Beschluss vom 29.09.2003 -
BVerwG 9 B 28.03ECLI:DE:BVerwG:2003:290903B9B28.03.0

Leitsatz:

Frühere Vorsitzende von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften können ausnahmsweise auch dann zu landwirtschaftlichen ehrenamtlichen Richtern im Flurbereinigungsgericht berufen werden, wenn sie nach Teilung, Umwandlung oder Auflösung ihrer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft nicht mehr selbst als Wiedereinrichter und Betriebsinhaber tätig geworden sind.

Beschluss

BVerwG 9 B 28.03

  • OVG Mecklenburg-Vorpommern - 05.02.2003 - AZ: OVG 9 K 9/01 -
  • OVG Mecklenburg-Vorpommern - 05.02.2003 - AZ: OVG 9 K 9/01

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. September 2003
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts H i e n und die Richter
am Bundesverwaltungsgericht Dr. S t o r o s t und Dr. E i c h b e r g e r
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (Flurbereinigungsgericht) vom 5. Februar 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme etwaiger außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 € festgesetzt.

Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben. Die zu ihrer Begründung angeführten Gesichtspunkte rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.
1. Ein für das angefochtene Urteil erheblicher Verfahrensmangel, der zur Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG führen könnte, ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht.
Das Flurbereinigungsgericht war entgegen der Auffassung des Klägers vorschriftsmäßig besetzt. Gegen die Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter Freude und Harder an dem angefochtenen Urteil bestehen keine verfahrensrechtlichen Bedenken. Beide erfüllten die Voraussetzungen des § 139 Abs. 3 FlurbG. Danach müssen die landwirtschaftlichen ehrenamtlichen Richter zwar grundsätzlich Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes sein, können aber ausnahmsweise auch dann berufen werden, wenn sie ihren Betrieb bereits an den Hofnachfolger übergeben haben; sie müssen ferner besondere Erfahrungen in der landwirtschaftlichen Betriebswirtschaft haben. Der Kläger meint, Diplomlandwirt Freude und Agraringenieur Harder, die früher Vorsitzende von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften waren, erfüllten diese Voraussetzungen nicht. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden.
Durch die von den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung abweichende Besetzung des Flurbereinigungsgerichts soll gewährleistet werden, dass an der Entscheidung in Flurbereinigungssachen Personen mitwirken, die in der Lage sind, einen landwirtschaftlichen Sachverhalt und die komplizierten Zusammenhänge eines Flurbereinigungsverfahrens selbst zu beurteilen. Daher sind sowohl der Begriff des landwirtschaftlichen Betriebes wie auch der des Inhabers in § 139 Abs. 3 Satz 1 FlurbG funktional zu verstehen, ohne dass es auf die Betriebsgröße, die Eigentumsverhältnisse und die Wirtschaftsform ankommt. Maßgeblich sind vielmehr die tatsächliche Führung eines Betriebes und die dadurch vermittelten Kenntnisse und Erfahrungen (vgl. BVerwGE 44, 96 <98>; Ronellenfitsch in: Quadflieg, Recht der Flurbereinigung, Stand April 1989, § 139 FlurbG Rn. 27; Steuer, FlurbG, 2. Aufl. 1967, § 139 Anm. 13). Die leitende Funktion des Vorsitzenden einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft entsprach grundsätzlich diesen Erfordernissen.
§ 139 Abs.3 Satz 2 FlurbG ermöglicht es nach seinem Sinn und Zweck, Angehörige dieser Personengruppe ausnahmsweise auch dann zu landwirtschaftlichen ehrenamtlichen Richtern zu berufen, wenn sie nach Teilung, Umwandlung oder Auflösung ihrer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft nicht mehr selbst als Wiedereinrichter und Betriebsinhaber tätig geworden sind. Die durch diese Vorschrift im Jahre 1976 vorgenommene Erweiterung des für eine Berufung zum ehrenamtlichen Richter in Betracht kommenden Personenkreises sollte dem Strukturwandel in der Landwirtschaft und einem praktischen Bedürfnis Rechnung tragen, indem auch erfahrene, nicht mehr praktizierende Landwirte, die nach Alter und Gesundheit durchaus noch als Beisitzer geeignet seien, als solche ernannt werden konnten (vgl. BTDrucks 7/3020, S. 35). Im Hinblick auf die Strukturentwicklung der Landwirtschaft im Gebiet der früheren Deutschen Demokratischen Republik, in der es bäuerliche Landwirtschaftsbetriebe außerhalb der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften so gut wie nicht gab, entspricht es diesem Zweck, die Norm so auszulegen, dass auch frühere Vorsitzende von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zu ehrenamtlichen Richtern berufen werden können. Dem steht nicht entgegen, dass der Gesetzgeber im Jahre 1976 von dem im damaligen Bundesgebiet typischen Bild eines bäuerlichen Einzelhofbetriebes ausgegangen ist und dies in der Formulierung des Gesetzeswortlauts dadurch zum Ausdruck gebracht hat, dass dort von der Übergabe des Betriebes an den "Hofnachfolger" die Rede ist. Im hier gegebenen Regelungszusammenhang ist dieser Begriff nicht rechtlicher, sondern tatsächlicher Art und wird ebenso wie derjenige des "Inhabers" nicht von eigentumsrechtlichen, sondern von betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten bestimmt. Er bezeichnet den neuen Inhaber des "Hofes", d.h. der dem bisherigen landwirtschaftlichen Betrieb dienenden Sachgesamtheit. Die Annahme des Klägers, dass der Gesetzgeber mit dieser Wortwahl eine Unterscheidung zwischen Einzelhofbetrieben und anderen Betriebsformen der Landwirtschaft habe treffen wollen, entbehrt jeder Grundlage.
Dass § 139 Abs. 3 Satz 3 FlurbG des Weiteren besondere Erfahrungen in der landwirtschaftlichen Betriebswirtschaft verlangt, steht einer Berufung früherer Vorsitzender von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften ebenfalls grundsätzlich nicht entgegen. Zwar mag die Behauptung des Klägers zutreffen, dass dieser Personenkreis solche Erfahrungen - gemessen an den Anforderungen der sozialen und ökologischen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland - nur in Teilbereichen erwerben konnte. Das Gesetz verlangt jedoch nur "besondere", nicht aber umfassende Erfahrungen in dem genannten Bereich.
2. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt auch nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG. Dieser Zulassungsgrund liegt nur dann vor, wenn für die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Die vom Kläger in der Beschwerdebegründung bezeichneten Fragen erfüllen diese Anforderungen nicht.
Die von ihm aufgeworfenen Fragen zu den Voraussetzungen der Anordnung eines Bodenordnungsverfahrens und zur Bewertung seines Einlagegrundstücks als Bauland waren für die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts ohne Bedeutung. Denn dieses hat zutreffend darauf hingewiesen, dass Angriffen des Klägers gegen die Anordnung des Bodenordnungsverfahrens Hintersee I und gegen die Feststellung der Ergebnisse der Wertermittlung die Rechtskraft des Urteils vom 29. Juli 1999 entgegensteht. Die Fragen,
- ob der Kläger jede, auch für ihn völlig unsinnige Landabfindung hinnehmen muss,
- ob das Bodenordnungsverfahren für ihn mit seiner Enteignung zu einer extremen Entreicherung (Totalverlust) führen darf,
- welche Rechtsgrundlage es der Flurbereinigungsbehörde erlaubt, den Kläger mit ca. einem Drittel seiner eigenen Fläche in die Berechnung und die Gesamtabfindung einfließen zu lassen, und
- ob der hier vorliegende Sachverhalt außerhalb der Opfergrenze des Klägers liegt,
sind nicht fallübergreifend, sondern beziehen sich auf die Beurteilung des konkreten Einzelfalles, die der Kläger anders vornimmt als das Oberverwaltungsgericht. Damit wird eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache als Grund für die Zulassung der Revision nicht dargelegt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 2, §§ 14, 73 Abs. 1 Satz 2 GKG.