Beschluss vom 30.07.2004 -
BVerwG 5 B 68.04ECLI:DE:BVerwG:2004:300704B5B68.04.0

Beschluss

BVerwG 5 B 68.04

  • Bayerischer VGH München - 19.04.2004 - AZ: VGH 12 B 02.1339

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Juli 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. F r a n k e und Prof. Dr. B e r l i t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. April 2004 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die auf die Behauptung grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs hat keinen Erfolg.
1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von dem Kläger beigemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
1.1 Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
ob "eine Verletzung der Rechte des Klägers im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO [vorliegt], wenn sich aufsichtliche Maßnahmen, die gegen die Einrichtung (hier: Blindenstiftung Würzburg) ergehen, aufgrund bereits bestehender Regelungen zwischen dem Kläger und dieser Einrichtung (hier: Pflegesatzvereinbarung) (nur) mittelbar auf den Kläger auswirken, der Kläger aber keine Möglichkeit hat, den Adressaten des Verwaltungsaktes zur Klageerhebung zu veranlassen".
betrifft in ihrer Formulierung nicht eine rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftige oder -fähige Rechtsfrage zu § 42 Abs. 2 VwGO, sondern die einzelfallbezogene Anwendung dieser Norm in einer bestimmten Sachverhaltskonstellation, die zudem dadurch gekennzeichnet ist, dass die in der aufgeworfenen Frage vorausgesetzte mittelbare Auswirkung auf den Kläger nicht näher spezifiziert ist und ohne entsprechende Grundlagen in den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts unterstellt wird, dass sich diese mittelbaren Folgen aufgrund bereits bestehender Regelungen (Pflegesatzvereinbarung) ergeben. In der - vom Berufungsgericht auch herangezogenen - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass nach § 42 Abs. 2 VwGO die Klage nur zulässig ist, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein, dass nach dem Vorbringen des Klägers eine Verletzung seiner Rechte möglich sein muss und dass dies nur dann auszuschließen ist, wenn die vom Kläger behaupteten Rechte offensichtlich nicht bestehen oder ihm nicht zustehen können (BVerwGE 60, 154 <157 f.>; Urteil vom 26. Juli 1989 - BVerwG 4 C 35.88 - NVwZ 1990, 262; BVerwGE 104, 115 <118>; Urteil vom 26. November 2003 - BVerwG 9 C 6.02 - NVwZ 2004, 473; stRspr). Ob dies der Fall ist, ist nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen und entzieht sich einer fallübergreifenden, grundsätzlichen Klärung.
1.2 Eine fallübergreifender Klärung zugängliche Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung lässt sich auch nicht unter dem übergreifenden Gesichtspunkt der "Klagebefugnis dessen [entnehmen], der die finanziellen Auswirkungen hoheitlicher Entscheidungen zu tragen hat." Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass das Beschwerdevorbringen insoweit den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entspricht und sinngemäß hinreichend deutlich Klärungsbedarf im Zusammenhang mit der Frage geltend gemacht worden ist, ob und unter welchen Voraussetzungen der Schutz des aus Art. 28 GG folgenden gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts und der hiervon umfassten Finanzhoheit, welche die betreffenden Selbstverwaltungsträger vor der Auferlegung finanzieller Lasten durch andere Hoheitsträger schützt, eine Klagebefugnis auch gegenüber Maßnahmen anderer Träger öffentlicher Gewalt begründet, die lediglich mittelbar die finanziellen Belange berühren.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist hierzu geklärt, dass sich eine Klagebefugnis aus der kommunalen Planungs- oder Finanzhoheit auch in solchen Fällen ergeben kann, in denen die Gemeinde nicht selbst Adressat des Verwaltungsaktes ist, wenn von diesem Verwaltungsakt gegenüber der Gemeinde unmittelbare Rechtswirkungen ausgehen können (BVerwG, Beschluss vom 22. Januar 2001 - BVerwG 8 B 258.00 - Buchholz 310 § 42 Abs. 2 VwGO Nr. 11 <Festsetzung der zu erstattenden Aufwendungen durch staatliche Widerspruchsbehörde>; BVerwGE 74, 84 <86> <Wege- und Gewässerplan im Sinne des § 41 FlurbG>). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, welche nicht im Streit stehen, ist der Kläger indes weder Adressat der nachträglich gegen die Beigeladene erteilten aufsichtsbehördlichen Auflage nach § 45 SGB VIII noch gehen von dieser Auflage unmittelbare Rechtswirkungen gegenüber dem Kläger aus; die "kostenträchtigen" heimaufsichtlichen Anordnungen wirkten sich vielmehr "nur mittelbar auf die finanziellen Interessen des Klägers und seine kommunalrechtliche 'Finanzhoheit' insofern aus, als er bei der Gewährung von Sozialhilfeleistungen an Dritte in Form der Übernahme der Kosten der Heimunterbringung höhere Kosten nach § 93 Abs. 3 BSHG nach der Besonderheit des Einzelfalles oder gemäß § 93 Abs. 2 BSHG die höhere Vergütung des Beigeladenen für seine Leistung gegenüber dem Dritten zu übernehmen hat", wobei er "auf Grund der Bindungswirkung des heimaufsichtlichen Bescheides davon auszugehen [hat], dass dieser rechtlich existent ist".
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt die Annahme einer Klagebefugnis unter dem Gesichtspunkt der Finanzhoheit ferner dann in Betracht, wenn eine anderweitige hoheitliche Maßnahme notwendig dazu führt, dass dem kommunalen Selbstverwaltungsträger finanzielle Folgelasten entstehen, und diese finanziellen Belastungen einen erheblichen Umfang erreichen können (BVerwGE 74, 84 <90, 93>; s.a. Urteil vom 11. Mai 1984 - BVerwG 4 C 83.80 - Buchholz 406.11 § 2 BBauG Nr. 25). Für das Fachplanungsrecht hat das Bundesverwaltungsgericht die rechtliche Bedeutung der verfassungsrechtlich geschützten kommunalen Finanzhoheit dahin konkretisiert, dass in den Fällen, in denen eine Gemeinde dem von ihr beanstandeten Fachplanungsvorhaben eine Beeinträchtigung ihrer Finanzhoheit entgegensetzt, die Berücksichtigung eines solchen Vortrags als abwägungserheblich jedenfalls die Darlegung und den Nachweis voraussetzt, dass der finanzielle Spielraum der Gemeinde nachhaltig in nicht mehr zu bewältigender und hinzunehmender Weise eingeengt wird (BVerwG, Urteil vom 18. Juni 1997 - BVerwG 11 A 65.95 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 27). Als Mindestvoraussetzung für die Möglichkeit einer die Klagebefugnis vermittelnden Beeinträchtigung der kommunalen Finanzhoheit ist damit geklärt, dass ein qualifizierter Ursachenzusammenhang im Sinne einer notwendigen Folge zwischen der anzugreifenden, Dritte betreffenden Maßnahme und den finanziellen Interessen des Selbstverwaltungsträgers bestehen muss und die möglichen finanziellen Auswirkungen ein nicht mehr zu bewältigendes Maß erreichen müssen (s.a. Vallendar UPR 2003, 41 <44>). Dafür, dass Derartiges beim Kläger der Fall sein könnte, ist nichts vorgetragen oder ersichtlich. Der Zulassung der Revision steht bereits entgegen, dass nach den Darlegungen des Berufungsgerichts die angeordneten Auflagen den Kläger nicht zum Abschluss von Vereinbarungen nach § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG verpflichten und Auflagen auch unberührt lassen, dass derartige Vereinbarungen gemäß § 93 Abs. 2 Satz 2 BSHG den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit entsprechen müssen, es mithin jedenfalls an dem erforderlichen qualifizierten Ursachenzusammenhang fehlt.
1.3 Soweit das Berufungsgericht sich in seiner Beurteilung, dass dem Kläger jedenfalls für den entscheidungserheblichen Zeitpunkt die Klagebefugnis fehle, durch die durch das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 (BGBl I S. 1088) in § 45 SGB VIII als Absatz 3 eingefügten Anhörungsrechte bzw. Abstimmungsgebote sowie die durch das 3. Gesetz zur Änderung des Heimgesetzes vom 5. November 2001 (BGBl I S. 2960) als § 17 Abs. 2 Satz 3 Heimgesetz eingefügte Klagebefugnis in seiner Rechtsansicht bestätigt sieht, handelt es sich um ergänzende, die Entscheidung nicht tragende Erwägungen. Rechtsfragen zu § 45 Abs. 3 SGB VIII n.F. oder § 17 Abs. 2 Satz 3 HeimG n.F. rechtfertigten die Zulassung der Revision schon mangels Entscheidungserheblichkeit nicht. Dabei kann offen bleiben, ob der durch diese Bestimmungen geschaffene, veränderte Rechtsrahmen der Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung auch deswegen entgegenstünde, weil die aufgeworfenen Rechtsfragen ausgelaufenes Recht betreffen.
1.4 Die weiterhin von der Beschwerde für klärungsbedürftig gehaltene Frage:
"Schafft die Einbeziehung des Klägers durch
- Übersendung von Schreiben zur Stellungnahme (hier: Schreiben vom 21. April 1992 und 17. Juni 1992), insbesondere unter Fristsetzung (hier: Schreiben vom 17. Juni 1992 mit Frist zum 1. Juli 1992)
und/oder
- die Übersendung eines anfechtbaren Bescheides mit Rechtsbehelfsbelehrung (hier: Bescheid vom 7. August 1992) mit Zusatz 'mit der Bitte um Kenntnisnahme' eine formelle Rechtsposition, die ein Klagerecht im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO einräumt?"
ist zu verneinen, ohne dass es hierzu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Eine Hinzuziehung zu einem Verwaltungsverfahren und eine hierdurch vermittelte Beteiligtenstellung vermitteln ebenso wenig wie die Beiladung in einem späteren Verwaltungsprozess eine Klagebefugnis im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO (s. Kopp/Schenke, VwVfG, 8. Aufl., § 13 Rn. 31); unter welchen Voraussetzungen die Verletzung einfachgesetzlich eingeräumter Verfahrensbeteiligungs-, insbesondere Anhörungsrechte eine Klagebefugnis verleihen kann, bedarf im vorliegenden Verfahren schon deswegen nicht der Klärung, weil § 45 Abs. 3 SGB VIII n.F. erst nach Erlass der nachträglichen Anordnungen in Kraft getreten ist.
1.5 Die weiteren von der Beschwerde als grundsätzlicher Klärung bedürftig aufgeworfenen Fragen zum Konnexitätsprinzip (Nr. 3), zu § 35 Abs. 2 Nr. 2 SGB X (Nr. 4), zur Bestimmtheit (Nr. 5) und zu § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB VIII (Nr. 6) stellten sich - wie die Beschwerde zu Recht ausführt - erst dann, wenn entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichts eine Klagebefugnis des Klägers anzunehmen wäre, und sind für sich allein nicht geeignet, eine Zulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu bewirken.
2. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz zuzulassen (Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
2.1 Eine Abweichung im Sinne dieser Vorschrift liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht in Anwendung derselben Vorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der dort genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abweicht; eine fehlerhafte Anwendung eines nicht bestrittenen Rechtssatzes im Einzelfall rechtfertigt eine Divergenzzulassung nicht (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 5. Januar 2001 - BVerwG 4 B 57.00 - <NVwZ-RR 2001, 422>).
2.2 Soweit die Beschwerde vorbringt, das Berufungsurteil verstoße gegen die Grundsätze, die das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 6. März 1986 (- BVerwG 5 C 36.82 - BVerwGE 74, 84 <93>) in Bezug auf die Klagebefugnis einer Gemeinde gegen einen Planfeststellungsbeschluss (genauer: Wege- und Gewässerplan) aufgestellt habe, genügt dies nicht den Darlegungserfordernissen einer Divergenzrüge gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Die Beschwerdebegründung gibt zwar die einzelfallbezogenen Ausführungen der herangezogenen Entscheidung hinsichtlich der Voraussetzungen wieder, unter denen ein Wege- und Gewässerplan von der Gemeinde unter Berufung auf ihre Planungs- und Finanzhoheit unmittelbar angefochten werden kann. Doch lässt sich der herangezogenen Entscheidung eine Erweiterung der Klagebefugnis auf alle Fälle mehr oder minder mittelbarer finanzieller Auswirkung nicht entnehmen. Mit dem Vorbringen, das Berufungsgericht habe gegen die herangezogenen Grundsätze verstoßen, bezeichnet die Beschwerde auch keinen von dem Berufungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellten, von dem herangezogenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts abweichenden Rechtssatz, sondern macht allenfalls eine im Einzelfall fehlerhafte Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO geltend.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 162 Abs. 3 VwGO, die Entscheidung über die Gerichtskostenfreiheit aus § 188 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO.