Beschluss vom 26.06.2006 -
BVerwG 7 B 48.06ECLI:DE:BVerwG:2006:260606B7B48.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 26.06.2006 - 7 B 48.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:260606B7B48.06.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 48.06

  • VG Berlin - 23.02.2006 - AZ: VG 29 A 90.01

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Juni 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß und Neumann
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. Februar 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der Kläger begehrt, den Beklagten zu verpflichten, ein vermögensrechtliches Verfahren wiederaufzugreifen und ihm mehrere Grundstücke in Berlin-Mitte zurückzuübertragen. Die Grundstücke hatten bis zu ihrer Enteignung im Jahre 1949 der D. G. AG gehört. Der Antrag der Rechtsnachfolgerin der AG auf vermögensrechtliche Rückübertragung der Grundstücke wurde abgelehnt, die dagegen erhobene Klage rechtskräftig abgewiesen, weil die Grundstücke auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet worden seien (§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG). Die Rechtsnachfolgerin der AG hat ihre vermögensrechtlichen Ansprüche an den Kläger abgetreten.

2 Der Kläger hat neue Dokumente vorgelegt, von denen er meint, sie hätten eine ihm günstigere Entscheidung herbeigeführt, weil sie belegten, dass die Enteignung gegen ein sowjetisches Enteignungsverbot verstoßen habe.

3 Die nach erfolglosem Verwaltungsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die neuen Unterlagen belegten kein konkretes Enteignungsverbot der sowjetischen Besatzungsmacht. Das Verwaltungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.

II

4 Die Beschwerde ist unbegründet. Das verwaltungsgerichtliche Urteil beruht nicht auf einer Abweichung von einer in der Beschwerde genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, vgl. 1.). Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, vgl. 2.). Schließlich liegt kein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die angegriffene Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, vgl. 3.).

5 1. Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nur dann vor, wenn die Vorinstanz mit einem ihre Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Vorschrift des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) widersprochen hat. Daran fehlt es hier.

6 Das Urteil des Verwaltungsgerichts weicht nicht ab von dem Urteil des Senats vom 27. Juni 1996 - BVerwG 7 C 3.96 - (Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 83, S. 245 <247 f.>). In dem dort entschiedenen Fall ist das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Streichung bestimmter Unternehmen von der Liste C der „Konzernverordnung“ vom 10. Mai 1949 ein konkretes Enteignungsverbot darstellt. Dies wurde mit dem damaligen Schriftwechsel der deutschen und sowjetischen Stellen begründet, der sich mit Unternehmen mit ausländischen Kapitaleignern befasste. Einen allgemeinen Rechtssatz dahingehend, dass die Streichung eines Unternehmens von der Liste C allgemein als konkretes Enteignungsverbot zu werten ist, enthält diese Entscheidung nicht. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt es vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls und insbesondere darauf an, aus welchem Grund die Streichung erfolgt ist (vgl. Beschluss vom 5. Dezember 2005 - BVerwG 7 B 81.05 - zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen). Davon ausgehend ist das Verwaltungsgericht hier zu dem Ergebnis gelangt, dass es ein Kriterium für die Streichung u.a. des vorliegenden Unternehmens war, die Liste C zu reduzieren und Grundstücke, auf die möglicherweise auch über die Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher habe zugegriffen werden können, herauszunehmen. Dagegen hätten die nunmehr dokumentierten Umstände nicht ausgereicht, um angesichts der weiter fortbestehenden Beschlagnahme ein sowjetisches Enteignungsverbot anzunehmen. Ein dementsprechender Wille der Besatzungsmacht sei auch angesichts der Beteiligung H. an der D. G. AG eher fern liegend.

7 Auch im Übrigen weicht das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht von dem genannten Urteil vom 27. Juni 1996 - BVerwG 7 C 3.96 - (a.a.O.) ab. In dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wird ausgeführt, dass eine von deutschen Stelle vorgenommene Enteignung, die gegen ein von der sowjetischen Besatzungsmacht ausgesprochenes Verbot verstieß, nicht schon deshalb auf besatzungshoheitlicher Grundlage im Sinne von § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG beruhte, weil die Besatzungsmacht keine Anstalten zur Durchsetzung ihres Verbots unternommen hatte. Davon weicht das Verwaltungsgericht schon deshalb nicht ab, weil es kein Enteignungsverbot im vorliegenden Einzelfall angenommen hat. Die Frage, wann trotz eines einmal ausgesprochenen sowjetischen Enteignungsverbots eine Enteignung dennoch auf besatzungshoheitlicher Grundlage beruhte, stellte sich dem Verwaltungsgericht daher nicht.

8 2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Auch daran fehlt es hier.

9 a) Die Beschwerde hält zunächst für grundsätzlich klärungsbedürftig folgende Frage:
„Ist grundsätzlich vom Vorhandensein eines sowjetischen Enteignungsverbots im Sinne der Rechtsprechung für die Vermögenswerte auszugehen, die zunächst auf der sogenannten Berliner Liste C mit 275 Positionen standen, wenn diese dann auf der später nur noch 87 Positionen umfassenden Berliner Liste C nicht mehr standen?“

10 Soweit diese Frage nach revisiblem Recht zu beantworten ist, ergibt sich die Beantwortung ohne weiteres aus der oben dargestellten Rechtsprechung. Danach kann in diesen Fällen ein sowjetisches Enteignungsverbot vorliegen. Ob es vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere davon, aus welchen Gründen die Streichung erfolgte. Erfolgte die Streichung, um das Unternehmen auf anderer Rechtsgrundlage zu enteignen (hier im Zuge der Enteignung von Nazi- und Kriegsverbrechern), fehlt es an einem Enteignungsverbot.

11 b) Weiter hält die Beschwerde folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig:
„Liegt in einem Restitutionsfall, in dem ein Unternehmen auf sowjetische Weisung von der Berliner Liste C gestrichen wurde, jedenfalls dann kein sowjetisches Enteignungsverbot im Sinne der Rechtsprechung (mehr), wenn die deutschen Stellen im Rahmen ihrer Mitwirkung bei der Streichung der Liste C das fragliche Unternehmen von dieser Liste genommen haben, um es dann auf die Berliner Liste 3 zu setzen, auch wenn dies bzw. eine vorausgehende Sequestrierung des Vermögenswertes ohne Kenntnis der sowjetischen Besatzungsmacht erfolgte?“

12 Diese Frage geht teilweise von einem Sachverhalt aus, den das Verwaltungsgericht so nicht festgestellt hat. Das Verwaltungsgericht hat weder festgestellt, dass die sowjetische Besatzungsmacht keine Kenntnis von der Sequestrierung des Unternehmens hatte, noch dass sie keine Kenntnis davon hatte, dass die Streichung des fraglichen Unternehmens von der Liste C erfolgte, um es dann auf anderer Grundlage zu enteignen. Im Übrigen ergibt sich die Beantwortung dieser Frage aus obigen Ausführungen.

13 3. Es liegt auch kein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3).

14 a) Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) nicht verletzt. Danach ist das Gericht zwar verpflichtet, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und ernsthaft in seine Erwägungen einzubeziehen (BVerfGE 69, 233 <246>). Es ist jedoch nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Grundsätzlich ist vielmehr davon auszugehen, dass das Gericht insbesondere schriftsätzlichen Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, soweit nicht gegenteilige Anhaltspunkte vorhanden sind (BVerfGE 51, 126 <129>). Solche Anhaltspunkte fehlen hier. Nach der maßgeblichen materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts war im vorliegenden Wiederaufnahmeverfahren allein zu prüfen, ob durch die neuen Unterlagen ein konkretes Enteignungsverbot der sowjetischen Besatzungsmacht belegt worden ist. Darauf, ob andere Umstände für ein Enteignungsverbot sprechen, kam es danach nicht an. Deshalb musste sich das Verwaltungsgericht in den Gründen seiner Entscheidung auch nicht mit dem Vortrag des Klägers zu damals geführten Verkaufsverhandlungen auseinander setzen.

15 b) Das Verwaltungsgericht hat auch den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) nicht verletzt. Es hat nicht gegen Denkgesetze verstoßen. Ein Tatsachengericht hat nicht schon dann gegen die Denkgesetze verstoßen, wenn es nach Meinung der Beschwerdeführer unrichtige oder fern liegende Schlüsse gezogen hat; ebenso wenig genügen objektiv nicht überzeugende oder sogar unwahrscheinliche Schlussfolgerungen; es muss sich vielmehr um einen aus Gründen der Logik schlechthin unmöglichen Schluss handeln (stRspr; Urteil vom 20. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 147.86 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 37 S. 1 <4>). Davon kann hier keine Rede sein. Wie dargelegt kam es nach der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht darauf an, ob andere Umstände - wie die von der Beschwerde erwähnten Verkaufsverhandlungen - für ein sowjetisches Enteignungsverbot sprechen.

16 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und Abs. 4 sowie § 72 Nr. 1 GKG.