Beschluss vom 29.08.2008 -
BVerwG 8 B 52.08ECLI:DE:BVerwG:2008:290808B8B52.08.0

Beschluss

BVerwG 8 B 52.08

  • VG Potsdam - 09.04.2008 - AZ: VG 6 K 1986/05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. August 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Postier und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 9. April 2008 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO liegen nicht vor.

2 1. Die Beschwerde hat nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

3 Die Beschwerde hält für grundsätzlich bedeutsam die Fragen,
ob der bloße Verweis des Gerichts auf „bekannte Ausführungen“ in einem anderen Urteil die Grundlage für die Überzeugungsbildung der Kammer eines Verwaltungsgerichts sein kann?
Kann dies insbesondere dann die Lage des konkreten Sachverhalts ersetzen, wenn die konkrete Lage der streitgegenständlichen Grundstücke sich zumindest zu einem wesentlichen Teil außerhalb des Aufbaukerngebiets befindet, hier unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Steganlage/Flipanlage der wesentliche Anteil ist und auch der wesentliche Charakter des Grundstücks ist?
Ob im Einzelfall der „Mitnahmeeffekt“ eine außerhalb des Aufbaukerngebietes gelegenen Fläche auch Ausstrahlungswirkung auf den Teil des streitbefangenen Grundstücks haben kann, der sich innerhalb des Aufbaugebietes befindet? Bejahendenfalls, ob dies dann zu einer vollständigen Rückübertragung des gesamten Grundstücks oder lediglich zu der Rückübertragung des Teils, der den wesentlichen Kern der ursprünglichen Funktionsfläche darstellte, führt?

4 Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits mehrfach entschieden, dass es prozessrechtlich grundsätzlich zulässig ist, die für die gerichtliche Überzeugung leitend gewesenen Gründe durch eine in den Entscheidungsgründen ausgesprochene Bezugnahme auf tatsächliche Feststellungen und rechtliche Erwägungen in einer genau bezeichneten anderen Entscheidung anzugeben. Voraussetzung ist, dass die Beteiligten die in Bezug genommene Entscheidung kennen oder von ihr ohne Schwierigkeiten Kenntnis nehmen können und sich für sie und das Rechtsmittelgericht aus einer Zusammenschau der Ausführungen in der Bezug nehmenden und der in Bezug genommenen Entscheidung die für die richterliche Überzeugung maßgeblichen Gründe mit hinreichender Klarheit ergeben (Beschlüsse vom 3. Januar 2006 - BVerwG 10 B 17.05 - juris; sowie vom 27. Mai 1988 - BVerwG 9 CB 19.88 - Buchholz 402.25 § 32 AsylVfG Nr. 6; Urteil vom 12. Juli 1985 - BVerwG 4 C 40.83 - BVerwGE 72, 15 <26 f.> Buchholz 445.5 § 14 WaStrG Nr. 1).

5 Überdies geht die Beschwerde von einem Sachverhalt aus, der vom Verwaltungsgericht so nicht festgestellt worden ist und der rechtlich auch nicht relevant wäre. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts waren die streitigen Grundstücksflächen zum Aufbaugebiet 1.. erklärt und zwar im Abschnitt C. Eine Aufteilung des Aufbaugebietes in „wesentliche Teile“ innerhalb bzw. außerhalb eines „Aufbaukerngebietes“ wie die Beschwerde vorgibt, hat nicht stattgefunden. Einen „Mitnahmeeffekt“, mit dem wohl nur gemeint sein kann, dass sich die Inanspruchnahme nach dem Aufbaugesetz auf Grundstücke oder selbständig abtrennbare Grundstücksteile erstreckt hat, obwohl diese von vornherein nicht unter den Zweck der Inanspruchnahme fielen, hat das Verwaltungsgericht nicht festgestellt. Die hierzu erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch.

6 Die Frage,
ob bei der Festsetzung der zu geringen Entschädigung im Sinne von § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG zu berücksichtigen ist, dass eine verrechnete Steuerverbindlichkeit vom Alteigentümer in Person zu verantworten ist? Bejahendenfalls, ob dies dann im Falle der vom staatlichen Verwalter verantworteten Steuerverbindlichkeit sowie der damit im Zusammenhang stehenden Verrechnung zu einem Missbrauchstatbestand im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG oder in Abgrenzung hierzu zu einem Anwendungsfall des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG führt,
würde sich in einem Revisionsverfahren ebenso nicht stellen, weil die Beschwerde im Gegensatz zu den Feststellungen des Verwaltungsgerichts davon ausgeht, dass für die Grundstücksflächen eine zu geringe Entschädigung festgesetzt worden ist. Im Rahmen der Festsetzung der Entschädigung spielten die Steuerverbindlichkeiten keine Rolle. Diese wurden erst bei der Begründung einer Einzelschuldbuchforderung berücksichtigt. Überdies spricht die Beschwerde hier Besonderheiten des Einzelfalls an.

7 Die Frage,
wie weit für den Fall der Amtsermittlungsgrundsatz gelte, welche Mindest-Maßstäbe das Verwaltungsgericht bei der für diesen Fall dann vorzunehmenden Amtsermittlung einzuhalten habe, wenn im Fall der unzulässigen Verweisung auf bekannte Ausführungen in einem Fall des Verwaltungsgerichts ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz gemäß § 108 VwGO vorliegt,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Die Beschwerde unterstellt zu Unrecht eine unzulässige Verweisung des Verwaltungsgerichts auf Ausführungen in einem Urteil und verkennt den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung. Es hängt von den Besonderheiten des Einzelfalles ab, in welchem Umfang das Verwaltungsgericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen hat.

8 Mit der Frage,
ob die Zahlung von Lastenausgleich als Kriterium für die Anwendungen der Bestimmungen nach dem DDR-Entschädigungserfüllungsgesetz herangezogen werden kann, ohne dass hiermit ein Verstoß gegen eine verfassungskonforme Auslegung der Bestimmungen des DDR-Entschädigungserfüllungsgesetzes in Kauf genommen wird? Bejahendenfalls, ob das Verwaltungsgericht für diesen Fall ergänzende Ermittlungen hätte anstellen müssen, um eine verlässliche Grundlage für die Überzeugungsbildung zu schaffen, insbesondere um dabei feststellen zu können, dass Lastenausgleich zum überwiegenden Teil in einem völlig anderen Kontext gezahlt wurde?
legt die Beschwerde - was die ergänzenden Ermittlungen anbelangt - keine konkrete, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage dar, die über den vorliegenden Einzelfall hinausweist. Im Übrigen führt die aufgeworfene Frage nicht zur Zulassung der Revision, weil sich die Antwort im Gesetz findet. Der Gesetzgeber hat sich in § 7 DDR-Entschädigungserfüllungsgesetz dafür entschieden, dass Ansprüche nach diesem Gesetz ausscheiden, wenn ein Berechtigter für den Verlust des enteigneten Vermögenswerts oder für die Entziehung des Entschädigungsanspruchs eine Leistung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen, dem Entschädigungsgesetz oder dem Ausgleichsleistungsgesetz vom 27. September 1994 oder Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz erhalten hat oder ihm eine solche Leistung zusteht. Es liegt auf der Hand, dass eine verfassungskonforme Auslegung der Bestimmungen nicht die Gewährung einer doppelten Entschädigung gebietet.

9 2. Der Zulassungsgrund gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist ebenfalls nicht gegeben.

10 a) Die Beschwerde meint, das Verwaltungsgericht habe im Hinblick auf den geprüften Tatbestand des § 1 Abs. 3 VermG den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt (§ 86 Abs. 1 VwGO). Es hätte das Grundstück vor Ort in Augenschein nehmen müssen und dann den völlig ungeänderten Nutzungsbereich desselben als Steganlage in der Uferzone festgestellt. Damit hätte es sich mit der Rechtsfrage befassen müssen, ob der vom Aufbaugesetz nicht gedeckte „Mitnahmeeffekt“ nicht benötigter Grundstücksteile oder Grundstücke zum Tragen gekommen wäre. Das Verwaltungsgericht habe gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) verstoßen, weil es insoweit von einem unzutreffenden und unvollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen sei bzw. diesen falsch gewürdigt habe. Demgegenüber habe sich das Verwaltungsgericht allgemein auf die Ausführungen im Urteil vom 28. April 2004 (Az. 6 K 2802/98) bezogen, die für den konkreten Fall keine hinreichende Grundlage zur Bildung der eigenen Überzeugung darstellen können. Damit stütze sich das Urteil in Abweichung von § 108 Abs. 2 VwGO auf Tatsachen und Beweisergebnisse, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten.

11 Die Rüge greift nicht durch. Ob sich der Vorinstanz eine nähere Aufklärung des Sachverhalts ohne ausdrücklich gestellten Beweisantrag aufdrängen musste, ist allein auf der Grundlage seiner Auffassung zur materiellen Rechtslage zu beurteilen. Das Verwaltungsgericht hat in der Inanspruchnahme der streitigen Grundstücke nach dem Aufbaugesetz keine unlautere Machenschaft im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG gesehen. Bei seiner rechtlichen Einschätzung hat es sowohl den Vortrag des Klägers berücksichtigt, dass die Grundstücke nicht für Zwecke im Sinne des Aufbaugesetzes in Anspruch genommen worden seien, als auch die Lage der Grundstücke berücksichtigt. Es hat dazu festgestellt, dass die streitgegenständlichen Grundstücke mit zahlreichen anderen Grundstücken zum Aufbaugebiet 1.. erklärt, am 26. Mai 1975 unter Nr. 0432-2943-.. in das Register der Aufbaugebiete beim Bezirksamt Potsdam eingetragen und mit Bescheid vom 27. Januar 1976 vom Rat der Stadt Potsdam gemäß § 14 Aufbaugesetz i.V.m. § 9 EntschG mit Wirkung vom 1. März 1976 in Anspruch genommen wurden. Unter Hinweis auf das Urteil vom 28. April 2004 sah das Verwaltungsgericht als wesentlichen Grund für die Überführung in Volkseigentum die Verwirklichung eines eigenständigen städtebaulichen Vorhabens der komplexen denkmalgerechten Rekonstruktion und des Wohnungsbaus an. Inwieweit ein Augenschein der streitgegenständlichen Grundstücke zu einem anderen Ergebnis als die Kenntnisnahme der Lagepläne geführt hätte, ist auch mit Blick auf den vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten rechtlichen Maßstab nicht ersichtlich.

12 Soweit sich die Beschwerde in diesem Zusammenhang gegen die richterliche Überzeugungsbildung wendet (§ 108 Abs. 1 VwGO), hat sie schon deswegen keinen Erfolg, weil nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Würdigung des Sachverhalts dem materiellen Recht zuzurechnen ist. Die Beweiswürdigung des Tatrichters ist auf Grund des § 137 Abs. 2 VwGO vom Revisionsgericht nur auf die Verletzung allgemeinverbindlicher Beweisgrundsätze überprüfbar, zu denen die allgemeinen Auslegungsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB), die gesetzlichen Beweisregeln, die Denkgesetze und die allgemeinen Erfahrungssätze gehören (Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 = Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 225). Von einem Verstoß gegen diese Grundsätze kann vorliegend keine Rede sein.

13 Das Verwaltungsgericht hat auch nicht gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen (Art. 108 Abs. 1 GG; § 108 Abs. 2 VwGO), weil es in den Entscheidungsgründen (UA S. 8 2. Abs.) auf das Urteil vom 28. April 2004 (Az. 6 K 2802/98) Bezug genommen hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es, wie oben bereits dargelegt, prozessrechtlich grundsätzlich zulässig, die für die gerichtliche Überzeugung leitend gewesenen Gründe durch eine in den Entscheidungsgründen ausgesprochene Bezugnahme auf tatsächliche Feststellungen und rechtliche Erwägungen in einer genau bezeichneten anderen Entscheidung anzugeben (Beschluss vom 3. Januar 2006 - BVerwG 10 B 17.05 - juris). Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 28. April 2004 wurde den Beteiligten, so auch dem Bevollmächtigten des Klägers, mit Schreiben des Gerichts vom 17. April 2007 (Bl. 61 VG-Akte) übermittelt. Aus der Gesamtschau beider Entscheidungen ergab sich für die Beteiligten deutlich, welche Erwägungen für das Verwaltungsgericht maßgeblich waren. Das Verwaltungsgericht hat bei der rechtlichen Bewertung das gesamte städtebauliche Vorhaben berücksichtigt und ist zu der Einschätzung gekommen, dass dieses Vorhaben insgesamt von den Vorschriften des Aufbaugesetzes gedeckt war.

14 b) Das Verwaltungsgericht hat auch nicht mit Blick auf § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG gegen den Überzeugungsgrundsatz verstoßen. Die Beschwerde wendet sich in diesem Zusammenhang wiederum gegen die richterliche Überzeugungsbildung, wenn sie rügt, das Verwaltungsgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass eine wirtschaftliche Nutzung des Objekts durch den Grundstückseigentümer zwischen 1952 und den Enteignungsmaßnahmen gar nicht mehr stattgefunden habe. Steuerverbindlichkeiten hätten bei dieser Sachlage angesichts der aus dem Objekt gezogenen Erträge nicht mehr bestanden. Das Gericht hätte zumindest prüfen müssen, ob es sich um durch die staatliche Verwaltung verursachte Steuerverbindlichkeiten gehandelt habe. Wäre von einem solchen Tatbestand auszugehen, dann hätte die Verrechnung mit den vom Rechtsvorgänger des Klägers veranlassten Steuerverbindlichkeiten offenkundig den Tatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG begründet. In diesem Fall wäre in manipulativer Abweichung von der Bewertungspraxis zu Lasten des Alteigentümers ein zu geringer Entschädigungsbetrag ermittelt worden. Das hätte auch Auswirkungen auf die Rechtsfrage des § 1 Abs. 3 VermG in diesem Kontext.

15 Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts wurde mit Bescheid vom 23. November 1976 eine Entschädigung in Höhe von 15 000 M festgesetzt. Nach Abzug einer Steuerforderung in Höhe von 1 094,37 M wurde ein verbleibender Betrag in Höhe von 13 905,63 M zzgl. 417,15 M Zinsen errechnet. Im Hinblick auf den Tatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. b VermG hat das Verwaltungsgericht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Überzeugung gewonnen, dass weder die Zeitwertermittlung des Sachverständigen vom 4. Juni 1974 noch die ihr entsprechende Entschädigung im Feststellungsbescheid vom 23. November 1976 auf einer Vorschrift beruhten, die nicht der Diskriminierung von im Westen lebenden Eigentümern dienten. Nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts war für diese Eigentümer nach den einschlägigen Vorschriften der DDR weder generell eine Entschädigung ausgeschlossen oder zur Erleichterung des Zugriffs zu niedrig angesetzt gewesen. Die Tatsache, dass die Grundstücke zeitweise vorläufig staatlich verwaltet worden sind, zwingt im Übrigen nicht zu dem Schluss, dass den Eigentümer keine Steuerverbindlichkeiten mehr trafen.

16 Von einer weiteren Begründung der Beschwerde sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

17 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.