Beschluss vom 27.09.2004 -
BVerwG 7 B 77.04ECLI:DE:BVerwG:2004:270904B7B77.04.0

Beschluss

BVerwG 7 B 77.04

  • VG Berlin - 05.02.2004 - AZ: VG 22 A 323.98

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. September 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 5. Februar 2004 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Die Kläger wenden sich gegen die Rückübertragung eines Grundstücks in Berlin-Prenzlauer Berg, das ihre Mutter mit notariellem Kaufvertrag vom 14. Juni 1935 von einem jüdischen Kaufmann aus Polen erworben hatte, an die Beigeladenen als Rechtsnachfolger des Verkäufers. Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage abgewiesen, weil die Kläger die Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlusts (§ 1 Abs. 6 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 REAO) nicht widerlegt hätten. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Kläger hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob die gerichtliche Feststellung einer anspruchsbegründenden Tatsache im Lastenausgleichsverfahren und ein bestandskräftig gewordener lastenausgleichsrechtlicher Bescheid entsprechenden Inhalts in einem nachfolgenden vermögensrechtlichen Verfahren derselben Beteiligten, in dem über eine identische Rechtsfrage zu entscheiden ist, verbindlich sind, bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, weil sie sich in einem Revisionsverfahren so nicht stellen würde. Die Frage ist nach den vom Verwaltungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die nicht mit einer erfolgreichen Verfahrensrüge angegriffen und darum für den Senat verbindlich sind, bereits dahin einzuschränken, dass es nicht um die Bindungswirkung einer gerichtlichen Feststellung geht; denn zu einer gerichtlichen Entscheidung über die Angemessenheit der Gegenleistung ist es im lastenausgleichsrechtlichen Verfahren gerade nicht gekommen, da die zuständige Behörde ihren auf Ansprüche wegen Kriegssachschäden bezogenen Ablehnungsbescheid im Lauf des gerichtlichen Verfahrens aufgehoben hat. Ebenso wenig würde sich die Frage einer Bindungswirkung des bestandskräftig gewordenen Aufhebungsbescheids stellen; das ergibt sich daraus, dass sich der Regelungsgehalt des Aufhebungsbescheids in der Beseitigung des ablehnenden Bescheids erschöpft und seine Bindungswirkung nicht weiter reicht als sein Regelungsgehalt. Infolgedessen fehlt es an einem tauglichen Anknüpfungspunkt für eine Bindungswirkung, weil die für die Aufhebung möglicherweise maßgebende Rechtsauffassung des Lastenausgleichsamts zur Angemessenheit der Gegenleistung im Aufhebungsbescheid nicht geregelt und ein dieses Merkmal regelnder lastenausgleichsrechtlicher Bescheid den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts zufolge bislang nicht ergangen ist. Damit reduziert sich die Frage der Beschwerde darauf, ob eine im Rahmen eines gerichtlichen Erörterungstermins geäußerte Rechtsauffassung, die zur Aufhebung eines lastenausgleichsrechtlichen Aufhebungsbescheids durch die Behörde geführt hat, für die Entscheidung eines nachfolgenden vermögensrechtlichen Verfahrens Bindungswirkung entfaltet. Die nur mit diesem Inhalt entscheidungserhebliche Frage ist ohne weiteres zu verneinen. Eine Bindungswirkung kann - sei es in Form einer Feststellungs- oder einer Tatbestandswirkung - allenfalls von einem Bescheid ausgehen, der eine der Bindungswirkung fähige Regelung enthält (vgl. Urteil vom 4. Juli 1986 - BVerwG 4 C 31.84 - BVerwGE 74, 315 <320>), dessen Erlass kraft Gesetzes für Folgeentscheidungen beachtlich ist (vgl. Urteil vom 17. Dezember 1982 - BVerwG 7 C 11.81 - BVerwGE 66, 315 <318 ff.>) oder dessen Feststellungen aufgrund besonderer gesetzlicher Vorschrift für nachfolgende Verfahren als verbindlich erklärt werden (vgl. Urteil vom 20. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 255.86 - BVerwGE 78, 139 <144 f.>). Keine dieser Voraussetzungen ist hier in Bezug auf die Frage der Angemessenheit der beim Kauf des Grundstücks von der Rechtsvorgängerin der Kläger erbrachten Gegenleistung erfüllt.
Die weitere Frage, ob "eine formularmäßig erteilte Antwort eines Katasteramts, die auf Anfrage eines Grundbuchamts zwecks Kostenberechnung einer einzutragenden Vormerkung erteilt wird und lediglich die Höhe des Einheitswertes als die des gemeinen Wertes eines Grundstücks angibt, ein von einem Gericht in Auftrag gegebenes umfangreiches Sachverständigengutachten der Oberfinanzdirektion zum Verkehrswert (verdrängt)", beschränkt sich auf die einzelfallbezogene Ermittlung des Verkehrswerts nach Vorschriften und Maßgaben, die für sich genommen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt sind (vgl. Urteil vom 24. Februar 1999 - BVerwG 8 C 15.98 - BVerwGE 108, 301 <306 ff.>; Urteil vom 24. August 2000 - BVerwG 7 C 85.99 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 7; Urteil vom 17. Januar 2002 - BVerwG 7 C 13.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 12). Die Ermittlung des Verkehrswerts im Einzelfall ist als Frage der konkreten Rechtsanwendung nicht von allgemeiner Bedeutung und rechtfertigt darum nicht die Zulassung der Grundsatzrevision. Davon abgesehen hat das Verwaltungsgericht in den Gründen des angegriffenen Urteils eingehend dargelegt, weshalb es die Überzeugung gewonnen hat, dass der vom preußischen Katasteramt Berlin-Nordost mit Schreiben vom 12. Juli 1935 angegebene Verkehrswert dem auf den 1. Januar 1935 festgesetzten Einheitswert des in Rede stehenden Grundstücks entspreche und diese zeitnahe Bewertung dem nach Auffassung des Verwaltungsgerichts in seinem methodischen Ansatz kaum nachvollziehbaren Verkehrswertgutachten der Oberfinanzdirektion vom 18. Dezember 1992 vorzuziehen sei. Die Beschwerde wendet sich damit in Wahrheit gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, ohne die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzulegen. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) geltend macht, hat die Verfahrensrüge schon deswegen keinen Erfolg, weil sie nicht erkennen lässt, dass das Verwaltungsgericht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen oder einen unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat.
Grundsätzliche Bedeutung verleiht der Rechtssache auch nicht die Frage, ob "ein von der beklagten Behörde in Auftrag gegebenes Gutachten gerichtlich verwertbar (ist), wenn derselbe Gutachter in einem viele Jahre später, diesmal auf gerichtliche Anordnung erstellten Gutachten von seinem früheren 'Parteigutachten' abrückt, weil ihm erst jetzt alle wesentlichen, damals fehlenden Bewertungsunterlagen zur Verfügung stehen und er deshalb zu einem anderen Ergebnis kommt". Es bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass auch ein von einer Partei vorprozessual in Auftrag gegebenes Wertermittlungsgutachten prozessual verwertbar, freilich mit der gebotenen Sorgfalt zu würdigen ist. Der in diesem Zusammenhang von der Beschwerde gerügte Verfahrensfehler ist nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise bezeichnet (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Der Beweiswürdigung des Gerichts unterliegt es auch, wenn ein Sachverständiger, der bereits vorprozessual ein Gutachten erstattet hat, auf Anordnung des Gerichts erneut ein Gutachten erstattet, das von dem früheren Gutachten abweicht. Das hat das Verwaltungsgericht nicht übersehen. Es hat allerdings im Rahmen des Vergleichs des vom Katasteramt angegebenen, mit dem Einheitswert 1935 übereinstimmenden Verkehrswerts mit den beiden Verkehrswertermittlungen der Oberfinanzdirektion festgestellt, dass nach der Vorbemerkung zu deren Wertermittlungsgutachten von 1992 gegenüber dem Wertermittlungsgutachten aus dem Jahr 1983 "keine zusätzlichen Unterlagen für die Wertermittlung zur Verfügung" standen, und demgemäß die abweichenden Bewertungen nicht auf unterschiedlichen Erkenntnisgrundlagen, sondern im Wesentlichen auf verschiedenen methodischen Ansätzen, nämlich auf differierenden Abschlägen von dem zugrunde gelegten Ertragswert 1935 beruhten. Mit den verschiedenen Wertermittlungsmethoden hat sich das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung eingehend auseinander gesetzt. Angesichts dessen liegt der Vorwurf der Beschwerde fern, dass das Verwaltungsgericht ein Wertermittlungsgutachten verwertet habe, das von seinem Urheber nicht mehr aufrechterhalten wurde. Darauf kommt es indessen nicht an. Die entsprechende Verfahrensrüge geht jedenfalls deshalb ins Leere, weil das angegriffene Urteil entscheidungstragend auf der Annahme beruht, dass der von der Rechtsvorgängerin der Kläger gezahlte Kaufpreis den Einheitswert unterschritten habe und der Erfahrungssatz, dass der Einheitswert regelmäßig die unterste Grenze des Verkehrswerts darstelle, im Streitfall nicht erschüttert sei. Aus diesem Grund hat das Verwaltungsgericht auch die Einholung eines Obergutachtens zum Verkehrswert des Grundstücks nicht verfahrensfehlerhaft unterlassen. Die in diesem Zusammenhang erhobenen Verfahrensrügen gehen daran vorbei, dass das Verwaltungsgericht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht gehindert war, bei der Bestimmung der Angemessenheit des Kaufpreises indiziell auf den Einheitswert des Grundstücks abzustellen. Die allgemeine Erfahrungstatsache, dass dieser regelmäßig die unterste Grenze des Verkehrswerts bildete, darf sich das Tatsachengericht schon dann zunutze machen, wenn die vereinbarte Gegenleistung den Einheitswert unterschritt, und nicht erst dann, wenn sich der Verkehrswert anders nicht mehr ermitteln lässt (Urteil vom 24. August 2000 a.a.O.).
Die weitere Frage, ob "die in einem Grundstückskaufvertrag vom Käufer übernommene Wertzuwachssteuer des Verkäufers erst nach ihrer vollständigen Begleichung oder bereits mit ihrer rechtsverbindlichen Übernahme eine Gegenleistung des Käufers (ist)", rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, weil sie in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich sein würde. Selbst wenn diese Steuer wegen ihrer vertraglichen Übernahme durch den Käufer als Bestandteil des Kaufpreises zu bewerten wäre, würde der vom Verwaltungsgericht mangels durchgreifender Verfahrensrügen bindend festgestellte Verkehrswert von etwa 180 500 RM immer noch um mehr als 10 % unterschritten. Er läge damit nach wie vor unter der Toleranzgrenze, bei deren Einhaltung das Verwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 17. Januar 2002 a.a.O.) die Angemessenheit des Kaufpreises annimmt. Die in diesem Zusammenhang erhobene Abweichungsrüge bleibt schon deswegen ohne Erfolg, weil das bezeichnete Urteil des Senats vom 23. Oktober 2003 - BVerwG 7 C 64.02 - (Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 22) keinen Rechtssatz zu der hier in Rede stehenden Frage aufgestellt hat. Soweit dem Beschwerdevorbringen zu entnehmen sein sollte, dass auch die Nichtberücksichtigung der Grunderwerbsteuer und der kaufvertraglichen Nebenkosten angegriffen werden soll, besteht ein Revisionszulassungsgrund schon deshalb nicht, weil das Verwaltungsgericht diese Frage in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantwortet hat (Urteil vom 17. Januar 2002 a.a.O.).
2. Nicht klärungsbedürftig sind die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen zur Bedeutung der Angabe eines Grundstückswerts gegenüber dem Grundbuchamt "im Kosteninteresse" (B IV 1 der Beschwerdebegründung) und zur Berücksichtigung im lastenausgleichsrechtlichen Verfahren getroffener Feststellungen zu außerhalb des notariell beurkundeten Kaufpreises geleisteten Zahlungen (B IV 2 der Beschwerdebegründung). Diese Fragen könnten allenfalls im Rahmen der Hilfsbegründung entscheidungserheblich sein, die das Verwaltungsgericht für den Fall vorgenommen hat, dass der Verkehrswert des Grundstücks mit 160 100 RM anzunehmen sein sollte. Gleiches gilt für die unter B VI der Beschwerdebegründung erhobenen Rügen sowie für die gegen die Hilfsbegründung erhobenen Verfahrensrügen (B IV 3 - 6 der Beschwerdebegründung). Da gegen die entscheidungstragende Hauptbegründung des Verwaltungsgerichts keine Zulassungsgründe gegeben sind, könnte die Revision selbst dann nicht zugelassen werden, wenn eine der gegen die Hilfsbegründung erhobenen Rügen erfolgreich wäre (vgl. Beschluss vom 9. März 1982 - BVerwG 7 B 40.82 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 209 m.w.N.; stRspr).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GKG i.d.F. der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1975 (BGBl I S. 3047), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 5 des Gesetzes vom 12. März 2004 (BGBl I S. 390), i.V.m. § 72 Nr. 1 GKG i.d.F. vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718).