Verfahrensinformation

Die Kläger wenden sich als Grundstückseigentümer gegen eine ihrem Nachbarn erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Schweinemaststalls und eines Güllebehälters. Das Verwaltungsgericht hat die Baugenehmigung aufgehoben, weil die Baugenehmigungsbehörde nicht geprüft hat, ob das Vorhaben wegen seines engen räumlichen Zusammenhangs zu anderen Tierhaltungsanlagen einer Umweltverträglichkeitsprüfung hätte unterzogen werden müssen. Das Oberverwaltungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Es hat einen engen räumlichen Zusammenhang zwischen dem umstrittenen Vorhaben und den benachbarten Tierhaltungsanlagen verneint. Im Revisionsverfahren geht es um die Klärung des Begriffs des engen räumlichen Zusammenhangs.


Pressemitteilung Nr. 49/2015 vom 18.06.2015

Umweltverträglichkeitsprüfung für Schweinemaststall?

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, dass die Baugenehmigung für einen Schweinemaststall erneut auf den gerichtlichen Prüfstand gestellt werden muss.


Die Kläger wenden sich als Eigentümer eines Wohngrundstücks u.a. gegen eine ihrer Nachbarin erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Schweinemaststalls mit 1 480 Tierplätzen in einer Entfernung von ca. 140 m zu einem bestehenden Schweinestall. Das Oberverwaltungsgericht Schleswig hat die erstinstanzlich erfolgreiche Klage im Berufungsrechtszug abgewiesen. Das umstrittene, inzwischen verwirklichte Vorhaben, das zum Wohnhaus der Kläger einen Abstand von ca. 430 m hält, habe im Baugenehmigungsverfahren keiner Vorprüfung auf seine Umweltverträglichkeit unterzogen werden müssen. Die für die Vorprüfungspflicht notwendige Anzahl von Tierplätzen erreiche das Vorhaben für sich allein nicht. Seine Kapazität und die Plätze des Nachbarstalls seien auch nicht mit der Folge eines „Hineinwachsens“ des Vorhabens in die Vorprüfungspflicht zu addieren. Beide Ställe seien nicht als Gesamtvorhaben (kumulierende Vorhaben) anzusehen, weil sie nicht auf demselben Betriebsgelände stünden. Nach dem äußeren Erscheinungsbild seien sie voneinander getrennt, weil zwischen ihnen eine Kreisstraße mit regem Begegnungsverkehr verlaufe und wegen des vorhandenen Bewuchses, eines Knicks am Maststall und hoher Bäume beidseitig des Zufahrtsweges zu dem älteren Stall, eine Durchsicht von der einen zur anderen Stallung selbst im Winter kaum möglich sei.


Das Bundesverwaltungsgericht hat die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts beanstandet. Das Oberverwaltungsgericht hat den Tatbestand der Kumulation gleichartiger Vorhaben unzutreffend bestimmt. Maßgeblich ist insoweit, ob die Vorhaben in einem betrieblichen Zusammenhang stehen. Dieser schließt einen räumlichen Zusammenhang ein. Entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts darf allerdings insoweit nicht auf optische Eindrücke vor Ort abgestellt werden. Ein räumlich-betrieblicher Zusammenhang war zu bejahen. Zwar sind die Betreiber der Stallungen rechtlich nicht identisch - Betreiber des älteren Stalls ist der Ehemann der Bauantragstellerin und Betreiberin des umstrittenen Schweinemaststall eine Kommanditgesellschaft, deren Geschäfte von ihm geführt werden -, wirtschaftlich besteht aber Betreiberidentität. Die Betriebe nutzen außerdem gemeinsame landwirtschaftliche Flächen zur Erzeugung des Tierfutters und als Ausbringungsfläche für Gülle, und der Maststall soll die im anderen Stall aufgezogenen Ferkel nach einer Umstallung aufnehmen. Allerdings bleibt aus Gründen des Bestandsschutzes ein im Altstall zu bestimmten, gesetzlich normierten Zeitpunkten (3. Juli 1988 und 14. März 1999) erreichter Tierbestand unberücksichtigt, das heißt, er wird zu den Tierplatzzahlen im Maststall nicht hinzuaddiert. Wie hoch der Bestand war, muss das Oberverwaltungsgericht noch ermitteln, weil davon abhängt, ob der Maststall in die Vorprüfungspflicht hineingewachsen ist.


BVerwG 4 C 4.14 - Urteil vom 18. Juni 2015

Vorinstanzen:

OVG Schleswig, 1 LB 5/12 - Urteil vom 08. März 2013 -

VG Schleswig, 2 A 108/10 - Urteil vom 01. Dezember 2011 -


Beschluss vom 24.02.2014 -
BVerwG 4 B 28.13ECLI:DE:BVerwG:2014:240214B4B28.13.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 24.02.2014 - 4 B 28.13 - [ECLI:DE:BVerwG:2014:240214B4B28.13.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 28.13

  • VG Schleswig - 01.12.2011 - AZ: VG 2 A 108/10
  • OVG Schleswig - 08.03.2013 - AZ: OVG 1 LB 5/12

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. Februar 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Külpmann
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde der Kläger wird die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. März 2013 aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes für das Revisionsverfahren wird vorläufig auf 15 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde ist begründet. Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Das Revisionsverfahren kann voraussichtlich zur Klärung des Begriffs des „engen Zusammenhangs“ im Sinne des § 3b Abs. 2 Satz 1 und 2 UVPG beitragen.

2 Die vorläufige Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 4 C 4.14 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung vom 26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO vertreten lassen.

Urteil vom 18.06.2015 -
BVerwG 4 C 4.14ECLI:DE:BVerwG:2015:180615U4C4.14.0

Leitsätze:

Auf den Fall einer nachträglichen Kumulation von Vorhaben, die für sich allein nicht UVP-pflichtig oder vorprüfungspflichtig sind, die zusammen aber die maßgeblichen Größen- oder Leistungswerte überschreiten, findet § 3b Abs. 2, 3 UVPG analog (ggf. i.V.m. § 3c Satz 5 UVPG) Anwendung.

Mehrere Vorhaben liegen auf demselben Betriebsgelände im Sinne des § 3b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 UVPG, wenn zwischen ihnen ein räumlich-betrieblicher Zusammenhang besteht. Er ist gegeben, wenn sich die Umweltauswirkungen der Vorhaben überschneiden und die Vorhaben funktional und wirtschaftlich aufeinander bezogen sind.

  • Rechtsquellen
    BauGB § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3
    UVPG § 3b Abs. 2, 3; § 3c

  • VG Schleswig - 01.12.2011 - AZ: VG 2 A 108/10
    OVG Schleswig - 08.03.2013 - AZ: OVG 1 LB 5/12

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 18.06.2015 - 4 C 4.14 - [ECLI:DE:BVerwG:2015:180615U4C4.14.0]

Urteil

BVerwG 4 C 4.14

  • VG Schleswig - 01.12.2011 - AZ: VG 2 A 108/10
  • OVG Schleswig - 08.03.2013 - AZ: OVG 1 LB 5/12

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juni 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz, Petz, Dr. Decker und Dr. Külpmann
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. März 2013 aufgehoben, soweit es das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 1. Dezember 2011 geändert und die Klage gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 24. Juli 2009 abgewiesen hat. Insoweit wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  2. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

1 Die Kläger wenden sich gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für einen Schweinemaststall.

2 Die Kläger sind Eigentümer des Wohngrundstücks A. 6 in S., die Beigeladene ist Eigentümerin des Flurstücks 27/1 der Flur 2 in der Gemarkung H. Beide Grundstücke liegen im Außenbereich der Gemeinde S.. Mit Bescheid vom 24. Juli 2009 erteilte der Beklagte der Beigeladenen die Genehmigung zur Errichtung eines Schweinemaststalls mit 1 480 Tierplätzen auf ihrem Grundstück und mit Bescheid vom 6. Januar 2010 die Genehmigung zur Errichtung eines dazu gehörigen Güllebehälters. Die Entfernung zwischen dem Wohnhaus der Kläger und dem südwestlich gelegenen Schweinemaststall beträgt ca. 430 m. In einer Entfernung von ca. 490 m westlich vom Wohnhaus der Kläger befindet sich die Hofstelle A. 5 der Beigeladenen mit Schweinehaltung, insbesondere einer Ferkelaufzucht. Das Vorhaben A. 5 und der Schweinemaststall liegen, durch den A., eine Kreisstraße, getrennt, etwa 140 m auseinander. Ca. 730 m vom Wohnhaus der Kläger entfernt, etwa 220 m westlich des Schweinemaststalls und ca. 230 m südwestlich des Ferkelstalls (A. 5) ist die Hofstelle A. 4 des Ehemanns der Beigeladenen angesiedelt. Dort werden Rinder gehalten und Ferkel erzeugt.

3 Die gegen beide Baugenehmigungen erhobene, erstinstanzlich erfolgreiche Klage hat das Oberverwaltungsgericht im Berufungsrechtszug abgewiesen. Die Baugenehmigung für den Schweinemaststall sei formell rechtmäßig. Der Stall unterliege weder für sich allein noch - mangels engen räumlichen Zusammenhangs - als Erweiterungs- bzw. nachträglich kumulierendes Vorhaben mit den Hofstellen A. 4 und/oder 5 einer Pflicht zur Vorprüfung auf seine Umweltverträglichkeit. Die Kläger hätten daher keinen Anspruch nach § 4 Abs. 1 und 3 UmwRG auf Aufhebung der Genehmigung. Einen Aufhebungsanspruch hätten sie ferner nicht wegen einer unterlassenen FFH-Verträglichkeitsprüfung. Sowohl nach Unionsrecht als auch nach innerstaatlichem Recht könnten Individualkläger eine Verletzung von FFH-Recht nicht rügen. Die Baugenehmigungen seien auch materiell rechtmäßig. Sie stünden mit der insoweit allein einschlägigen Vorschrift des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB und dem darin verankerten, nachbarschützenden Gebot der Rücksichtnahme im Einklang.

4 Die Kläger haben gegen das Berufungsurteil die vom Senat zugelassene Revision eingelegt, soweit das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage gegen die Baugenehmigung für den Schweinemaststall abgewiesen hat. Sie erstreben insoweit die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

5 Der Beklagte und die Beigeladene verteidigen das Berufungsurteil.

6 Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren.

II

7 Die Revision der Kläger ist begründet. Das Berufungsurteil verstößt im angefochtenen Umfang gegen Bundesrecht. Da die notwendigen tatrichterlichen Feststellungen fehlen, um den Rechtsstreit in der Revisionsinstanz abschließend entscheiden zu können, ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

8 1. Der Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der Schweinemaststall unterliege keiner Pflicht zur Vorprüfung seiner Umweltverträglichkeit, liegt ein fehlerhaftes Verständnis des Bundesrechts zugrunde. Dies können die Kläger rügen (§ 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes vom 8. April 2013 <BGBl. I S. 753>, zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. August 2013 <BGBl. I S. 3154> - UmwRG).

9 a) Nicht zu beanstanden ist allerdings die vorinstanzliche Auffassung, dass der Schweinemaststall allein keiner Vorprüfung zu unterziehen ist. Gemäß § 3c Satz 1 und 2 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Februar 2010 (BGBl. I S. 94 mit späteren Änderungen) - UVPG - i.V.m. Nr. 7.7.2 und 7.7 .3 der Anlage 1 besteht eine Pflicht zur allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls für die Errichtung und den Betrieb einer Anlage zur Intensivhaltung oder -aufzucht von Mastschweinen (Schweine von 30 kg Lebendgewicht oder mehr) mit 2 000 bis weniger als 3 000 Plätzen und eine Pflicht zur standortbezogenen Vorprüfung bei einem Betrieb von 1 500 bis weniger als 2 000 Plätzen. Mit 1 480 Plätzen liegt der Schweinemaststall unterhalb dieser Schwellenwerte.

10 Gegen die Freistellung von Schweinemastställen mit weniger als 1 500 Plätzen von der Vorprüfungspflicht ist unionsrechtlich nichts zu erinnern. Nach Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 2012 Nr. L 26 S. 1) - UVP-RL - bestimmen die Mitgliedstaaten bei Projekten des Anhangs II - und damit u.a. bei Anlagen zur Intensivhaltung oder -aufzucht von Schweinen mit bis zu 3 000 Plätzen für Mastschweine (Schweine über 30 kg) - anhand einer Einzelfalluntersuchung oder der von den Mitgliedstaaten festgelegten Schwellenwerten bzw. Kriterien, ob das Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muss. Die Vorschrift zwingt nicht dazu, unabhängig von Bestimmungen, Kriterien und Schwellenwerten bei jedem Projekt gemäß Art. 2 Abs. 1 UVP-RL konkret zu prüfen, ob bei ihm aufgrund seiner Art, seiner Größe oder seines Standorts mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist. Eine entsprechende Auslegung würde der Vorschrift jede Bedeutung nehmen, weil ein Mitgliedstaat kein Interesse an der Festlegung von Bestimmungen, Schwellenwerten und Kriterien hätte, wenn jedes Projekt unabhängig davon dennoch einer individuellen Prüfung im Hinblick auf die in Art. 2 Abs. 1 UVP-RL genannten Kriterien unterzogen werden müsste (EuGH, Urteil vom 24. Oktober 1996 - C-72/95 [ECLI:​EU:​C:​1996:​404] - Rn. 49 zur Richtlinie 85/337/EWG). Art. 4 Abs. 2 UVP-RL erlaubt es stattdessen, alle Arten von Projekten von der Pflicht zur Untersuchung ihrer Auswirkungen auszunehmen, bei denen aufgrund einer pauschalen Beurteilung davon auszugehen ist, dass bei ihnen nicht mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist (EuGH, Urteil vom 21. März 2013 - C-244/12 [ECLI:​EU:​C:​2013:​203] - Rn. 31).

11 Für die Festsetzung der Schwellenwerte hat der Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative. Der Senat hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber mit der Freistellung von Schweinemastställen mit weniger als 1 500 Plätzen von der Vorprüfungspflicht seinen Spielraum überschritten hätte. Art. 4 Abs. 1 UVP-RL i.V.m. Anhang I Nr. 17b) fordert eine Umweltverträglichkeitsprüfung für Anlagen zur Intensivhaltung oder -aufzucht von Schweinen mit mehr als 3 000 Plätzen für Mastschweine. Vor diesem Schwellenwert erscheint es nicht sachwidrig, Schweinemastställe von der Vorprüfungspflicht zu befreien, die allenfalls halb so groß sind wie die nach Unionsrecht zwingend UVP-pflichtigen Ställe. Dies wird nicht durch die Behauptung der Kläger in Zweifel gezogen, dass Masthähnchenanlagen mit mehr als 85 000 Tierplätzen, die Art. 4 Abs. 1 UVP-RL i.V.m. Anhang I Nr. 17a) der UVP-Pflicht unterwirft, weniger Ammoniak und Gerüche emittierten als ein Schweinemaststall mit 1 499 Tierplätzen. Der nationale Gesetzgeber ist nicht zu einer Gleichbehandlung von Anlagen verpflichtet, die der Unionsgesetzgeber selbst nicht für geboten hält. Außerdem führt der Vergleich einzelner Schwellenwerte nicht weiter, weil es Sinn und Zweck der Umweltverträglichkeitsprüfung ist, die Auswirkungen auf die Umwelt umfassend zu ermitteln.

12 b) Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, der Schweinemaststall unterliege auch deshalb keiner Vorprüfungspflicht, weil seine Tierplatzzahlen nicht mit den Tierplatzzahlen einer benachbarten Hofstelle zusammenzuzählen seien, ist dagegen nicht mit Bundesrecht vereinbar.

13 aa) Die Pflicht zur Durchführung einer Vorprüfung nach § 3c Satz 1 oder 2 UVPG wegen der Notwendigkeit einer Addition von Tierplatzzahlen ergibt sich vorliegend allerdings nicht unmittelbar aus dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung. Gemäß § 3c Satz 5 UVPG gilt für das erstmalige Erreichen oder Überschreiten und jede weitere Überschreitung der Prüfwerte § 3b Abs. 2 Satz 1 und 2 und Abs. 3 UVPG entsprechend.

14 (1) Nach § 3c Satz 5 i.V.m. § 3b Abs. 2 Satz 1 UVPG besteht die Verpflichtung zur Durchführung einer Vorprüfung, wenn mehrere Vorhaben derselben Art, die gleichzeitig von demselben oder mehreren Trägern verwirklicht werden sollen und in einem engen Zusammenhang stehen (kumulierende Vorhaben), zusammen die maßgeblichen Größen- oder Leistungswerte erreichen oder überschreiten. Den vorliegenden Fall einer nachträglichen Kumulation, also eines Hinzutretens eines Vorhabens zu einem bereits vorhandenen Vorhaben, erfasst § 3b Abs. 2 Satz 1 UVPG nicht.

15 (2) Nach § 3c Satz 5 i.V.m. § 3b Abs. 3 Satz 1 UVPG ist für die Änderung oder Erweiterung eines bestehenden, bisher nicht vorprüfungspflichtigen Vorhabens eine Vorprüfung unter Berücksichtigung der Umweltauswirkungen des bestehenden, bisher nicht vorprüfungspflichtigen Vorhabens durchzuführen, wenn der maßgebende Größen- oder Leistungswert durch die Änderung oder Erweiterung erstmals erreicht oder überschritten wird. Die Frage, ob ein bestehendes Vorhaben geändert oder erweitert wird, beurteilt sich nicht nach der Definition des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UVPG, sondern nach dem materiellen Recht (BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 C 36.13 - juris Rn. 23). Weder nach den Vorschriften des Baurechts noch nach den Bestimmungen des Immissionsschutzrechts ändert oder erweitert der umstrittene Schweinemaststall ein vorhandenes Vorhaben. Baurecht ist nicht einschlägig, weil mit der Errichtung des Stalls keine bestehende bauliche Anlage umgestaltet worden ist, und immissionsschutzrechtlich wird kein Vorhaben geändert oder erweitert, weil der Stall und die benachbarten Ställe nicht, wie nach § 1 Abs. 1 Satz 4 der Vierten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen - 4. BImSchV erforderlich, von demselben Betreiber geführt werden.

16 bb) Der Fall der nachträglichen Kumulation von Vorhaben hat im Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung keine Regelung erfahren. Die Gesetzeslücke ist durch eine Gesamtanalogie zu § 3b Abs. 2 und 3 UVPG zu schließen.

17 Die Gesetzeslücke ist planwidrig. Dem Gesetzgeber ging es darum, mit § 3b UVPG die Vorgaben des Unionsrechts und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vollständig umzusetzen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BR-Drs. 674/00 S. 88, Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 14/5204 S. 7). Dies hat der Vertreter des Bundesinteresses in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekräftigt. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist nationalrechtlich sicherzustellen, dass der Regelungszweck des Art. 2 Abs. 1 UVP-RL - die Gewährleistung der Prüfung von Projekten mit voraussichtlich erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt auf ihre Verträglichkeit - nicht durch eine Aufsplitterung von Projekten umgangen wird (EuGH, Urteile vom 21. September 1999 - C-392/96 [ECLI:​EU:​C:​1999:​431] - Rn. 76 und vom 25. Juli 2008 - C-142/07 [ECLI:​EU:​C:​2008:​445] - Rn. 44). Wie sich aus dem Urteil vom 21. September 1999 - C-392/96 - a.a.O. Rn. 78) ergibt, will der Europäische Gerichtshof auch die zeitlich versetzte Verwirklichung von Teilprojekten vom innerstaatlichen Recht erfasst wissen. Hätte der Gesetzgeber erkannt, dass er dieser Rechtsprechung nicht Rechnung getragen hat, hätte er § 3b Abs. 2 oder Abs. 3 UVPG um die fehlende Regelung ergänzt.

18 Aus § 3b Abs. 2 Satz 1 UVPG und dem dort genannten Tatbestandsmerkmal der Gleichzeitigkeit der Verwirklichung mehrerer Vorhaben derselben Art ergibt sich kein Analogieverbot. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung war das Erfordernis einer gleichzeitigen Verwirklichung von Vorhaben nicht enthalten (BR-Drs. 674/00). Es kam erst im Laufe der Beratungen hinzu (Beschlussempfehlung und Bericht des Bundestagsausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BT-Drs. 14/5750 S. 127). Die Ergänzung des Gesetzeswortlauts hatte nicht zum Ziel, die Fälle nachträglicher Kumulation aus dem Geltungsbereich des § 3b UVPG herauszunehmen, sondern den Zweck der Klarstellung und Abgrenzung zu dem in § 3b Abs. 3 UVPG geregelten Tatbestand der Erweiterung, um in den Fällen des § 3b Abs. 3 Satz 3 bis 5 UVPG, also bei fehlender oder eingeschränkter Anrechenbarkeit bestehender Vorhaben, einen Rückgriff auf Absatz 2 auszuschließen (Sangenstedt, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand 15. Januar 2015, § 3b UVPG Rn. 4; Dienes, in: Hoppe/Beckmann, UVPG, 4. Aufl. 2012, § 3b Rn. 10).

19 cc) Der Senat kann sich auf die Prüfung beschränken, ob die Tierplatzzahlen des Ferkelstalls A. 5 und des Schweinemaststalls mit der Folge eines "Hineinwachsens" des Schweinemaststalls in die Vorprüfungspflicht zu addieren sind. Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorbringen der Kläger dahingehend gewürdigt, dass sie eine Kumulation des Schweinemaststalls mit der Hofstelle A. 4 selbst nicht behaupten wollen (UA Rn. 53). Die Kläger haben dies im Revisionsverfahren nicht beanstandet.

20 Entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts ist es nicht ausgeschlossen, dass es sich bei dem Ferkelstall A. 5 und dem Schweinemaststall um kumulierende Vorhaben handelt und der Schweinemaststall daher einer Pflicht zur Vorprüfung auf seine Umweltverträglichkeit unterliegt.

21 (1) Die Ställe sind Vorhaben derselben Art, die zusammen jedenfalls den maßgeblichen Wert für eine standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls erreichen. Unter der Voraussetzung, dass es sich bei der Hofstelle A. 5 allein um eine Anlage zur getrennten Intensivaufzucht von Ferkeln (Ferkel von 10 bis weniger als 30 kg Lebendgewicht) handelt, ergibt sich dies aus Nr. 7.11.3 der Anlage 1 zum UVPG. Die danach maßgeblichen Werte von 700 zu 4 500 Tierplätzen für den Ferkelstall und 1 480 zu 1 500 Tierplätzen für den Schweinemaststall ergeben in der Addition den vom-Hundert-Wert 114,23 und überschreiten damit den maßgeblichen Wert 100.

22 (2) Zwischen den Vorhaben besteht der analog § 3b Abs. 2 Satz 1 UVPG erforderliche enge Zusammenhang. Nach der Legaldefinition des § 3b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 UVPG ist ein enger Zusammenhang gegeben, wenn die Vorhaben auf demselben Betriebs- oder Baugelände liegen und mit gemeinsamen betrieblichen oder baulichen Einrichtungen verbunden sind.

23 Das Oberverwaltungsgericht hat einen engen Zusammenhang zwischen der Hofstelle A. 5 und dem Schweinemaststall verneint: Was unter der Konkretisierung "auf demselben Betriebsgelände" zu verstehen sei, bedürfe einer Gesamtbeurteilung nach der Verkehrsanschauung durch eine objektive Betrachtung der örtlichen Gegebenheiten. Ausschlaggebend bleibe dabei der enge räumliche Zusammenhang (UA Rn. 54). An einem solchen fehle es hier. Nach dem äußeren Erscheinungsbild seien die Vorhaben voneinander getrennt, weil zwischen ihnen der A. verlaufe und wegen des vorhandenen üppigen Bewuchses, eines Knicks mit hohem Baum- und Strauchwerk am Schweinemaststall und hoher Bäume beidseitig des Zufahrtsweges zu dem Ferkelstall, eine Durchsicht von der einen zur anderen Stallung selbst im Winter kaum möglich sei (UA Rn. 59).

24 Dieses Verständnis vom Begriff des engen Zusammenhangs steht mit Bundesrecht nicht im Einklang. Zwar hat der Begriff eine räumliche Komponente, weil die Vorhaben auf demselben Betriebs- oder Baugelände liegen müssen. Maßgeblich sind aber nicht optisch wahrnehmbare Umstände, die dafür oder dagegen sprechen, dass die Vorhaben einen wenigstens in Ansätzen erkennbaren Bebauungszusammenhang bilden. Der räumliche Zusammenhang ist nach dem Sinn und Zweck der Kumulationsregelung, Vorhaben mit einem gemeinsamen Einwirkungsbereich zu erfassen (BR-Drs. 674/00 S. 89), vielmehr danach zu bestimmen, ob damit zu rechnen ist, dass sich die Umweltauswirkungen überlagern. Das ist zwar umso weniger der Fall, je weiter die Vorhaben voneinander Abstand halten, hängt aber nicht von den optisch wahrnehmbaren Kriterien ab, die das Oberverwaltungsgericht für entscheidend hält.

25 Allein dass es zu Wirkungsüberschneidungen kommen wird - wovon vorliegend angesichts der geringen Entfernung zwischen der Stallung A. 5 und dem Schweinemaststall ausgegangen werden kann -, reicht entgegen der Ansicht der Kläger aber für die Anwendbarkeit der Kumulationsregelung nicht aus. Vorhaben, die beziehungslos und gleichsam zufällig nebeneinander verwirklicht werden, unterliegen nicht schon wegen ihrer sich überlagernden Umweltauswirkungen der Vorprüfungspflicht. § 3b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 UVPG verlangt eine Ausführung auf demselben Betriebs- oder Baugelände und eine Verbindung mit gemeinsamen betrieblichen oder baulichen Einrichtungen. Zu Unrecht sehen die Kläger darin einen Verstoß gegen Unionsrecht. Nach Art. 4 Abs. 3 UVP-RL sind bei der Festlegung von Schwellenwerten die relevanten Auswahlkriterien des Anhangs III zu berücksichtigen. Zu den Auswahlkriterien gehört nach dessen Nummer 1 Buchstabe b Kumulierung mit anderen Projekten. Die Pflicht zur Berücksichtigung bedeutet die Verpflichtung, diesen Punkt als Abwägungsposten in Rechnung zu stellen. Er darf mithin nicht ausgeblendet werden, kann jedoch auch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen und ist einer Relativierung - auch im Hinblick auf den Projektbezug der Richtlinie - zugänglich. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Urteile vom 25. Juli 2008 - C 142/07 - und vom 21. März 2013 - C-244/12 [ECLI:​EU:​C:​2013:​203] - NVwZ 2013, 707) kollidiert damit nicht.

26 Die tatrichterlichen Feststellungen reichen für den Befund aus, dass das Vorhaben A. 5 und der Schweinemaststall auf demselben Betriebsgelände liegen. Zwischen beiden Vorhaben besteht ein räumlich-betrieblicher Zusammenhang. Die Vorhaben sind funktional und wirtschaftlich aufeinander bezogen, weil der Stall A. 5 der Aufzucht von Ferkeln dient, die später in den Maststall umgesetzt werden (UA Rn. 58). Gemeinsame betriebliche Einrichtung ist eine Trinkwasserleitung, die an einen Eigenbrunnen auf dem Gelände der Hofstelle A. 4 angeschlossen ist und über die sowohl das Vorhaben A. 5 als auch das umstrittene Vorhaben versorgt werden (Protokoll der berufungsgerichtlichen Ortsbesichtigung am 27. Februar 2013).

27 (3) Die Tierplatzzahlen im Stall A. 5 sind allerdings nur insoweit der Zahl der Plätze im Schweinemaststall hinzuzurechnen, als sie über den Bestand hinausgehen, der nach § 3b Abs. 3 Satz 3 UVPG unbeachtlich bleibt. Nach dieser Vorschrift bleibt der in den jeweiligen Anwendungsbereich der Richtlinien 85/337/EWG und 97/11/EG fallende, aber vor Ablauf der jeweiligen Umsetzungsfristen erreichte Bestand hinsichtlich des Erreichens oder Überschreitens der Größen- oder Leistungswerte unberücksichtigt. Das Berufungsurteil enthält keine Feststellungen zu den erreichten Beständen an den maßgeblichen Stichtagen, dem 5. Juli 1988 und dem 14. März 1999. Zur Nachholung der notwendigen Ermittlungen ist die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

28 2. Der Frage, ob die Baugenehmigung mit FFH-Recht im Einklang steht und die Kläger einen eventuellen Rechtsverstoß geltend machen können, braucht der Senat nicht nachzugehen. Das Berufungsurteil enthält keine Feststellungen, die dem Senat eine Entscheidung zur Vereinbarkeit der Baugenehmigung mit FFH-Recht ermöglichen. Mehr als die - ohnehin gebotene - Zurückverweisung der Sache an das Oberverwaltungsgericht könnte der Senat deshalb nicht aussprechen.

29 3. Die planungsrechtliche Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung hat das Oberverwaltungsgericht an § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB gemessen. Einen Verstoß gegen die Vorschrift hat es verneint, weil das Wohngrundstück der Kläger schädlichen Umwelteinwirkungen nicht ausgesetzt werde. Seinem rechtlichen Ansatz, für die Bewertung der Zumutbarkeit der Geruchsimmissionen sei die Geruchsimmissionsrichtlinie des Landes Schleswig-Holstein - GIRL - als Orientierungshilfe heranzuziehen (UA Rn. 71), treten die Kläger nicht entgegen. Sie beschränken sich auf Verfahrensrügen. Ob sie durchgreifen, braucht der Senat nicht zu entscheiden, weil sie im Erfolgsfall nur zur Zurückverweisung der Sache an das Oberverwaltungsgericht führten.