Beschluss vom 26.10.2016 -
BVerwG 3 PKH 6.16ECLI:DE:BVerwG:2016:261016B3PKH6.16.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 26.10.2016 - 3 PKH 6.16 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:261016B3PKH6.16.0]

Beschluss

BVerwG 3 PKH 6.16

  • VG Hannover - 28.10.2014 - AZ: VG 15 A 9071/14
  • OVG Lüneburg - 18.04.2016 - AZ: OVG 12 LB 178/15

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Oktober 2016
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Rothfuß
beschlossen:

Der Antrag der Klägerin, ihr Prozesskostenhilfe für die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. April 2016 zu gewähren und ihr Rechtsanwalt S. beizuordnen, wird abgelehnt.

Gründe

1 Der Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. April 2016 bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin lässt sich nicht entnehmen, dass einer der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt, die in der Beschwerde alle geltend gemacht werden.

2 Die Klägerin wendet sich gegen die auf § 11 Abs. 8 FeV gestützte Entziehung ihrer Fahrerlaubnis vom 17. April 2014, die der Beklagte unter Anordnung des Sofortvollzugs verfügte, nachdem sie seiner Aufforderung vom 19. März 2014 nicht gefolgt war, das Gutachten eines Arztes einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Klärung der Fragen vorzulegen:
"a) Liegt bei der Untersuchten eine Gesundheitsstörung/Krankheit aus dem Bereich der Psychosen vor, welche die Fähigkeit zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen einschränkt oder aufhebt?"
und
b) Ist die Fähigkeit der Untersuchten zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen aufgrund der aktenkundigen Gesundheitsstörungen bzw. psychosomatischen Beschwerden, die u.a. zur Haft- und Reiseunfähigkeit führten - hier die depressive Episode bzw. tiefe depressive Stimmungslage mit Angst- und Panikattacken, Herzrhythmusstörungen, Hypertonie, Schwindelerscheinungen, akute und posttraumatische Belastungsstörung, ggf. beginnende posttraumatisch bedingte Persönlichkeitsveränderung - eingeschränkt oder aufgehoben? (Vgl. Atteste von Dr. Sch. vom 24. Januar 2012, 26. Februar 2013 und 29. Juli 2013, Bericht vom Psychologen B. vom 6. November 2012).

3 Das Verwaltungsgericht hat diesen Bescheid mit der Begründung aufgehoben, dass die Beibringungsanordnung nicht die erforderliche Einschränkung der Gutachtenfrage aufweise und hinsichtlich der Frage b) nicht anlassbezogen und unverhältnismäßig sei. Dieses Urteil hat das Oberverwaltungsgericht auf die Berufung des Beklagten geändert und die Klage abgewiesen. Die Anordnung des Beklagten vom 19. März 2014 habe den rechtlichen Anforderungen genügt, so dass der Klägerin ihre Fahrerlaubnis auf der Grundlage von § 11 Abs. 8 FeV habe entzogen werden dürfen. Die dort unter a) aufgeführte gutachterlich zu klärende Frage sei hinreichend eingegrenzt. Die erforderliche Konkretisierung einer solchen Frage hänge von den Umständen des Einzelfalls ab. Welche Form der Psychose bei der Klägerin vorliegen könnte, habe sich nicht ohne Weiteres ergeben, so dass eine weitere Eingrenzung der Gutachtenfrage hier nicht geboten gewesen sei. Die unter b) angeführte Fragestellung sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Aus den dargelegten Umständen ergäben sich Anhaltspunkte für Gesundheitsstörungen bzw. psychosomatische Beschwerden in Form von Angst- und Panikattacken, Herzrhythmusstörungen, Hypertonie, Schwindelerscheinungen, eine akute und posttraumatische Belastungsstörung sowie für eine posttraumatisch bedingte Persönlichkeitsveränderung. Die attestierte depressive Stimmungslage mit Angst-und Panikattacken bzw. die teilweise angegebene posttraumatische Belastungsstörung sowie die posttraumatisch bedingte Persönlichkeitsveränderung böten hinreichend Anlass, die Fahreignung der Klägerin durch Anordnung einer ärztlichen Begutachtung weiter aufzuklären. Ihre Erkrankung sei von derartigem Gewicht, dass ärztlicherseits eine Verhandlungs-, Reise- und Haftunfähigkeit bescheinigt worden sei.

4 1. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, dass der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zukommt.

5 In der Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 12) wird hierzu geltend gemacht, es sei von grundsätzlicher Bedeutung,
"ob in Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht der Klägerin und den damit verbundenen Eingriff in Grundrechte der Klägerin eine so begründete Gutachtenanordnung in formeller Hinsicht den oben aufgezeigten Darlegungserfordernissen des § 11 Abs. 8 FeV gerecht wird und den materiell-rechtlichen Anforderungen genügt, wonach Tatsachen die Annahme einer psychischen Krankheit im Sinne einer Psychose begründen müssen."

6 Von grundsätzlicher Bedeutung sei außerdem (Beschwerdebegründung S. 13),
"ob und inwieweit nicht konkrete Anknüpfungstatsachen jenseits von Verweise auf den Bericht eines Hausbesuches anlässlich eines Betreuungsverfahrens des Amtsgerichtes Nienburg, der letztlich erfolglos verlief oder aber Auffälligkeiten bei Anzeigeerstattungen bei der Polizei benannt werden müssen, um die Anordnung eines Gutachtens zu rechtfertigen."

7 Diese Fragestellungen und - noch deutlicher - die Erläuterungen dazu, weswegen diese Fragen zu klären sein sollen, verfehlen die Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, weil sie auf die konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalls abstellen und sich darauf richten, ob unter diesen Umständen hier die Anforderungen von § 11 Abs. 2 und 6 FeV erfüllt waren. Eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage des revisiblen Rechts, die einer fallübergreifenden revisionsgerichtlichen Klärung zugänglich wäre und auch bedürfte, wird in der Beschwerde hingegen nicht herausgearbeitet (vgl. zu den Darlegungsanforderungen in solchen Fällen auch BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 2015 - 3 B 16.14 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2015:​050215B3B16.14.0] - Buchholz 442.10 § 2 StVG Nr. 21).

8 Ebenso wenig rechtfertigt die in der Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 14) außerdem angeführte Frage,
"ob und inwieweit ein Betroffener einer Gutachtensanordnung, die eine - wenn auch nur teilweise - fehlerhafte Fragestellung enthält, Folge leisten muss",
die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist seit langem geklärt, dass die Fahrerlaubnisbehörde wegen der Nichtvorlage eines von der Fahrerlaubnisbehörde angeforderten Gutachtens nur dann gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die fehlende Kraftfahreignung des Betroffenen schließen darf, wenn die Anforderung selbst rechtmäßig erfolgt ist (stRspr; vgl. u.a BVerwG, Beschluss vom 21. Mai 2012 - 3 B 65.11 - Buchholz 442.10 § 65 StVG Nr. 2 Rn. 7; Urteile vom 28. April 2010 - 3 C 2.10 - BVerwGE 137, 10 Rn. 14, vom 5. Juli 2001 - 3 C 13.01 - Buchholz 442.16 § 15b StVZO Nr. 29 S. 3 und vom 9. Juni 2005 - 3 C 25.04 - Buchholz 442.10 § 2 StVG Nr. 12 S. 13 f. jeweils m.w.N.). Die von der Klägerin aufgeworfene (Anschluss)Frage, wie es sich bei einer teilweise fehlerhaften Fragestellung in der Gutachtenanforderung verhalten würde, ist auf der Grundlage des Urteils des Berufungsgerichts jedoch nicht entscheidungserheblich, denn es hat eine auch nur teilweise fehlerhafte Fragestellung verneint. Ein grundsätzlicher Klärungsbedarf setzt voraus, dass die Rechtsfrage selbst - so wie sie entschieden worden ist - von grundsätzlicher Bedeutung ist und nicht erst die Rechtsfrage, die sich stellen würde, wenn die Rechtssache anders entschieden worden wäre (BVerwG, Beschlüsse vom 29. Juni 1992 - 3 B 102.91 - Buchholz 418.04 Heilpraktiker Nr. 17 S. 6 und vom 7. Oktober 2009 - 9 B 24.09 - juris Rn. 6).

9 2. Der Beschwerdebegründung kann nicht entnommen werden, dass das Urteil des Oberverwaltungsgerichts von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines der anderen in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte abweicht.

10 Die Beschwerdebegründung zitiert zwar abstrakte Rechtssätze aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu der Frage, wann aus der Nichtvorlage eines Gutachtens auf die Nichteignung eines Fahrerlaubnisbewerbers oder Fahrerlaubnisinhabers geschlossen werden darf, insbesondere, dass das nur dann der Fall ist, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (so u.a. BVerwG, Urteile vom 5. Juli 2001 - 3 C 13.01 - Buchholz 442.16 § 15b StVZO Nr. 29 S. 3 und vom 9. Juni 2005 - 3 C 25.04 - Buchholz 442.10 § 2 StVG Nr. 12 S. 13 f., jeweils m.w.N.). Die Beschwerde benennt jedoch - anders als das für die Darlegung von Divergenz außerdem erforderlich wäre (vgl. zu dieser Anforderung an die Begründung einer Divergenzrüge u.a. BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 1988 - 1 B 44.88 - Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr. 32 S. 5) - keinen vom Berufungsgericht aufgestellten abstrakten Rechtssatz, der im Widerspruch zu diesen Rechtssätzen steht. Vielmehr liegt es so, dass das Berufungsgericht die von der Klägerin angeführte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts selbst in Bezug nimmt (vgl. UA S. 7) und sie seiner Entscheidung zugrunde legt.

11 In Wirklichkeit wird hier von der Klägerin in der äußeren Form einer Abweichungsrüge Kritik an der Rechtsanwendung des Berufungsgerichts in ihrem Fall geübt. Die - vermeintlich - unrichtige Rechtsanwendung eines vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten und vom Berufungsgericht nicht in Frage gestellten Rechtsgrundsatzes auf den zu entscheidenden Einzelfall ist aber keine Abweichung i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (stRspr, vgl. u.a. BVerwG, Beschluss vom 29. Juni 1992 - BVerwG 3 B 102.91 - Buchholz 418.04 Heilpraktiker Nr. 17), sondern ein - hier aus Sicht der Klägerin bestehender - Subsumtionsfehler, der für sich genommen nicht zur Zulassung der Revision wegen Divergenz führen kann.

12 Nichts anders ergibt sich, soweit die Beschwerde auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 1993 - 1 BvR 689/92 -BVerfGE 89, 69 ff.) Bezug nimmt. Auch insoweit beschränkt sich die Beschwerdebegründung auf den Vorwurf, dass die Beibringungsanordnung bzw. die tatrichterlichen Wertungen im konkreten Fall den vom Bundesverfassungsgericht gestellten Anforderungen nicht genügten (Beschwerdebegründung S. 23 f.).

13 3. Schließlich ergibt sich aus der Beschwerdebegründung kein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

14 Um eine Revisionszulassung auf der Grundlage von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO erreichen zu können, wäre in der Beschwerde ein dem Berufungsgericht unterlaufener und zudem entscheidungserheblicher Verfahrensfehler darzulegen, also - mit anderen Worten - ein Fehler des Berufungsgerichts bei der Anwendung von den äußeren Ablauf des gerichtlichen Verfahrens regelnden Vorschriften des Verwaltungsprozessrechts (vgl. allgemein zum Begriff des Verfahrensmangels im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO: Kuhlmann, in: Wysk, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl. 2016, § 132 Rn. 34 m.w.N.). In der Beschwerdebegründung wird geltend gemacht, die Fahrerlaubnisbehörde habe die gebotene weitere Sachaufklärung durch eigene Ermittlungen unterlassen und ebenso die Prüfung, ob der Sachverhalt vor der Anforderung eines Gutachtens nicht zunächst noch durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen hätte aufgeklärt werden müssen (Beschwerdebegründung S. 18). Gerügt wird damit eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch die Verwaltungsbehörde, nicht hingegen ein Verfahrensfehler des Berufungsgerichts. Nicht dargelegt und nicht erkennbar ist außerdem, warum sich dem Berufungsgericht ausgehend von seiner materiellen Rechtsauffassung eine weitere Aufklärung des Sachverhalts hätte aufdrängen sollen. Selbst wenn man die entsprechenden Ausführungen in der Beschwerdebegründung so verstünde, dass damit (auch) dem Oberverwaltungsgericht vorgehalten werden soll, es habe die rechtlichen Anforderungen an eine Aufforderung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens nicht beachtet, wäre damit kein Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO dargetan, sondern die - vermeintlich - fehlerhafte Anwendung materiellen Rechts durch das Gericht, hier der in § 11 Abs. 6 und 8 FeV geregelten Anforderungen an die Aufforderung zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens.

15 Von einer weitergehenden Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).