Beschluss vom 30.07.2010 -
BVerwG 8 B 14.10ECLI:DE:BVerwG:2010:300710B8B14.10.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 30.07.2010 - 8 B 14.10 - [ECLI:DE:BVerwG:2010:300710B8B14.10.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 14.10

  • OVG Rheinland-Pfalz - 24.11.2009 - AZ: OVG 6 A 10546/09

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Juli 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel und
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg und
Dr. Held-Daab
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. November 2009 ergangenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 138,99 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Dabei geht der Senat davon aus, dass sie sich auch ohne ausdrückliche Beschränkung im Antrag oder in der Begründung nur insoweit gegen die Nichtzulassung der Revision wendet, als der Klage mit dem angefochtenen Urteil stattgegeben wurde. Soweit mit dem Urteil die Berufung des Klägers zurückgewiesen wurde, ist die Beklagte nicht beschwert.

2 Die allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) kommt der Rechtssache nicht zu. Die von der Beschwerde für bislang höchstrichterlich ungeklärt gehaltene Rechtsfrage,
sind Beiträge zur berufsständischen Altersversorgung in der Insolvenz eines freiberuflich Tätigen nach Fortführung des Betriebs oder der Praxis aufgrund eines Beschlusses der Gläubigerversammlung als öffentlich-rechtliche Abgaben Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1
InsO,
würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, die von der Beschwerde nicht mit Verfahrensrügen angegriffen werden, durfte der Schuldner Dr. H. seine Praxis aufgrund einer „Willensbekundung“ der Gläubigerversammlung vom 19. April 2004 ohne zeitliche Beschränkung fortführen. Ob dies ein Beschluss der Gläubigerversammlung im Sinne der aufgeworfenen Frage ist, kann dahinstehen. Denn soweit der Schuldner bis zum 10. März 2005 seine Praxis fortführte, hat das Berufungsgericht - in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 31. Oktober 2007 - XII ZR 112/05 - NJW 2008, 227, 229 = juris Rn. 26 und 32 m.w.N.) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschluss vom 28. November 2005 - 9 ZB 04.3254 - NVwZ-RR 2006, 550 f. = juris Rn. 17) - die Vorsorgeaufwendungen zur Rentenversicherung als Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. InsO angesehen und die Klage des Insolvenzverwalters mit dieser Begründung abgewiesen. Da dieser sich nicht gegen die Nichtzulassung der Revision gewandt hat, könnte diese Frage insoweit nicht Gegenstand des hier angestrebten Revisionsverfahrens sein.

3 Der weiteren von der Beschwerde aufgeworfenen Frage,
können derartige Masseverbindlichkeiten als Unterhaltsbedarf des Insolvenzschuldners gemäß § 36 Abs. 1 und 4 InsO i.V.m. §§ 850f, 850i ZPO berücksichtigt werden mit der Folge, dass die Haftung der Masse erlischt,
kommt grundsätzliche Bedeutung nicht zu. Die Beschwerde zielt insoweit auf die Ausführungen des Berufungsgerichts zu dem Beschluss des Amtsgerichts vom 10. März 2005, demzufolge der Schuldner Dr. H. in Höhe von 10 600 € pro Monat auf seine Honorareinkünfte zugreifen darf. Das Berufungsgericht hat mit ausführlicher Begründung diesen amtsgerichtlichen Beschluss dahingehend ausgelegt, dass das von dem Schuldner erwirtschaftete ärztliche Honoraraufkommen in einem Umfang von 10 600 € monatlich zweckgebunden, u.a. für die Aufwendungen zur berufsständischen Altersversorgung, vom Insolvenzbeschlag befreit worden sei (vgl. UA S. 11). Mit dieser Auslegung und Würdigung des Beschlusses, die nur den Einzelfall betrifft und einer Verallgemeinerung nicht zugänglich ist, hat das Berufungsgericht selbst nicht zur zwangsvollstreckungsrechtlichen Rechtslage Stellung genommen und keine Rechtsauffassung vertreten, die mit der Grundsatzrüge in Frage gestellt werden könnte. Es hat nur den Inhalt der amtsgerichtlichen Entscheidung bestimmt und die dort getroffene Regelung als Rechtstatsache zugrunde gelegt. In allgemeiner Form ist die gestellte Frage außerdem durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt (vgl. BGH a.a.O. Rn. 32), der zufolge sich der einem Selbstständigen nach § 850i Abs. 1 ZPO zu belassende notwendige Unterhalt grundsätzlich auch auf dessen Vorsorgeaufwendungen erstreckt, weil diese im Insolvenzverfahren eines Selbstständigen nicht vorab durch den Insolvenzverwalter beglichen werden.

4 Grundsätzliche Bedeutung kommt der von der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfrage aber auch deshalb nicht zu, weil sie sich auf ausgelaufenes Recht bezieht. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners Dr. H. wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Mainz vom 7. März 2004 eröffnet. Damit gilt für dieses Verfahren § 35 InsO in der bis zum 30. Juni 2007 geltenden Fassung (vgl. Andres, in: Nerlich/Römermann/Andres, InsO, Stand Dezember 2009, § 35 Rn. 122). Bis dahin bestand § 35 InsO nur aus seinem heutigen Absatz 1. Da diese Regelung einseitig auf natürliche Personen mit Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit ausgerichtet war, warf seine Anwendung bei natürlichen Personen mit Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit erhebliche Probleme auf (vgl. Andres, a.a.O. Rn. 123 ff.). Aus diesem Grund fügte der Gesetzgeber die Vorschriften des § 35 Abs. 2 und 3 InsO mit Wirkung vom 1. Juli 2007 ein und ging dabei davon aus, dass alle Verbindlichkeiten, die aus der selbstständigen Tätigkeit herrühren, Masseverbindlichkeiten darstellen (vgl. BTDrucks 16/4194 S. 14). Nunmehr muss aber der Insolvenzverwalter in einer Erklärung gegenüber dem Insolvenzschuldner angeben, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit - zu denen auch Beiträge zur berufsständischen Altersversorgung gehören können - im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Da diese nunmehr eindeutige Regelung auf alle seit dem 1. Juli 2007 eröffneten Insolvenzverfahren anzuwenden ist, kommt der Auslegung des § 35 InsO a.F. für die Anwendung auf die verbliebenen Altfälle keine grundsätzliche Bedeutung mehr zu.

5 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.