Beschluss vom 26.09.2006 -
BVerwG 3 B 20.06ECLI:DE:BVerwG:2006:260906B3B20.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 26.09.2006 - 3 B 20.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:260906B3B20.06.0]

Beschluss

BVerwG 3 B 20.06

  • VG Magdeburg - 22.11.2005 - AZ: VG 5 A 298/05 MD

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. September 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick und Dr. Dette
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 22. November 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Mit Rehabilitierungsbescheid vom 31. Juli 2000 wurde festgestellt, dass der Kläger Verfolgter im Sinne des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes (BerRehaG) sei und Ausschließungsgründe gegenwärtig nicht vorlägen. Mit Teilrücknahmebescheid vom 14. Juli 2005 nahm der Beklagte diesen Bescheid teilweise zurück, da sich herausgestellt habe, dass der Kläger entgegen seinen Angaben in seinem Antrag vom 21. November 1995 als inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit für die Staatssicherheit tätig gewesen sei. Inzwischen lägen von der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) eine handschriftliche Verpflichtungserklärung sowie 89 Treffberichte und 38 Berichte der Führungsoffiziere vor, die nach Angaben des Klägers gefertigt worden seien. Dazu habe der Kläger fünf handschriftliche Berichte abgegeben, die er mit seinem Decknamen „H. S.“ unterzeichnet habe. Für die Berichte habe er finanzielle Vorteile in Höhe von nachweislich ca. 650 M erlangt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, da die Rehabilitierungsbehörde zu Recht festgestellt habe, dass Ausschließungsgründe nach § 4 BerRehaG vorlägen und der ursprüngliche Rehabilitierungsbescheid daher habe zurückgenommen werden müssen.

2 Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO liegen sämtlich nicht vor.

3 1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die von der Beschwerde sinngemäß aufgeworfene Frage, ob und inwieweit ein lediglich als Entwurf vorhandener, tatsächlich nicht erlassener Bescheid Gegenstand einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung sein kann, bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, da sie sich im vorliegenden Verfahren nicht stellt. Der Beklagte hat unter dem 14. Juli 2005 den hier streitgegenständlichen Bescheid erlassen. Die dem Kläger zunächst zugestellte Ausfertigung dieses Bescheides enthielt zwar in der Begründung wohl aufgrund eines technischen Fehlers beim Ausdruck zusätzlich Textteile einer anderen Datei. Ob und inwieweit dieser Umstand den Verwaltungsakt fehlerhaft gemacht hat, kann jedoch dahinstehen, da ein etwaiger Fehler entsprechend § 45 VwVfG geheilt wurde. In dem Schreiben des Beklagten vom 31. August 2005 wurde eine mit Absendungsvermerk versehene „Kopie einer Zweitschrift aus der Behördenakte“ - und nicht etwa wie der Klägervertreter behauptet „Entwurf einer Neubescheidung“ - an den Vertreter des Klägers übermittelt und ausdrücklich betont, der ergangene Teilrücknahmebescheid bleibe vollinhaltlich aufrechterhalten. Damit besteht entgegen der Ansicht des Klägers kein Raum für Zweifel an dem Erlass des durch das Verwaltungsgericht als streitbefangen angenommenen Verwaltungsaktes vom 14. Juli 2005 mit der Begründung, wie sie dem Kläger mit Schreiben vom 31. August 2005 mitgeteilt wurde.

4 2. Dementsprechend liegt auch der mit der gleichen Stoßrichtung geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht vor. Die Beschwerde hält dem Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang einen Verstoß gegen den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör vor. Zwar ist das Verwaltungsgericht auf den Vortrag zu den Widersprüchen in der Begründung des angegriffenen Bescheides im angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich eingegangen. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, es habe ihn nicht zur Kenntnis genommen. Vielmehr war aus dem in den Verwaltungsakten befindlichen und dem Kläger in Kopie zugeleiteten Exemplar des angefochtenen Bescheides ohne weiteres ersichtlich, dass die in der Ausfertigung des Klägers versehentlich enthaltenen unrichtigen Tatsachenbehauptungen bei der Entscheidung keine Rolle gespielt hatten. Dies war so offensichtlich, dass es dazu im Urteil keiner Ausführungen bedurfte.

5 3. Die Voraussetzungen einer Divergenzrevision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sind ebenfalls nicht gegeben. Eine die Revision eröffnende Divergenz liegt nur vor, wenn die Vorinstanz in der angefochtenen Entscheidung eine Rechtsauffassung vertritt, die einem bestimmten, vom Bundesverwaltungsgericht, dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder dem Bundesverfassungsgericht aufgestellten Rechtssatz widerspricht. Eine derartige Abweichung wird in der Beschwerdeschrift nicht aufgezeigt.

6 Die Beschwerde meint, das angefochtene Urteil weiche von der Entscheidung des Senats vom 8. März 2002 - BVerwG 3 C 23.01 - (BVerwGE 116, 100 = Buchholz 428.8 § 4 BerRehaG Nr. 1) ab. Dort sei ausgesprochen, dass eine Verletzung der Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit in subjektiver Hinsicht ein zurechenbares, vorwerfbares - mithin schuldhaftes - Verhalten voraussetze; daran fehle es, wenn eine IM-Tätigkeit unfreiwillig erfolgt sei. Die Freiwilligkeit sei nach dieser Entscheidung zu verneinen, wenn die Spitzeltätigkeit unter Zwang aufgenommen und fortgesetzt worden sei. Demgegenüber habe das Verwaltungsgericht ausgeführt, es könne nicht festgestellt werden, dass sich der Kläger in einer außergewöhnlichen Notlage befunden und etwa die IM-Tätigkeit unfreiwillig vorgenommen habe. Dabei habe das Gericht den Begriff der Freiwilligkeit in Abweichung zum Bundesverwaltungsgericht aufgestellt. Es sei schon widersprüchlich, dass es einen Zwang bei der Abgabe der Verpflichtungserklärung verneine, dann aber einräume, dass die Erklärung in der Untersuchungshaft abgegeben worden sei. Insgesamt habe das Gericht die Situation des Klägers in der DDR und den Charakter seiner Tätigkeit für die Staatssicherheit völlig verkannt. Wie vor diesem - von der Beschwerde im Einzelnen beschriebenen - Hintergrund eine Zwangslage verneint werden könne, sei im Hinblick auf die höchstrichterliche Definition nicht nachvollziehbar.

7 Dieser Vortrag ist nicht geeignet, eine Divergenz zwischen dem angefochtenen Urteil und dem Urteil des Senats vom 8. März 2002 darzutun. Teilweise geht er von falschen Voraussetzungen aus. Das Verwaltungsgericht hat eine Zwangslage des Klägers bei Abgabe der Verpflichtungserklärung keineswegs verneint. Es hat ihm vielmehr zur Last gelegt, dass er später über viele Jahre an der Stasi-Tätigkeit festgehalten habe, obwohl eine entsprechende Zwangssituation nicht mehr bestanden habe. Zu diesem Ergebnis ist die Vorinstanz in Würdigung der von ihr festgestellten Tatsachen gelangt. Einen abstrakten Rechtssatz, der in Widerspruch zum Urteil des Senats stehen könnte, hat es in diesem Zusammenhang nicht aufgestellt. Er wird auch von der Beschwerde nicht aufgezeigt. Sie hält vielmehr die Wertung des Verhaltens des Klägers durch das Verwaltungsgericht für falsch. Das begründet keine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.

8 Die Beschwerde sieht weiterhin eine Divergenz zwischen den beiden Urteilen darin, dass das Verwaltungsgericht eine Eignung der Zusammenarbeit mit dem MfS zur Drittschädigung habe ausreichen lassen, während das Bundesverwaltungsgericht den Nachweis einer Drittschädigung bzw. eine (bedingte) Drittschädigungsabsicht als notwendig angesehen habe. Da eine solche Drittschädigungsabsicht beim Kläger nicht festgestellt werden könne, seien die Voraussetzungen des § 4 BerRehaG nicht gegeben. Auch diese Divergenz liegt nicht vor. In dem von der Beschwerde angezogenen Urteil vom 8. März 2002 hat der Senat ausdrücklich offengelassen, inwieweit ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit den Nachweis einer Drittschädigung bzw. einer (bedingten) Drittschädigungsabsicht voraussetzt (a.a.O. S. 101). Darüber hinaus hat der Senat jüngst in Anwendung der gleichlautenden Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 2 HHG entschieden, dass die Eignung der Tätigkeit für das MfS, Dritte einer Verfolgung auszusetzen, zur Bejahung des Rechtsstaatsverstoßes ausreicht (vgl. Urteil vom 19. Januar 2006 - BVerwG 3 C 11.05 ZOV 2006, 178), so dass auch eine Zulassung der Revision wegen der Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ausscheidet.

9 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.