Verfahrensinformation

Der Kläger begehrt die Rückübertragung eines Hausgrundstücks, dessen derzeitige Eigentümerin die zu 2 beigeladene Stiftung ist. Sie hat das Grundstück der Beigeladenen zu 1, ebenfalls eine Stiftung, zur Nutzung überlassen. Das Verwaltungsgericht hat die Berechtigung des Klägers nach dem Vermögensgesetz festgestellt, die Rückgabe des Grundstücks aber für ausgeschlossen gehalten, weil die Beigeladene zu 2 in redlicher Weise Eigentum daran erworben habe. Gleichzeitig hat es die Revision zugelassen zur Klärung der Frage, wann eine Stiftung gemeinnützig im Sinne des § 4 Abs. 2 VermG ist, so dass ihr redlicher Eigentumserwerb die Restitution ausschließen kann.


Urteil vom 30.09.2009 -
BVerwG 8 C 13.08ECLI:DE:BVerwG:2009:300909U8C13.08.0

Leitsatz:

Der redliche Erwerb eines Vermögenswertes durch eine gemeinnützige Stiftung führt nur dann zum Ausschluss eines Rückübertragungsanspruchs, wenn die Stiftung nach ihren Zwecken ausschließlich gemeinnützig tätig ist.

Urteil

BVerwG 8 C 13.08

  • VG Gera - 10.06.2008 - AZ: VG 3 K 515/03 GE

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 30. September 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf und
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg, Dr. Hauser und Dr. Held-Daab
für Recht erkannt:

  1. Das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. Juni 2008 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Gera wird geändert, soweit die Klage des Klägers zu 1 abgewiesen wurde.
  2. Der Bescheid des Staatlichen Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen Gera vom 16. November 2000 in der Fassung des Widerspruchbescheides des Thüringer Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 5. Mai 2003 wird in seiner Nummer 1 aufgehoben, soweit es den Kläger betrifft.
  3. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger das Grundstück ...weg ... in Jena Flur ... Flurstück ... zurückzuübertragen.
  4. Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt die Beklagte zwei Drittel der bis zum 25. September 2007 entstandenen und sämtliche danach angefallenen Gerichtskosten sowie die gesamten außergerichtlichen Kosten des Klägers. Der Kläger trägt keine Kosten. Die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen die Beklagte und die Beigeladene zu 1 je zur Hälfte.

Gründe

I

1 Der Kläger macht als Rechtsnachfolger einer Freimaurerloge, die sich 1933 nach Ausschreitungen gegen andere Logen durch die Nationalsozialisten aufgelöst hat, vermögensrechtliche Ansprüche hinsichtlich des Hausgrundstücks ...weg ... in Jena geltend.

2 Der Liquidator der durch Beschluss der Mitgliederversammlung vom 2. Juni 1933 aufgelösten Freimaurerloge „Friedrich zur ernsten Arbeit“ e.V. verkaufte im Oktober 1933 das Hausgrundstück, in dem die Logentreffen stattgefunden hatten. Nach mehreren Weiterverkäufen gelangte das Grundstück 1958 in das Eigentum des Volkes. Am 19. September 1984 schloss der Rat der Stadt Jena als Rechtsträger des Grundstücks mit der Carl-Zeiss-Stiftung in Jena einen Grundstückstauschvertrag über mehrere Grundstücke. Im Rahmen dieses Vertrages übernahm die Carl-Zeiss-Stiftung in Jena das Grundstück ...weg ... als Eigentümerin.

3 Im Oktober 1990 stellten die Vereinigten Großlogen von Deutschland für den Kläger einen Antrag auf Restitution des Grundstücks.

4 Im Juni 1992 errichtete die Carl-Zeiss-Stiftung in Jena die Ernst-Abbe-Stiftung, die Beigeladene zu 1, und übergab dieser durch Übertragungsvertrag vom 29. Juni 1992 als Vermögensausstattung unter anderem das Grundstück ...weg ... in Jena zur Nutzung. Die Carl-Zeiss-Stiftung in Jena wurde 1994 mit der nach dem Zweiten Weltkrieg in Heidenheim/Baden-Württemberg entstandenen dortigen Carl-Zeiss-Stiftung vereinigt (Beigeladene zu 2).

5 Mit Bescheid vom 16. November 2000 lehnte das Staatliche Amt zur Regelung offener Vermögensfragen Gera den Rückübertragungsantrag ab und stellte gleichzeitig fest, dass der Kläger nicht Berechtigter sei. Das Grundstück habe keiner schädigenden Maßnahme nach § 1 Abs. 6 VermG unterlegen. Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies das Thüringer Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen mit Widerspruchsbescheid vom 5. Mai 2003 zurück.

6 Auf die dagegen fristgemäß erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit aufgrund mündlicher Verhandlung vom 10. Juni 2008 ergangenem Urteil den Bescheid vom 16. November 2000 aufgehoben, soweit eine Berechtigtenfeststellung des Klägers hinsichtlich des Grundstücks ...weg ... in Jena Flur ... Flurstück ... abgelehnt wurde, und die Beklagte verpflichtet, den Kläger hinsichtlich dieses Grundstücks als Berechtigten im Sinne des Vermögensgesetzes festzustellen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und insoweit die Revision zugelassen. Zur Begründung führte es insbesondere aus, dass die Freimaurerloge „Friedrich zur ernsten Arbeit“ e.V. in Jena ihr Grundstückseigentum an dem Hausgrundstück ...weg ... durch eine schädigende Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG verloren habe. Da der Kläger nach § 2 Abs. 1 Satz 5 VermG als Rechtsnachfolger gelte, sei seine Berechtigung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG festzustellen. Der vom Kläger darüber hinaus angestrebten Rückübertragung des Grundstücks stehe aber der Ausschlussgrund des § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG entgegen. Dass die Carl-Zeiss-Stiftung in Jena beim Erwerb des Grundstücks 1984 redlich gewesen sei, sei zwischen den Beteiligten unstreitig. Es handele sich auch um die Stiftung, die 1889 von Ernst Abbe in Jena errichtet worden sei. Die Stiftungsbetriebe seien zwar 1948 auf Befehl der sowjetischen Besatzungsmacht enteignet worden; auf die Existenz der Carl-Zeiss-Stiftung in Jena habe dies aber keine unmittelbaren Auswirkungen gehabt. Vielmehr habe die Deutsche Wirtschaftskommission für die sowjetische Besatzungszone mit Beschluss vom 16. Juni 1948 die Fortführung der Carl-Zeiss-Stiftung in Jena sichergestellt. Durch eigene Erträge und finanzielle Zuwendungen der nunmehr volkseigenen Betriebe sei die Stiftung auch handlungsfähig geblieben. Schließlich habe es sich bei der Carl-Zeiss-Stiftung im Zeitpunkt des Eigentumserwerbs auch um eine „gemeinnützige“ Stiftung im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG gehandelt. Die Kammer verstehe dies als eigenständiges Tatbestandsmerkmal. Die Carl-Zeiss-Stiftung habe in vielen Bereichen Projekte gefördert, die der Allgemeinheit zugute gekommen seien. Daneben habe sie auch in erheblichem Umfang Pensionen an Angehörige der Jenaer Betriebe gezahlt, was keinen gemeinnützigen Charakter gehabt habe, weil sie nur einem fest abgeschlossenen Personenkreis, nämlich der Belegschaft von Unternehmen und nicht der Allgemeinheit zugute gekommen seien. Der Begriff der Gemeinnützigkeit in § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG dürfe jedoch nicht im Sinne einer ausschließlich gemeinnützigen Tätigkeit verstanden werden. Diese sei nur für die steuerrechtliche Beurteilung ein Kriterium. Dass die Bestimmung des § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG nicht eine ausschließlich gemeinnützige Tätigkeit voraussetze, zeige auch ein Vergleich mit den ebenfalls begünstigten Religionsgemeinschaften. Auch diese hätten in der DDR nicht ausschließlich gemeinnützige Tätigkeiten wahrgenommen.

7 Der Kläger hat Revision eingelegt, soweit sie mit dem Urteil zugelassen worden ist, und rügt die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere des § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG.

8 Er beantragt,
das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 10. Juni 2008 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Gera zu ändern, soweit es die Klage des Klägers abweist, und die ihn betreffende Regelung in Nummer 1 des Bescheides des Staatlichen Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen Gera vom 16. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Thüringer Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 5. Mai 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, das Grundstück ...weg ... in Jena (Gemarkung Jena Flur ... Flurstück ...) an den Kläger zurückzuübertragen.

9 Die Beklagte und die Beigeladene zu 1 beantragen jeweils,
die Revision zurückzuweisen.

10 Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

11 Die Beigeladene zu 2 stellt keinen Antrag.

II

12 A. Der Anregung des Klägers, die Beiladung der Beigeladenen zu 1 wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben, war nicht zu folgen. Es handelt sich um eine einfache Beiladung im Sinne des § 65 Abs. 1 VwGO, die nur voraussetzt, dass die rechtlichen Interessen des Betroffenen durch die Entscheidung berührt werden. Dazu genügt ein Betroffensein in privaten Rechten (vgl. Urteil vom 16. September 1981 - BVerwG 8 C 1 und 2.81 - BVerwGE 64, 67 <69 f.> = Buchholz 406.11 § 133 BauGB Nr. 76). Diese Voraussetzung ist erfüllt. Eine Rückübertragung des streitgegenständlichen Grundstücks würde die Rechte der Beigeladenen zu 1 aus der zivilrechtlichen Grundstücksüberlassung aufgrund der Stiftungsurkunde beeinträchtigen.

13 B. Die Revision des Klägers ist begründet, denn das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt in dem mit der Revision angefochtenen Umfang Bundesrecht und stellt sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar.

14 1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht mit seiner Annahme, die Rückübertragung des streitgegenständlichen Grundstücks an den Kläger sei ausgeschlossen, weil die Carl-Zeiss-Stiftung 1984 als gemeinnützige Stiftung in redlicher Weise daran Eigentum erworben habe. Dabei ist die Überlegung des Verwaltungsgerichts, dass es sich bei der Carl-Zeiss-Stiftung 1984 um eine Stiftung gehandelt hat, die gemäß § 9 EGZGB der DDR vom 19. Juni 1975 (GBl I 1975 S. 517) auch nach Inkrafttreten des Zivilgesetzbuches der DDR am 1. Januar 1976 fortbestand, nicht zu beanstanden. Auf die vom Kläger erstmals im Revisionsverfahren in Frage gestellte Redlichkeit der Stiftung beim Erwerb des Grundstücks kommt es nicht an, weil die Carl-Zeiss-Stiftung nicht gemeinnützig im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG war.

15 Dabei hat das Verwaltungsgericht rechtsfehlerfrei erkannt, dass die Stiftung als solche gemeinnützig sein muss, nicht die Verwendung des zur Rückübertragung anstehenden Vermögenswertes. Deshalb ist es ohne Relevanz, dass das streitgegenständliche Grundstück nach dem Erwerb durch die Carl-Zeiss-Stiftung an den Generaldirektor des VEB Carl Zeiss Jena als Wohnhaus vermietet war. Die Stiftung muss zum Zeitpunkt des Erwerbs des Vermögenswertes gemeinnützig gewesen sein. § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG macht den Ausschluss des Anspruchs auf Rückübertragung allein davon abhängig, ob der Eigentumserwerb in redlicher Weise erfolgt ist (vgl. Beschluss vom 19. April 1993 - BVerwG 7 B 43.93 - Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 2). Dementsprechend muss auch der redliche Erwerber zum Zeitpunkt des Erwerbs die Voraussetzungen erfüllen. Nur das beim Erwerb getätigte Vertrauen soll durch den Restitutionsausschluss gemäß § 4 Abs. 2 VermG geschützt werden. Deshalb ist es ebenfalls ohne Bedeutung, dass die Beigeladene zu 2, in der die Carl-Zeiss-Stiftung in Jena 1994 mit der Carl-Zeiss-Stiftung in Heidenheim zusammengeführt wurde, auch nach Auffassung der Beklagten heute nicht gemeinnützig ist.

16 Die Verletzung von Bundesrecht durch das Urteil des Verwaltungsgerichts liegt in der Annahme, die Bestimmung des § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG lasse den redlichen Erwerb durch eine Stiftung ausreichen, die nicht ausschließlich gemeinnützig tätig ist.

17 Der Wortlaut des § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG spricht schon gegen diese Annahme. Mit dem Abstellen auf „gemeinnützige Stiftungen“ bezeichnet der Gesetzgeber ein Attribut der Stiftungen selbst und stellt nicht nur adjektivisch auf einzelne Zwecksetzungen oder Tätigkeiten einer Stiftung ab, die gemeinnützig sein können. Das legt die Annahme nahe, dass der Gesetzgeber nur ausschließlich gemeinnützige Stiftungen begünstigen wollte. So sieht es auch, soweit überhaupt darauf eingegangen wird, die Literatur (vgl. Koch, in: Rädler/
Raupach/Bezzenberger, Vermögen in der ehemaligen DDR, Teil 3, § 4 VermG Rn. 20; Wasmuth, Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der ehemaligen DDR, B 100 § 4 VermG Rn. 98).

18 Auch Sinn und Zweck der Regelung sprechen dafür, als gemeinnützige Stiftungen nur solche anzusehen, die ausschließlich gemeinnützig sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sollten mit der Regelung des § 4 Abs. 2 VermG nicht nur alle Träger sozialistischen Eigentums von der Möglichkeit eines redlichen Erwerbs ausgeschlossen sein; Schutz vor der Rückgabe eines entzogenen Vermögenswertes verdienten vielmehr nur solche (redlichen) Erwerber, deren Eigentum nicht in die sozialistische Staatsordnung eingebunden war, sondern im Wesentlichen dem Eigentum Privater im Sinne des Rechtsverständnisses in der Bundesrepublik Deutschland entsprach (vgl. Urteil vom 13. Oktober 1994 - BVerwG 7 C 38.93 - BVerwGE 97, 24 <27 f.>). Voraussetzung für die Gleichstellung der Religionsgemeinschaften und gemeinnützigen Stiftungen mit den natürlichen Personen in § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG ist danach in eigentumsrechtlicher Hinsicht die Ähnlichkeit mit dem persönlichen Eigentum natürlicher Personen. Diese ist zu bejahen. Zwar konnten Religionsgemeinschaften und Stiftungen in der Rechtsordnung der DDR kein persönliches Eigentum, sondern nur sonstiges privates Eigentum erwerben. Dieses wurde aber entsprechend dem persönlichen Eigentum der Bürger behandelt; so waren auf das sonstige private Eigentum wegen dessen inhaltlicher Verwandtschaft mit dem persönlichen Eigentum die Vorschriften der §§ 22 ff. ZGB entsprechend anwendbar (vgl. Urteil vom 13. Oktober 1994 - BVerwG 7 C 38.93 - a.a.O. S. 29; BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. Mai 1995 - 1 BvR 590/95 - NJW 1995, 2281 <2282>).

19 Wesentlicher Gesichtspunkt für die Einbeziehung und Gleichstellung der Religionsgemeinschaften und gemeinnützigen Stiftungen mit den Bürgern der DDR, die redlich Vermögenswerte erworben haben, ist aber nicht so sehr die Nähe des sonstigen privaten Eigentums zum persönlichen Eigentum in Abgrenzung zum sozialistischen Eigentum, sondern vielmehr deren Staatsferne. Es gab auch gemäß § 9 EGZGB fortbestehende Stiftungen, die mit der staatlichen Organisation eng verknüpft waren. Auch sie konnten nur privates Eigentum erwerben, da sie nicht in den Kreis derjenigen fielen, die sozialistisches Eigentum erwerben konnten (vgl. § 18 Abs. 1 ZGB). Derartige Stiftungen sind aber nicht schutzwürdig im Sinne des § 4 Abs. 2 VermG. Da Gemeinnützigkeit für den Erwerb des privaten Eigentums nicht Voraussetzung war, kann dieser Erwerb privaten Eigentums nicht das entscheidende Kriterium für den Restitutionsausschluss sein. Vielmehr ist darauf abzustellen, dass nur der Erwerb durch solche Organisationen geschützt werden sollte, die sich durch eine besondere Staatsferne auszeichneten. Bei gemeinnützigen Stiftungen ist dieses Kriterium nur gewährleistet, wenn sie ausschließlich gemeinnützigen Zwecken dienten.

20 Dass Religionsgemeinschaften nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts in der DDR nicht nur gemeinnützig tätig waren, ist demgegenüber unerheblich. Denn für Religionsgemeinschaften fordert § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG das Kriterium der Gemeinnützigkeit nicht. Der Gesetzgeber konnte aber davon ausgehen, dass Religionsgemeinschaften in der DDR eine deutliche Distanz zum staatlichen System hatten. Allein daraus ergibt sich ihre Schutzwürdigkeit, die zur Gleichstellung mit den natürlichen Personen in § 4 Abs. 2 VermG führte.

21 Dieses Ergebnis wird auch durch die historische Auslegung bestätigt. Die Regelung des § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG setzt den Eckwert Nummer 3 der Gemeinsamen Erklärung der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 (Anlage III zum Einigungsvertrag) um. Danach sollte enteignetes Grundvermögen grundsätzlich unter Berücksichtigung der unter a) und b) genannten Fallgruppen den ehemaligen Eigentümern oder ihren Erben zurückgegeben werden. Nach Buchstabe b dieses Eckwerts ist ein sozialverträglicher Ausgleich an die ehemaligen Eigentümer durch Austausch von Grundstücken mit vergleichbarem Wert oder durch Entschädigung herzustellen, sofern Bürger der DDR an zurück zu übereignenden Immobilien Eigentum oder dingliche Nutzungsrechte in redlicher Weise erworben haben. Der Konflikt zwischen dem nach der Konzeption der Gemeinsamen Erklärung grundsätzlich vorrangigen Interesse des früheren Eigentümers an der Rückübertragung des rechtsstaatswidrig entzogenen Vermögenswertes und dem Interesse des gegenwärtigen Rechtsinhabers an der Aufrechterhaltung seiner redlich erlangten Rechtsposition wird damit zu Gunsten des Letzteren gelöst. Unter dem Gesichtspunkt des sozialverträglichen Ausgleichs ist deshalb davon auszugehen, dass der grundsätzlich bestehende Restitutionsanspruch des ehemaligen Eigentümers bei redlichem Erwerb durch eine Stiftung nur untergehen sollte, wenn deren Zwecke der Allgemeinheit und nicht dem Staat oder nur Partikularinteressen dienten.

22 Auch wenn man wie das Verwaltungsgericht zur Begriffsbestimmung auf die im zeitlichen Zusammenhang mit dem Vermögensgesetz erlassenen Regelungen des § 21 des Vereinigungsgesetzes der DDR vom 21. Februar 1990 (GBl I S. 75), geändert durch Gesetz vom 22. Juni 1990 (GBl I S. 470) und die §§ 52 ff. der Abgabenordnung der DDR vom 22. Juni 1990 (GBl Sonderdruck Nr. 1428) abstellen will, kann daraus - entgegen dem angefochtenen Urteil - nicht der Schluss gezogen werden, dass unter § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG auch solche Stiftungen fallen, die nicht ausschließlich gemeinnützig sind. § 21 Abs. 1 des Vereinigungsgesetzes definierte mit der Formulierung „Eine gemeinnützige Vereinigung im Sinne dieses Gesetzes ist eine rechtsfähige Vereinigung, deren Tätigkeit auf besonders förderungswürdig anerkannte gemeinnützige Zwecke gerichtet ist.“ selbst den Begriff der Gemeinnützigkeit der Vereinigung. Die Verweisung auf §§ 52 ff. der Abgabenordnung der DDR diente nur der Konkretisierung gemeinnütziger Zwecke in diesem Sinne. Auch die §§ 52 ff. AO DDR definierten nicht den Begriff der gemeinnützigen Vereinigung oder den Begriff der Gemeinnützigkeit, sondern normierten nur die Voraussetzungen, unter denen einzelne Zwecke als gemeinnützig, mildtätig oder kirchlich anzuerkennen waren (§§ 52 bis 54) und bei selbstloser, ausschließlicher und unmittelbarer Verfolgung (§§ 55 bis 57) rechtfertigten, den sie verwirklichenden Personen gesetzliche Steuervergünstigungen zu gewähren (§ 59). § 52 AO DDR konkretisierte die Gemeinnützigkeit damit nur als Attribut von Zwecken und Tätigkeiten, nicht als Eigenschaft der Person. Demgegenüber ist der Begriff der Gemeinnützigkeit in § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG subjekt- und nicht tätigkeitsbezogen.

23 2. Das Urteil des Verwaltungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Denn die Carl-Zeiss-Stiftung in Jena war zum Zeitpunkt des Erwerbs des streitgegenständlichen Grundstücks 1984 keine ausschließlich gemeinnützige Stiftung.

24 Ernst Abbe hatte 1889 die Stiftung zur Eigentümerin der Unternehmen „Carl Zeiss“ und „Jenaer Glaswerk Schott und Genossen“ gemacht. Aus den von ihm im Statut der Carl-Zeiss-Stiftung zu Jena festgelegten Zwecken der Stiftung, auf die für die Bestimmung der Gemeinnützigkeit abzustellen ist, ergibt sich, dass die Stiftung nicht nur die Unternehmen unter unpersönlichem Besitztitel fortführen sollte; nach § 1 A Nr. 3 des Statuts sollte sie auch „größere soziale Pflichten, als persönliche Inhaber dauernd gewährleisten würden, gegenüber der Gesamtheit der in ihnen tätigen Mitarbeiter [erfüllen] behufs Verbesserung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Rechtslage“. Die Deutsche Wirtschaftskommission für die sowjetische Besatzungszone hob mit Beschluss vom 16. Juni 1948 die Notwendigkeit der Fortführung der Existenz und Wirksamkeit der Carl-Zeiss-Stiftung hervor und legte deren Fortbestand fest. Trotz der Verstaatlichung der beiden Unternehmen wurden die Existenz der Stiftung auch in der DDR nicht in Frage gestellt und die von Ernst Abbe festgelegten Zwecke bestätigt.

25 Danach hat die Stiftung zur Zeit des Grundstückserwerbs 1984 zwar auch gemeinnützige Zwecke verfolgt, es gab aber auch nicht gemeinnützige Zwecke, denen die Stiftung diente, soweit diese nicht, wie es die Gemeinnützigkeit voraussetzt, der Allgemeinheit, sondern der Belegschaft der Unternehmen zugute kommen sollten (vgl. insoweit auch § 52 AO der DDR). Auch nach dem Wegfall des rein unternehmerischen Handelns aufgrund der Verstaatlichung der Betriebe verblieb eine „Restunternehmereigenschaft“ der Stiftung, weil es ausdrücklich zum Stiftungsinteresse gehörte, die Betriebsangehörigen oder ehemaligen Betriebsangehörigen zu unterstützen. Das geschah zum Beispiel nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts (UA S. 22) durch Pensionszahlungen in erheblichem Umfang an ehemalige Unternehmensangehörige, wobei es ohne Bedeutung ist, aus welchen Mitteln diese Zahlungen geleistet wurden. Denn sie wurden von der Stiftung ausgezahlt, um dem Zweck der Stiftung gerecht zu werden. Die Finanzierung der Zahlung ist für die Zweckbestimmung nicht ausschlaggebend. Ob auch die der Stiftung gehörenden und nach Angaben des damaligen Stiftungskommissars B. W. an Mitarbeiter der Stiftungsunternehmen vermieteten Wohnungen dazu gehörten, kann hier dahinstehen. Aufgrund ihrer von den satzungsmäßigen Zwecken vorgegebenen Unterstützung der Belegschaft der nunmehr volkseigenen Betriebe war die Carl-Zeiss-Stiftung mit der staatlichen Wirtschaftstätigkeit verknüpft und kann deshalb nicht als staatsferne Stiftung angesehen werden, deren Schutz § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG allein bezweckt.

26 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO.