § 16 Gem-HVO NRW 1972) steht dem schon deshalb nicht entgegen, weil es sich lediglich um eine fiktive Betrachtung handelt. Vielmehr gewinnt hier die spezifisch erschließungsbeitragsrechtliche Zweckbindung von Vorausleistungen Bedeutung. Sie sind ihrem Wesen nach dazu bestimmt, die endgültige Beitragsschuld zu tilgen und mit ihr verrechnet zu werden (§ 133 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 BauGB). Sie sind in diesem Sinne „anlagengebunden“. Diese durch das bundesrechtliche Erschließungsbeitragsrecht vorgegebene Zweckbindung setzt sich im Rahmen der „fiktiven Kontenbetrachtung“ gegenüber den gemeindehaushaltsrechtlichen Vorgaben für die Behandlung solcher Zahlungsflüsse durch. Wie das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden hat, sind im Entstehungsjahr der kreditbelasteten Aufwendungen eingehende Vorausleistungen kreditbedarfsmindernd abzuziehen (Urteil vom 23. August 1990 a.a.O. S. 309). Ein sachlich anerkennenswerter Grund dafür, später eingehende Vorausleistungen anders zu behandeln, ist nicht zu erkennen. In beiden Fällen gebietet es ihre spezifische Zweckbindung zugunsten der Erschließungsanlage, sie im Rahmen der fiktiven Kreditkostenberechnung wie Tilgungen zu berücksichtigen.

20 Hinzu kommt, dass das dargestellte Berechnungsmodell und die den Gemeinden damit eingeräumte Schätzungsbefugnis - wie erwähnt - einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab darstellen, der sich von dem tatsächlich durch die Erschließungsmaßnahme verursachten Aufwand nur so weit entfernen darf, wie dies die die Schätzung rechtfertigenden Umstände bedingen. Blieben von der Gemeinde vereinnahmte Vorausleistungen im Rahmen der Ermittlung der Fremdfinanzierungskosten unberücksichtigt, würde dies zu realitätsfremden Ergebnissen führen, die nicht mehr durch Erwägungen der Verwaltungspraktikabilität und der Vermeidung unzumutbaren Verwaltungsaufwandes gerechtfertigt werden können. Dies zeigt exemplarisch die Entwicklung der Fremdfinanzierungskosten im Streitfall: Danach betrug der im Jahr 1981 angefallene fremdfinanzierte Aufwand lediglich 64 061,26 DM, löste aber - durch den langen Zeitraum bis zum Entstehen der sachlichen Beitragspflichten - nach der Berechnungsweise im angefochtenen Bescheid bis zum Jahr 2001 Zinsen in Höhe von 100 406,47 DM aus, also einen mehr als 55 % höheren Betrag. Bei Anrechnung der zwischenzeitlich vereinnahmten Vorausleistungen würden sich die Fremdfinanzierungskosten nach der vom Beklagten im Berufungsverfahren vorgelegten Berechnung der Tabelle A, die von dem Fremdfinanzierungsanteil (64 061,26 DM) abzüglich der Vorausleistungen ausgeht, auf lediglich 9 745,20 DM belaufen bzw. auf höchstens 37 751,99 DM nach der Berechnung der Tabelle B, die von einer Vollfremdfinanzierung der Erschließungsmaßnahme (110 679,44 DM) abzüglich der Vorausleistungen ausgeht.

21 Gründe der Verwaltungspraktikabilität oder der Vermeidung unzumutbaren Verwaltungsaufwands zwingen nicht dazu, die Vorausleistungen unberücksichtigt zu lassen. Die damit verbundene zusätzliche Rechenarbeit kann es in der Zeit computergestützter Rechenprogramme nicht mehr rechtfertigen, von einer auf diese Weise zu erreichenden wirklichkeitsnäheren Kostenermittlung abzusehen. Dies zeigt sich auch daran, dass es dem Beklagten ohne weiteres möglich war, im Berufungsverfahren die vom Oberverwaltungsgericht erbetene Neuberechnung vorzulegen.

22 Auch der wirtschaftliche Effekt der Vereinnahmung von Vorausleistungen spricht dafür, sie wie Tilgungen zu berücksichtigen: Werden Vorausleistungen erhoben und über längere Zeit nicht für die konkrete Erschließungsmaßnahme verwandt, stehen sie der Gemeinde in der Zwischenzeit wie ein zinsloses Darlehen für den allgemeinen Haushalt zur Verfügung bzw. ersparen ihr höhere Schuldzinsen, während zur selben Zeit - betrachtet man das „fiktive Konto“ zur Berechnung des Aufwands der konkreten Erschließungsanlage - sich die auf die Anlieger abzuwälzende Zinslast weiter erhöht, obwohl sie Vorausleistungen gezahlt haben, die gerade der Vorfinanzierung der Erschließungsanlage zu dienen bestimmt sind. Dies ist den Anliegern nicht als sachgerechte und wirklichkeitsnahe Kostenermittlung vermittelbar.

23 3. Danach hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Beklagten zu Recht zurückgewiesen. Auf die erwähnten Unterschiede in den vom Beklagten vorgelegten Berechnungen (Tabellen A und B) kam es für die Entscheidung über diese Berufung nicht an, weil nach beiden Alternativen der Betrag, in dessen Höhe das Verwaltungsgericht die Beitragsfestsetzung hatte bestehen lassen (21 376,59 DM = 10 929,68 €), unterschritten wird. Für die Revision hat dies folglich ebenfalls keine Bedeutung. Der Senat merkt allerdings an, dass die Berechnung der Tabelle B, die unterstellt, dass die Erschließungsmaßnahme zu 100 % fremdfinanziert sei (und nicht nur in Höhe der Fremdfinanzierungsquote), mit den oben dargestellten Grundsätzen nicht vereinbar sein dürfte, weil sie keine wirklichkeitsgerechte Annahme darstellt.

24 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.