Beschluss vom 25.11.2002 -
BVerwG 1 B 72.02ECLI:DE:BVerwG:2002:251102B1B72.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 25.11.2002 - 1 B 72.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:251102B1B72.02.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 72.02

  • Hessischer VGH - 21.12.2001 - AZ: VGH 10 UE 4091/96.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. November 2002
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts
E c k e r t z - H ö f e r , den Richter am Bundes-
verwaltungsgericht R i c h t e r und die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht B e c k
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde der Klägerin zu 1 wird das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Dezember 2001, soweit es das Begehren der Klägerin zu 1 auf Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG betrifft, (einschließlich der hierauf bezogenen Kostenentscheidung) aufgehoben. Insoweit wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  2. Im Übrigen werden die Beschwerde der Klägerin zu 1 und die Beschwerde der Klägerin zu 2 zurückgewiesen.
  3. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Klägerin zu 1 5/12 und die Klägerin zu 2 die Hälfte. Im Übrigen bleibt die Entscheidung über die Kosten der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die restlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Die Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet; im Übrigen bleibt sie ohne Erfolg.
Soweit sich die Beschwerde gegen die Versagung von Abschiebungsschutz wegen politischer Verfolgung nach § 51 Abs. 1 AuslG durch das Berufungsgericht wendet und eine Verletzung des Anspruchs der Klägerinnen auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) sowie der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) als Verfahrensmängel gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO rügt, hat sie keinen Erfolg. Die Beschwerde beanstandet insoweit ausschließlich Ausführungen im Berufungsurteil zur inländischen Fluchtalternative im Großraum Colombo. Sie bemängelt, dass das Berufungsgericht dabei das private Gutachten des Sachverständigen Keller-Kirchhoff vom 27. Juli 2000 zur medizinischen Versorgung der Klägerin zu 1 in Sri Lanka nicht zur Kenntnis genommen habe und dass es die wirtschaftlichen Verhältnisse der Verwandten der Klägerinnen nicht näher aufgeklärt habe, sondern ohne weiteres von einer finanziellen Unterstützung durch die Verwandten ausgegangen sei. Diese Verfahrensrügen können im Rahmen des Begehrens auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG schon deshalb nicht durchgreifen, weil sie sich lediglich auf die Hilfsbegründung des Berufungsgerichts beziehen. Die Entscheidung zu § 51 Abs. 1 AuslG kann folglich nicht auf den behaupteten Verfahrensmängeln beruhen. Das Berufungsgericht hat nämlich einen Abschiebungsschutz nach dieser Vorschrift in erster Linie deshalb verneint, weil den Klägerinnen in keinem Teil Sri Lankas politische Verfolgung drohe (UA S. 10 - 22). Lediglich hilfsweise - für den unterstellten Fall einer regionalen Gruppenverfolgung im Norden und Osten Sri Lankas - ist das Gericht auch noch auf das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative im Großraum Colombo eingegangen. Gegen die das Berufungsurteil tragende Hauptbegründung hat die Beschwerde aber keine Revisionszulassungsgründe geltend gemacht.
Soweit die Beschwerde sich mit den gleichen Verfahrensrügen auch gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts zum Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG wendet, hat sie allerdings mit ihrer Gehörsrüge bezogen auf den Anspruch der Klägerin zu 1 Erfolg. Die Beschwerde bemängelt zu Recht, dass das Berufungsgericht bei der Begründung seiner negativen Entscheidung zu § 53 Abs. 6 AuslG nicht auf das private Gutachten vom 27. Juli 2000 eingegangen ist, nach dem die von der Klägerin zu 1 benötigten Medikamente wegen der hohen Kosten in den staatlichen Krankenhäusern Sri Lankas nicht kostenfrei abgegeben würden, sondern von der Klägerin zu 1 in privaten Apotheken gekauft werden müssten. Allerdings gebietet das Prozessgrundrecht auf rechtliches Gehör nicht, dass das Gericht auf jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich eingeht; dies gilt noch viel weniger für jedes der oft zahlreich in ein Asylstreitverfahren eingeführten Erkenntnismittel. Nur wenn sich aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass ein Gericht seine Pflicht zur Kenntnisnahme und Erwägung entscheidungserheblichen Tatsachenstoffs verletzt hat, kann ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG im Einzelfall festgestellt werden (stRspr; vgl. BVerfGE 96, 205 <216 f.>; BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 1999 - BVerwG 9 B 429.99 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 214). Obwohl der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen sich im Berufungsverfahren im Zusammenhang mit dem fraglichen privaten Gutachten und den Erkrankungen der Klägerin zu 1 auch auf den Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG berufen hat, ist das Berufungsgericht in den Urteilsgründen zu § 53 Abs. 6 AuslG weder ausdrücklich noch sinngemäß auf die Erkrankungen der Klägerin zu 1 als denkbaren Grund für ein Abschiebungshindernis nach dieser Vorschrift eingegangen. Selbst wenn sich die Verweisung auf "oben, S. 23 f." (UA S. 25)auch auf die dortigen Ausführungen zu den Behandlungsmöglichkeiten für die Erkrankungen der Klägerin zu 1 im Rahmen der inländischen Fluchtalternative beziehen sollte, fehlt es darin an einer Auseinandersetzung mit dem genannten privaten Gutachten. Eine solche wäre aber erforderlich gewesen, da das Berufungsgericht entscheidend darauf abgestellt hat, dass nach den allgemeinen Auskünften, insbesondere dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 24. Oktober 2001, jedenfalls in der Hauptstadt Colombo eine kostenlose Versorgung auch mit Medikamenten in größeren staatlichen Krankenhäusern gegeben ist, während das genannte private Gutachten für die Medikamente der Klägerin zu 1 wegen der hohen Kosten eine kostenfreie Abgabe gerade verneint hat. Aus dem Schweigen der Urteilsgründe zu diesem im Einzelfall erstatteten privaten Gutachten muss deshalb der Schluss gezogen werden, dass das Berufungsgericht jedenfalls in diesem Punkte das von den Klägerinnen vorgelegte Gutachten aus den Augen verloren und nicht mehr ernsthaft in Erwägung gezogen hat. Seine Ausführungen zu den Behandlungsmöglichkeiten der Erkrankungen der Klägerin zu 1 genügen deshalb auch nicht den Anforderungen an die Begründung der gerichtlichen Entscheidung zu § 53 Abs. 6 AuslG (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO).
Für die Klägerin zu 2 ist dagegen hinsichtlich des Abschiebungsschutzes nach § 53 Abs. 6 AuslG ein Verfahrensmangel i.S. des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargetan. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin zu 2 im Hinblick auf die in dem privaten Gutachten enthaltenen Angaben über die Kosten bestimmter Medikamente in Sri Lanka kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil diese Angaben sich nur auf die für die Klägerin zu 1 bestimmten Medikamente beziehen. Soweit die Beschwerde darüber hinaus rügt, dass auch die in diesem Gutachten enthaltenen Angaben über die Niederlassungsmöglichkeiten zurückkehrender Tamilen im Großraum Colombo nicht berücksichtigt worden seien, legt sie nicht dar, aus welchen Umständen sich dies ergeben soll. Insbesondere zeigt sie nicht auf, dass es sich insoweit um neue Erkenntnisse handelt, die über die beigezogenen einschlägigen Stellungnahmen desselben Gutachters an anderer Stelle hinaus gehen und vom Berufungsgericht in seiner bisherigen, in dem Urteil in Bezug genommenen Rechtsprechung noch nicht berücksichtigt worden sind (vgl. etwa das mehrfach in Bezug genommene Grundsatzurteil vom 29. August 2000 - 10 UE 3556/96.A -). Auch die von der Beschwerde erhobene Rüge, das Berufungsgericht hätte die finanziellen Verhältnisse der Verwandten der Klägerinnen näher aufklären müssen, führt nicht auf einen für den Anspruch der Klägerin zu 2 nach § 53 Abs. 6 AuslG erheblichen Verfahrensmangel. Insoweit fehlt es schon an der für eine Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) erforderlichen Darlegung, welche konkreten Beweis- und Erkenntnismittel ggf. infrage gekommen wären, welches Ergebnis die unterbliebene Aufklärung im Einzelnen gehabt hätte und inwiefern dieses Ergebnis zu einer für die Klägerin zu 2 günstigeren Entscheidung über ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG hätte führen können. Ferner legt die Beschwerde nicht dar, dass bereits in dem Verfahren vor dem Tatsachengericht auf die Vornahme der jetzt vermissten Sachverhaltsaufklärung hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht - nach dessen materiellrechtlicher Auffassung - weitere Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen.
Soweit die Beschwerde zurückgewiesen wird, tragen die Klägerinnen zu den aus dem Tenor ersichtlichen Anteilen gemäß § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG. Im Übrigen - nämlich hinsichtlich der noch offenen Entscheidung über den Anspruch der Klägerin zu 1 auf Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG, auf den 1/12 der Kosten des Beschwerdeverfahrens entfallen, - folgt die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.