Beschluss vom 30.05.2006 -
BVerwG 6 B 28.06ECLI:DE:BVerwG:2006:300506B6B28.06.0

Beschluss

BVerwG 6 B 28.06

  • Bayerischer VGH München - 23.02.2006 - AZ: VGH 7 BV 05.1826

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Mai 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hahn
und Vormeier
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Februar 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (1.) und eines Verfahrensmangels (2.) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

3 Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Daran gemessen rechtfertigen die von der Beklagten aufgeworfenen und von ihr als rechtsgrundsätzlich angesehenen Fragen nicht die Zulassung der Revision.

4 a) Die Beklagte möchte die Frage beantwortet wissen: „Ist ein vor dem Verwaltungsgerichten angefochtener Verwaltungsakt, welcher unter Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) vom Adressaten des Verwaltungsakts - in zeitlicher Hinsicht - mehr erfordert als unter Beachtung des Übermaßverbots nach Auffassung des Verwaltungsgerichts rechtmäßig gewesen wäre, bei der Entscheidung durch Urteil insgesamt aufzuheben oder hat sich - gegebenenfalls nach Sachaufklärung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO - das Gericht gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO auf eine Teilaufhebung eines solchen Verwaltungsakts ausschließlich in dem Umfang, in welchem sich dieser Verwaltungsakt als rechtswidrig erweist, zu beschränken?“. Diese Frage führt nicht zur Revisionszulassung, weil sie - soweit sie einer über den Einzelfall hinausgehenden Klärung zugänglich ist - ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann.

5 Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus Gründen der Einheit des Rechts einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung einer Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung bedarf. Dies ist nach der Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation und auf dieser Grundlage ohne weiteres beantworten lässt (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 11. September 2000 - BVerwG 6 B 47.00 - Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 10 S. 6 f. m.w.N.). So liegt es hier.

6 Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Die danach gebotene teilweise Aufhebung eines Verwaltungsakts kommt auch im Falle einer Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgebots in Betracht. Ein angefochtener Verwaltungsakt kann teilweise aufgehoben werden, wenn die rechtlich unbedenklichen Teile nicht in einem untrennbaren inneren Zusammenhang mit dem rechtswidrigen Teil stehen (vgl. Urteil vom 13. November 1997 - BVerwG 3 C 33.96 - BVerwGE 105, 354 <358>). Der rechtswidrige Teil des Verwaltungsakts muss in der Weise selbständig abtrennbar sein, dass der Verwaltungsakt im Übrigen ohne Änderung seines Inhalts sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann (vgl. Urteil vom 17. Februar 1984 - BVerwG 4 C 70.80 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 137 S. 29; Urteil vom 8. Juli 2004 - BVerwG 5 C 5.03 - Buchholz 435.12 § 45 SGB X Nr. 13 S. 4). Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt auch von dem dem jeweiligen Verwaltungsakt zugrundeliegenden Sachverhalt ab und entzieht sich deshalb einer über den Einzelfall hinausgehenden Klärung.

7 b) Die Beklagte möchte auch geklärt wissen, „ob die vorangegangene rechtsgrundsätzliche Frage unterschiedlich zu beantworten ist, je nachdem ob es sich bei dem der gerichtlichen Überprüfung zugrundeliegenden Verwaltungsakt um einen rechtsgebundenen oder um einen ermessensgebundenen Verwaltungsakt handelt“. Auch diese Frage rechtfertigt nicht die Revisionszulassung.

8 Der in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorgesehene Anspruch auf Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts betrifft nicht nur gebundene Verwaltungsakte, sondern erstreckt sich auch auf Verwaltungsakte, die im Ermessen der Behörde stehen. Dementsprechend kann bei Vorliegen der im Zusammenhang mit der vorangegangenen Frage aufgezeigten Voraussetzungen eine Teilaufhebung auch dann in Betracht kommen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt auf einer Ermessensentscheidung beruht (vgl. Beschluss vom 2. Mai 2005 - BVerwG 6 B 6.05 - Umdruck S. 3 f.).

9 2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

10 Nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nur dann ausreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (vgl. Beschluss vom 10. November 1992 - BVerwG 3 B 52.92 - Buchholz 303 § 314 ZPO Nr. 5). Daran gemessen führen die Verfahrensrügen nicht zum Erfolg der Beschwerde.

11 a) Die Revision ist nicht wegen Verstoßes gegen den Untersuchungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen.

12 Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Verwaltungsgerichtshof gegen den Untersuchungsgrundsatz verstoßen habe, weil er nicht aufgeklärt habe, in welchem zeitlichen Umfang die in Anspruch genommenen Kanäle für Aus- und Fortbildungsangebote bzw. für lokale und regionale Angebote und damit für Nutzungen im Sinne von Art. 33 Abs. 2 Satz 4 des Gesetzes über die Entwicklung, Förderung und Veranstaltung privater Rundfunkangebote und anderer Mediendienste in Bayern (Bayerisches Mediengesetz - BayMG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2003 (GVBl S. 799) genutzt würden. Damit knüpft die Klägerin an die Erwägung in dem angefochtenen Urteil an, dass die unentgeltliche Zur-Verfügung-Stellung eines Fernsehkanals von dem Betreiber einer Kabelanlage „dem Umfang nach nur verlangt werden kann, soweit der Kanal für Zwecke der Aus- und Fortbildung oder für lokale oder regionale Angebote tatsächlich genutzt wird“. Die Beklagte meint, die unterbliebene Sachaufklärung hätte das Verwaltungsgericht in die Lage versetzt, den angefochtenen Verwaltungsakt nur teilweise aufzuheben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem angefochtenen Urteil eine teilweise Aufhebung erwogen. In dem Urteil wird insoweit dargelegt (UA S. 20 zweiter Absatz), dass eine Teilaufhebung nicht in Betracht komme, da es an Anhaltspunkten dafür fehle, dass sich einzelne der begünstigten Programme auf ein Angebot beschränkten, das der Zweckbindung des Art. 33 Abs. 2 Satz 4 BayMG zur Gänze entspreche. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass eine teilweise Aufhebung des angefochtenen Bescheides nur insoweit in Betracht komme, als einzelne der in der Anlage 1 des angefochtenen Bescheides aufgeführten Programme uneingeschränkt für die in Art. 33 Abs. 2 Satz 4 BayMG genannten Zwecke genutzt würden. Angesichts dieser für die Beurteilung der Verfahrensrüge maßgeblichen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts genügt die Rüge der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes nicht den Begründungsanforderungen.

13 Ein solcher Verfahrensmangel ist nämlich nur dann ausreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde substantiiert darlegt, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die unterbliebene Sachverhaltsaufklärung hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die Ermittlung auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätte aufdrängen müssen (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26). Diese Voraussetzungen sind hier schon deshalb nicht erfüllt, weil die Klägerin in der Beschwerdebegründung nicht substantiiert darlegt, dass eine weitere Aufklärung dazu geführt hätte, dass zumindest eines der von dem angefochtenen Bescheid begünstigten Programme auf ein Angebot beschränkt sei, das den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 Satz 4 BayMG gänzlich entspricht.

14 b) Schließlich ist die Revision nicht wegen Verstoßes gegen die Hinweispflicht des § 86 Abs. 3 VwGO zuzulassen.

15 Nach § 86 Abs. 3 VwGO hat der Vorsitzende darauf hinzuwirken, dass alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden. § 86 Abs. 3 VwGO soll zum einen dazu beitragen, die Voraussetzung für eine richtige, dem Gesetz entsprechende Sachentscheidung zu schaffen. Die Bestimmung soll darüber hinaus als eine verfahrensspezifische einfachgesetzliche Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör Überraschungsentscheidungen vorbeugen (vgl. Beschluss vom 5. Juni 1998 - BVerwG 4 BN 20.98 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 49 S. 5 m.w.N.). Die Hinweispflicht verlangt grundsätzlich nicht, dass das Gericht die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweist, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (vgl. Beschluss vom 28. Dezember 1999 - BVerwG 9 B 467.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51 S. 2 m.w.N.). So muss das Gericht im Regelfall - wie hier - die Beteiligten nicht vorab darauf hinweisen, auf welchen von mehreren Gesichtspunkten es seine Entscheidung stützen und wie es sie im Einzelnen begründen werde (Beschluss vom 30. Oktober 1987 - BVerwG 2 B 85.87 - Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 20 m.w.N.). Dementsprechend war der Verwaltungsgerichtshof entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gehalten, die Beteiligten ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass der angefochtene Bescheid deshalb rechtswidrig sein könnte, weil die Inanspruchnahme der Kanäle ihrem zeitlichen Umfang nach nicht auf das für Nutzungen nach Art. 33 Abs. 2 Satz 4 BayMG zulässige Maß beschränkt worden sei.

16 Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt ebenfalls nicht vor. Es kann im Ergebnis einer den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzenden Verhinderung eines Vortrages gleichkommen, wenn ein Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach den bisherigem Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2003 - 1 BvR 10/99 - NJW 2003, 3687 m.w.N.; BVerwG, Beschlüsse vom 25. Mai 2001 - BVerwG 4 B 81.00 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 34 S. 20 f. m.w.N. und vom 29. Oktober 2003 - BVerwG 6 B 57.03 - Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 46 S. 31). Diese Voraussetzungen liegen hier schon deshalb nicht vor, weil insbesondere in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof die Frage erörtert wurde, ob die von dem angefochtenen Bescheid begünstigten Programme den ihnen zugewiesenen Fernsehkanal ausschließlich für Aus- und Fortbildungsangebote nutzten. Es lag deshalb nicht fern, dass der Verwaltungsgerichtshof diesem Gesichtspunkt für seine Entscheidung - wie geschehen - rechtliche Bedeutung beimaß.

17 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes folgt aus § 47 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.