Beschluss vom 30.07.2007 -
BVerwG 1 B 5.07ECLI:DE:BVerwG:2007:300707B1B5.07.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 30.07.2007 - 1 B 5.07 - [ECLI:DE:BVerwG:2007:300707B1B5.07.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 5.07

  • Niedersächsisches OVG - 28.09.2006 - AZ: OVG 11 LB 193/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Juli 2007
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:

  1. Der Antrag der Klägerin, ihr Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
  2. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 28. September 2006 wird verworfen.
  3. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
  4. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2 500 € festgesetzt.

Gründe

1 Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 121 Abs. 1 ZPO).

2 Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO) gestützte Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Sie genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

3 1. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann.

4 In diesem Sinne fehlt es der Beschwerde bereits an der Bezeichnung einer konkreten, für die Revision entscheidungserheblichen Rechtsfrage. Stattdessen greift sie die rechtliche Würdigung des Berufungsgerichts zum Schutzbereich des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK im Falle einer lediglich nach religiösem Ritus geschlossenen Ehe und die geforderte Verlagerung des Lebensmittelpunktes der aus der Verbindung hervorgegangenen Kinder in der Art einer Berufungs- bzw. Revisionsbegründung an. Dies entspricht nicht den dargestellten Darlegungsanforderungen.

5 2. Die Beschwerde zeigt auch keinen Verfahrensmangel auf, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

6 Die Beschwerde macht zunächst geltend, das Berufungsurteil verletze das Recht auf rechtliches Gehör. Das Berufungsgericht stütze sich an mehreren Stellen auf den der Klägerin nicht bekannten Ermittlungsbericht der Stadt Hildesheim vom 18. November 2006. Dieser war Gegenstand der vom Berufungsgericht beigezogenen Ausländerakten. Aus diesem Ermittlungsbericht ziehe das Berufungsgericht die Schlussfolgerung, dass der Ehemann der Klägerin „aller Voraussicht nach“ (UA S. 3) bzw. „mit großer Wahrscheinlichkeit“ (UA S. 8) ebenfalls die türkische Staatsangehörigkeit habe und es ihm und der Klägerin auch zumutbar sei, ihre familiäre Lebensgemeinschaft in der Türkei fortzusetzen (UA S. 8).

7 Damit und mit ihrem weiteren Vorbringen zeigt die Beschwerde eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend auf. Art. 103 Abs. 1 GG gibt den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten ein Recht darauf, dass sie Gelegenheit erhalten, im Verfahren zu Wort zu kommen, namentlich sich zu dem einer Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern. Das Gericht darf nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse verwerten, zu denen die Beteiligten Stellung nehmen konnten. Dies erfordert ggf. auch entsprechende gerichtliche Hinweise und Mitteilungen, etwa über die Beiziehung von Akten. Bei der Gehörsrüge erfordert das Darlegungsgebot weiter, dass außer der Darstellung des Sachverhalts, in dem die Verletzung des rechtlichen Gehörs erblickt wird, schlüssig dargelegt wird, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet wäre. Sind nicht ordnungsgemäß eingeführte Unterlagen einer Prozesspartei nicht ohne weiteres zugänglich, muss sie diese innerhalb der Beschwerdefrist bei Gericht anfordern, sie überprüfen und dann im Einzelnen darlegen, was sie zu den darin enthaltenen Feststellungen ausgeführt hätte (vgl. Beschluss vom 14. April 2005 - BVerwG 1 B 161.04 - Buchholz 310 § 33 <n.F.> VwGO Nr. 81). Dem wurde vorliegend nicht Genüge getan. Stattdessen weist die Beschwerde lediglich darauf hin, der Ermittlungsbericht sei der Klägerin nach dem Grundsatz „audiatur et altera pars“ vorzulegen. Zudem hat die Klägerin erst am letzten Tag der Beschwerdebegründungsfrist Akteneinsicht beantragt und sich damit aufgrund ihres eigenen Verhaltens der Möglichkeit einer weiteren Darlegung innerhalb der Frist begeben.

8 Soweit die Beschwerde im Zusammenhang mit dem vom Berufungsgericht herangezogenen Ermittlungsbericht einen Verstoß gegen das Verbot der Vorwegnahme einer Beweiswürdigung rügt, wird ein Verfahrensfehler nicht schlüssig dargelegt. Entgegen der Auffassung der Beschwerde hat das Berufungsgericht die türkische Nationalität des Ehemann der Klägerin nicht als „feststehend und unumstößlich gewertet“ (Beschwerdebegründung S. 2), sondern ist lediglich davon ausgegangen, dass weitere Nachforschungen ergeben hätten, dass dieser „aller Voraussicht nach“ (UA S. 3) bzw. mit „großer Wahrscheinlichkeit“ (UA S. 8) türkischer Staatsangehöriger sei. Auch legt die Beschwerde nicht schlüssig dar, inwiefern diese auf der Grundlage der beigezogenen Akten getroffene Feststellung eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung darstellt. Soweit sie meint, das Berufungsgericht habe in unzulässiger Weise einer noch nicht entschiedenen Frage vorgegriffen und hierauf weitere entscheidungserhebliche Feststellungen gestützt, übersieht sie, dass das von ihr angeführte ausländerrechtliche Verfahren des Ehemannes für das vorliegende Verfahren nicht schon deshalb vorgreiflich ist, weil sich möglicherweise auch in dem anderen Verfahren die Frage stellt, welche Staatsangehörigkeit ihr Ehemann besitzt.

9 Dessen ungeachtet legt die Beschwerde auch nicht dar, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf den gerügten Verfahrensmängeln beruhen kann. Das Berufungsgericht hat das Begehren der Klägerin auf Erteilung einer zweiten Duldung zur Ermöglichung einer gemeinsamen Lebensgemeinschaft - selbständig tragend - damit begründet, dass es dem freizügigkeitsberechtigten Ehepartner der Klägerin zumutbar sei, seinen Wohnsitz an den Ort der übrigen Familienangehörigen zu verlegen (UA S. 8) und hat lediglich ergänzend - im Hinblick auf die vermutete türkische Staatsangehörigkeit des Ehemannes der Klägerin - darauf hingewiesen, dass es ihnen auch zumutbar sei, die familiäre Lebensgemeinschaft in der Türkei fortzuführen (UA S. 10). Damit betreffen die gerügten Verfahrensmängel nur eine von mehreren die Entscheidung selbständig tragenden Begründungen. In diesen Fällen kann der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nach ständiger Rechtsprechung aber nur entsprochen werden, wenn hinsichtlich jeder selbständig tragenden Begründung ein Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt. Daran fehlt es vorliegend.

10 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 und 2 GKG (halber Auffangstreitwert).