Beschluss vom 31.05.2002 -
BVerwG 7 B 11.02ECLI:DE:BVerwG:2002:310502B7B11.02.0

Beschluss

BVerwG 7 B 11.02

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 25.10.2001 - AZ: OVG 21 A 1022/97

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 31. Mai 2002
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht G ö d e l ,
K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 226 € (entspricht 20 000 DM) festgesetzt.

Die Klägerin betreibt eine genehmigungsbedürftige Anlage zur Verbrennung von Industrieabfällen, die einen maximalen Abgasvolumenstrom von 38 000 m³/h erzeugt. Mit Bescheid vom 6. Oktober 1994 erteilte die Beklagte auf Antrag der Rechtsvorgängerin der Klägerin eine Änderungsgenehmigung zur Nachrüstung der Anlage entsprechend den Anforderungen der 17. BImSchV. In dem Bescheid beigefügten Nebenbestimmungen wurde der Anlagenbetreiberin aufgegeben, die Emissionen näher bestimmter Stoffe kontinuierlich zu messen (Nr. 2.7) und die von der Messeinrichtung kontinuierlich aufgezeichneten Ergebnisse durch Anschluss an das Emissionsfernüberwachungssystem (EFÜ) des Landes Nordrhein-Westfalen zu übermitteln (Nr. 2.11). Der nach erfolglosem Widerspruch erhobenen Klage gegen die Nebenbestimmung Nr. 2.11 hat das Verwaltungsgericht stattgegeben, weil die Beklagte den EFÜ-Anschluss angeordnet habe, ohne der Frage nachgegangen zu sein, ob die bestandskräftig gewordene Anordnung kontinuierlicher Messungen mit Blick auf auszuschließende oder allenfalls in geringen Konzentrationen zu erwartende Emissionen einzelner Stoffe hätte erlassen werden dürfen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Klage gegen die Nebenbestimmung Nr. 2.11 unter entsprechender Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
a) Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob für die gerichtliche Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Anordnung zur Datenfernübertragung kontinuierlich ermittelter Messergebnisse die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung oder der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz maßgeblich sei, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung; denn hierüber wäre angesichts dessen, dass die der Anordnung zugrunde liegende Messanordnung bestandskräftig geworden ist, in einem Revisionsverfahren nicht zu entscheiden. Anders als das Berufungsgericht, das die eigentliche Regelung in der Verpflichtung zur Herstellung der für den EFÜ-Anschluss erforderlichen Einrichtungen erblickt hat, sieht die Beschwerde in der Anordnung zur Datenfernübertragung einen Dauerverwaltungsakt, weil sie zu einer fortdauernden, sich bei der Übermittlung der Emissionsdaten ständig neu aktualisierenden Verpflichtung der Klägerin führe; wegen dieser Dauerwirkung der Nebenbestimmung Nr. 2.11 sei es geboten, bei der Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit auch spätere Veränderungen der Sach- und Rechtslage bis zur letzten mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts zu berücksichtigen. Dabei vernachlässigt die Beschwerde, dass die Anordnung zur Datenfernübertragung eine entsprechende Messanordnung voraussetzt und die angeordnete Übermittlung der von der Messeinrichtung ermittelten Emissionsdaten keine zusätzlichen, über die angeordneten Messungen und Aufzeichnungen hinausgehenden Ermittlungspflichten der Klägerin begründet. Die andauernde "Beschwer" der Klägerin liegt also nicht in der automatisch ablaufenden Übermittlung, sondern in ihrer Verpflichtung, die in Rede stehenden Emissionsdaten durch Verwendung aufzeichnender Messgeräte fortlaufend zu ermitteln. Die Bestandskraft dieser Verpflichtung hindert die Klägerin, die Rechtsposition, die sie aus dem nach ihrem Vorbringen eingetretenen Wegfall der Voraussetzungen für die Anordnung kontinuierlicher Messungen herleitet, im vorliegenden Verfahren durchzusetzen; die behauptete Veränderung der Sachlage lässt die durch die bestandskräftige Messanordnung ausgelöste prozessuale Sperre unberührt und könnte daher nur einen Anspruch auf Aufhebung der Messanordnung zur Folge haben, der indes nicht Gegenstand der Anfechtungsklage ist.
b) Auch die weitere Frage, "nach welchen materiellen Kriterien die Ermessensentscheidung der Behörde nach § 31 Satz 2 BImSchG zu überprüfen ist", wenn es entsprechend dem Standpunkt des Berufungsgerichts hierfür auf den Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids ankomme, hat nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Deren Frage zielt auf den vom Berufungsgericht vertretenen Rechtsstandpunkt, dass die Anordnung der Datenfernübertragung nicht deswegen ermessensfehlerhaft sei, weil die Beklagte sich mit dem Vorhandensein einer wirksamen Anordnung der kontinuierlichen Messung von Emissionsdaten begnügt und die rechtlichen Voraussetzungen hierfür nicht erneut überprüft habe; die Rechtmäßigkeit der Messanordnung gehöre regelmäßig nicht zum Prüfprogramm für eine Anordnung, die aufgezeichneten Emissionsdaten im Wege der Datenfernübertragung an die Behörde zu übermitteln. Dass dem in der Tat so ist, bedarf jedenfalls für die hier gegebene Sachverhaltskonstellation keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Ordnet die Behörde in der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für eine Abfallverbrennungsanlage an, dass bestimmte Emissionsdaten gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 der 17. BImSchV kontinuierlich zu ermitteln, zu registrieren und auszuwerten sind, muss sie im Rahmen einer hieran anknüpfenden, in derselben Genehmigung getroffenen Anordnung zur Datenfernübertragung selbstverständlich keine gesonderten Erwägungen und Ermittlungen dazu anstellen, ob die Voraussetzungen der Messanordnung erfüllt sind. Auch die Widerspruchsbehörde handelt nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie diese Frage bei der Entscheidung über einen Widerspruch, der sich allein gegen die Anordnung zur Datenfernübertragung richtet und die Rechtmäßigkeit der Messanordnung nicht einmal ansatzweise bezweifelt, keiner erneuten Überprüfung unterzieht. Die Widerspruchsbehörde hat nicht gleichsam ungefragt in eine Fehlersuche einzutreten und mit den Ermittlungen von vorn zu beginnen, wenn sich ihr eine solche Verfahrensweise weder nach dem Widerspruchsvorbringen noch wegen offenkundiger Mängel des angefochtenen Bescheids aufdrängen muss.
2. Das angegriffene Urteil beruht auch nicht auf den geltend gemachten Verfahrensfehlern (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Die Beschwerde nimmt einen Verstoß gegen die gerichtliche Pflicht zur Sachaufklärung an, weil das Berufungsgericht keine tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen habe, dass die im Antrag auf Änderungsgenehmigung angegebenen, der 17. BImSchV entsprechenden Emissionsgrenzwerte im Anlagenbetrieb bei weitem unterschritten würden und darum von einem Kleinemittenten auszugehen sei, der von der Datenfernübertragung freizustellen sei. Die Rüge ist unbegründet. Mit der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die das Maß seiner Aufklärungspflicht bestimmt, ergaben sich aus den Antragsunterlagen keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der Anlage der Klägerin nach Durchführung der Nachrüstung um einen Kleinemittenten mit einem gegenüber anderen Abfallverbrennungsanlagen entscheidend geminderten Gefährdungspotential handeln könnte, weil die Antragsunterlagen von einer Ausschöpfung der kontinuierlich zu messenden Grenzwerte (§ 4 Abs. 6, § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 der 17. BImSchV) ausgingen. Das Berufungsgericht hat damit darauf abgestellt, dass es auf die nach dem genehmigten Antrag zulässigen Emissionen ankomme. Aus dieser Sicht bestand für das Berufungsgericht kein Anlass aufzuklären, wie sich die Emissionswerte nach Inbetriebnahme der Anlage tatsächlich entwickelten.
Die Annahme des Berufungsgerichts, dass keine Anhaltspunkte für einen atypischen Sachverhalt gegeben seien, beruht auch nicht auf einer verfahrensfehlerhaften Überzeugungsbildung. Der von der Firma Ec. erstellten "Zusammenfassung der Messergebnisse und Vergleich mit den Grenzwerten der 17. BImSchV" lagen Messungen zugrunde, die vor der Betriebsänderung bei alternativen Betriebstemperaturen (850°C und 1100°C) vorgenommen worden waren und teilweise die Grenzwerte unterschreitende Messwerte ergaben. Diese Messergebnisse zwingen nicht zu dem Schluss, dass der antragsgemäß nachgerüstete Betrieb bei der genehmigten Betriebstemperatur von 900°C zu Emissionen führen müsste, die eine signifikante Abweichung der Anlage der Klägerin von dem in der 17. BImSchV vorausgesetzten, als potentiell besonders luftverunreinigend eingestuften und darum die Pflicht zu kontinuierlichen Messungen auslösenden Anlagentyp rechtfertigen könnten. Nichts anders gilt für die nicht näher begründete Annahme des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamts Recklinghausen in seiner Stellungnahme vom 11. März 1994, wonach "davon ausgegangen" werden könne, dass insbesondere die Massenkonzentrationen an staubförmigen Stoffen, Chlorwasserstoff und Stickstoffoxiden die "Maximalkonzentrationen" weit unterschreiten würden. Der Änderungsgenehmigung der Beklagten vom 6. Oktober 1994 liegt, wie aus der darin getroffenen Anordnung kontinuierlicher Messungen hervorgeht, eine andere Bewertung zugrunde, die das Berufungsgericht nicht für erkennbar unzutreffend halten musste.
Schließlich hat das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör nicht dadurch verletzt, dass es auf die genannten Messergebnisse der Firma Ec. und die Stellungnahme des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamts Recklinghausen in den Entscheidungsgründen nicht eingegangen ist. Es ist in der Regel davon auszugehen, dass das Gericht bei seiner Entscheidung die Ausführungen der Beteiligten und den Inhalt der ihm vorliegenden Verwaltungsakten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Das gilt auch für Vorbringen, das in den Entscheidungsgründen nicht erörtert worden ist; denn das Gericht darf sich auf die Darlegung der Gründe beschränken, die für seine Entscheidung leitend gewesen sind. Der Schluss von der Nichtbehandlung eines Vorbringens oder aktenkundiger Tatsachen in den Entscheidungsgründen auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nur unter der Voraussetzung zulässig, dass das betreffende Vorbringen nach der Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war (vgl. BVerfGE 86, 133 <146>). Daran fehlt es hier. Die den genannten Unterlagen zu entnehmenden "Erwartungswerte" waren aus der rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts nicht geeignet, eine wesentliche Abweichung der Abfallverbrennungsanlage der Klägerin vom Anlagentyp der 17. BImSchV zu begründen, die es geboten hätte, von der generellen Anordnung der Datenfernübertragung im Einzelfall abzusehen.
3. Da gegen die das angegriffene Urteil tragende Begründung ein zulässiger und begründeter Revisionszulassungsgrund nicht vorliegt, kommt es auf das gegen die Hilfsbegründung des Oberverwaltungsgerichts gerichtete Vorbringen der Beschwerde nicht mehr an. Gegen ein auf mehrere selbständige und tragfähige Begründungen gestütztes Urteil ist die Revision nur zuzulassen, wenn in Bezug auf jede dieser Begründungen ein durchgreifender Zulassungsgrund geltend gemacht wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 73 Abs. 1 Satz 1 GKG.