Beschluss vom 26.06.2017 -
BVerwG 8 B 64.16ECLI:DE:BVerwG:2017:260617B8B64.16.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 26.06.2017 - 8 B 64.16 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:260617B8B64.16.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 64.16

  • VG Magdeburg - 24.08.2016 - AZ: VG 5 A 397/15 MD

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Juni 2017
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Christ
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab und Hoock
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 24. August 2016 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Der Kläger ist Mitglied der ungeteilten Erbengemeinschaft nach Heinrich Sch. Er begehrt die Rücknahme des Bescheids vom 28. September 2010, in dem der Beklagte Ausgleichsleistungen zugunsten dieser Erbengemeinschaft festgesetzt hat, sowie dessen Verpflichtung, die gekürzte Bemessungsgrundlage für jedes Mitglied der Erbengemeinschaft gesondert festzustellen, soweit die Ausgleichsleistungen den Vermögenswert Zuckerfabrik Z. betreffen. Der Beklagte hat diesen Antrag abgelehnt, das Verwaltungsgericht die hiergegen erhobene Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 28. September 2010 sei rechtmäßig. Ihm liege die zutreffende Feststellung zugrunde, dass Geschädigter der Maßnahmen nach § 1 Abs. 8 Buchst. a Vermögensgesetz (VermG) nicht die Erbengemeinschaft nach Heinrich Sch., sondern der am 28. Dezember 1945 verstorbene Erblasser selbst gewesen sei.

2 Die gegen die Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde hat keinen Erfolg.

3 Der Rechtssache kommt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht zu. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, wenn die Rechtssache eine Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die der - gegebenenfalls erneuten oder weitergehenden - höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern diese Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten steht und dies zu einer Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus führen wird. Der Rechtsmittelführer hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht.

4 Der Kläger hält für grundsätzlich bedeutsam die Frage:
"Ist die Vertreibung des Geschädigten von Haus und Hof ein staatlicher Eingriff in das Eigentum des Vertriebenen, d.h. eine faktische Maßnahme im Sinne der Bodenreform oder nur eine Verwaltungsentscheidung, die nicht zu einem Eingriff in Vermögenswerte führt?".

5 Die Beschwerde legt schon nicht dar, inwiefern die Frage für das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich gewesen sein soll und sich deshalb im Revisionsverfahren stellen würde. Sie geht von Annahmen aus, die dem Urteil der Vorinstanz nicht zugrunde liegen.

6 Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts war im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Oktober 2003 - 8 C 28.02 - juris Rn. 32) die Erwägung, dass für die Bestimmung des Zeitpunkts der Enteignung auch im Falle des Restitutionsausschlusses für Enteignungen auf besatzungshoheitlicher Grundlage nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG faktische Kriterien heranzuziehen seien. Entscheidend sei, wann die Enteignung des jeweiligen Vermögenswertes in der Rechtswirklichkeit erstmals greifbar zum Ausdruck gekommen sei. Die endgültige Verdrängung des geschädigten Heinrich Sch., so das Verwaltungsgericht, sei mit der Bestellung des Max H. zum Treuhänder für das "Rittergut D. der Zuckerfabrik Z." durch Verfügung des Landratsamtes - Abt. Bodenreform - vom 22. September 1945 in der Rechtswirklichkeit erstmals greifbar zum Ausdruck gekommen. Mit der Einsetzung des Treuhänders sei für den Betroffenen der Verlust der Verfügungsgewalt über die Vermögenswerte einhergegangen. Zudem lasse das Schreiben des Heinrich Sch. vom 22. September 1945 an den Vorsitzenden der Kreisbodenkommission für die Durchführung der Bodenreform erkennen, dass er sich dem Zugriff auf seine Vermögenswerte ausgesetzt gesehen habe. Schließlich sei der Erblasser mit Verfügung der Gemeinde D. vom 3. Oktober 1945 aufgefordert worden, das Gebiet des Landkreises W. binnen 24 Stunden zu verlassen. Mit der Übersiedlung nach R. in Hessen sei der Erblasser noch zu seinen Lebzeiten vollständig aus seiner Position als Eigentümer verdrängt worden und habe keine Möglichkeit mehr gehabt, über seine Vermögenswerte in Sachsen-Anhalt zu verfügen.

7 Das Verwaltungsgericht hat danach die faktische Verdrängung des Erblassers aus seinem Eigentum maßgeblich schon aufgrund der Einsetzung des Treuhänders sowie der eigenen Einschätzung des Erblassers, aus seinem Eigentum verdrängt worden zu sein, bejaht. Die an den Erblasser ergangene Aufforderung vom 3. Oktober 1945, den Landkreis W. zu verlassen (sogenannte Kreisverweisung) in Verbindung mit seiner anschließenden Übersiedlung nach Hessen hat es lediglich als einen weiteren zusätzlichen Aspekt gewürdigt, aus dem sich die Endgültigkeit der - vorherigen - Verdrängung des Erblassers aus seiner Position als Eigentümer noch vor dessen Ableben ergebe. Die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob die Ausweisung aus dem Landkreis für sich genommen ein Eingriff in das Vermögen des Betroffenen gewesen sei, stellte sich für das Verwaltungsgericht daher nicht.

8 Abgesehen davon bedarf die Frage nach der rechtlichen Einordnung der Kreisverweisung nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist für den Bereich des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (VwRehaG) bereits geklärt, dass die Kreisverweisung eine eigenständige behördliche Maßnahme darstellt, die grundsätzlich einer Rehabilitierung gemäß § 1a VwRehaG zugänglich ist (BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2009 - 3 C 25.08 - Buchholz 428.6 § 1a VwRehaG Nr. 1 = juris Rn. 17 m.w.N.). Es handelt sich dabei um einen nichtvermögensrechtlichen Vorgang, der nicht vom Vermögensgesetz erfasst wird (BVerwG, Beschluss vom 12. Mai 2016 - 3 B 18.16 - juris Rn. 3). In diesem Kontext stehen auch die von der Beschwerde zitierten Ausführungen des Beklagten in einem Schreiben an die Enkelin des Erblassers vom 13. April 1999 (vgl. S. 5 f. der Beschwerdebegründung vom 2. November 2016). Darin führte der Beklagte in Bezug auf die als rechtsstaatswidrig erklärte Ausweisung aus, dass ein Zusammenhang zwischen der Ausweisung des Erblassers und der Enteignung der Anteile der Zuckerfabrik nicht erkennbar sei, weil es sich bei der Ausweisung um eine Verwaltungsentscheidung gehandelt habe, die nicht zu einem Eingriff in Vermögenswerte geführt habe.

9 Die übrigen Ausführungen der Beschwerde wenden sich nach Art einer Berufungsbegründung gegen die - vom Kläger beanstandete - Bewertung einzelner Dokumente durch das Verwaltungsgericht im Einzelfall, ohne dass eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen oder weitere Zulassungsgründe dargetan würden. Das gilt sowohl für die Würdigung des Schreibens des Erblassers an den Vorsitzenden der Kreisbodenkommission für die Bodenreform vom 22. September 1945 als auch für die Bewertung der Aufnahme der Güter des Erblassers in die Listen der im Landkreis W. aufgeteilten Rittergüter.

10 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.