Beschluss vom 27.06.2007 -
BVerwG 10 B 30.07ECLI:DE:BVerwG:2007:270607B10B30.07.0

Beschluss

BVerwG 10 B 30.07

  • OVG des Landes Sachsen-Anhalt - 22.03.2006 - AZ: OVG 3 L 327/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Juni 2007
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und Richter
sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck
beschlossen:

  1. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.
  2. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 22. März 2006 wird zurückgewiesen.
  3. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Dem Kläger kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

2 Die Beschwerde, die sich auf sämtliche Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO stützt, hat keinen Erfolg.

3 1. Die Rechtssache hat nicht die von der Beschwerde behauptete grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Beschwerde spricht in diesem Zusammenhang insgesamt sieben Fragenkomplexe an, die sich jeweils auf die Situation staatenloser Kurden in Syrien beziehen. Soweit diesem Vorbringen Rechtsfragen zu entnehmen sind, geht die Beschwerde nicht darauf ein, inwieweit diese Fragen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung behandelt und geklärt sind und inwiefern anlässlich des Entscheidungsfalles weiterer Klärungsbedarf besteht. Die Beschwerde macht auch nicht oder nur unzureichend ersichtlich, dass sich die angesprochenen Fragen in einem Revisionsverfahren in entscheidungserheblicher Weise stellen würden. Dies gilt bereits für die erste Frage, „inwieweit der Verfolgungsgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG identisch ist mit dem Konzept der Gruppenverfolgung“. Grundsätzlich zu klären seien „die Kriterien, unter denen eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe vorliegt“. Beide von der Beschwerde formulierten Fragen würden sich - von allem anderen abgesehen - in einem Revisionsverfahren so nicht stellen. Soweit die Beschwerde in diesem ersten Fragenkomplex sinngemäß für klärungsbedürftig hält, ob es sich bei den staatenlosen Kurden in Syrien um Zugehörige einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG handelt, wird damit keine Rechtsfrage, sondern letztlich eine Tatsachenfrage bezeichnet. Denn sie lässt sich abstrakt und losgelöst vom Einzelfall nicht ohne (eigene) Feststellung und Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse in Syrien seit der von der Beschwerde angesprochenen Sondervolkszählung im Jahre 1962 beantworten. Dies ist in einem Revisionsverfahren nicht möglich.

4 Der zweite und dritte Fragenkomplex bezieht sich auf Sachverhalte, die im Wesentlichen mit der Volkszählung 1962 zusammenhängen. So hält die Beschwerde für klärungsbedürftig, „ob es sich bei der Sondervolkszählung ... um eine asylrechtliche Maßnahme handelt, die an das asylrechtliche Merkmal der Volkszugehörigkeit knüpft“. Sie hält ferner für klärungsbedürftig, bei welchem Prozentsatz die im Rahmen der Volkszählung erfolgte „Ausbürgerung bzw. Nichtregistrierung eigener Staatsangehöriger in politische Verfolgung umschlägt“. Auch diese Fragen würden sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn das Berufungsgericht ist auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen, die von der Beschwerde nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen worden sind (vgl. dazu unten unter 3.) und das Revisionsgericht deshalb binden (§ 137 Abs. 2 VwGO), zu der Überzeugung gelangt, dass für den Kläger, ein Mitglied der Gruppe staatenloser, „nicht registrierter“ Kurden in Syrien, keine politische Verfolgungsgefahr besteht, selbst wenn die 1962 erfolgte Ausbürgerung bzw. Nichtregistrierung ein Akt politischer Verfolgung gewesen sein sollte (vgl. UA S. 11 ff. und 21 ff.).

5 Bei dem vierten Fragenkomplex hält die Beschwerde für klärungsbedürftig, ob ein Akt politischer Verfolgung, der hinsichtlich Art und Intensität der Rechtsgutbeeinträchtigung asylrelevant sei, den Charakter der politischen Verfolgung verliere, wenn der Staat „offiziell“ seine Politik ändere und im öffentlichen Raum über den Status der von der Maßnahme Betroffenen diskutiert werde, ohne dass in irgendeiner Weise eine Änderung hinsichtlich Art und Intensität der Rechtsgutbeeinträchtigung festzustellen sei. Der fünfte Komplex wirft die ähnliche Frage auf, „ob mit jedem Regierungswechsel automatisch frühere politische Verfolgung entfällt, auch wenn die Folgen früheren Unrechts nicht beseitigt werden“. Damit und mit dem weiteren Vorbringen der Beschwerde werden Rechtsfragen, die in verallgemeinerungsfähiger Weise in einem Revisionsverfahren geklärt werden könnten, nicht aufgezeigt.

6 Im sechsten Komplex macht die Beschwerde geltend, das Berufungsgericht habe den Grundsatz aufgestellt, der Nachkomme eines Ausgebürgerten bzw. Nichtregistrierten, der den Status seiner Eltern bzw. Großeltern teile, könne sich nicht auf eigene Verfolgung berufen; dies sei grundsätzlich zu klären. Damit verkürzt die Beschwerde die Argumentation des Berufungsgerichts. Im Berufungsurteil wird zwar ausgeführt, aus dem Umstand einer womöglich vormals gegenüber den Eltern bzw. Großeltern erfolgten asylrelevanten Verfolgungshandlung lasse sich für den Kläger kein eigenes Asylrecht herleiten. Das Berufungsgericht fährt dann aber - unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - fort, ein entsprechender Verfolgungswille müsse auch gegenwärtig noch bestehen (UA S. 22). Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage würde sich daher in einem Revisionsverfahren nicht stellen.

7 Der siebente Komplex zielt auf die Frage, ob die Vorenthaltung der syrischen Staatsangehörigkeit nicht deshalb als politische Verfolgung anzusehen sei, weil die Staatsangehörigkeit nach dem syrischen Staatsangehörigkeitsrecht nicht allen Kurden vorenthalten werde. Grundsätzlich zu klären sei auch, ob die Rechtspraxis in Anwendung des syrischen Staatsangehörigkeitsrechts, wonach Kurden als potenzielle Bedrohung bzw. als potenzielle Unruhestifter gelten würden und ihnen deshalb die Staatsangehörigkeit vorenthalten werden dürfe, als Verfolgung einer Minderheit zu werten sei. Damit werden wiederum keine Rechtsfragen, sondern letztlich Tatsachenfragen bezeichnet, deren Klärung den Tatsachengerichten vorbehalten ist.

8 2. Die von der Beschwerde geltend gemachte Divergenz der Berufungsentscheidung zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt nicht vor (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die Beschwerde formuliert zunächst einen Grundsatz, den das Berufungsgericht aufgestellt habe und der von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abweiche. Eine Divergenz kann schon deshalb nicht angenommen werden, weil sich der von der Beschwerde wiedergegebene Grundsatz dem Berufungsurteil nicht entnehmen lässt. Das Berufungsgericht hat zwar bei der Frage, ob das Wiedereinreiseverbot für staatenlose Kurden aus Syrien an die Ethnie anknüpfe, auch den Umstand gewürdigt, dass nicht sämtliche Kurden von diesem Verbot betroffen seien. Das Berufungsgericht hat aber darüber hinaus eine Reihe weiterer Erwägungen angestellt, um seine Überzeugung zu begründen, dass das Wiedereinreiseverbot keine politische Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG darstellt. Bei der unter Nr. 2.2 der Beschwerdebegründung behaupteten Divergenz benennt die Beschwerde keinen Rechtssatz, mit dem sich das Berufungsgericht in Widerspruch zu einem Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts gesetzt haben soll. Auch insoweit kann daher - ungeachtet anderer Bedenken - nicht von einer Divergenz ausgegangen werden.

9 3. Die von der Beschwerde behaupteten Verfahrensfehler liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Der Vorwurf der Gehörsverletzung (Art. 103 Abs. 1 GG) wegen fehlender Berücksichtigung klägerischen Vorbringens im Zusammenhang mit der Frage illegaler Zuwanderung türkischer Kurden nach Syrien vor der Volkszählung 1962 ist schon nicht schlüssig dargetan. Die Beschwerde zeigt nicht substanziiert auf, dass dieses Vorbringen nach der materiellen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts entscheidungserheblich war.

10 Der unter Nr. 3.2 und 3.3 der Beschwerdebegründung erhobene Vorwurf, das Berufungsgericht habe wesentliches Vorbringen des Klägers nicht hinreichend erwogen, trifft nicht zu. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts ist grundsätzlich - und so auch hier - davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Die Gerichte brauchen sich dabei nicht mit jedem Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Aus einem Schweigen der Urteilsgründe zu Einzelheiten des Prozessstoffs allein kann noch nicht der Schluss gezogen werden, das Gericht habe diese nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs kann daher nur dann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen der Beteiligten nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. etwa Beschluss vom 5. Februar 1999 - BVerwG 9 B 797.98 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4 unter Hinweis auf BVerfGE 96, 205 <216 f.>). Solch besondere Umstände sind im Entscheidungsfall nicht ersichtlich. Das Berufungsgericht hat sich sowohl mit der Frage der anhaltenden Arabisierungspolitik Syriens als auch - über die Frage der Rechtspraxis hinaus - mit Verlautbarungen der syrischen Regierung zur Handhabung des Staatsangehörigkeitsrechts jeweils mehrfach ausdrücklich auseinandergesetzt (UA S. 20 f. und 25 f.).

11 Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

12 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.