Beschluss vom 26.06.2009 -
BVerwG 10 B 53.08ECLI:DE:BVerwG:2009:260609B10B53.08.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 26.06.2009 - 10 B 53.08 - [ECLI:DE:BVerwG:2009:260609B10B53.08.0]

Beschluss

BVerwG 10 B 53.08

  • OVG Berlin-Brandenburg - 28.05.2008 - AZ: OVG 2 B 15.07

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Juni 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. Mai 2008 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Gründe

1 Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten wendet sich mit seiner Beschwerde nur noch dagegen, dass das Berufungsgericht die Anerkennungen der Beigeladenen als Asylberechtigte nach Art. 16a Abs. 1 GG (Nr. 1 des angefochtenen Bescheides vom 9. März 2000) als rechtmäßig bestätigt hat. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 2 des Bescheides) ist damit rechtskräftig geworden. Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie auf eine Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO) gestützte Beschwerde des Bundesbeauftragten hat keinen Erfolg.

2 1. Die von der Beschwerde gerügte Abweichung des Berufungsurteils von der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts ist nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargetan. Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem das Berufungsgericht einem in der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <nF> VwGO Nr. 26). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerde nicht.

3 Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht sei bei der Prüfung, ob die den Beigeladenen bei einer Rückkehr drohende Verfolgung durch paramilitärische Kräfte dem kolumbianischen Staat zuzurechnen sei, von der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts abgewichen. Es habe nämlich die Übergriffe paramilitärischer Gruppen dem kolumbianischen Staat mit der Begründung zugerechnet, dass angesichts der fortbestehenden Verquickung von staatlichen Stellen und paramilitärischen Gruppen eine grundsätzlich effektive und im Großen und Ganzen erfolgreiche Bekämpfung paramilitärischer Gruppen noch nicht festgestellt werden könne. Daraus ergebe sich, dass das Berufungsgericht den Rechtssatz zu Grunde lege, ein Staat sei im Sinne des Art. 16a Abs. 1 GG stets und uneingeschränkt asylrechtlich für Drittverfolgungshandlungen dann verantwortlich zu machen, wenn er hiergegen nicht grundsätzlich effektiven und erfolgreichen Schutz biete. Dies stehe in Widerspruch zu den höchstrichterlichen Grundsätzen, wonach die asylrechtliche Verantwortlichkeit eines konkreten Staates dann ende, wenn die Schutzgewährung dessen Kräfte übersteige, d.h. jenseits der ihm an sich zur Verfügung stehenden Mittel. Entgegen der vom Berufungsgericht zu Grunde gelegten Ansicht beschränkten somit die an sich überhaupt verfügbaren Mittel die staatliche Verantwortlichkeit. Das Berufungsurteil beruhe auf dieser Abweichung, weil bei fehlender staatlicher Zurechenbarkeit Verfolgungsmaßnahmen Dritter nicht asylbegründend seien.

4 Mit diesem und dem weiteren Vorbringen der Beschwerde ist eine Divergenz schon deshalb nicht ordnungsgemäß bezeichnet, weil sich der von der Beschwerde dem Berufungsgericht unterstellte Rechtssatz der Entscheidung nicht entnehmen lässt. Das Berufungsgericht hält nach eingehender Erörterung der Erkenntnislage zu der Frage, ob sich der kolumbianische Staat nach wie vor die Bedrohungen durch paramilitärische Gruppen zurechnen lassen muss, zusammenfassend fest: Die kolumbianische Regierung und Justiz belasse es zwar nicht nur bei einer rein verbalen Bekämpfung der Paramilitärs, sondern unternehme - jedenfalls in Teilen - Anstrengungen, den Einfluss dieser Gruppen zurückzudrängen. Andererseits könne angesichts der Tatsache, dass - anders als bei der FARC - die paramilitärischen Einheiten staatlicherseits zunächst gefördert und offen oder verdeckt unterstützt worden seien, es mithin keine strenge Trennlinie zu den Paramilitärs gegeben habe, nicht übersehen werden, dass die Voraussetzungen für eine weiter existierende Verquickung von staatlichen Stellen und paramilitärischen Gruppen bestünden und eine solche auch weiterhin in nicht unerheblichem Umfang festgestellt werden müsse, und zwar bis in hohe und höchste Regierungs- und Parlamentskreise hinein. Im Ergebnis könne noch nicht eine grundsätzlich effektive und im Großen und Ganzen erfolgreiche Bekämpfung der paramilitärischen Gruppen festgestellt werden, die das Zusammenwirken von Amtsträgern mit den nichtstaatlichen Akteuren als nicht vermeidbare „Panne“ oder Einzelphänomen erscheinen ließe (UA S. 25). Dass das Berufungsgericht mit diesem abschließenden Satz seiner Subsumtion den Rechtssatz aufstellen wollte, dass es auf die Frage, ob der Staat zur Schutzgewährung überhaupt in der Lage sei, nicht ankomme, liegt fern. Insbesondere spricht dagegen die Tatsache, dass das Berufungsgericht an anderer Stelle der Urteilsgründe, nämlich bei der Prüfung, ob die Vorverfolgung der Beigeladenen durch paramilitärische Gruppen dem kolumbianischen Staat zuzurechnen sei, seine rechtlichen Maßstäbe insoweit zusammenfassend dargestellt und unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausgeführt hat, asylerhebliche Maßnahmen durch nichtstaatliche Stellen seien nur dann ausnahmsweise asylrelevant, sofern sie dem Staat zugerechnet werden könnten, weil er sie veranlasse, bewusst dulde oder ihnen gegenüber keinen Schutz gewähre, „obwohl er dazu in der Lage wäre“ (UA S. 11). Auch in seinen weiteren Erörterungen hierzu geht das Berufungsgericht davon aus, dass die asylrechtliche Verantwortlichkeit des Staates endet, wenn die an sich angestrebte Schutzgewährung die staatlichen Kräfte übersteigt (UA S. 15). Es kann deshalb nicht angenommen werden, dass das Berufungsgericht mit seinen Ausführungen zur Rückkehrverfolgung auf S. 25 des Urteils einen von diesen Rechtsgrundsätzen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat. Damit führt das Vorbringen der Beschwerde allenfalls auf einen Rechtsanwendungsfehler des Berufungsgerichts im Einzelfall, der - selbst wenn er vorläge - eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht begründen könnte.

5 2. Auch die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Beschwerde meint, die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Frage, ob die von ihm festgestellte Verfolgung der Beigeladenen durch paramilitärische Kräfte vor der Ausreise damals staatlich zu verantworten gewesen sei, werfe eine rechtsgrundsätzliche Frage auf. Das Berufungsgericht habe in diesem Zusammenhang ausgeführt:
„Ein Fall, dass die an sich angestrebte Schutzgewährung die staatlichen Kräfte übersteige und deswegen seine asylrechtliche Verantwortlichkeit ende, liege bei der hier festgestellten Konstellation, die durch eine enge Verflechtung erheblicher Teile des Militär- und Staatsapparates mit den nichtstaatlichen Akteuren und die Duldung der Aktivitäten der nichtstaatlichen Gruppen durch die staatlichen Stellen gekennzeichnet sei, nicht vor.“ (UA S. 15)

6 Nach Auffassung der Beschwerde werfen diese Ausführungen die Rechtsfrage auf,
„was in einer wie der festgestellten Situation der Verflechtung von außerhalb der staatlichen Institutionen stehenden Kräften mit staatlichen Stellen und deren amtswidrige Tolerierung von Verfolgungshandlungen, die von solchen nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, zu den an sich zur Verfügung stehenden staatlichen Mitteln zu rechnen ist, jenseits der asylrechtliche Verantwortung endet.“

7 Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde indes keine verallgemeinerungsfähig zu beantwortende rechtsgrundsätzliche Frage auf. Wie schon die Fragestellung mit der Bezugnahme auf die hier festgestellte Situation der Verflechtung nichtstaatlicher und staatlicher Kräfte zeigt, lässt sich diese Frage nur auf Grund der jeweiligen konkreten Verhältnisse im Herkunftsland beantworten und entzieht sich deshalb einer abstrakten, über den Einzelfall hinausgehenden Klärung. Die Beschwerde legt nicht dar, inwieweit der Fall der Beigeladenen Anlass geben könnte, über die von der Rechtsprechung bisher entwickelten Maßstäbe hinaus, allgemeine Kriterien für den Umfang und die Grenzen der staatlichen Verantwortung für Verfolgungshandlungen Dritter im Rahmen von Art. 16a Abs. 1 GG zu entwickeln. In Wahrheit wendet sich die Beschwerde mit ihrer Rüge gegen die ihrer Ansicht nach unzutreffende Beurteilung der politischen Verhältnisse in Kolumbien und damit gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Darauf kann aber eine rechtsgrundsätzliche Bedeutung der Sache nicht gestützt werden.

8 3. Entsprechendes gilt für die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene weitere Frage, ob bzw. gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen jedenfalls „eine so festzustellende Situation“ missbräuchlicher Amtsausnutzung die staatliche Verantwortung für Drittverfolgungshandlungen begrenzt. Auch diese Frage lässt sich nur auf Grund der jeweiligen konkreten Umstände im Herkunftsland beurteilen und entzieht sich deshalb einer verallgemeinerungsfähigen Klärung im Revisionsverfahren.

9 Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

10 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.