Verfahrensinformation

Ein Sozialhilfeträger verlangt von einer Betriebskrankenkasse die Erstattung von Kosten, die er vorläufig für die Rehabilitationsbehandlung einer Hilfeempfängerin aufgewendet hat (§ 102 SGB X). Zu klären ist, welche Einwendungen der Träger der Krankenversicherung gegenüber dem Erstattungsverlangen des vorleistenden Sozialhilfeträgers geltend machen kann und ob hierzu auch der Einwand gehört, dass mit der Einrichtung, in der die Behandlung durchgeführt worden ist, kein Vertrag i.S. von § 111 SGB V abgeschlossen war.


Urteil vom 13.03.2003 -
BVerwG 5 C 6.02ECLI:DE:BVerwG:2003:130303U5C6.02.0

Leitsätze:

1. Ob ein Sozialleistungsträger einem anderen Leistungsträger, der auf Grund gesetzlicher Vorschriften Sozialleistungen erbracht hat, nach § 102 Abs. 1 SGB X dem Grunde nach als "der zur Leistung verpflichtete" Leistungsträger erstattungspflichtig ist, richtet sich nach den für den in Anspruch genommenen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften.

2. Voraussetzung einer Erstattungspflicht nach § 102 Abs. 1 SGB X ist, dass die rechtlichen Voraussetzungen eines Leistungsanspruches gegen den auf Erstattung in Anspruch genommenen Leistungsträgers vorliegen. Dies setzt voraus, dass der auf Kostenerstattung in Anspruch genommene Leistungsträger die Leistung, wegen derer Kostenerstattung begehrt wird, rechtmäßig hätte erbringen dürfen.

3. Das Erfordernis der ärztlichen Aufsicht und Verantwortung für die Maßnahme gehört auch kostenerstattungsrechtlich zu den rechtlichen Voraussetzungen einer Verpflichtung der Krankenversicherung zur Leistung im Sinne des § 102 Abs. 1 SGB X.

Urteil

BVerwG 5 C 6.02

  • VGH Baden-Württemberg - 05.12.2001 - AZ: VGH 7 S 2689/99 -
  • VGH Baden-Württemberg - 05.12.2001 - AZ: VGH 7 S 2689/99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 13. März 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. S ä c k e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t ,
Dr. R o t h k e g e l , Dr. F r a n k e und Prof. Dr. B e r l i t
für Recht erkannt:

  1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 5. Dezember 2001 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

I


Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung der Aufwendungen, die er im Rahmen der Leistung von Eingliederungshilfe für die vollstationäre Unterbringung der Hilfeempfängerin S. in einer Rehabilitationseinrichtung aufgewandt hat. Die Beteiligten streiten vor allem um die Frage, welche Einwendungen der auf Kostenerstattung in Anspruch genommene Krankenversicherungsträger hinsichtlich Art und Umfang der vorläufig erbrachten Leistungen gegenüber einem auf § 102 Abs. 1 SGB X gestützten Erstattungsverlangen eines nach § 44 BSHG vorleistenden Sozialhilfeträgers geltend machen kann.
Die im Jahr 1974 geborene Hilfeempfängerin S. wurde von November 1995 bis zum 29. Januar 1996 wegen einer psychischen Erkrankung stationär in der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie des Kreiskrankenhauses H. behandelt. Mit am 23. Januar 1996 bei dem Kläger eingegangenem Schreiben vom 19. Januar 1996 beantragte das Kreiskrankenhaus H. im Namen von Frau S., im Rahmen der Eingliederungshilfe die Kosten für deren vollstationäre Unterbringung in einer betreuten Wohngruppe der Rehabilitations-Einrichtung H. zu übernehmen. Am 29. Januar 1996 wurde Frau S. in die Rehabilitations-Einrichtung H. aufgenommen.
Mit Schriftsatz vom 1. Februar 1996 leitete der Kläger die ihm vom Kreiskrankenhaus H. vorgelegten ärztlichen Unterlagen mit der Bitte an die Beklagte weiter, die nach den Vorschriften des SGB V erforderlichen Maßnahmen sicherzustellen.
Mit Bescheid vom 16. Februar 1996 lehnte der Kläger gegenüber Frau S. die Übernahme der Kosten für die Rehabilitationsmaßnahme mit der Begründung ab, für die Durchführung medizinischer Rehabilitationsmaßnahmen seien vorrangig die Krankenversicherungs- bzw. Rentenversicherungsträger zuständig. Mit Schreiben vom 11. März 1996 lehnte die Beklagte gegenüber der bei ihr krankenversicherten Frau S. die Übernahme der Kosten für die Unterbringung in der Rehabilitations-Einrichtung H. mit der Begründung ab, mit dieser Einrichtung bestehe kein Versorgungsvertrag nach § 111 SGB V; auch sei vorrangig der Rentenversicherungsträger zur Leistung verpflichtet. Unter dem 20. März 1996 lehnte auch der für Frau S. zuständige Rentenversicherungsträger, die Landesversicherungsanstalt W., die Übernahme der Kosten für die Rehabilitationsbehandlung von Frau S. ab.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 1996 wies der Kläger den Widerspruch von Frau S. gegen seinen Bescheid vom 16. Februar 1996 zurück. Mit Bescheid vom 23. August 1996 übernahm er jedoch die Kosten des Aufenthalts von Frau S. in der Rehabilitations-Einrichtung in H., nachdem die Beklagte das Vorliegen der Voraussetzungen einer medizinischen Rehabilitation in Abrede gestellt hatte, vorläufig nach § 44 BSHG und rückwirkend ab dem 2. August 1996. Mit Urteil vom 14. Mai 1997 - 8 K 3739/96 - verpflichtete das Verwaltungsgericht auf Klage von Frau S. den Kläger, ihr auch für die Zeit vom 29. Januar bis zum 1. August 1996 vorläufig Eingliederungshilfe durch die stationäre Behandlung in der Rehabilitations-Einrichtung H. zu gewähren. Mit Bescheid vom 27. Juli 1997 gewährte daraufhin der Kläger Frau S. auch für die Zeit ab 29. Januar 1996 bis 1. August 1996 vorläufig Eingliederungshilfe nach § 44 BSHG.
Mit Schreiben vom 26. August 1996 begehrte der Kläger von der Beklagten die Erstattung der von ihm vorläufig übernommenen Kosten der Rehabilitationsbehandlung von Frau S. in Höhe von 4 500 DM monatlich. Unter dem 19. Dezember 1996 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass der von ihm geltend gemachte Anspruch auf Kostenerstattung nicht anerkannt werden könne. Bereits unter dem 31. Juli 1996 hatte die Beklagte den Kläger darauf hingewiesen, dass eine Übernahme der Kosten für die Rehabilitationsbehandlung von Frau S. in der Rehabilitations-Einrichtung H. ausscheide, weil es sich nicht um eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme handele und überdies mit dieser Einrichtung kein Versorgungsvertrag nach § 111 SGB V bestehe; sofern eine entsprechende Leistungspflicht bestanden hätte, hätte Frau S. in kürzester Zeit eine Aufnahme im Rehabilitations-Zentrum C. in A., mit dem ein Vertrag nach § 111 SGB V bestehe, angeboten werden können.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Erstattung der für Frau S. ab dem 29. Januar 1996 aufgewendeten Kosten in der Rehabilitations-Einrichtung H. abgewiesen. Die auf die Erstattung der in der Zeit vom 29. Januar 1996 bis 28. März 1997 aufgewendeten Kosten beschränkte Berufung des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof mit im wesentlichen folgender Begründung zurückgewiesen: Der Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers nach § 102 SGB X entstehe nur dann, wenn durch die vorläufige Leistung eine Verpflichtung des endgültig verpflichteten Leistungsträgers erfüllt werde. Hieran fehle es, da sich aus den Vorschriften des SGB V kein Anspruch von Frau S. gegen die Beklagte auf stationäre Behandlung in der Rehabilitations-Einrichtung in H. ergebe. Die dortige Behandlung sei bereits mangels hinreichender ärztlicher Einflussnahme, aber auch von ihrer Zielrichtung her nicht als medizinische Rehabilitationsmaßnahme im Sinne von § 40 Abs. 2 SGB V anzusehen. Zudem fehle es an einem Versorgungsvertrag im Sinne von § 111 SGB V zwischen der Beklagten und der Rehabilitations-Einrichtung in H. Auch § 43 Satz 1 Nr. 2 SGB V a.F. bzw. § 27 Abs. 1 Nr. 3 SGB V gäben keine Rechtsgrundlage für eine Leistungspflicht der Beklagten gegenüber Frau S. ab. Ein Kostenerstattungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 102 SGB X sei jedoch auch dann nicht gegeben, wenn unterstellt werde, dass Frau S. in der Rehabilitationseinrichtung in H. eine stationäre medizinische Rehabilitation im Sinne von § 40 Abs. 2 SGB V bzw. § 15 Abs. 2 SGB VI erfahren habe und das Fehlen eines Vertrages nach § 111 SGB V unschädlich wäre; denn dann wäre die Beklagte im Verhältnis zum Rentenversicherungsträger, der Landesversicherungsanstalt W., zu Rehabilitationsmaßnahmen gegenüber Frau S. nachrangig "berufen" gewesen.
Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Kostenerstattungsbegehren weiter. Er rügt eine Verletzung des § 44 Abs. 2 BSHG i.V.m. mit § 102 SGB X.
Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

II


Die Revision des Klägers ist unbegründet, so dass sie zurückzuweisen ist (§ 144 Abs. 2 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht entschieden, dass der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen für die Frau S. gewährte Hilfe hat.
Dem Kläger steht nach § 44 Abs. 2 BSHG i.V.m. § 102 SGB X, der jedenfalls für die Zeit ab dem 1. August 1996 anzuwenden ist, der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch gegen die Beklagte nicht zu, weil diese für die der Hilfeempfängerin vorläufig gewährte Sozialleistung in der Rehabilitations-Einrichtung in H. nicht als "der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger" erstattungspflichtig ist. Es bedarf keiner Entscheidung, ob das Kostenerstattungsbegehren auch für die Zeit bis zum 31. Juli 1996 nach § 44 Abs. 2 BSHG i.V.m. § 102 SGB X zu beurteilen ist oder dem entgegensteht, dass § 44 Abs. 2 BSHG durch Gesetz vom 23. Juli 1996 (BGBl I S. 1088) erst mit Wirkung zum 1. August 1996 in das Bundessozialhilfegesetz eingeführt worden ist, weil die im letzteren Fall für die Zeit bis zum 31. Juli 1996 anzuwendenden Kostenerstattungsregelungen dem Kläger jedenfalls keinen über § 102 SGB X hinausreichenden Kostenerstattungsanspruch vermitteln.
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht entschieden, dass sich die Erstattungspflicht des auf Erstattung in Anspruch genommenen Sozialleistungsträgers dem Grunde nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften richtet und hierbei auf die konkret durchgeführte Maßnahme abzustellen ist.
§ 102 Abs. 1 SGB X bestimmt, dass der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger erstattungspflichtig ist, wenn ein Leistungsträger auf Grund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat. Nach § 102 Abs. 2 SGB X richtet sich zwar der Umfang des Erstattungsanspruchs "nach den für den vorleistenden Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften". Erstattungspflichtig ist gemäß Absatz 1 aber nur der Leistungsträger, der nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zur Leistung verpflichtet ist.
Die Erstattungsansprüche nach den §§ 102 ff. SGB X sind allerdings keine von der Rechtsposition des Leistungsberechtigten abgeleiteten, sondern eigenständige Ansprüche (BVerwG, Urteil vom 12. September 1991 - 5 C 42.87 -, FEVS 42, 198 = Buchholz 436.61 § 28 SchwbG Nr. 2; s.a. BSGE 61, 66 <68> mit weiteren Nachweisen). Auch der eigenständige Erstattungsanspruch aus § 102 Abs. 1 SGB X dient indes dem Zweck, eine auf Grund vorläufiger Leistungsgewährung eingetretene, aber dem materiellen Sozialrecht an sich widersprechende Lastenverschiebung rückgängig zu machen, und hängt daher von der materiellen Leistungspflicht des in Anspruch genommenen Leistungsträgers ab. Die Erstattungspflicht besteht somit grundsätzlich nur dann, wenn der auf Erstattung in Anspruch genommene Leistungsträger durch die vorläufig erbrachte Sozialleistung von einer an sich ihn treffenden Leistungsverpflichtung entlastet worden ist. Dies kann nur nach den Rechtsvorschriften beurteilt werden, die für den für Erstattung in Anspruch genommenen Sozialleistungsträger gelten. Für einen Erstattungsanspruch gegen einen bestimmten anderen Sozialleistungsträger reicht entgegen der Ansicht des Klägers daher nicht aus, dass - wie hier durch den Kläger - auf der Grundlage des § 44 BSHG vorläufig Hilfe geleistet worden ist. Nach den Regelungen zur vorläufigen Leistungsgewährung ist nicht ausgeschlossen, dass dem Sozialleistungsträger, der vorläufig Leistungen erbringt, gegebenenfalls deswegen kein Kostenerstattungsanspruch nach § 102 SGB X zur Seite steht, weil ein "zur Leistung verpflichtete(r) Leistungsträger" nicht vorhanden ist. § 44 Abs. 1 BSHG setzt für die vorläufige Leistungsgewährung nicht voraus, dass stets ein anderer Träger als der Träger der Sozialhilfe zur Hilfe verpflichtet ist. Nach seinem Wortlaut ist bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen der Träger der Sozialhilfe auch dann zur vorläufigen Hilfeleistung verpflichtet, wenn nicht feststeht, "ob" ein anderer als der Träger der Sozialhilfe zur Hilfe verpflichtet ist. Bereits aus diesem Grunde kann eine nach § 44 Abs. 1 BSHG rechtmäßige Hilfegewährung nicht hinreichende Voraussetzung für einen gegen einen anderen Leistungsträger gerichteten Erstattungsanspruch sein. Auch § 44 Abs. 2 BSHG begründet selbst keinen Erstattungsanspruch, der als bestehend vorausgesetzt wird; er stellt lediglich klar, dass das Bestehen (§ 102 Abs. 1 SGB X) und der Umfang (§ 102 Abs. 2 SGB X) eines Erstattungsanspruchs nach § 102 SGB X zu beurteilen ist.
Aus § 102 Abs. 2 SGB X folgt - entgegen der von dem Kläger vertretenen Rechtsauffassung - ebenfalls nicht, dass sich auch der Leistungsgrund, an den nach § 102 Abs. 1 Halbsatz 2 SGB X das Erstattungsverhältnis anknüpft, nach den für den vorleistenden Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften richtet. Richtet sich lediglich der "Umfang des Erstattungsanspruchs" nach den für den vorleistenden Leistungsträger geltenden Vorschriften, wird damit ein bestehender Erstattungsanspruch vorausgesetzt. Ob und gegen welchen Leistungsträger dem Grunde nach ein Erstattungsanspruch besteht, bestimmt sich nicht nach den für den vorleistenden Träger geltenden Vorschriften, sondern gemäß § 102 Abs. 1 SGB X danach, ob ein "zur Leistung verpflichteter Leistungsträger" festgestellt werden kann. Nur wenn ein Erstattungsrechtsverhältnis zwischen dem Leistungsträger, der vorläufig Sozialleistungen erbracht hat, und dem "zur Leistung verpflichtete(n) Leistungsträger" dem Grunde nach besteht, kann für die Frage des Umfanges des Erstattungsanspruchs § 102 Abs. 2 SGB X zur Anwendung kommen. Das Bestehen einer (materiellrechtlichen) Leistungspflicht des auf Kostenerstattung in Anspruch genommenen Leistungsträgers ist nach § 102 Abs. 1 SGB X mithin tatbestandliche Voraussetzung für den in § 102 Abs. 2 SGB X als bestehend vorausgesetzten Erstattungsanspruch. Ob eine solche Leistungsverpflichtung im Verhältnis zum Berechtigten besteht, ist im gegliederten Sozialleistungssystem nur nach den für den auf Erstattung in Anspruch genommenen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften zu beurteilen. Diese Auslegung wird im vorliegenden Fall durch den Umstand bestätigt, dass bei Rehabilitationsmaßnahmen mehrere andere Sozialleistungsträger dem Grunde nach als "zur Leistung verpflichtete Leistungsträger" in Betracht kommen (neben der beklagten Krankenversicherung hier etwa der Träger der Rentenversicherung), ein Erstattungsrechtsverhältnis aber nur zwischen dem Sozialleistungsträger, der vorläufig Sozialleistungen erbracht hat, und einem bestimmten anderen Sozialleistungsträger, nämlich dem "zur Leistung verpflichtete(n) Leistungsträger", besteht. § 102 Abs. 1 SGB X eröffnet dem Leistungsträger, der vorläufig Sozialleistungen erbracht hat, einen Erstattungsanspruch nur gegen einen bestimmten, nämlich den "zur Leistung verpflichteten", Leistungsträger, eröffnet ihm also kein Wahlrecht, welchen anderen Leistungsträger er auf Erstattung in Anspruch nehmen will. Die Bestimmung des auf Erstattung in Anspruch zu nehmenden Leistungsträgers kann dann nur anhand der für diesen geltenden Rechtsvorschriften erfolgen.
2. Die Beklagte ist danach dem Kläger nicht erstattungspflichtig, weil dieser der Hilfeempfängerin nicht vorläufig Sozialleistungen erbracht hat, für die die Beklagte im Sinne des § 102 Abs. 1 SGB X der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger wäre.
2.1. Der Erstattungsanspruch aus § 102 Abs. 1 SGB X entsteht allerdings allein kraft dieser Vorschrift und ist damit rechtlich unabhängig von dem Leistungsanspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger. Zwar knüpft der Erstattungsanspruch gegen den erstattungspflichtigen Leistungsträger an dessen Pflicht zur Sozialleistung an, setzt also für das Erstattungsrechtsverhältnis zwischen den Leistungsträgern eine materielle Sozialleistungspflicht voraus, bindet deren Beurteilung im Erstattungsrechtsverhältnis aber nicht an die Beurteilung dieser Leistungspflicht im Leistungsverhältnis. Im Erstattungsverfahren ist diese daher selbständig zu prüfen, allerdings unabhängig davon, ob der auf Erstattung in Anspruch genommene Leistungsträger eine Leistung im Verhältnis zum Berechtigten bestandskräftig abgelehnt hat (s. BVerwGE 89, 39 <45 f.>; 91, 177 <185>; s.a. BSG, Urteil vom 14. Mai 1985 - 4 a RJ 21/84 -, FEVS 35, 207 <209 f.>; BSGE 61, 66 <68>); zu prüfen ist, ob der auf Kostenerstattung in Anspruch genommene Leistungsträger die Leistung, wegen derer Kostenerstattung begehrt wird, nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften rechtmäßig hätte erbringen dürfen und nach diesem rechtlichen Maßstab die materiellrechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Hilfegewährung erfüllt sind.
2.2. Als Rechtsgrundlage für eine krankenversicherungsrechtlichen Leistungsverpflichtung der Beklagten kommt hier § 40 SGB V in Betracht, wobei auf die zum Zeitpunkt des Beginns der Maßnahme geltende Fassung dieser Vorschrift abzustellen ist (BSG, Urteil vom 17. November 1987 - 4 a RJ 5/87 -, SozR 2200 § 1237 RVO Nr. 21). Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB V kann in den Fällen, in denen eine ambulante Krankenbehandlung einschließlich ambulanter Rehabilitationsmaßnahmen nicht ausreicht, um die in § 27 Satz 1 und § 11 Abs. 2 SGB V beschriebenen Ziele zu erreichen, die Krankenkasse aus medizinischen Gründen erforderliche Maßnahmen in Form einer ambulanten Rehabilitationskur erbringen; reicht eine ambulante Leistung nach Absatz 1 nicht aus, kann nach § 40 Abs. 2 SGB V die Krankenkasse stationäre Behandlung mit Unterkunft und Verpflegung in einer Rehabilitationseinrichtung erbringen, mit der ein Vertrag nach § 111 SGB V besteht. Leistungen nach § 40 Abs. 2 SGB V, die nicht anstelle einer sonst erforderlichen Krankenhausbehandlung durchgeführt werden, werden nach § 40 Abs. 4 SGB V nur erbracht, wenn nach den für andere Träger der Sozialversicherung geltenden Vorschriften mit Ausnahme des § 31 SGB VI solche Leistungen nicht erbracht werden können.
Der gesetzliche Anspruch auf Krankenbehandlung umfasst hiernach neben der medizinischen Akutbehandlung unstreitig auch die "medizinische Rehabilitation". Für die in Fällen psychischer Erkrankung schwierige Abgrenzung der (krankenversicherungsrechtlichen) "medizinischen Rehabilitation" von der "psychosozialen Rehabilitation", die - jedenfalls in dem hier streitigen Zeitraum - nicht Aufgabe der Krankenversicherung ist, hat das Bundessozialgericht - in Abgrenzung zum rentenversicherungsrechtlichen Begriff der medizinischen Rehabilitation - neben der Zielrichtung der Wiederherstellung der Gesundheit auf die tragende Rolle der Ärzte abgestellt (s. BSG, Urteil vom 27. November 1990 - 3 RK 17/89 -, BSGE 68, 17 (18); GK-SGB V, § 40 Rn. 19 f.; Mrozynski, in: Wannagat, SGB, § 40 SGB V Rn. 19). Medizinische Rehabilitationsmaßnahmen im Sinne des § 40 Abs. 2 SGB V sind hiernach Maßnahmen, mit denen es unternommen wird, nach ärztlichem Behandlungszustand den Gesundheitszustand durch Anwendung von Heilmitteln oder durch andere geeignete Maßnahmen, auch durch geistige und seelische Einwirkung, zu verbessern und den Patienten bei der Entwicklung eigener Abwehr- und Heilungskräfte zu helfen; kennzeichnend ist neben dieser Zielrichtung und der Art der konkret gebotenen Leistungen, dass sie unter ärztlicher Aufsicht und Verantwortung stehen. Dies erfordert zwar nicht, dass die Einrichtung ärztlich geleitet ist; erforderlich ist jedoch die ärztliche Überwachung und Betreuung der in der Einrichtung lebenden Rehabilitanden in der Weise, dass zwar in diesem Rahmen auch Nichtärzte auf ärztliche Verordnung tätig werden können, ihre Leistungen aber vom Arzt wenn auch nicht im Einzelnen, so doch zumindest allgemein ihrer Art nach zu bestimmen und auf ihren Erfolg hin zu überwachen sind.
Das Kriterium der ärztlichen Aufsicht und Verantwortung für die Behandlung fasst damit den krankenversicherungsrechtlichen Begriff der "medizinischen Rehabilitation" enger als den Begriff der medizinischen Leistungen zur Rehabilitation im Sinne des Rentenversicherungsrechts, die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch ohne Mitwirkung eines Arztes vorliegen können (s. BSG, Urteil vom 27. November 1990 - 3 RK 17/89 -, BSGE 68, 17 <18>; Urteil vom 15. November 1989 - 5 RJ 1/89 -, SozR 2200 § 1237 RVO Nr. 22), und umfasst daher nicht alle Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 BSHG a.F. Die in § 107 SGB V bestimmten Anforderungen an Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen prägen auch den krankenversicherungsrechtlichen Begriff der medizinischen Rehabilitation selbst. Daneben tritt - für die Abgrenzung der Zuständigkeit der Krankenversicherungen von jener der Rentenversicherung - die unterschiedliche Zwecksetzung der Rehabilitationsmaßnahmen, die bei der Krankenversicherung in erster Linie auf die Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit abzielen, während bei der Rentenversicherung der Akzent auf der wesentlichen Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit sowie der Abwendung der Versicherungsfälle der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit liegt.
Das Erfordernis der ständigen ärztlichen Verantwortung hat wegen der im Übrigen bestehenden Schwierigkeiten einer Abgrenzung medizinischer von nichtmedizinischen, psychosozialen Leistungen und Maßnahmen sachlich hohes Gewicht. Neben dem zielbezogenen Abgrenzungskriterium "Wiedereingliederung in das Arbeitsleben", das die Abgrenzung zu medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen im Sinne des Rentenversicherungsrechts bestimmt, ist im Hinblick auf den vielfältigen Einsatz medizinisch qualifizierten nichtärztlichen Personals bei der Betreuung und Behandlung gerade psychisch kranker Personen das Kriterium der ärztlichen Aufsicht und Verantwortung das entscheidende Merkmal, welches einer psychosozialen Leistung mit auch kurativer Zielsetzung das Gepräge einer "medizinischen Leistung" im Sinne der Krankenversicherung gibt.
Das Erfordernis der ärztlichen Aufsicht und Verantwortung für die Maßnahme gehört auch kostenerstattungsrechtlich zu den Voraussetzungen einer Verpflichtung der Krankenversicherung zur Leistung im Sinne des § 102 Abs. 1 SGB X. Der Gesetzgeber des Fünften Buches Sozialgesetzbuch hat in Ansehung der Schwierigkeiten einer klaren Abgrenzung von im Sinne des Krankenversicherungsrechts medizinischen und sonstigen Rehabilitationsmaßnahmen im Bereich der stationären Hilfe die Leistungsverpflichtung auf Rehabilitationseinrichtungen beschränkt und in § 107 Abs. 2 SGB V die sachlich an diese Einrichtungen zu stellenden Anforderungen näher bestimmt. Systematisch ist § 107 Abs. 2 SGB V zwar nicht dem Leistungs-, sondern dem Leistungserbringungsrecht zuzuordnen; die Verwendung des Begriffs der "Rehabilitationseinrichtung" in § 40 Abs. 2 SGB V unterstreicht aber, dass der Gesetzgeber zumindest das sachliche Erfordernis ärztlicher Aufsicht und Verantwortung für die Rehabilitationsmaßnahme als Voraussetzung einer rechtmäßigen Leistungsgewährung im Verhältnis zum Berechtigten gesehen hat, die auch im Rahmen des § 102 Abs. 1 SGB X unverzichtbar ist.
2.3. Nach diesen Grundsätzen ist die Beklagte hier schon deswegen nicht im Sinne des § 102 Abs. 1 SGB X "der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger", weil die Anforderungen an eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme im Sinne des § 40 Abs. 2 SGB V jedenfalls deswegen nicht erfüllt waren, weil die Behandlung in der Einrichtung in H. weitgehend eigenverantwortlich durch nichtärztliche Mitarbeiter der Einrichtung ohne hinreichende Mitgestaltung bzw. Kontrolle eines Arztes erfolgt ist. Nach den nicht mit beachtlichen Revisionsgründen angegriffenen und daher bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zur Intensität der ärztlichen Überwachung und Betreuung in der Einrichtung steht dessen rechtliche Bewertung mit Bundesrecht im Einklang, dass die für eine in
den Aufgabenbereich der Krankenversicherung fallende medizinische Rehabilitationsmaß-
nahme erforderliche Intensität ärztlicher Anleitung und Verantwortung hier angesichts der Größe der Einrichtung durch Besuche eines externen Konsiliararztes im vierzehntägigen Rhythmus nicht erreicht worden ist. Die Beklagte ist jedenfalls aus diesem Grunde, und zwar unabhängig davon, wie im Übrigen im Bereich psychischer Erkrankungen tatsächlich medizinische von nichtmedizinischen Rehabilitationsmaßnahmen abzugrenzen sind, nicht im Sinne des § 102 Abs. 1 SGB X als der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger erstattungspflichtig.
2.4. Bei dieser Sachlage hat das Bundesverwaltungsgericht mangels Entscheidungserheblichkeit keinen Anlass, sich zu der zwischen den Beteiligten umstrittenen und von dem Berufungsgericht bejahten Frage zu äußern, ob auch das Bestehen eines Versorgungsvertrages nach § 111 SGB V, das nach § 40 Abs. 2 SGB V im Verhältnis zum Leistungsberechtigten tatbestandliche Voraussetzung für die Leistungsgewährung bildet, für den Kostenerstattungsanspruch nach § 102 Abs. 1 SGB X zu den Voraussetzungen des - vom Erstattung begehrenden Leistungsträger tatsächlich schon erfüllten - Anspruchs auf eine gleichartige und zeitgleiche Leistung gegen den auf Erstattung in Anspruch genommenen Krankenversicherungsträger rechnet. Auch auf die weitere, vom Berufungsgericht bejahte Frage, ob die Beklagte nach § 40 Abs. 4 SGB V den Kläger auf eine vorrangige Leistungs- und daher Kostenerstattungspflicht des Trägers der Rentenversicherung, der von dem Kläger nicht auf Erstattung in Anspruch genommen worden ist, hätte verweisen können, kommt es im Streitfall nicht an.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskostenfreiheit besteht nach § 188 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO (in der Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 2001, BGBl I S. 3987) nicht. Diese Fassung des Gesetzes ist nach § 194 Abs. 5 VwGO anzuwenden, weil das Revisionsverfahren erst nach dem 1. Januar 2002 bei dem Gericht anhängig geworden ist.

Beschluss vom 11.09.2003 -
BVerwG 5 C 6.02ECLI:DE:BVerwG:2003:110903B5C6.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 11.09.2003 - 5 C 6.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:110903B5C6.02.0]

Beschluss

BVerwG 5 C 6.02

  • VGH Baden-Württemberg - 05.12.2001 - AZ: VGH 7 S 2689/99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. September 2003
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t , Dr. F r a n k e
und Prof. Dr. B e r l i t
beschlossen:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 18 034,21 € (entspricht 35 993,21 DM) festgesetzt.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 14 Abs. 1 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 analog GKG und berücksichtigt, dass bei verständiger Auslegung, welche die erstattungsrechtliche Rechtslage berücksichtigt, mit dem nicht bezifferten Revisionsantrag lediglich das Begehren verfolgt worden ist, dem Kläger die für die Hilfeempfängerin in der Zeit vom 29. März 1996 bis 28. März 1997 entstandenen Nettoaufwendungen, also unter Berücksichtigung von Zahlungen Dritter, zu erstatten. Durchgreifende Zweifel an der Richtigkeit der hierzu von dem Kläger mit Schriftsatz vom 18. Juli 2003 vorgelegten Aufstellung bestehen nicht.