Beschluss vom 29.12.2004 -
BVerwG 7 B 100.04ECLI:DE:BVerwG:2004:291204B7B100.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 29.12.2004 - 7 B 100.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:291204B7B100.04.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 100.04

  • VG Schwerin - 04.03.2004 - AZ: VG 3 A 2860/99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Dezember 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht H e r b e r t und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 4. März 2004 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 140 000 € festgesetzt.

Der Kläger begehrt die vermögensrechtliche Rückübertragung eines Grundstücks, das auf der Grundlage eines Eigentumsverzichts in Volkseigentum überführt worden ist. Der Kläger hatte unter anderem geltend gemacht, die seinerzeitige Eigentümerin, seine Rechtsvorgängerin, sei bereits im Vorfeld erheblich durch staatliche Stellen unter Druck gesetzt worden, auf ihr Eigentum an dem Grundstück zu verzichten. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt, das Grundstück sei nicht aufgrund unlauterer Machenschaften in Volkseigentum überführt worden. Dass die Alteigentümerin bereits im Vorfeld erheblich durch staatliche Stellen unter Druck gesetzt worden sei, auf ihr Eigentum an dem Grundstück zu verzichten, habe der Kläger nicht weiter konkretisiert, etwa unter Namhaftmachung der Angehörigen, die dies beweisen könnten. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
Die Beschwerde ist begründet. Die Rechtssache hat zwar weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, noch weicht das angefochtene Urteil im Verständnis von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ab. Es beruht aber auf einem Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
1. Der Kläger hält die Frage für klärungsbedürftig, unter welchen Voraussetzungen ein gewerblich genutztes Grundstück als bebautes Grundstück im Sinne des § 1 Abs. 2 VermG anzusehen ist, insbesondere welche Bebauung für eine Anwendung des § 1 Abs. 2 VermG erforderlich ist.
In dieser Allgemeinheit ist die Frage auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht klärungsbedürftig. § 1 Abs. 2 VermG erstreckt sich auf bebaute Grundstücke, die vermietet waren. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts war hier nur der Grund und Boden an einen Gewerbebetrieb verpachtet, während die von ihm genutzte Baracke auf dem Grundstück in seinem Eigentum stand. Es liegt ohne weiteres auf der Hand und bedarf deshalb nicht erst der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass in einem solchen Fall § 1 Abs. 2 VermG nicht anwendbar ist. Denn nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift muss ein bebautes Grundstück infolge nicht kostendeckender Mieten überschuldet gewesen sein. Das setzt voraus, dass die auf dem Grundstück vorhandene Bebauung vermietet gewesen ist. Nach § 1 Abs. 2 VermG ist ein Eigentumsverlust wiedergutzumachen, der dadurch gekennzeichnet ist, dass der Eigentümer in einer vom Staat herbeigeführten ökonomischen Zwangslage keinen anderen Ausweg als Verzicht, Schenkung oder Erbausschlagung gesehen und sich damit zugunsten des Volkseigentums selbst geschädigt hat. Die Vorschrift knüpft daran an, dass sowohl bei der Vermietung von Wohnräumen als auch bei der Vermietung von Gewerberäumen die staatlichen Instrumente der Zwangsbewirtschaftung, der Mietpreisregelung und der daran anknüpfenden eigentumsfeindlichen Unterbewertung geeignet und auch dazu bestimmt waren, früher oder später den Eigentumsverlust herbeizuführen.
Soweit der Kläger Fragen zu § 1 Abs. 3 VermG aufwirft, sind diese nicht klärungsfähig, weil er von tatsächlichen Feststellungen ausgeht, die das Verwaltungsgericht nicht getroffen hat, und dem Verwaltungsgericht eine Rechtsauffassung unterstellt, die dieses nicht vertreten hat. Das Verwaltungsgericht hat zum einen in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass die seinerzeitige Eigentümerin den Verzicht auf ihr Eigentum erklärt hat. Das Verwaltungsgericht hat zum anderen die Auffassung vertreten, dass mögliche Verstöße gegen Rechtsvorschriften nicht schon für sich, sondern nur dann die Annahme unlauterer Machenschaften begründen, wenn im Einzelfall in manipulativer, sittlich vorwerfbarer Weise unter Verstoß gegen die Rechtsordnung der DDR auf bestimmte Vermögenswerte zugegriffen wurde. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und wirft klärungsbedürftige Fragen nicht auf. Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht mit Recht angenommen, dass allein der Verstoß gegen zivilrechtliche Vorschriften und eine damit einhergehende Nichtigkeit des Eigentumsverzichts nicht zur vermögensrechtlichen Rückübertragung des Grundstücks führt. Dass die staatlichen Stellen sich von redlichen Motiven hätten leiten lassen müssen, hat das Verwaltungsgericht entgegen der Auffassung des Klägers nicht verlangt.
2. Der Kläger hat nicht ordnungsgemäß dargelegt, dass das Verwaltungsgericht von den Entscheidungen abgewichen ist, welche er in seiner Beschwerde bezeichnet hat. Eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nur vor, wenn die angefochtene Entscheidung mit einem sie tragenden abstrakten Rechtssatz einem ebensolchen die Entscheidung tragenden Rechtssatz in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht. Hingegen sind die Voraussetzungen einer Zulassung wegen Divergenz nicht erfüllt, wenn das Verwaltungsgericht einen abstrakten Rechtssatz, den das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, auf den Einzelfall nicht oder fehlerhaft anwendet. Der Kläger legt nur dar, das Verwaltungsgericht habe die von ihm bezeichneten Entscheidungen nicht oder nicht zutreffend angewandt.
3. Das angefochtene Urteil beruht auf einem dargelegten Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt.
Das Gericht hat den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Es hat in den Entscheidungsgründen in angemessener Weise zum Ausdruck zu bringen, aus welchen Gründen es von einer Auseinandersetzung mit dem rechtlichen und tatsächlichen Vorbringen eines Beteiligten abgesehen hat. Das Verwaltungsgericht hat einen Vortrag des Klägers übergangen, der aus der maßgeblichen Sicht des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich war.
Der Kläger hatte in erster Instanz auch geltend gemacht, eine unlautere Machenschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG ergebe sich, für sich allein oder in Zusammenhang mit den weiteren Umständen, auch daraus, dass staatliche Stellen Druck auf die seinerzeitige Eigentümerin ausgeübt hätten, mit dem Ziel, sie zu einem Verzicht auf ihr Eigentum an dem Grundstück zu bewegen. Das Verwaltungsgericht hat diesen Vortrag in der Sache für entscheidungserheblich gehalten. Es hat zwar eine nähere Konkretisierung vermisst, dabei aber ausdrücklich nur auf die fehlende Benennung möglicher Zeugen abgestellt, nicht aber auf eine mangelnde inhaltliche Darlegung der behaupteten Vorgänge. Damit hat das Verwaltungsgericht zu erkennen gegeben, dass es der Behauptung des Klägers in der Sache nachgegangen wäre, wenn dieser seine Behauptung durch Benennung von Zeugen konkretisiert hätte. Das Verwaltungsgericht hat dabei aber übersehen, dass der Kläger in seinen Schriftsätzen vom 12. April 2000 und 26. Mai 2000 nicht nur einen Druck staatlicher Stellen auf die seinerzeitige Eigentümerin behauptet, sondern hierfür auch mehrere Zeugen benannt hat.
Weil die Beschwerde bereits wegen dieses Verfahrensfehlers Erfolg hat, kann offen bleiben, ob die weiteren Verfahrensrügen begründet sind.
Der Senat nimmt den Verfahrensfehler des Verwaltungsgerichts zum Anlass, das angefochtene Urteil gemäß § 133 Abs. 6 VwGO durch Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG a.F.