Beschluss vom 25.07.2014 -
BVerwG 2 B 62.13ECLI:DE:BVerwG:2014:250714B2B62.13.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 25.07.2014 - 2 B 62.13 - [ECLI:DE:BVerwG:2014:250714B2B62.13.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 62.13

  • VG Schleswig - 18.06.2012 - AZ: VG 11 A 19/12
  • OVG Schleswig - 03.05.2013 - AZ: OVG 2 LB 41/12

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. Juli 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und Dr. Hartung
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 3. Mai 2013 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die 1968 geborene Klägerin ist schwerbehindert (Grad der Behinderung: 60) und war bis zu ihrer Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit zum Ende des Monats November 2012 beamtete Lehrerin in Diensten des Beklagten. Wegen der Erkrankung der Klägerin wurden im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements zahlreiche Maßnahmen zur Erhaltung der Dienstfähigkeit der Klägerin durchgeführt, u.a. eine Reduzierung der Pflichtstundenzahl. Während eines Klinikaufenthalts im Oktober 2010 wurde sie durch den dortigen psychosozialen Dienst auf das Integrationsamt und den dortigen Integrationsfachdienst hingewiesen. Aus Sorge, dem Schuldienst krankheitsbedingt nicht mehr gewachsen zu sein, kontaktierte die Klägerin den Integrationsfachdienst. Die Leiterin der Schule, an der die Klägerin unterrichtete, war hierüber informiert, eine Einbindung oder Beauftragung des Integrationsfachdienstes durch die Schule gab es nicht.

3 Am 1. Februar 2011 nahm die Klägerin einen Termin beim Integrationsfachdienst wahr, um Hilfsmittel für die langfristige Erhaltung ihrer Dienstfähigkeit zu erörtern, was sie auch der Schulleiterin mitteilte. Auf dem Heimweg von diesem Termin stürzte die Klägerin auf Blitzeis mit dem Fahrrad und zog sich u.a. ein Schädel-Hirn-Trauma zu. Ihren Antrag, den Unfall als Dienstunfall anzuerkennen, lehnte die Beklagte ab. Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.

4 Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung darauf abgestellt, dass es an der erforderlichen materiellen und formellen Dienstbezogenheit des Unfalls fehle. Maßgeblich für die materielle Dienstbezogenheit sei, wenn - wie hier - die Kriterien Dienstort und Dienstzeit eine eindeutige Zuordnung nicht ermöglichten, ob die Veranstaltung dienstlichen Interessen, also der Bewältigung der eigentlichen dienstlichen Aufgaben diene. Das Aufsuchen des Integrationsfachdienstes, um sich - vergleichbar mit einem Arztbesuch - gesund und leistungsfähig zu erhalten, habe in erster Linie die private Sphäre der Klägerin betroffen und sei nicht durch die Erfordernisse des Dienstes geprägt gewesen. Es fehle auch an der formellen Dienstbezogenheit. Hierfür sei erforderlich, dass die Veranstaltung in die dienstliche Sphäre einbezogen sei und damit von der Autorität des Dienstvorgesetzten getragen werde. Die Klägerin sei jedoch weder zur Wahrnehmung des Termins beim Integrationsfachdienst aufgefordert noch dorthin entsandt worden. Ob eine formelle Dienstbezogenheit anzunehmen wäre, wenn der Integrationsfachdienst vom Beklagten im Rahmen eines Präventionsverfahrens nach § 84 SGB IX eingeschaltet worden wäre, sei nicht entscheidungserheblich.

5 2. Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (stRspr; Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 2. Februar 2011 - BVerwG 6 B 37.10 - NVwZ 2011, 507).

6 Die als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,
„Handelt es sich bei dem Zurücklegen des Weges zu einem Integrationsfachdienst im Sinne von § 109 SGB IX um Dienst im Sinne von § 31 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 des Beamtenversorgungsgesetzes in der Überleitungsfassung für Schleswig-Holstein (BeamtVGÜFSH)?“
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Sie könnte in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht allgemein, sondern nur nach auf einer die konkreten Umstände berücksichtigenden Einzelfallwürdigung für den konkreten Fall beantwortet werden. Insbesondere kommt es bei einer solchen Einzelfallprüfung darauf an, wer den Integrationsfachdienst beauftragt hat und welchen Zwecken die Beauftragung im konkreten Fall dient. Eine verallgemeinerungsfähige Klärung der aufgeworfenen Frage ist damit nicht möglich.

7 In der Sache setzt die Beschwerde der Würdigung der konkreten Umstände des Falles der Klägerin durch das Oberverwaltungsgericht, dem von der Klägerin mit der Beraterin des Integrationsfachdienstes geführten Gespräch fehle es an der insoweit erforderlichen materiellen und formellen Dienstbezogenheit, lediglich ihre eigene abweichende Bewertung entgegen.

8 Im Übrigen ist die Frage, wann ein Dienstunfall im Sinne der einschlägigen beamtenrechtlichen Normen vorliegt, in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.

9 Für die Unfallfürsorge ist grundsätzlich das Recht maßgeblich, das im Zeitpunkt des Unfallereignisses gegolten hat, sofern sich nicht eine Neuregelung ausdrücklich Rückwirkung beimisst (stRspr; vgl. zuletzt Urteil vom 26. November 2013 - BVerwG 2 C 9.12 - NVwZ-RR 2014, 423 Rn. 6 m.w.N.). Zum Unfallzeitpunkt war das Beamtenversorgungsgesetz in der Überleitungsfassung von Schleswig-Holstein vom 20. Juli 2009 (GVOBl S. 506, 516) in Kraft. Es enthielt in Übereinstimmung mit den Regelungen zum Dienstunfall im Bund und in anderen Bundesländern die gesetzliche Definition des Dienstunfalls als eines auf äußerer Einwirkung beruhenden, plötzlichen, örtlich und zeitlich bestimmbaren Ereignisses, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist (§ 31 Abs. 1 Satz 1), und die Einbeziehung der Teilnahme an dienstlichen Veranstaltungen und das Zurücklegen des mit dem Dienst zusammenhängenden Weges nach und von der Dienststelle in den Dienstbegriff (§ 31 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und § 31 Abs. 2 Satz 1).

10 Die rechtlichen Voraussetzungen eines Dienstunfalls sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Danach umfasst der Dienst grundsätzlich alle Tätigkeiten, die der Beamte im Rahmen der ihm übertragenen Aufgaben des Dienstpostens ausübt. Die Dienstgeschäfte können dem Beamten durch Gesetz, durch Verordnung oder durch generelle und spezielle dienstliche Weisungen übertragen werden. Zum Dienst gehören grundsätzlich auch Dienstreisen, Dienstgänge, dienstliche Veranstaltungen und bestimmte Nebentätigkeiten. Außerhalb des durch Dienstzeit und Dienstort geprägten Geschehensablaufes ist hingegen von dem privaten Lebensbereich des Beamten als vorgegeben auszugehen. Hier müssen neben der subjektiven Vorstellung des Beamten, in Ausübung oder im Interesse des Dienstes zu handeln, besondere objektive Umstände festgestellt werden, die den Schluss rechtfertigen, dass die fragliche Verrichtung des Beamten nicht der vorgegebenen Privatsphäre, sondern dem dienstlichen Bereich zuzurechnen ist. Diese Umstände müssen die wesentliche (objektive) Ursache der Verrichtung sein, bei der der Beamte den Unfall erleidet (stRspr; Urteil vom 3. November 1976 - BVerwG 6 C 203.73 - BVerwGE 51, 220 <222> m.w.N.; Beschluss vom 22. Juni 2005 - BVerwG 2 B 107.04 - juris Rn. 10).

11 Das gesetzliche Merkmal „in Ausübung oder infolge des Dienstes“ verlangt eine besonders enge ursächliche Verknüpfung des Ereignisses mit dem Dienst. Maßgebend hierfür ist der Sinn und Zweck der beamtenrechtlichen Unfallfürsorgeregelung. Dieser liegt in einem über die allgemeine Fürsorge hinausgehenden besonderen Schutz des Beamten bei Unfällen, die außerhalb seiner privaten (eigenwirtschaftlichen) Sphäre im Bereich der in der dienstlichen Sphäre liegenden Risiken eintreten, also in dem Gefahrenbereich, in dem der Beamte entscheidend aufgrund der Anforderungen des Dienstes tätig wird (Urteil vom 29. August 2013 - BVerwG 2 C 1.12 - NVwZ-RR 2014, 152 Rn. 10 m.w.N.).

12 Ausgehend vom Zweck der gesetzlichen Regelung und dem Kriterium der Beherrschbarkeit des Risikos der Geschehnisse durch den Dienstherrn kommt dem konkreten Dienstort des Beamten eine herausgehobene Rolle zu. Der Beamte steht bei Unfällen, die sich innerhalb des vom Dienstherrn beherrschbaren räumlichen Risikobereichs ereignen, unter dem besonderen Schutz der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge. Zu diesem Bereich zählt der Dienstort, an dem der Beamte seine Dienstleistung erbringen muss, wenn dieser Ort zum räumlichen Machtbereich des Dienstherrn gehört. Risiken, die sich hier während der Dienstzeit verwirklichen, sind dem Dienstherrn zuzurechnen, unabhängig davon, ob die Tätigkeit, bei der sich der Unfall ereignet hat, dienstlich geprägt ist. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall, dass diese Tätigkeit vom Dienstherrn verboten ist oder dessen wohlverstandenen Interessen zuwiderläuft (Urteil vom 29. August 2013 a.a.O. Rn. 11 m.w.N.).

13 Dienstort im dienstunfallrechtlichen Sinne ist derjenige Ort, an dem der Beamte die ihm übertragenen dienstlichen Aufgaben zu erledigen hat. Sind dem Beamten für gewisse Zeit Aufgaben zugewiesen, die er nicht an seinem üblichen Dienstort, insbesondere nicht an seinem Arbeitsplatz in einem Dienstgebäude, sondern an einem anderen Ort wahrnehmen muss, so wird dieser Ort für die Dauer der Aufgabenerledigung vorübergehend Dienstort (Urteil vom 29. August 2013 a.a.O. Rn. 12 m.w.N.).

14 Mit dem Merkmal „infolge des Dienstes“ werden die Fälle erfasst, in denen die den Dienstunfall kennzeichnende Kausalkette zwischen dem den Schaden auslösenden Ereignis und dem Eintritt des Körperschadens zwar während der Erfüllung der Dienstobliegenheiten durch den Beamten begonnen, aber erst nach deren Abschluss ihr Ende gefunden hat (Urteil vom 29. August 2013 a.a.O. Rn. 13 m.w.N.).

15 Durch die ausdrückliche Aufführung der dienstlichen Veranstaltung hat der Gesetzgeber den gesetzlichen Dienstunfallbegriff nicht erweitert. Es sollte lediglich klargestellt werden, dass neben dem eigentlichen Dienst auch dienstliche Veranstaltungen zum Dienst gehören (Urteil vom 29. August 2013 a.a.O. Rn. 16 m.w.N.).

16 Veranstaltungen sind kollektive - für alle Beamten des Dienstherrn oder einer Behörde oder für einen bestimmten Kreis von Bediensteten - geschaffene Maßnahmen oder Einrichtungen. Die Veranstaltung muss formell und materiell dienstbezogen sein (vgl. Urteile vom 19. April 1967 - BVerwG 6 C 96.63 - Buchholz 232 § 135 BBG Nr. 32, vom 13. August 1973 - BVerwG 6 C 26.70 - Buchholz 232 § 135 BBG Nr. 51 und vom 31. Januar 1974 - BVerwG 2 C 7.73 - Buchholz 232 § 135 BBG Nr. 52). Um ihre entscheidende Prägung durch die dienstliche Sphäre zu erhalten, muss eine Veranstaltung im Zusammenhang mit dem Dienst stehen, dienstlichen Interessen dienen und, sei es unmittelbar oder mittelbar, von der Autorität eines Dienstvorgesetzten getragen und damit in den weisungsgebundenen Dienstbereich einbezogen sein (Urteil vom 29. August 2013 a.a.O. Rn. 17 m.w.N.). Für die materielle Dienstbezogenheit kommt es entscheidend auf den Zusammenhang der Veranstaltung mit den eigentlichen Dienstaufgaben und dabei wiederum wesentlich darauf an, ob die Veranstaltung dienstlichen Interessen dient. Formell muss die Veranstaltung vom Dienstherrn in die dienstliche Sphäre einbezogen und damit unmittelbar oder mittelbar von der Autorität eines Dienstvorgesetzten des Beamten getragen und in den weisungsgebundenen Bereich einbezogen sein. Das erfordert nicht in jedem Falle, dass die Veranstaltung vom Dienstvorgesetzten selbst getragen und durchgeführt wird; er kann damit auch andere Personen beauftragen (Urteil vom 23. Februar 1989 - BVerwG 2 C 38.86 - BVerwGE 81, 265 <267>).

17 Hieraus wird deutlich, dass bei der Frage, ob eine - hier allein in Betracht kommende - dienstliche Veranstaltung im Sinne des Dienstunfallrechts vorliegt, stets eine Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der in der angeführten Rechtsprechung genannten Kriterien stattzufinden hat. Das gilt auch für das Aufsuchen eines Integrationsfachdienstes durch einen Beamten.

18 Integrationsfachdienste sind Dienste, die bei der Durchführung von Maßnahmen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben beteiligt werden (§ 109 Abs. 1 SGB IX). Sie können sowohl die schwerbehinderten Menschen als auch die Arbeitgeber beraten (§ 110 Abs. 1 SGB IX). Sie werden tätig im Auftrag der Integrationsträger oder der Rehabilitationsträger (§ 111 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) und arbeiten insbesondere mit der Bundesagentur für Arbeit und dem Arbeitgeber zusammen (§ 111 Abs. 3 SGB IX). Im Auftrag legen Auftraggeber und Integrationsfachdienst Art, Umfang und Dauer des im Einzelfall notwendigen Einsatzes sowie das Entgelt fest (§ 111 Abs. 2 SGB IX). Die bei den freien Trägern angesiedelten Integrationsfachdiensten sollen die gesetzlichen Leistungsträger bei der Beratung und Betreuung im Vorfeld der Arbeitsaufnahme, bei der Erstellung von Leistungsprofilen, bei der Arbeitsplatzsuche, im Bewerbungsverfahren und nach der Arbeitsaufnahme bei der Stabilisierung und Sicherung der Arbeitsverhältnisse unterstützen (vgl. § 110 Abs. 2 SGB IX; Ernst, in: Ernst/Adlhoch/Seel, SGB IX Stand Januar 2014, Vor § 109 SGB IX, Rn. 1).

19 Vor diesem Hintergrund kann die auf eigener Initiative beruhende Inanspruchnahme der Unterstützung eines Integrationsfachdienstes durch einen Beamten - also ohne dienstliche Anordnung oder Vereinbarung etwa im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 SGB IX (vgl. zum betrieblichen Eingliederungsmanagement bei Beamten Urteil vom 5. Juni 2014 - BVerwG 2 C 22.13 - zur Veröffentlichung in der amtlichen Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen) - allenfalls in einem besonderen Ausnahmefall die dargelegten Anforderungen eines Dienstunfalls erfüllen. Es bedarf stets der - hier vom Oberverwaltungsgericht vorgenommenen - Einzelfallprüfung an Hand der dargelegten Kriterien.

20 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 52 Abs. 2, § 47 und § 40 GKG.