Beschluss vom 25.10.2007 -
BVerwG 4 BN 42.07ECLI:DE:BVerwG:2007:251007B4BN42.07.0

Beschluss

BVerwG 4 BN 42.07

  • OVG Berlin-Brandenburg - 27.03.2007 - AZ: OVG 10 A 3.05

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. Oktober 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch und die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:

  1. Die Beschwerden der Antragstellerin (Gemeinde P.) und der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 27. März 2007 werden zurückgewiesen.
  2. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragstellerin (Gemeinde P.) und die Antragsgegnerin je zur Hälfte. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 25 000 € festgesetzt.

Gründe

1 I. Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 VwGO gestützte Beschwerde der Antragstellerin (Gemeinde P.) bleibt ohne Erfolg.

2 1. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz hat die Beschwerde nicht im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet. Hierfür muss ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender abstrakter Rechtssatz benannt werden, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat; das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt weder den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenz- noch denen einer Grundsatzrüge (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328).

3 Die Antragstellerin macht geltend, dass das angefochtene Urteil von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Januar 2007 - BVerwG 9 A 20.05 - (NVwZ 2007, 1054 - zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen) abweiche. Einen abstrakten Rechtssatz, mit dem das Oberverwaltungsgericht einem in dem genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Rechtssatz widersprochen haben könnte, benennt sie jedoch weder in der Beschwerdebegründung noch in dem ergänzenden Schriftsatz vom 24. Oktober 2007. Sie wiederholt im Wesentlichen ihren Tatsachenvortrag zum Vorliegen eines faktischen Vogelschutzgebietes und kritisiert, dass sich das Oberverwaltungsgericht nicht mit allen Aspekten dieses Vortrags auseinandergesetzt und nicht die - nach ihrer Auffassung gebotenen - Schlüsse aus dem Vorbringen gezogen habe. Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO kann auf diese Weise nicht dargelegt werden. Das gilt auch im Hinblick auf die weitere Rechtsprechung des Senats und des Europäischen Gerichtshofs, die die Beschwerde in diesem Zusammenhang zitiert.

4 2. Einen Verfahrensfehler sieht die Antragstellerin darin, dass sich das Oberverwaltungsgericht Teile des Verwaltungsvorgangs, die lediglich digitalisiert vorhanden seien, nicht habe vorlegen lassen. Damit verstoße die Entscheidung gegen § 99 Abs. 1 Satz 1, § 100 Abs. 1 Satz 1, § 103 Abs. 2 und 3 und § 108 Abs. 2 VwGO.

5 Der geltend gemachte Verfahrensfehler liegt schon deshalb nicht vor, weil sich das Oberverwaltungsgericht die von der Antragsgegnerin angelegten Akten und elektronischen Dokumente vollständig hat vorlegen lassen. Die Antragsgegnerin hat auf Aufforderung des Oberverwaltungsgerichts mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2006 ausdrücklich erklärt, dass es sich bei den vorgelegten Unterlagen um den vollständigen Verwaltungsvorgang handele. Zweifel an der Richtigkeit dieser Erklärung hatte das Oberverwaltungsgericht nicht. Festgestellt hat das Oberverwaltungsgericht allerdings, dass die vorgelegten Akten nicht ordnungsgemäß geführt worden seien. Insbesondere seien Zwischenschritte bei der Ermittlung der maßgebenden Arten und naturschutzfachlichen Belange nicht dokumentiert worden (UA S. 30). Dass die Antragsgegnerin diese Zwischenschritte jedenfalls elektronisch dokumentiert habe, dass also als elektronische Dokumente weitere Aktenbestandteile vorhanden seien, hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt. Es ist vielmehr davon ausgegangen, dass die von der Antragsgegnerin in den Computer eingegebenen Daten über die erhobenen und während der Planung aktualisierten Belange erst rekonstruiert werden müssten. Der Antragsgegnerin gemäß § 86 Abs. 1 VwGO eine solche Rekonstruktion der Daten aufzugeben, hat es nicht für erforderlich gehalten (UA S. 30). Einen hierauf gerichteten Beweisantrag hatten die Antragstellerinnen nicht gestellt. Dass und gegebenenfalls aus welchen Gründen sich dem Oberverwaltungsgericht die Erforderlichkeit einer solchen Rekonstruktion der Daten auch ohne einen entsprechenden Beweisantrag hätte aufdrängen müssen, legt die Beschwerde nicht dar.

6 3. Die Rechtssache hat schließlich nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Antragstellerin beimisst. Sie möchte rechtsgrundsätzlich geklärt wissen, ob es in bestimmten Fällen oder auch nur in Ausnahmefällen zulässig ist, sich auf die lediglich digitale Existenz eines Verwaltungsvorgangs zu berufen. Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Das Oberverwaltungsgericht hat eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Vorlage des Verwaltungsvorgangs nicht verneint, weil dieser lediglich in digitaler Form vorhanden sei. Es ist vielmehr - wie dargelegt - davon ausgegangen, dass die Antragsgegnerin die Ermittlung der maßgeblichen Arten und naturschutzfachlichen Belange auch in elektronischer Form nicht dokumentiert hat. Es bestanden somit keine elektronischen Dokumente, die nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO hätten herausgegeben werden können.

7 II. Auch die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde der Antragsgegnerin bleibt ohne Erfolg.

8 1. Aus dem Beschwerdevorbringen der Antragsgegnerin ergibt sich nicht, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

9 1.1 Die Antragsgegnerin möchte rechtsgrundsätzlich geklärt wissen, ob eine fehlerhafte Abwägung eines Regionalplans schon dann vorliegt, wenn Belange in der Abwägung unberücksichtigt bleiben, die die regionale Planungsstelle nicht kennt, insbesondere ob eine fehlerhafte Abwägung vorliegt, wenn in der regionalplanerischen Abwägung speziell Belange aus der EG-Vogelschutzrichtlinie unberücksichtigt bleiben, weil die Regionalplanung sie nicht kennt.

10 Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Ausweisung des Windeignungsgebietes „Woltersdorf“ als abwägungsfehlerhaft angesehen, nicht - wie die Beschwerde meint - weil die Antragsgegnerin die erst nach ihrer Beschlussfassung erfolgte und damit im Zeitpunkt der Abwägung nicht bekannte Erklärung des Gebiets zu einem europäischen Vogelschutzgebiet nicht in die Abwägung eingestellt hat, sondern weil sie vor der zweiten Beschlussfassung am 3. März 2004 nicht erneut in eine Abwägung eingetreten ist (UA S. 36), obwohl sich die tatsächliche Situation seit der Beschlussfassung im Herbst 2000 durch die - der Antragsgegnerin bekannte - Aufnahme des Randow-Welse-Bruch-Gebiets in die IBA-Liste 2002 grundlegend geändert hatte (UA S. 37). Insoweit hatte das Oberverwaltungsgericht einen anderen Sachverhalt zu beurteilen, als das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 23. August 2007 - 7 D 71/06.NE -, auf das sich die Antragsgegnerin ergänzend beruft. Durch die Aufnahme des Randow-Welse-Bruch-Gebiets in die IBA-Liste 2002 waren konkrete Bedenken gegen die Ausweisung des Gebiets „Woltersdorf“ als Windeignungsgebiet entstanden. Diese Bedenken waren nach Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts so gewichtig, dass die Antragsgegnerin nicht unter Berufung auf einen Hinweis der zuständigen Fachbehörde, dass die Prüfung, ob ein faktisches Vogelschutzgebiet vorliege, noch nicht abgeschlossen sei, von einem unveränderten Sachverhalt ausgehen durfte (UA S. 40). Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ist in dem angefochtenen Urteil zudem davon ausgegangen, dass es angesichts der zentralen Lage des Windeignungsgebietes „Woltersdorf“ im Randow-Welse-Bruch-Gebiet auf der Hand lag, dass auch im Fall einer deutlichen Reduzierung des Gebiets jedenfalls das Eignungsgebiet „Woltersdorf“ nicht aus dem Vogelschutzgebiet herausgeschnitten werden würde (UA S. 39). An diese tatrichterliche Würdigung des Sachverhalts wäre das Bundesverwaltungsgericht in einem Revisionsverfahren gebunden.

11 1.2 Die Frage, wie weitreichend die Anforderungen an die Tiefe der Abwägung eines Regionalplans in Abgrenzung zur Abwägungstiefe im Planfeststellungsbeschluss sind, ist einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Ob die Vogelarten innerhalb eines europäischen Vogelschutzgebietes durch die Errichtung von Windenergieanlagen beeinträchtigt würden und ob dieser Konflikt, wenn der Regionalplan im Vogelschutzgebiet ein Windeignungsgebiet auswiese, auf der Genehmigungsebene gelöst werden könnte, hängt von den betroffenen Vogelarten und deren Störungsempfindlichkeit gegenüber Windenergieanlagen, mithin von den tatsächlichen Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab. Anhaltspunkte dafür, dass die im Gebiet Randow-Welse-Bruch vorhandenen, inzwischen durch Ausweisung eines europäischen Vogelschutzgebietes besonders geschützten Vogelarten durch Windenergieanlagen nicht oder nicht wesentlich beeinträchtigt würden, hat das Oberverwaltungsgericht im Übrigen nicht festgestellt.

12 1.3 Die Frage, ob speziell bei einer rückwirkenden Behebung von Verfahrensfehlern eines Regionalplans die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Bebauungsplänen anwendbar ist, könnte in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden. Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein Verstoß gegen die landesrechtlichen Anforderungen an die Bekanntmachung eines Regionalplans geheilt werden kann, richtet sich nach dem gemäß § 137 Abs. 1, § 173 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO irrevisiblen Landesplanungsrecht. Welche bundesrechtlichen Grenzen die Auslegung des Landesplanungsrechts einzuhalten haben sollte und dass der bundesrechtliche Maßstab selbst einen die Zulassung der Revision rechtfertigenden Klärungsbedarf aufweist, zeigt die Beschwerde nicht - wie dies erforderlich wäre (Beschlüsse vom 9. März 1984 - BVerwG 7 B 238.81 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 49 und vom 5. Juli 2006 - BVerwG 4 B 51.06 - juris) - auf.

13 1.4 Die Frage, inwieweit eine Bekanntmachung von Regionalplänen im Beiblatt zum Amtsblatt den Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips genügt, würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts beruht nicht auf der Annahme, dass die Bekanntmachung des Regionalplans als Beilage zum Amtsblatt für Brandenburg vom 29. August 2001 unwirksam sei, sondern darauf, dass die Antragsgegnerin das Planaufstellungsverfahren selbst wieder aufgegriffen und den Plan erneut bekannt gemacht hat (UA S. 20).

14 2. Eine Abweichung der angefochtenen Entscheidung von dem Urteil des Senats vom 10. August 1990 - BVerwG 4 C 3.90 - (BVerwGE 85, 289) ist nicht im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet. Das genannte Urteil enthält den Rechtssatz, dass, wenn wegen der Unwirksamkeit der späteren Norm die Möglichkeit der Normenkollision entfällt, die alte Rechtsnorm unverändert fortgilt. Einen abstrakten Rechtssatz, mit dem das Oberverwaltungsgericht von diesem Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen sein sollte, zeigt die Beschwerde nicht auf. Im Übrigen kann eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO schon deshalb nicht vorliegen, weil die Antragsgegnerin ihren Regionalplan nicht durch einen neuen, inhaltlich geänderten Plan ersetzt, sondern das ursprüngliche Aufstellungsverfahren wieder aufgegriffen und den bisherigen Plan in seiner ursprünglichen Fassung erneut als Satzung beschlossen und veröffentlicht hat. Über einen solchen Fall hatte der Senat in seinem Urteil vom 10. August 1990 nicht zu entscheiden.

15 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 VwGO, die Streitwertentscheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.