Beschluss vom 31.01.2002 -
BVerwG 1 DB 1.02ECLI:DE:BVerwG:2002:310102B1DB1.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 31.01.2002 - 1 DB 1.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:310102B1DB1.02.0]

Beschluss

BVerwG 1 DB 1.02

In dem Verfahren hat der 1. Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts
am 31. Januar 2002
durch den Vorsitzenden Richter A l b e r s , die Richterin H e e r e n und den Richter M a y e r
beschlossen:

Auf die Beschwerde des Antragstellers werden der Beschluss des Bundesdisziplinargerichts vom 26. November 2001 und die Verfügung des Leiters der Niederlassung Produktion BRIEF ... der Deutschen Post AG vom 1. Juni 2001 aufgehoben.

I


Mit Verfügung vom 27. September 2000 leitete der Leiter der Niederlassung Produktion BRIEF ... der Deutschen Post AG das förmliche Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller wegen des Vorwurfs ein, der Antragsteller habe am 8. Januar 1999, 28. Januar 1999 und 13. Februar 1999 eingezogene Nachnahmebeträge in Höhe von insgesamt 494,20 DM nicht mit der Postkasse verrechnet, sondern für eigene private Zwecke verbraucht. An der Täterschaft des Antragstellers beständen keine begründeten Zweifel. Mit Verfügung vom 1. Juni 2001 ordnete die Einleitungsbehörde die Einbehaltung von 2 v.H. des Ruhegehalts des Antragstellers an, weil mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit im anhängigen förmlichen Disziplinarverfahren auf die Aberkennung seines Ruhegehalts erkannt werden würde.
Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 11. Juni 2001 beantragte der Antragsteller gemäß § 95 Abs. 3 BDO die Aufhebung der Verfügung vom 1. Juni 2001, da die Aberkennung des Ruhegehalts mit Blick auf den festgestellten Gesamtschaden unverhältnismäßig sei.
Das Bundesdisziplinargericht hat die angefochtene Verfügung durch Beschluss vom 26. November 2001 aufrechterhalten. Nach summarischer Prüfung sei die Aberkennung des Ruhegehalts wahrscheinlich, weil der Antragsteller sich an anvertrautem dienstlichen Geld vergriffen habe und anerkannte Milderungsgründe fehlten.
Hiergegen hat der Antragsteller rechtzeitig Beschwerde eingelegt. Sein Verfahrensbevollmächtigter trägt vor, "das festgestellte Verhalten wäre ohne die starke Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes des Antragstellers nicht vorgekommen". Die Krankheit, die zum Ruhestand des Antragstellers geführt habe, hätte "den vorgeworfenen Vorgang ermöglicht". Im Übrigen werde auf den gesamten diesseitigen Vortrag Bezug genommen.

II


Die Beschwerde ist gemäß § 85 Abs. 5 BDG i.V.m. § 79 BDO zulässig (vgl. hierzu Beschluss vom 31. Januar 2002 - BVerwG
1 DB 33.01 -) und hat auch Erfolg. Das Bundesdisziplinargericht hat die angefochtene Einbehaltungsanordnung zu Unrecht aufrechterhalten.
Die Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge setzt gemäß § 92 Abs. 1 voraus, dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Dienst oder Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird. Diese Disziplinarmaßnahme muss nach der im Verfahren nach § 95 Abs. 3, § 79 BDO nur gebotenen summarischen Prüfung des Sachverhalts wahrscheinlicher sein als eine mildere Maßnahme (stRspr, vgl. etwa Beschluss vom 28. Februar 2000 - BVerwG 1 DB 26.99 -). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Die Zweifel setzen bereits bei der Frage ein, ob dem Antragsteller überhaupt nachgewiesen werden kann, in den drei Fällen Nachnahmebeträge vorsätzlich unterschlagen und damit ein Zugriffsdelikt begangen zu haben.
Ein Zugriff im Sinne der Senatsrechtsprechung liegt nur vor, wenn aufgrund zureichender Tatsachengrundlagen auf den Zueignungswillen des Betroffenen geschlossen werden kann (Urteile vom 27. September 2000 - BVerwG 1 D 63.99 - und vom 13. Juni 2001 - BVerwG 1 D 35.00 -; ferner BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2000 - 2 BvR 993.94 - DVBl 2001, 118). Der Antragsteller hat bei seinen Anhörungen stets in Abrede gestellt, sich unredlich mit den Nachnahmebeträgen befasst zu haben und sich im Übrigen wegen zweier im Februar 1999 erlittener Schlaganfälle auf fehlende Erinnerung berufen. Dies kann nicht als Schutzbehauptung abgetan werden.
Der Arzt für Allgemeinmedizin S., dem der Antragsteller erklärt hatte, die Symptome seiner Erkrankung in Form von vermehrter Vergesslichkeit, erhöhter Müdigkeit, zeitweise auftretender fieberhafter Schübe sowie einer verminderten körperlichen Leistungsfähigkeit seien bereits im Januar 1999 aufgetreten, hat in seinem Bericht vom 17. Mai 2000 bestätigt, dass zu den Tatzeiten aufgrund der allgemeinen Erkenntnisse über die Krankheitsverläufe als auch aufgrund der geschilderten Symptome Beeinträchtigungen der körperlichen und psychischen Leistungsfähigkeit vorhanden gewesen seien. Auch aus den Ausführungen des Leitenden Arztes Dr. P. in dem im Untersuchungsverfahren eingeholten Gutachten vom 28. März 2001 ergibt sich, dass die Erkrankung des Antragstellers zu einer Beeinträchtigung des Gedächtnisses und zu Vergesslichkeit führen könne. Als mögliche Ursache für die vom Antragsteller angegebenen Erinnerungslücken komme die Schädigung des Gehirns durch den Schlaganfall in Betracht. Zur Tatzeit Januar und Februar 1999 hätten aufgrund der Erkrankung leichte kognitive Störungen bestanden, die jedoch nicht zu schweren Leistungsausfällen geführt hätten. Mit dem Instrumentarium der psychiatrisch-psychopathologischen Diagnostik sei es nicht möglich, eindeu-tig zwischen einer als Schutzbehauptung vorgebrachten Erinnerungslücke und einer tatsächlich vorhandenen Amnesie zu differenzieren.
Zugunsten des Antragstellers ist danach davon auszugehen, dass er sich tatsächlich nicht mehr daran erinnern kann, ob er die jeweiligen Nachnahmebeträge erhalten hat. Auch wenn dies der Fall war, wovon aufgrund der glaubhaften Angaben der Postkunden auszugehen ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Antragsteller die Geldbeträge versehentlich nicht mit der Postkasse verrechnet hat. Vergesslichkeit kann auch hier nicht ausgeschlossen werden. Der Erklärungsversuch des Antragstellers, er habe die Abrechnung stressbedingt vergessen, erscheint aufgrund seines Krankheitsbildes nachvollziehbar. Selbst der Dienstherr ging bezüglich des Vorfalles vom 13. Februar 1999 mit Blick auf die eine Woche später erlittenen Schlaganfälle nicht von einem schuldhaften Verhalten des Antragstellers aus. Entsprechendes läßt sich auch für die anderen beiden Fälle jedenfalls insoweit nicht ausschließen, als vorsätzliches, auf die Zueignung der Nachnahmeentgelte gerichtetes Handeln voraussichtlich nicht nachgewiesen werden kann.
Etwas anderes kann auch nicht aus weiteren Einlassungen des Antragstellers und Ausführungen seines Verfahrensbevollmächtigten abgeleitet werden.
Bei seiner Anhörung am 3. August 2000 hat der Antragsteller angegeben, der im wesentlichen Ergebnis der Vorermittlungen festgestellte Sachverhalt sei richtig und er habe dem nichts mehr hinzuzufügen. Die Verhandlung war zuvor für fünf Minuten unterbrochen worden, damit der Antragsteller Einsicht in die vollständige Vorermittlungsakte nehmen könne. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der bis dahin anwaltlich nicht vertretene Antragsteller in der Lage gewesen ist, in fünf Minuten die Sach- und Rechtslage zu überblicken. Dies ergibt sich auch daraus, dass sein danach hinzugezogener Anwalt mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2000 vortrug, der Antragsteller bestreite mit Nachdruck, vorsätzlich Nachnahmeentgelte entwendet zu haben. Zweifel an einer Überführung des Antragstellers hatte auch der Bundesdisziplinaranwalt und forderte mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2000 die Durchführung einer Untersuchung. Diese führte zwar zu vor Gericht verwertbaren Aussagen, die jedoch die Zweifel an einem vorsätzlichen Handeln des Antragstellers nicht ausräumten.
Auch wenn der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers zumindest missverständlich vorträgt, dass das festgestellte Verhalten ohne die starke Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes des Antragstellers nicht vorgekommen wäre, diese Krankheit den vorgeworfenen Vorgang ermöglicht habe und die Aberkennung mit Blick auf den festgestellten Gesamtschaden unverhältnismäßig sei, so sind diese Ausführungen nicht als ein Eingeständnis vorsätzlichen Handelns zu werten. Der Verfahrensbevollmächtigte bezog sich ausdrücklich auf den gesamten bisherigen Sachvortrag, mit dem der Antragsteller einer vorsätzlichen Unterschlagung der Nachnahmeentgelte mit Nachdruck widersprochen hat. Die darüber hinausgehenden Ausführungen erfolgten mit Blick auf das für den Antragsteller für ungünstig gehaltene Ergebnis des Sachverständigengutachtens des Dr. P., das in allen drei Fällen von einer vollen Schuldfähigkeit des Antragstellers ausgeht. Dieses Ergebnis berührt aber nicht die vorgreifliche Frage, ob der Antragsteller in tatsächlicher Hinsicht ein vorsätzliches Zugriffsdelikt begangen hat. Diese Wertung trifft das Gericht.
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass in Antragsverfahren nach § 95 Abs. 3 BDO durch das Bundesdisziplinargericht grundsätzlich keine Kostenentscheidung zu treffen ist. Da die Beschwerde Erfolg hat, ergeht auch für die Beschwerdeinstanz keine Kostenentscheidung; denn das Bundesverwaltungsgericht entscheidet insoweit an Stelle des Bundesdisziplinargerichts. § 114 Abs. 1 und 2 BDO schreibt eine Kostenentscheidung nur für die Fälle vor, in denen das Rechtsmittel ganz oder teilweise erfolglos bleibt (vgl. Beschluss vom 28. Februar 2000, a.a.O., mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).