Beschluss vom 26.09.2003 -
BVerwG 2 WDB 3.03ECLI:DE:BVerwG:2003:260903B2WDB3.03.0

Leitsätze:

Die Berufung kann nach § 115 Abs. 1 Satz 1 WDO auch schon vor Zustellung des verkündeten Urteils eingelegt werden.

Beschluss des 2. Wehrdienstsenats vom 26. September 2003 - BVerwG 2 WDB 3.03 

  • Rechtsquellen
    WDO § 115 Abs. 1 Satz 1

  • Truppendienstgericht Süd - 05.09.2003 - AZ: S 10 VL 7/03 -

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 26.09.2003 - 2 WDB 3.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:260903B2WDB3.03.0]

Beschluss

BVerwG 2 WDB 3.03

  • Truppendienstgericht Süd - 05.09.2003 - AZ: S 10 VL 7/03 -

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. H. Müller
am 26. September 2003
b e s c h l o s s e n :

  1. Auf die Beschwerde des Soldaten wird der Beschluss des Vorsitzenden der ... Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 5. September 2003 aufgehoben.
  2. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Gründe

I

Die ... Kammer des Truppendienstgerichts Süd fand den Soldaten am 3. Juli 2003 eines Dienstvergehens schuldig und verurteilte ihn - unter gleichzeitiger Aufhebung einer vom Diziplinarvorgesetzten verhängten Disziplinarbuße von 1.000 € - zu einem Beförderungsverbot für die Dauer von 18 Monaten, verbunden mit einer Kürzung der Dienstbezüge um ein Zwanzigstel für die Dauer von sechs Monaten. Gegen dieses Urteil legte der Verteidiger des Soldaten mit Schriftsatz vom 26. August 2003, eingegangen beim Bundesverwaltungsgericht am selben Tage, Berufung in vollem Umfang ein, mit der er u.a. rügte, das Urteil sei entgegen § 111 WDO i.V.m. § 275 StPO noch nicht schriftlich begründet worden.

Der Vorsitzende der ... Kammer des Truppendienstgerichts Süd verwarf die Berufung mit Beschluss vom 5. September 2003 gemäß § 117 WDO als unzulässig, weil die Berufung verfrüht eingelegt worden sei: Im Zeitpunkt des Eingangs der Berufung hätten sich die schriftlichen Urteilsgründe noch im Geschäftsgang befunden und seien von ihm noch nicht unterschrieben worden.

Gegen diesen Beschluss hat der Verteidiger am 18. September 2003 Beschwerde eingelegt und beantragt, ihn aufzuheben: Es sei zulässig, die Berufung auch schon vor Zustellung des Urteil einzulegen. Im übrigen könne es nicht in das Ermessen des Truppendienstgerichts gestellt werden, wann das Urteil zu den Akten gebracht werde, da dadurch der Eintritt der Rechtskraft zu Lasten des Soldaten unkontrolliert verzögert werden könne.

Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hält die Beschwerde für begründet.

II

Die Beschwerde ist zulässig (§ 114 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 WDO) und begründet.

Der Vorsitzende der ... Kammer des Truppendienstgerichts Süd hat die Berufung zu Unrecht als unzulässig verworfen. Seine Auffassung, eine Berufung könne vor dem in § 115 Abs. 1 Satz 1 WDO genannten Zeitpunkt (Zustellung des Urteils) wirksam nicht erhoben werden, verletzt Bundesrecht.

Wie die mit Disziplinarsachen befassten Senate des Bundesverwaltungsgerichts (und früher des Bundesdisziplinarhofs) in ständiger Rechtsprechung festgestellt haben, kommt den gesetzlichen Formulierungen in den Disziplinarordnungen über die Berufungsfrist (§ 67 Abs. 1 Satz 1 BDO i.d.F. vom 28. November 1957 <BGBl. I S. 761>, § 80 Abs. 1 Satz 1 BDO i.d.F. vom 20. Juli 1967 <BGBl. I S. 750>, § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.d.F. vom 15. März 1957 <BGBl. I S. 189>, § 110 Abs. 1 Satz 1 WDO i.d.F. vom 4. September 1972 <BGBl. I S. 1665>, § 115 Abs. 1 Satz 1 WDO i.d.F. vom 16. August 2001 <BGBl. I S. 2093>) nicht die Bedeutung zu, dass im Zeitraum zwischen Verkündung und Zustellung der Entscheidung eine Berufungseinlegung rechtlich noch nicht möglich wäre; vielmehr erschöpft sich der Zweck der Bestimmungen darin, den Endtermin, bis zu dem die Einlegung des Rechtsmittels zulässig ist, und seine Berechnung zu regeln (vgl. BDH, Urteile vom 13. Februar 1959 - 1 D 42.57 -, vom 9. Dezember 1964 - 1 WD 46.64 - und vom

26. Februar 1965 - 2 WD 177.64 - <NZWehrr 1967, 168>; BVerwG, Urteile vom 26. Juni 1969 - BVerwG 2 WD 4.69 -, vom 10. Juli 1969 - BVerwG 2 WD 75.68 -, vom 12. Mai 1970 - BVerwG 2 WD 69.69 - und vom 17. Oktober 1979 - 1 D 111.78 - <BVerwGE 63, 274 [275]; Behnke, BDO, 2. Aufl. 1968, § 80 Rn. 11; Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl. 1994, § 80

Rn. 5; Claussen/Janzen, BDO, 8. Aufl. 1995, § 80 Rn. 3b; Dau, WDO, 4. Aufl. 2002, § 115 Rn. 17).

Dem entspricht die Auslegung vergleichbarer Rechtsmittelfristvorschriften in der einhelligen Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes und der Länder, die bei der Bestimmung des Zeitpunkts, ab dem ein Rechtsmittel wirksam eingelegt werden kann, nicht auf die Zustellung der vollständigen Entscheidung, sondern auf deren Existenzwerden, also z.B. die Verkündung abstellen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 26. Juni 1953 -

2 B 79.53 - <NJW 1953, 1568> und vom 2. April 1954 - 2 B 172.53 - <NJW 1954, 854> sowie Meyer-Ladewig, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 124 Rn. 34 <Bearb. Januar 2000>; BFH, Beschluss vom 6. August 1997 - BFH VIII R 51/97 - <BFH/NV 1998, 73> und Ruban, in Gräber, FGO, 5. Aufl. 2002, § 120 Rn. 28>; RG, Beschluss vom 5. Dezember 1925 - V B 29/25 - <RGZ 112, 164 [167]>; BGH, Urteile vom

18. September 1963 - V ZR 192/61 - <MDR 1964, 43> und vom 24. Juni 1999 - I ZR 164/97 - <NJW 1999, 3269 [3270]> sowie Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl. 1994,

§ 516 Rn. 16; BGH, Beschluss vom 16. Mai 1973 - 2 StR 497/72 - <BGHSt 25, 187 [189] und Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl. 2003, vor § 296 Rn. 4; BayDStH, Urteil vom 10. Februar 1954 - Nr. 18 DS I 53 - <BDHE 2, 198>; BayVerfGH, Entscheidung vom 29. März 1985 - Vf. 18-VI-85 - <BayVBl 1985, 398>; OVG NW, Beschlüsse vom 2. April 1981 - 7 B 430/81 - <DVBl 1981, 691 [692]> und vom 25. Juli 2000 - 1 A 2904/00.A - <NVwZ-RR 2001, 409 [410]>).

Der Beschluss des Kammervorsitzenden vom 5. September 2003 konnte daher keinen Bestand haben.