Beschluss vom 25.04.2006 -
BVerwG 1 B 116.05ECLI:DE:BVerwG:2006:250406B1B116.05.0

Beschluss

BVerwG 1 B 116.05

  • Niedersächsisches OVG - 22.06.2005 - AZ: OVG 5 LB 51/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. April 2006
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann,
Hund und Richter
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. Juni 2005 aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Gründe

1 Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Kläger rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG). Denn das Berufungsgericht hat entscheidungserhebliches Vorbringen des Klägers nicht in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen.

2 Die Beschwerde sieht im Ergebnis zu Recht einen Verfahrensverstoß in den Ausführungen, mit denen im Berufungsurteil die Heranziehung des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung begründet wird. Diesen Ausführungen zufolge war der Kläger, wie in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; im Folgenden: Bundesamt) vom 6. Mai 1997 zutreffend angenommen worden sei, bei seiner Ausreise nicht von politischer Verfolgung betroffen gewesen. Auf die Gründe dieses Bescheids nahm das Berufungsgericht „insoweit in Anwendung des § 77 Abs. 2 AsylVfG Bezug, weil der Kläger die gegen diesen Bescheid erhobene Klage zurückgenommen hat, soweit die eine Vorverfolgung voraussetzende Anerkennung als Asylberechtigte abgelehnt wurde, und Anhaltspunkte dafür, dass die in diesem Bescheid insoweit getroffenen Feststellungen unzutreffend sind, weder geltend gemacht wurden noch erkennbar sind“ (UA S. 10).

3 Hiermit hat das Berufungsgericht die von dem Kläger geltend gemachten Vorfluchtgründe nur unzureichend zur Kenntnis genommen und erwogen. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht den ihm unterbreiteten Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen einbezogen hat, auch wenn es sich in den Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich mit jedem Gesichtspunkt auseinander gesetzt hat. Etwas anderes gilt aber, wenn es auf den wesentlichen Kern des Vorbringens des Klägers nicht eingeht. Das ist hier hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Vorfluchtgründe der Fall. Das Berufungsgericht berücksichtigt nicht, dass der Kläger an seinem diesbezüglichen Vorbringen vor dem Bundesamt ausdrücklich festgehalten und im gerichtlichen Verfahren insoweit weitere Einzelheiten vorgetragen hat (vgl. besonders Schriftsatz vom 19. Juni 1997). Mit diesem Vorbringen hätte sich das Berufungsgericht über die Erwähnung im Tatbestand des Urteils hinaus näher auseinander setzen müssen. Die erwähnte Bezugnahme auf den angegriffenen Bescheid reichte unter den besonderen Umständen des Falles nicht aus, zumal nicht deutlich wird, ob das Berufungsgericht den in Rede stehenden Verfolgungsvortrag als unglaubhaft angesehen oder eine politische Verfolgung des Klägers wegen - vom Berufungsgericht offenbar nicht von vornherein ausgeschlossener (vgl. UA S. 11 2. Absatz) - tatsächlicher oder vermuteter Regimegegnerschaft verneint hat. Unklar bleibt im Übrigen auch die Bedeutung der Rücknahme der auf die Anerkennung als Asylberechtigter gerichteten Klage im Zusammenhang mit der erwähnten Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid im Berufungsurteil. Bei der Befassung mit dem Vorbringen des Klägers wird das Berufungsgericht auch auf dessen - im angegriffenen Bescheid nicht berücksichtigtem - Vortrag eingehen müssen, iranische Sicherheitskräfte hätten nach der Verhaftung des Abteilungsleiters auch das Haus durchsucht, in dem der Kläger mit seinen Eltern gelebt habe (Bundesamtsakte Bl. 28 f. und Schriftsatz vom 4. Februar 1999, S. 2).

4 Die Entscheidung kann auch auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei Gewährung rechtlichen Gehörs den herabgestuften Prognosemaßstab herangezogen hätte und zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis gekommen wäre.

5 Hat bereits diese Gehörsrüge Erfolg, kommt es auf die weiteren von der Beschwerde erhobenen Rügen nicht an. Der Senat verweist im Interesse der Verfahrensbeschleunigung die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung der Berufungsentscheidung an das Berufungsgericht zurück.