Beschluss vom 29.08.2007 -
BVerwG 2 B 47.07ECLI:DE:BVerwG:2007:290807B2B47.07.0

Beschluss

BVerwG 2 B 47.07

  • Niedersächsisches OVG - 12.12.2006 - AZ: OVG 5 LC 49/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. August 2007
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dawin und Dr. Heitz
und die Richerin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 12. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 563,07 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf alle Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.

2 Die Beschwerde leitet rechtsgrundsätzliche Klärungsbedürftigkeit, Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, und Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, aus den Darlegungen her, die das Berufungsgericht zur Auslegung der Nebenabrede zum Arbeitsvertrag des Klägers gemacht hat. In dem angegriffenen Urteil heißt es hierzu der Sache nach, eine Vertragsauslegung dürfe sich nicht auf eine am Wortlaut und Aufbau des Textes orientierte Interpretation beschränken, vielmehr seien Sinn und Zweck der Absprache, die von den Vertragsparteien verfolgten Interessen und die sonstigen Umstände zu berücksichtigen. Dann könne die Auslegung auch zu einem vom Wortlaut abweichenden Ergebnis gelangen. Die Interessenlage des Klägers und des beklagten Landes sowie die weiteren begleitenden Umstände ließen im hier zu entscheidenden Fall den Willen der Vertragschließenden unzweideutig erkennen. Hingegen gebe der Text der Nebenabrede, vergleichbar einer falsa demonstratio, diesem Willen keinen Ausdruck. Würde man die Nebenabrede ausschließlich nach ihrem Wortlaut verstehen, wäre sie nichtig. In Anbetracht dessen führe die anerkannte Auslegungsregel, wonach bei mehreren Möglichkeiten, einen Vertrag auszulegen, die Interpretation zu wählen sei, die nicht zur Nichtigkeit führt - es sei denn, diese Auslegung laufe dem objektiven Parteiwillen zuwider -, zu dem allein zutreffenden Ergebnis, dass die Zahlung von 270 DM die „Gegenleistung“ für die Gewährung der Versorgungsanwartschaft und für die Ermöglichung der Freistellung von den Beitragsleistungen war. Anknüpfend an diese Ausführungen wirft die Beschwerde als rechtsgrundsätzlich der Sache nach folgende Frage auf: In welchem Verhältnis steht bei behördlicherseits vorformulierten öffentlich-rechtlichen Verträgen, bei denen mehreren Auslegungen möglich sind, die im Urteil des Senats vom 20. März 2003 - BVerwG 2 C 23.02 - (Buchholz 316 § 54 VwVfG Nr. 14) formulierte „Unklarheitsregel“, wonach etwaige Unklarheiten des allein von der Behörde formulierten und dem Bürger vorformuliert angebotenen Vertragsinhalt zu Lasten der Behörde gehen, zu jener anderen Regel, wonach bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten eines Vertrages diejenige zu wählen ist, die nicht zur Nichtigkeit führt? Ist insbesondere der Unklarheitsregel Vorrang einzuräumen?

3 Diese Frage würde sich in der allgemeinen Form, wie sie von der Beschwerde formuliert ist und bei der dem Wortlaut der Äußerung die - im Regelfall vorhandene - Bedeutung eines wichtigen Auslegungskriteriums zukommt, in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Das Oberverwaltungsgericht hat bei seiner vorrangig auf die Begleitumstände, insbesondere auf die Interessenlage beider Beteiligten abstellenden Interpretation als Aussagegehalt ermittelt, dass die Zahlung von 270 DM pro Monat als „Gegenleistung“ für die Gewährung einer Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen bereits während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses gefordert und versprochen worden ist. Hingegen hat das Berufungsgericht den Wortlaut der schriftlichen Vereinbarung, der die künftige Ernennung des Klägers zum Beamten und die zugesagte Zahlung in ein Gegenseitigkeitsverhältnis stellt, als eine Art „falsa demonstratio“ bezeichnet. In dem angestrebten Revisionsverfahren würde sich deshalb allenfalls die Frage stellen,
ob es bei der Auslegung eines behördlicherseits vorformulierte öffentlich-rechtlichen Vertrages, der das von beiden Parteien übereinstimmend Gewollte nach Art einer falsa demonstratio unrichtig bezeichnet, einen Vorrang der sog. Unklarheitsregel gibt gegenüber jener Regel, wonach bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten diejenige zu wählen ist, die nicht zur Nichtigkeit des Vertrages führt.

4 Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Begründet der eine „falsa demonstratio“ darstellende unrichtige Wortlaut keinerlei Unklarheit, weil er eben eine Falschbezeichnung des in wahrhaft Gewollten darstellt, und lässt sich das von den Beteiligten Gewollte auf andere Weise eindeutig erkennen, ist kein Raum für die „Unklarheitsregel“.

5 Weil der Wortlaut als falsa demonstratio des übereinstimmend Gewollten seine Bedeutung für die Auslegung verloren hat, besteht auch die geltend gemachte Divergenz zum Urteil des Senats vom 20. März 2003 - BVerwG 2 C 23.02 - (a.a.O.) nicht. Mit dem von der Beschwerde genannten Satz aus diesem Urteil, dass etwaige Unklarheiten des allein von dem Träger öffentlicher Verwaltung formulierten und der klagenden Partei vorformuliert angebotenen Vertragstextes zu Lasten des Beklagten gehen, sowie der dem gegenübergestellte Aussage des Oberverwaltungsgerichts zur Bevorzugung der „zweckorientierten Auslegung gegenüber dem eindeutigen Wortlaut“ ist eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO bereits nicht dargetan. Der mitgeteilte Satz aus dem Urteil vom 20. März 2003 - BVerwG 2 C 23.02 - (a.a.O.) gilt nur für behördliche Äußerungen, bei denen wegen ihres unklaren Wortlauts ein eindeutiges, von beiden Vertragsparteien geteiltes Verständnis nicht zu ermitteln ist. Gerade so ist es aber bei der Nebenabrede zum Arbeitsvertrag des Klägers nicht. Bei ihm verhindert ein doppeldeutiger Wortlaut nicht ein zweifelsfreies Auslegungsergebnis. Vielmehr ist der Wortlaut, weil er eine falsa demonstratio des Gewollten ist, ohne jeden Belang für die Interpretation.

6 Die Beschwerde sieht zu Unrecht eine Divergenz zwischen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts einerseits sowie des Bundesgerichtshofs, des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts andererseits. Die Beschwerde trägt vor, das Berufungsgericht habe seiner Auslegung der Nebenabrede den Rechtssatz zugrunde gelegt, ein dem Schrifterfordernis unterliegender Vertrag dürfe grundsätzlich auf der Basis von außerhalb der Vertragsurkunde liegender Umstände entgegen seinem eindeutigen Wortlaut ausgelegt werden. Dem gegenüber sei der - im einzelnen bezeichneten - Rechtsprechung der genannten Obersten Bundesgerichte der Rechtssatz zu entnehmen, dass ein dem Schriftformerfordernis unterliegender Vertrag entgegen seinem (eindeutigen) Wortlaut nur dann ausgelegt werden darf, wenn sich aus dem Inhalt der Vertragsurkunde selbst zureichende Anhaltspunkte für eine abweichende Auslegung ergeben.

7 Die behauptete Divergenz besteht nicht. Der Auslegung der Nebenabrede durch das Berufungsgericht liegt nicht die Rechtsauffassung zugrunde, ein schriftlich abzuschließender Vertrag dürfe grundsätzlich auf der Basis von Umständen außerhalb der Vertragsurkunde entgegen seinem eindeutigen Wortlaut ausgelegt werden. Vielmehr lässt sich dem Berufungsurteil nur entnehmen, dass das Oberverwaltungsgericht eine derartige Auslegung dann für zulässig erachtet, wenn der Wortlaut des Vertrages als „falsa demonstratio“ erkannt worden ist. Diese Rechtsauffassung steht jedoch mit der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung in Einklang. Nach ihr gilt der von der Beschwerde angeführte Rechtssatz nicht, wenn die Parteien das von ihnen übereinstimmend Gewollte in der Vertragsurkunde unrichtig bezeichnet haben. Haben die Parteien den Vertragsgegenstand versehentlich falsch bezeichnet, übereinstimmend sich aber etwas anderes vorgestellt und gewollt, so gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof auch im Bereich formbedürftiger Rechtsgeschäfte nicht das objektiv Erklärte, sondern das Gewollte, wenn das objektiv Erklärte dem Formerfordernis genügt (BGH, Urteil vom 2. Februar 1981 - XI ZR 99/88 mit Hinweis auf die stRspr). Den von der Beschwerde genannten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts lässt sich nicht entnehmen, dass sie in diesem Punkt anderer Auffassung als der Bundesgerichtshof sind.

8 Der behauptete Verfahrensfehler in Gestalt einer Verletzung der Hinweispflicht, einer Verletzung der Aufklärungspflicht und eines Verstoßes gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs fallen dem Berufungsgericht nicht zur Last.

9 Das Berufungsgericht hat seiner Pflicht genügt, den Kläger auf die beabsichtigte Änderung im Verständnis der Nebenabrede hinzuweisen. Es hat den Kläger nicht im Unklaren darüber gelassen, dass es an seiner Auslegung der Nebenabrede, die es in dem gerichtlichen Beschluss vom 15. August 2005 mitgeteilt hatte und auf der dieser Beschluss beruht, unter bestimmten Umständen nicht festhalten würde. In dem genannten Beschluss hat es unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausgeführt, eine vom Wortlaut eines Vertrages abweichende Auslegung sei möglich, wenn sich ein dahingehender übereinstimmender Wille der Vertragspartner feststellen lasse, sowie, diejenige Vertragspartei, die sich auf einen derartigen abweichenden übereinstimmenden Willen berufe, trage für die zugrundeliegenden auslegungsrelevanten Umstände die Darlegungs- und Beweislast. Für den hier zu entscheidenden Fall hat das Oberverwaltungsgericht in dem Beschluss vom 5. August 2005 eine vom Wortlaut der Nebenabrede abweichende Auslegung abgelehnt, weil es die Beklagte an einer Darlegung habe fehlen lassen, die einen dem Wortlaut des Vertrages zuwiderlaufen übereinstimmenden Willen beider Vertragsparteien aufzeigt. Diese abweichende übereinstimmende Willens- und Interessenlage beider Vertragspartner hat die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 10. April 2006 unter wörtlicher Übernahme langer Passagen aus dem kurz zuvor ergangenen Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 7. Dezember 2005 - 5 AZR 254/05 - (AP Nr. 12 zu § 4 TzBfG) dargelegt. Angesichts des Hinweises im Beschluss vom 15. August 2005 auf die Voraussetzungen, unter denen die Nebenabrede in dem von der Beklagten befürworteten Sinn auszulegen sein würde, brauchte das Berufungsgericht nach Eintritt dieser Voraussetzungen nicht nochmals darauf hinzuweisen, dass die Nebenabrede nunmehr anders als bisher zu interpretieren ist.

10 Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht durch Übergehen der Darlegungen des Klägers in dessen Schriftsatz vom 15. Juni 2006 verletzt. In diesem Schriftsatz sowie zuvor im Schriftsatz vom 25. April 2006 hatte sich der Kläger gegen die Analyse der Willens- und Interessenlage in dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 7. Dezember 2005 - 5 AZR 254/05 - gewandt, die von der bisherigen, dem Kläger günstigen und vom Bundesverwaltungsgericht gebilligten Rechtsprechung des Berufungsgerichts und auch des Verwaltungsgerichts Oldenburg in einem Parallelverfahren abwich. Tragende Gedanken aus den Entscheidungen dieser Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die sich der Kläger in dem Schriftsatz zueigen gemacht hat, hat das Berufungsgericht auf S. 7 seines Urteils angesprochen. Auf ein mögliches bedeutsames individuelles Motiv des Klägers aus dem von diesem im Schriftsatz vom 15. Juni 2006 erwähnten „Bündel von Motiven“ ist das Berufungsgericht ferner auf S. 11 des angefochtenen Urteils eingegangen.

11 Schließlich hat das Berufungsgericht nicht den behaupteten Verstoß gegen seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts, § 86 Abs. 1 VwGO, begangen. Es war nicht gehalten, bei der Auslegung der Nebenabrede unter maßgebender Berücksichtigung des Willens und der Interessenlage der Beteiligten den Willen des Klägers durch dessen Befragung, also durch eine Maßnahme der Sachverhaltsaufklärung, zu ermitteln. Bei der Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen kommt es auf den objektiven Erklärungswert an, also darauf, wie sich die Erklärung für den Empfänger nach Treu und Glauben darstellt. Es kommt auf den im Rechtsverkehr erklärten, nicht den empirisch festgestellten inneren Willen des Erklärenden an (BGH, Urteile vom 5. Oktober 1961 - VII ZR 207/60 - BGHZ 36, 30 <33> und vom 5. Juli 1990 - IX ZR 10/90 - NJW 1990, 3206; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 66. Aufl., § 133 Rn. 9).

12 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 3 GKG.