Verfahrensinformation

wie BVerwG 7 CN 2.02


Beschluss vom 29.10.2002 -
BVerwG 7 BN 2.02ECLI:DE:BVerwG:2002:291002B7BN2.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 29.10.2002 - 7 BN 2.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:291002B7BN2.02.0]

Beschluss

BVerwG 7 BN 2.02

  • Niedersächsisches OVG - 20.12.2001 - AZ: OVG 7 KN 56/01

In der Normenkontrollsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Oktober 2002
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht
G ö d e l , K l e y und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 20. Dezember 2001 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 € festgesetzt.

Die Beschwerde ist begründet. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Sie wirft die klärungsbedürftige Frage auf, ob die Heranziehung von Personen gegen ihren Willen zur Mitgliedschaft in einem bestehenden Deichverband gemäß § 23 Abs. 2 WVG durch Verwaltungsakt erfolgen muss oder aufgrund ergänzender landesrechtlicher Regelung durch Verordnung geschehen kann.
Rechtsmittelbelehrung
Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 7 CN 3.02 fortgesetzt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, einzureichen.
Für den Revisionskläger besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Der Revisionskläger muss sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften ferner durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen. In derselben Weise muss sich jeder Beteiligte vertreten lassen, soweit er einen Antrag stellt.

Urteil vom 11.12.2003 -
BVerwG 7 CN 3.02ECLI:DE:BVerwG:2003:111203U7CN3.02.0

Urteil

BVerwG 7 CN 3.02

  • Niedersächsisches OVG - 20.12.2001 - AZ: OVG 7 KN 56/01

In der Normenkontrollsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2003
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht G ö d e l , K l e y , H e r b e r t , K r a u ß und N e u m a n n
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. Dezember 2001 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

I


Die Antragstellerin wendet sich gegen eine Änderung der Grenzen des geschützten Gebietes des II. Oldenburgischen Deichbandes.
Im Jahre 1979 wurde in der Hunte ein Sperrwerk errichtet und deichrechtlich gewidmet. Die Bezirksregierung Weser-Ems wollte die in dessen Schutz gelegenen Grundstücke in das Gebiet des bestehenden II. Oldenburgischen Deichbandes einbeziehen. Gestützt auf § 6 Abs. 1 bis 3, § 9 Abs. 3 des Niedersächsischen Deichgesetzes (NDG) in der Fassung vom 16. Juli 1974 (Nieders. GVBl S. 387), geändert durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Deichgesetzes vom 15. Oktober 1993 (Nieders. GVBl S. 443), setzte sie durch die streitige Verordnung vom 17. November 1993 die seitlichen und rückwärtigen Grenzen des geschützten Gebietes des II. Oldenburgischen Deichbandes neu fest.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines Grundstücks, das durch die angegriffene Verordnung in das geschützte Gebiet des Deichverbandes einbezogen wird.
Auf ihren Normenkontrollantrag erklärte das Oberverwaltungsgericht die Verordnung für nichtig: Sie beruhe nicht auf einer wirksamen gesetzlichen Ermächtigung. Die hierfür in Anspruch genommenen Bestimmungen des Niedersächsischen Deichgesetzes seien mit In-Kraft-Treten des Gesetzes über Wasser- und Bodenverbände (Wasserverbandsgesetz - WVG -) vom 12. Februar 1991 (BGBl I S. 405) gemäß Art. 31 GG derogiert worden. Mitglieder der Deichverbände seien die Eigentümer aller im Schutz der Deiche und Sperrwerke gelegenen Grundstücke. Die Grenzen des geschützten Gebiets bestimme und ändere nach § 6 Abs. 2 und 3 NDG die obere Deichbehörde durch Verordnung; ebenfalls durch Verordnung lege sie die Grenze zwischen nebeneinander liegenden Deichverbänden fest. Angesichts der durch das Eigentum an einem Grundstück vermittelten dinglichen Mitgliedschaft in einem Deichverband bewirke deshalb jede Änderung der Grenzen des geschützten Gebiets durch Verordnung unmittelbar eine Änderung des Mitgliederbestandes eines Deichverbandes. Die Begründung einer Mitgliedschaft in einem Wasser- und Bodenverband durch Verordnung widerspreche jedoch den Vorschriften des Wasserverbandsgesetzes. Nach § 23 WVG könne ein Dritter nur durch Verwaltungsakt in einen bestehenden Verband aufgenommen oder gegen seinen Willen zur Mitgliedschaft in ihm herangezogen werden.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision macht der Antragsgegner geltend, das Wasserverbandsgesetz schließe die Heranziehung Dritter zu einem bestehenden Deichverband durch Verordnung auf landesrechtlicher Grundlage nicht aus.
Die Antragstellerin verteidigt das angefochtene Urteil und macht unter anderem geltend, die Festlegung der Grenzen des geschützten Gebietes durch Verordnung habe nur den Sinn, damit zugleich die Eigentümer der betroffenen Grundstücke den Deichverbänden zuzuweisen.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält die Revision für begründet.

II


Die Revision des Antragsgegners ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht. Die landesgesetzliche Ermächtigung zum Erlass der angegriffenen Verordnung in § 6 Abs. 3 Satz 1, § 9 Abs. 3 Satz 3 NDG war mit § 23 WVG vereinbar. Sie war auch mit § 13 der Ersten Verordnung über Wasser- und Bodenverbände (Erste Wasserverbandsverordnung - WVVO -) vom 3. September 1937 (RGBl I S. 933) vereinbar, der bei Erlass des Niedersächsischen Deichgesetzes als Bundesrecht fortgalt. Die gegenteilige Annahme des Oberverwaltungsgerichts verstößt gegen Art. 72 Abs. 1 GG. Ob die angegriffene Verordnung durch die gültige Ermächtigungsgrundlage gedeckt war, kann der Senat mangels hierauf bezogener Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht beurteilen. Die Sache ist deshalb an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Steht dem Bund eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz im Sinne des Art. 72 GG zu, fehlt dem Landesgesetzgeber eine Gesetzgebungsbefugnis, soweit der Bund von der ihm verliehenen Zuständigkeit abschließend Gebrauch gemacht hat. Landesrechtliche Regelungen desselben Gegenstandes sind aufgrund fehlender Zuständigkeit mit dem Grundgesetz unvereinbar und daher nichtig.
Der Bund hat mit dem Wasserverbandsgesetz, namentlich mit dessen § 23 WVG, von seiner Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Küstenschutzes (Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG) nicht in einem Regelungsbereich abschließend Gebrauch gemacht, der Gegenstand der Ermächtigung in § 6 Abs. 3 Satz 1, § 9 Abs. 3 Satz 3 NDG ist. Ebenso wenig stellte § 13 WVVO eine solche abschließende bundesrechtliche Regelung dar.
§ 23 WVG bestimmt, wer unter welchen Voraussetzungen und auf welche Weise Mitglied in einem bereits bestehenden Wasser- und Bodenverband wird. Er trifft eine organisations- und mitgliedschaftsrechtliche Regelung. Dasselbe galt schon für § 13 WVVO. § 6 Abs. 3 Satz 1 NDG regelt hingegen, wer in welcher Form das Gebiet festlegen darf, das von einem Deich oder Sperrwerk geschützt wird. Es handelt sich um eine Vorschrift des materiellen Deichrechts. Sie bezieht sich auf § 6 Abs. 1 NDG, der regelt, wer zur Erhaltung der Deiche verpflichtet ist. Die Deichpflicht knüpft dabei an den Begriff des geschützten Gebiets (§ 1 Nr. 2 NDG) an. Zur gemeinschaftlichen Deicherhaltung verpflichtet sind die Eigentümer der im Schutz der Deiche und Sperrwerke gelegenen Grundstücke. Diese Deichpflicht wird für den Einzelfall durch Verordnung konkretisiert. § 9 Abs. 3 Satz 3 NDG regelt ebenfalls die materielle Deichpflicht. Die Bestimmung ist eine Folgeregelung zu § 6 Abs. 3 Satz 1 NDG. Der durch Deiche und Sperrwerke geschützte Bereich hat noch keinen Bezug zu einem bestimmten Deichverband. Mit der Festlegung oder Änderung der Grenze nebeneinander liegender Deichverbände wird bestimmt, welchem Verband die Erhaltung welcher Deichstrecke obliegt und welches Gebiet danach durch den ihm zur Erhaltung zugewiesenen Deich geschützt wird.
§ 6 Abs. 3 Satz 1 NDG ordnet als Rechtsfolge nicht an, dass die Eigentümer der Grundstücke, die in dem geschützten Bereich liegen, Mitglieder des Deichverbandes werden, und ermächtigt den Verordnungsgeber auch nicht zu einer solchen Regelung. Ebenso wenig regelt § 9 Abs. 3 Satz 3 NDG die Rechtsfolgen, die sich für die Mitgliedschaft in einem Deichverband aus der Änderung der Grenzen nebeneinander liegender Deichverbände ergeben. Dass die Änderung der Grenze des geschützten Gebiets und derjenigen nebeneinander liegender Deichverbände zugleich und ohne weiteres die Mitgliedschaft der Eigentümer davon betroffener Grundstücke in einem bestimmten Deichverband begründet, leitet das Oberverwaltungsgericht aus der Dinglichkeit der Mitgliedschaft in einem Wasser- und Bodenverband her, die in § 4 Abs. 1 Nr. 1 WVG geregelt ist. Diese vermeintliche bundesrechtliche Vorgabe stellt nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts das notwendige rechtliche Bindeglied zwischen einer Bestimmung oder Änderung der Grenzen des geschützten Gebiets und der Mitgliedschaft in einem bestimmten Deichverband dar.
Aus der bundesrechtlich geordneten Dinglichkeit der Mitgliedschaft in einem Wasser- und Bodenverband folgt indes nicht, dass die deichpflichtigen Eigentümer schon deshalb Mitglieder eines Deichverbandes sind.
Die Wasser- und Bodenverbände sind keine Gebietskörperschaften, sondern Personalverbände. Von hier nicht interessierenden Erweiterungen abgesehen, haben sie so genannte dingliche Verbandsmitglieder (früher § 3 Nr. 1 WVVO, jetzt § 4 Abs. 1 Nr. 1 WVG). Die Mitgliedschaft in einem Wasser- und Bodenverband knüpft grundsätzlich an das Eigentum an einem Grundstück an; sie ist vom Eigentum an einem Grundstück abhängig. Dinglich ist die Mitgliedschaft zum einen insoweit, als Mitglied des Wasser- und Bodenverbandes der "jeweilige" Eigentümer ist; ein Wechsel im Eigentum bewirkt aus sich heraus einen Wechsel in der Verbandsmitgliedschaft: der bisherige Eigentümer scheidet ohne weiteres aus dem Verband aus, der neue Eigentümer tritt an seine Stelle (§ 22 Satz 1 WVG). Dinglich ist die Mitgliedschaft zum anderen insoweit, als ihr Umfang durch das Eigentum an einem betroffenen Grundstück bestimmt wird; sie ändert sich in ihrem Umfang etwa mit dem Erwerb weiterer Grundstücke innerhalb des Verbandsgebiets.
Abgesehen von dem Fall eines Eigentumswechsels bei bestehender Mitgliedschaft sagt deren Verdinglichung nichts darüber aus, auf welche Weise ein Eigentümer (erstmals) Mitglied eines Wasser- und Bodenverbandes wird. Weder die Erste Wasserverbandsverordnung noch das Wasserverbandsgesetz kannten und kennen eine Mitgliedschaft kraft Gesetzes, also eine Mitgliedschaft, die unmittelbar eintritt, wenn die im Gesetz hierfür bestimmten Voraussetzungen erfüllt sind. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann die Aufsichtsbehörde den Eigentümer auch gegen seinen Willen zur Errichtung eines Wasser- und Bodenverbandes heranziehen; durch diese Heranziehung wird er Mitglied des errichteten Verbandes (§ 9 Satz 1, § 22 Satz 1 WVG; ebenso der Sache nach früher § 153 Abs. 1 WVVO). Dasselbe gilt bei bereits bestehenden Verbänden. Neben der Möglichkeit des freiwilligen Beitritts (§ 23 Abs. 1 WVG) ermächtigt § 23 Abs. 2 WVG die Aufsichtsbehörde unter bestimmten Voraussetzungen, Personen gegen ihren Willen zur Mitgliedschaft in einem bestehenden Verband heranzuziehen. Eine vergleichbare Regelung enthielt § 13 Abs. 1 Satz 1 WVVO.
Dass die Eigentümer von Grundstücken im geschützten Gebiet Mitglieder der Deichverbände sind, ordnet als Rechtsfolge § 9 Abs. 1 Satz 1 NDG an, den das Oberverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang ebenfalls anführt. Er weist die materiell deichpflichtigen Eigentümer kraft Gesetzes den Deichverbänden zu. Erst diese Norm regelt damit einen Gegenstand, der möglicherweise in § 23 Abs. 2 WVG eine abschließende bundesrechtliche Regelung gefunden hat. Nur mit Blick auf § 9 Abs. 1 Satz 1 NDG kann sich die Frage einer Nichtigkeit mangels (fortbestehender) Gesetzgebungskompetenz des Landes stellen, soweit es sich nicht um durch Landesgesetz errichtete Verbände handelt (vgl. § 80 WVG).
Eine insoweit mögliche Nichtigkeit des § 9 Abs. 1 Satz 1 NDG erstreckt sich aber nicht auf die § 6 Abs. 3 Satz 1 und § 9 Abs. 3 Satz 3 NDG. Sie sind nicht untrennbar mit § 9 Abs. 1 Satz 1 NDG verbunden. § 6 Abs. 3 Satz 1 NDG und die auf seiner Grundlage erlassene Verordnung lösen keine Rechtsfolge aus, die ins Leere ginge, wenn sie nicht in der weiteren Folge mit einer gesetzlichen Zuweisung der Eigentümer der erfassten Grundstücke zu einem bestimmten Deichverband verbunden ist. Die Bestimmung des geschützten Bereichs konkretisiert für den Einzelfall die materielle Deichpflicht. Soweit § 9 Abs. 1 Satz 1 NDG mit § 23 Abs. 2 WVG nicht vereinbar und deshalb unanwendbar sein sollte, regelte die erlassene Verordnung im Zusammenwirken mit § 6 Abs. 1 NDG für die dann erforderliche Heranziehung nach § 23 WVG verbindlich, auf welche Personen die materiellen Voraussetzungen ihrer Heranziehung zutreffen. Diese Frage ist zuvörderst eine solche des jeweiligen Fachrechts, hier des Deichrechts, das im Wasserverbandsgesetz nicht geregelt ist.