Beschluss vom 27.01.2004 -
BVerwG 4 B 92.03ECLI:DE:BVerwG:2004:270104B4B92.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 27.01.2004 - 4 B 92.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:270104B4B92.03.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 92.03

  • Bayerischer VGH München - 20.05.2003 - AZ: VGH 20 A 02.40015

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Januar 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. R o j a h n und
Dr. J a n n a s c h
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Mai 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 56 000 € festgesetzt.

Die auf § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Kläger beimessen.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn zu erwarten ist, dass die Entscheidung im künftigen Revisionsverfahren dazu dienen kann, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. In der Beschwerdebegründung muss deshalb eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufgeworfen und ausformuliert sowie ein Grund dafür angegeben werden, weshalb sie im Interesse der Einheit oder Fortbildung des Rechts höchstrichterlicher Klärung bedarf. Im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig kann nur eine Rechtsfrage sein, die über die konkreten Umstände des jeweiligen Streitfalls hinaus in verallgemeinerungsfähiger Weise geklärt werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>, stRspr).
Eine in diesem Sinne grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage des revisiblen Rechts wird im Teil "Sachverhalt" der Beschwerdebegründung (S. 3 bis 45) weder ausdrücklich noch sinngemäß formuliert. Die Beschwerde erschöpft sich insoweit nach Art einer Berufungsbegründung in dem Vorwurf, der Verwaltungsgerichtshof habe zur Planrechtfertigung unter Sicherheitsaspekten, zum Problem der Kapazitätserhöhung des Verkehrslandeplatzes Augsburg, zu der dem angegriffenen Planfeststellungsbeschluss zugrunde liegenden Verkehrsprognose, zur planfestgestellten Lärmschutzkonzeption und zum Sonderproblem Bestandsschutz eine falsche Entscheidung getroffen. Mit derartigen Angriffen gegen die vorinstanzliche Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung im Einzelfall kann die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache nicht dargelegt werden.
Die Beschwerde wirft im Teil "Rechtliche Ausführungen" (S. 45 bis 50) als grundsätzlich bedeutsam die Frage "des Erreichens der Schwellen hin zum Ausbau eines Flughafens/Verkehrslandeplatzes" auf, "wenn hierbei, wie im vorliegenden Fall, die Start- und Landebahn zwar unverändert bleibt, die Nebenanlagen zur Start- und Landebahn aber erheblich technisch ertüchtigt werden und das unter dem Gesichtspunkt der Belastungsfähigkeit dieser Nebenanlagen sowie weiterer, bereits aufgeführter Aspekte darauf hindeutet, dass eine verdeckte Kapazitätsaufweitung erfolgen soll". Diese Frage konkretisiert die Beschwerde dahin, "ob auch die über eine normale Bevorratungsplanung hinausgehende technische Ertüchtigung sowohl der luftseitigen wie auch der landseitigen Anlagen eine offene oder zumindest verdeckte Kapazitätserweiterung dergestalt möglich ist (richtig: ermöglicht), dass ein erheblicher Ausbau vorliegt, der der Genehmigungsbehörde aufgibt, das vollumfängliche Prüfprogramm durchzuführen, und dem Gericht ermöglicht, über die Grenzen eines möglichen Bestandsschutzes hinaus das Vorhaben einer Überprüfung innerhalb der nach gefestigter Rechtsprechung vorliegenden Grenzen zu unterziehen".
Diese Frage wäre in einem Revisionsverfahren nicht in einer über den konkreten Streitfall hinausreichenden, verallgemeinerungsfähigen Weise für eine Vielzahl von Fällen klärungsfähig. Die Fragestellung ist schon, wie ihre Formulierung zeigt, auf die besonderen Gegebenheiten des vorliegenden Falles zugeschnitten und trägt damit dem Umstand Rechnung, dass die Frage, ob eine offene oder verdeckte Kapazitätserweiterung angestrebt wird, auch nur vor dem Hintergrund der konkreten Umstände des Einzelfalles entschieden werden kann. Der Sache nach greift die Beschwerde die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs an, der beidseitige Anbau (Startabbruchstrecken) an die vorhandene Start- und Landebahn (SL-Bahn) bewirke ebenso wie die Ausweitung der Vorfelder keine bzw. nur eine sehr geringfügige und damit zu vernachlässigende Kapazitätsausweitung; der beidseitige Anbau an die SL-Bahn bedeute lediglich eine allgemeine Verbesserung der Sicherheit, führe aber nicht dazu, dass der Flugverkehr am Verkehrslandeplatz Augsburg infolge der Planfeststellung auf längeren Startlaufstrecken als bisher aufgenommen werden könne. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen zur offenen oder verdeckten Kapazitätserweiterung zielen ersichtlich darauf, die Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichtshofs einer Überprüfung durch das Revisionsgericht zu unterwerfen. Dafür ist das Revisionsverfahren jedoch nicht geschaffen.
Die Beschwerde macht ferner geltend, "soweit das Gutachten zur Verkehrsprognose wie auch das Lärmschutzgutachten der Firma A." betroffen seien, stelle sich die Frage, "wie nunmehr Prognosezeiträume anzunehmen sind und welches grundsätzliche Tatsachenmaterial einer Prognose zugrunde zu legen ist, so dass diese zumindest methodisch rechtsfehlerfrei ist". Klärungsbedürftig sei, "ob und inwieweit bereits aufgestellte und maßgebliche Kriterien hinsichtlich Prognosezeitraum und Prognosematerial jederzeit der Disposition der Planfeststellungsbehörde bzw. des den Planfeststellungsbeschluss überprüfenden Gerichts (unter)liegen kann".
Diese Frage rechtfertigt jedenfalls aus zwei Gründen nicht die Zulassung der Revision. Allgemeingültige Aussagen zur Festlegung eines Prognosezeitraums und zur näheren Bestimmung des "Prognosematerials" lassen sich nicht aufstellen. Die rechtlichen Anforderungen an eine fachplanungsrechtliche Prognose werden durch die Eigenart des geplanten Vorhabens und dessen Auswirkungen bestimmt. Die Anforderungen sind also vorhaben- bzw. projektbezogen und beurteilen sich jeweils nach den von der Fachplanung verfolgten Zielen. Das gilt auch für das Luftverkehrsrecht. Soweit die Beschwerde es für möglich hält, dass Prognosezeitraum und Prognosedaten "jederzeit der Disposition" der Planfeststellungsbehörde oder des den Planfeststellungsbeschluss überprüfenden Gerichts unterliegen könne, geht sie fehl.
Die Beschwerde legt ferner nicht dar, inwieweit die aufgeworfenen Fragen zu den Verkehrsprognosen im Hinblick auf die durch den Bescheid vom 28. April 2003 hergestellte Endfassung des Planfeststellungsbeschlusses für die planfestgestellte Lärmschutzkonzeption, um die es den Klägern vor allem geht, noch entscheidungserheblich sind. Die dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde liegenden Verkehrsprognosen sind in den Jahren 2000 und 2001 für das Prognosejahr 2010 erstellt worden. Sie konnten (naturgemäß) die im Bescheid vom 28. April 2003 enthaltenen Änderungen des Planfeststellungsbeschlusses vom 15. Februar 2002 nicht berücksichtigen. Der Verwaltungsgerichtshof gelangt nach eingehender Würdigung dieser Änderungen (Verzicht auf Baurecht für das Vorfeld V 3, die Hochbaufläche F 3 und - teilweise - das Vorfeld V 1; Begrenzung der Abflugmasse auf 50 t; Verzicht auf die Nutzung der Rollbahnen I, V und VI) zu dem Ergebnis, dass steigender Flugverkehr am Verkehrslandeplatz Augsburg im Prognosezeitraum bis 2010 (wenn überhaupt) nur in sehr geringem Umfang zu erwarten sei und weit darüber hinausgehend Lärmschutz gewährt werde; der Lärmschutz sei daher keine rechtliche Folge einer Kapazitätsausweitung in Verbindung mit einer Aufkommensprognose, sondern werde zu Recht als "Sanierung" (Beklagter) bzw. als "ungeschuldet" (Beigeladene) bezeichnet. Ein Eingehen auf eine von den Klägern geforderte weitere Verbesserung des Lärmschutzniveaus bedürfe es bei diesen Vorgaben der jetzigen Planfeststellung nicht (Urteilsabschrift S. 47, 52).
Vor dem Hintergrund dieser tragenden Urteilsgründe hätte die Entscheidungserheblichkeit der zur Verkehrsprognose erhobenen Grundsatzrüge näher dargelegt werden müssen. Daran lässt es die Beschwerde fehlen. Der Vorwurf, der Prognosezeitraum bis zum Jahr 2010 sei zu kurz bemessen, lässt keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf erkennen und trägt im Übrigen dem Ablauf des Planfeststellungsverfahrens im vorliegenden Fall nicht hinreichend Rechnung. Soweit die Grundsatzrüge auf der Vorstellung beruht, der Planfeststellungsbeschluss ermögliche eine verdeckte Kapazitätserhöhung des Verkehrslandeplatzes Augsburg, geht sie von einem Sachverhalt aus, den der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt hat und der in einem Revisionsverfahren mangels zulässiger und begründeter Verfahrensrügen auch nicht zugrunde gelegt werden könnte.
2. Die erhobenen Aufklärungsrügen (§ 86 Abs. 1 VwGO) sind unzulässig. Sie genügen nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Die Rüge der Verletzung der Amtsermittlungspflicht im vorinstanzlichen Verfahren setzt voraus, dass unter Auseinandersetzung mit dem Prozessgeschehen und den das angefochtene Urteil tragenden Gründen schlüssig aufgezeigt wird, welche konkreten Sachverhaltsermittlungen sich dem Tatsachengericht in Bezug auf welche entscheidungserheblichen Tatsachen, mit welchen Beweismitteln und welchem für die Beschwerdeführer günstigen Beweisergebnis noch hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328). An diesem Vorbringen lässt die Beschwerde es hinsichtlich jeder der erhobenen Aufklärungsrügen fehlen. Das Beschwerdevorbringen gibt dem Senat lediglich Anlass zu den folgenden Ausführungen:
Dem Verwaltungsgerichtshof erscheint nach einer eingehenden Würdigung des Planfeststellungsbeschlusses in der Fassung des Bescheides vom 28. April 2003 als gesichert, dass der Flugverkehr am Verkehrslandeplatz Augsburg infolge der Planfeststellung nicht auf längeren Startlaufstrecken als bisher aufgenommen werden kann und dass der beidseitige Anbau an die bisher vorhandene SL-Bahn lediglich eine allgemeine Verbesserung der Sicherheit bedeutet (Urteilsabschrift S. 42, 48). Die Rüge der Beschwerde, die Vorinstanz hätte aufklären müssen, worin der eigentliche Sicherheitsgewinn bestehen solle, ist unschlüssig, da der Sicherheitsgewinn durch verlängerte Startabbruchstrecken an beiden Enden der vorhandenen SL-Bahn auf der Hand liegt und keiner näheren Begründung bedarf. Im Übrigen zeigt die Beschwerde nicht auf, in welcher Hinsicht die vermisste Aufklärung auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs, die technische Kapazität des Verkehrslandeplatzes werde allenfalls (wenn überhaupt) nur geringfügig und deshalb in nicht erheblicher Weise erhöht, entscheidungserheblich sein könnte.
Die Beschwerde macht weiter geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe die Frage nach dem Vorliegen einer verdeckten Kapazitätserhöhung nicht ausreichend aufgeklärt. Sie legt aber nicht dar, aus welchen Gründen die Vorinstanz auf der Grundlage ihrer eingehenden Würdigung des Bescheides vom 28. April 2003 (einschließlich der vorausgegangenen Erklärungen des Beklagten) und dessen Auswirkungen auf den künftigen Flugverkehr noch weiteren Aufklärungsbedarf hätte sehen müssen. Die Beschwerde übersieht in diesem Zusammenhang auch die vorinstanzlichen Ausführungen zur Zulässigkeit einer Abschnittsbildung und eines künftigen Ausbaus der SL-Bahn, der jedoch gegenwärtig nur als "bloße Option" zu verstehen und nicht illegitim sei; die Umsetzung dieser Option bedürfe eines neuen Planfeststellungsverfahrens (Urteilsabschrift S. 42 f.). Die inhaltliche Kritik, die die Beschwerde an der vorinstanzlichen Sachverhaltswürdigung übt, ist nicht geeignet, einen Aufklärungsmangel im Sinne von § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO oder eine Verletzung der Grundsätze richterlicher Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO darzulegen.
Die Rüge, der Verwaltungsgerichtshof habe hinsichtlich der dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde liegenden Verkehrsprognosen die gebotene Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) unterlassen, ist unschlüssig, weil sie nicht aufzeigt, dass der Verwaltungsgerichtshof auf Grund seiner Sachverhaltswürdigung (keine längeren Startlaufstrecken, Verzicht auf die Rollbahnen I, V und VI, Beschränkung auf eine Höchstabflugmasse von 50 t) noch Anlass zu der von den Klägern vermissten Sachaufklärung hatte.
Die Beschwerde rügt ferner, der Verwaltungsgerichtshof habe bei der Würdigung des von der Firma A. vorgelegten Lärmschutzgutachtens die notwendige Sachverhaltsaufklärung vermissen lassen. Zur Begründung verweist die Beschwerde darauf, dass entgegen der Auffassung der Vorinstanz von einer verdeckten Kapazitätserweiterung - von einem "Ausbau des Flughafens" - auszugehen sei und dass sich deshalb die Frage nach der methodischen Richtigkeit des Gutachtens stelle. Die Beschwerde räumt damit selbst ein, dass der Verwaltungsgerichtshof auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung, es finde keine verdeckte Kapazitätserhöhung statt, auch keinen Anlass zu einer weiteren Auseinandersetzung mit dem genannten Lärmschutzgutachten hatte. Die Aufklärungsrüge ist daher unschlüssig (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
Soweit die Beschwerde schließlich rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe nicht aufgeklärt, inwieweit der Verkehrslandeplatz Augsburg "tatsächlich" Bestandsschutz genieße und in welchem Umfang Bestandsschutz zu Gunsten der Beigeladenen anzunehmen sein sollte, wirft die Beschwerde die Rechtsfrage nach der rechtlichen Tragweite früherer Genehmigungen zur Anlage und zum Betrieb des Verkehrslandeplatzes Augsburg (-Mühlhausen) auf. Die zum "Sonderproblem Bestandsschutz" erhobene Aufklärungsrüge kann nicht auf § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO gestützt werden. Der Untersuchungsgrundsatz im Sinne dieser Vorschrift gilt nur für die Ermittlung und Bewertung von Tatsachen einschließlich der Ergebnisse der vom Gericht erhobenen Beweise in tatsächlicher Hinsicht. Die "Aufklärungsrüge" der Beschwerde betrifft die Feststellung und Auslegung des anwendbaren Rechts (Genehmigungsbescheide) und ist einer Aufklärung mit den Mitteln der Sachverhaltserforschung nicht zugänglich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 und § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Der beschließende Senat folgt der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichtshofs. Danach entfallen auf jeden Kläger 8 000 €.