Beschluss vom 26.01.2004 -
BVerwG 1 B 74.03ECLI:DE:BVerwG:2004:260104B1B74.03.0

Beschluss

BVerwG 1 B 74.03

  • Hessischer VGH - 12.12.2002 - AZ: VGH 12 UE 222/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Januar 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und
Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Dezember 2002 wird verworfen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die Beschwerde ist unzulässig, weil weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch der behauptete Verfahrensfehler durch Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) in einer Weise dargelegt werden, die den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entspricht.
Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine bestimmte klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgezeigt wird. Daran fehlt es hier. Die Beschwerde sieht zunächst ein Klärungsbedürfnis für die Frage, "ob das Vorliegen eines krankheitsbedingten Defizites eines Täters bei einer Tat, für die er zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt wird, im Rahmen der Spezial- und Generalprävention zu berücksichtigen ist" (Beschwerdebegründung S. 2 Ziffer 1). In einem Revisionsverfahren würde sich die Frage in dieser pauschalen Form nicht stellen und könnte auch nicht generalisierend, sondern nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles beurteilt werden. Ein verallgemeinerungsfähiger Klärungsbedarf wird auch nicht aufgezeigt, soweit sich die als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage auf das Merkmal der schwerwiegenden Gründe im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG beziehen soll (vgl. die in Bezug genommene Urteilspassage UA S. 8). In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedenfalls geklärt, dass schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers vor Ausweisung ein deutliches Übergewicht hat. Im Falle einer Ausweisung zu spezialpräventiven Zwecken müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Straftaten des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (vgl. Urteil vom 26. Februar 2002 - BVerwG 1 C 21.00 = BVerwGE 116, 55 <63> m.w.N.). Damit und mit den weiteren in der Rechtsprechung des Senats insoweit aufgestellten Grundsätzen setzt sich die Beschwerde nicht - wie erforderlich - auseinander. Ob die Gründe, die das Strafgericht zur Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB veranlassten, zugleich die Gefahrenprognose für die Zukunft beeinflussen, ist im Übrigen nicht generalisierend sondern nur in Bezug auf den konkreten Einzelfall, namentlich den genauen Grund der verminderten Schuldfähigkeit und dessen eventuellen Einfluss auf das zukünftige Verhalten des Ausländers zu beurteilen. Auch für eine generalpräventiv begründete Ausweisung nach § 47 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, § 48 Abs. 1 AuslG kommt es auf die Umstände des konkreten Falles an, um zu beurteilen, ob die konkret begangene Straftat besonders schwerwiegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über die verhängte strafrechtliche Sanktion hinaus durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (stRspr vgl. Urteil vom 11. Juni 1996 - BVerwG 1 C 24.94 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 9 S. 20 <27> m.w.N.).
Die Beschwerde hält weiterhin die Frage für grundsätzlich bedeutsam, "ob eine Begegnungsgemeinschaft zwischen Mutter und Kind unter den Begriff des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK fällt und somit von dessen Schutzbereich umfasst wird" (Beschwerdebegründung S. 4 oben). Sie legt allerdings nicht - wie erforderlich - dar, dass sich die aufgeworfene Frage in dem angestrebten Revisionsverfahren stellen würde. Insbesondere geht sie nicht darauf ein, dass das Berufungsgericht bei der Ablehnung eines Schutzrechts der Klägerin aus Art. 8 EMRK nicht auf den Begriff der "Begegnungsgemeinschaft" abstellt. Vielmehr ist nach Auffassung des Gerichts für die Schutzgewährung aus Art. 8 EMRK entscheidend, ob ein "tatsächlich gelebtes Familienleben zwischen Eltern und Kindern" vorliegt, an dem es nach seinen Feststellungen im vorliegenden Fall fehlt (UA S. 12 unten). Im Übrigen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass das Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern vom Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK erfasst wird. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wird Art. 8 EMRK dahin ausgelegt, dass er Eingriffe in das Familienleben - etwa die Ausweisung eines Familienangehörigen - nicht schlechthin untersagt, sondern - bei einem engen und tatsächlich gelebten (wirklichen) Familienleben - lediglich an die Voraussetzung knüpft, dass diese nur zu einem der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zugelassenen Ziele und nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit erfolgen dürfen (vgl. Urteil vom 27. Januar 1998 - BVerwG 1 C 28.96 - InfAuslR 1998, 279 <283 f.>). In der Rechtsprechung ist in mehreren Entscheidungen präzisiert worden, was unter einem solchen tatsächlich gelebten Familienleben zu verstehen ist (vgl. Urteil vom 9. Dezember 1997 - BVerwG 1 C 16.96 - InfAuslR 1998, 272 <275>; Urteil vom 9. Dezember 1997 - BVerwG 1 C 19.96 - BVerwGE 106, 13 <21 f.>; Urteil vom 27. Januar 1998, a.a.O., 284). Bei einem vom Kind getrennt lebenden Elternteil - wie der Klägerin - wird maßgeblich darauf abgestellt, ob er ins Gewicht fallende Betreuungs-, Erziehungs- und Beistandsfunktionen gegenüber seinem Kind wahrnimmt (Urteil vom 9. Dezember 1997 - BVerwG 1 C 16.96 - a.a.O., 275). Die Beschwerde zeigt nicht auf, inwiefern im vorliegenden Fall ein erneuter oder weitergehender Klärungsbedarf besteht.
Grundsätzlichen Klärungsbedarf sieht die Beschwerde des Weiteren für die Frage, "ob im Rahmen des § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen hat oder nicht" (Beschwerdebegründung S. 3, Ziffer 2). Sie zeigt aber wiederum nicht auf, dass sich die Frage im angestrebten Revisionsverfahren stellen könnte und worin der grundsätzliche Klärungsbedarf liegen soll.
Die Klägerin legt auch den behaupteten Verfahrensmangel, das Berufungsgericht habe ihr das rechtliche Gehör verweigert, nicht schlüssig dar (Beschwerdebegründung S. 4). Die Beschwerde trägt hierzu vor, das Berufungsgericht habe die Voraussetzungen nach Art. 14 ARB 1/80 mit der Begründung verneint, die Klägerin sei zu keinem Zeitpunkt einer ordnungsgemäßen Beschäftigung nachgegangen, obwohl mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2002 Nachweis über die versicherungspflichtige Tätigkeit der Klägerin zur Akte gereicht worden sei. Damit wird eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch unterlassene Kenntnisnahme und Erwägung erheblichen Vorbringens der Klägerin nicht aufgezeigt. Die Beschwerde geht nicht darauf ein, dass das Berufungsgericht das Fehlen einer Schutzposition aus Art. 14 ARB 1/80 damit begründet hat, dass die Klägerin nicht die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfülle und der assoziationsrechtliche Ausweisungsschutz nur für die dort genannten türkischen Staatsbürger bestehe (UA S. 13). Weder die Beschwerde selbst noch der von ihr zitierte Schriftsatz lassen irgendeinen Bezug zu den Voraussetzungen eines Anspruchs nach dem ARB 1/80 erkennen.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.