Beschluss vom 26.11.2004 -
BVerwG 5 B 33.04ECLI:DE:BVerwG:2004:261104B5B33.04.0

Beschluss

BVerwG 5 B 33.04

  • Hamburgisches OVG - 22.12.2003 - AZ: OVG 4 Bf 82/99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. November 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und Dr. R o t h k e g e l
beschlossen:

  1. Der Beschluss des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. Dezember 2003 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Hamburgische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Die Beschwerde der Klägerin auf Zulassung der Revision ist dahin begründet, dass der angefochtene Beschluss, mit dem die Berufung verworfen worden ist, aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen wird (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 133 Abs. 6 VwGO).
Die Klägerin rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht ihr Wiedereinsetzung hätte gewähren müssen und folglich ihre Berufung nicht hätte verwerfen dürfen. Verfahrensfehlerhaft hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin mit der Begründung als unzulässig verworfen, ihr könne nicht Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Berufung gewährt werden. Es hielt der Klägerin als zurechenbares Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten vor, diese sei mit ihrer Büroorganisation den Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts nicht gerecht geworden.
Nach der Büroorganisation der Prozessbevollmächtigten der Klägerin war es Aufgabe der Rechtsanwaltsfachangestellten S., "die eingehende Post mit einem Eingangsstempel zu versehen und laufende Fristen zu notieren". In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Rechtsanwalt die Notierung von Fristen in Rechtsmittelsachen, die in seiner Praxis häufig vorkommen und deren Berechnung keine Schwierigkeiten macht, nicht selbst ausführen muss, sondern gut ausgebildeten und sorgfältig beaufsichtigten Büroangestellten überlassen darf (BVerwG, Beschluss vom 7. März 1995 - BVerwG 9 C 390.94 - <Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 194 = NJW 1995, 2122>; BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 - VIII ZB 115.02 - <NJW 2003, 1815>). Der Senat geht davon aus, dass Berufungsfristen in Verwaltungsstreitsachen zu den üblichen Fristen gehören, wie sie im Büro der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorkommen. Zwar passt dazu nicht recht die von der Rechtsanwaltsfachangestellten S. geäußerte und von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin wiederholte Vermutung dafür, weshalb es möglicherweise zu dem Fehler gekommen sei, aber der Senat vertraut der anwaltlichen Versicherung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, dass die Frist, wie sie vorliegend einzuhalten war, zu den üblichen Fristen gehört, wie sie in ihrem Büro vorkommen.
Gehört die Notierung der Berufungsbegründungsfristen in Verwaltungsstreitsachen zu den Aufgaben der Rechtsanwaltsfachangestellten S., so bleibt nach dem Vortrag der Prozessbevollmächtigten der Klägerin allerdings offen, wann sie nach der Büroorganisation die Fristen zu notieren hatte. Dafür kommen nur zwei Möglichkeiten in Betracht: entweder unmittelbar vor oder unmittelbar nach der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses. Weder im ersten noch im zweiten Fall kann aber der Eintritt der vorliegenden Fristversäumung auf einen Mangel der Büroorganisation zurückgeführt werden.
Sind nach der Büroorganisation der Prozessbevollmächtigten der Klägerin Fristen unmittelbar vor der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses zu notieren, so kann der Rechtsanwalt bei der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses im Regelfall - also dann, wenn keine Besonderheiten vorliegen (zu einer Besonderheit vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2003 - V ZR 422.02 - <FamRZ 2003, 1091 = MDR 2003, 708 = NJW 2003, 1528>) - davon ausgehen, dass die im Schriftstück genannten Fristen bereits notiert sind. Bei diesem Verfahren ist zwar nicht ausgeschlossen, dass der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis erst an einem späteren Tag unterschreibt und damit das Schriftstück erst an diesem späteren Tag als zugestellt annimmt (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 1991 - VII ZB 4.91 - <NJW 1992, 574>). Das steht aber einer effektiven Fristenkontrolle, die bei der Notierung der Frist von einem früheren Eingang ausgeht, nicht entgegen. Zwar belegt, worauf das Berufungsgericht zu Recht hingewiesen hat, der Eingangsstempel, wie ihn eingehende Post im Büro der Prozessbevollmächtigten der Klägerin erhält, nicht die Zustellung eines Schriftstückes. Aber einem Rechtsanwalt bleibt es unbenommen, Fristen in eingehenden Schriftstücken bereits beginnend mit dem Datum des Eingangsstempels notieren zu lassen. Denn dieses Datum liegt zwar möglicherweise vor, nie aber nach dem Datum der durch das Empfangsbekenntnis ausgewiesenen Zustellung, so dass dadurch die Einhaltung der Frist nicht gefährdet ist.
Sind nach der Büroorganisation der Prozessbevollmächtigten der Klägerin Fristen hingegen unmittelbar nach der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses zu notieren, so darf der Rechtsanwalt bei der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses im Regelfall - also dann, wenn keine Besonderheiten vorliegen - davon ausgehen, dass die im Schriftstück genannten Fristen unmittelbar anschließend notiert werden. Besondere Einzelweisungen zur Fristennotierung (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 10. Oktober 1991 - VII ZB 4.91 - <NJW 1992, 574>, vom 5. November 2002 - VI ZR 399.01 - <NJW 2003, 435> und vom 4. November 2003 - VI ZB 50.03 - <NJW 2004, 688>) sind nur dort erforderlich, wo die Notierung der Fristen nicht, wie im hier vorliegenden Fall, generell einer bestimmten Büroangestellten als Aufgabe zugewiesen sind.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hatte auch keinen Anlass, im konkreten Fall daran zu zweifeln, dass die Frist, wie sonst auch, richtig notiert sei.