Beschluss vom 25.01.2006 -
BVerwG 2 B 36.05ECLI:DE:BVerwG:2006:250106B2B36.05.0

Beschluss

BVerwG 2 B 36.05

  • OVG Münster - 21.04.2005 - AZ: OVG 1 A 3099/03 -
  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 21.04.2005 - AZ: OVG 1 A 3099/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. Januar 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. K u g e l e und Dr. H e i t z
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. April 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe bis 4 500 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf die Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und der Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist nicht begründet.

2 1. Mit dem ersten Klageantrag erstrebt der Kläger die Verpflichtung der Beklagten, ihm den monatlichen Erhöhungsbetrag gemäß Art. 9 § 1 Abs. 1 des Bundesbesoldungs- und Versorgungsanpassungsgesetzes vom 19. November 1999 - BBVAnpG 99 - (BGBl I S. 2198 <2200>) für die Dezembermonate 1988 bis 1993 jeweils ein zweites Mal nachzuzahlen. Seiner Auffassung, die monatlichen Erhöhungsbeträge gemäß Art. 9 § 1 Abs. 1 BBVAnpG bezögen sich auch auf die jährliche Sonderzuwendung, ist das Berufungsgericht unter Verweis auf Wortlaut, Systematik und Normzweck der gesetzlichen Regelungen entgegengetreten.

3 Diese Auslegung des Art. 9 § 1 Abs. 1 BBVAnpG 99 greift der Kläger in der Beschwerdebegründung nicht mehr an. Er hält die Fragen für rechtsgrundsätzlich bedeutsam,
ob der Besoldungsgesetzgeber nach Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Besoldungsregelung durch das Bundesverfassungsgericht den Verfassungsverstoß durch Festsetzung von Erhöhungsbeträgen beseitigen oder ob er die für verfassungswidrig erklärten Besoldungsregelungen rückwirkend durch verfassungsgemäße ersetzen muss und
ob die Erhöhungsbeträge bestimmten Komponenten der Besoldung zugeordnet werden müssen.

4 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Einzelfall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>; stRspr). Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der aufgeworfenen Rechtsfragen nicht vor:

5 Zum einen ist es nicht von entscheidungserheblicher Bedeutung für den Erfolg des Klagebegehrens, wie die Rechtsfragen beantwortet werden. Denn als Anspruchsgrundlage für die vom Kläger beanspruchte Zahlung eines dreizehnten Erhöhungsbetrages für die Jahre 1988 bis 1993 kommt nur Art. 9 § 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 BBVAnpG 99 in Betracht. Wären diese Regelungen verfassungswidrig und nichtig, wie der Kläger nunmehr geltend macht, so bestünden die Zahlungsansprüche schon deshalb nicht, weil es an der hierfür erforderlichen gesetzlichen Grundlage fehlen würde. Nach den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG unterliegen Besoldungsleistungen dem Vorbehalt des Gesetzes (vgl. § 2 Abs. 1 BBesG). Sie dürfen nur zugesprochen werden, wenn und soweit sie gesetzlich vorgesehen sind. Dies gilt auch, wenn die sich aus dem Gesetz ergebende Besoldung verfassungswidrig zu niedrig bemessen ist (vgl. Urteile vom 20. Juni 1996 - BVerwG 2 C 7.95 - Buchholz 240 § 2 BBesG Nr. 8 und vom 28. April 2005 - BVerwG 2 C 1.04 - DVBl 2005, 1520).

6 Zum anderen bedarf es keines Revisionsverfahrens, um die aufgeworfenen Rechtsfragen zu beantworten. Der Gesetzgeber hat Art. 9 §§ 1, 2 BBVAnpG 99 geschaffen, um die in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. November 1998, BVerfGE 99, 300 <321 ff.> aufgestellten Anforderungen an die Alimentation von Beamten mit mehr als zwei unterhaltsberechtigten Kindern zu erfüllen. Das Bundesverfassungsgericht hat aus dem in Art. 33 Abs. 5 GG verankerten Alimentationsprinzip hergeleitet, es könne Beamten nicht zugemutet werden, zur Deckung des Bedarfs ihrer unterhaltsberechtigten Kinder auf die familienneutralen Gehaltsbestandteile zurückzugreifen. Davon ausgehend hat es festgestellt, dass die zur Prüfung stehenden gesetzlichen Regelungen über die Gewährung kinderbezogener Gehaltsbestandteile für das dritte und jedes weitere Kind das Alimentationsprinzip verletzten, weil diese Bestandteile nicht ausreichten, um den Kindesunterhalt zu decken. Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber verpflichtet, die Besoldungsrechtslage hinsichtlich der kinderbezogenen Gehaltsbestandteile bis zum 31. Dezember 1999 verfassungskonform zu gestalten und den Verfassungsverstoß hinsichtlich derjenigen Beamten mit drei oder mehr Kindern, die den Rechtsweg beschritten hatten, rückwirkend zu beheben. Entscheidungsformel und -gründe des Beschlusses vom 24. November 1998, a.a.O., lassen erkennen, dass der Gesetzgeber die erforderlichen gesetzlichen Regelungen bis zum 31. Dezember 1999 mit Wirkung für die Zukunft treffen sollte. Für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 1998 war er verpflichtet sicherzustellen, dass die verfassungswidrig vorenthaltenen Bezüge den Beamten, die den Rechtsweg beschritten hatten, nachgezahlt wurden. Entsprechende Besoldungsansprüche mussten allen Beamten mit drei oder mehr Kindern für die Übergangszeit eingeräumt werden (BVerfGE 99, 300 <304, 331>). Hinsichtlich der Modalitäten der Zahlungen hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber keine Vorgaben gemacht.

7 Demnach konnte der Gesetzgeber den Verfassungsverstoß für die Vergangenheit dadurch beseitigen, dass er Beamten mit drei und mehr Kindern für den Zeitraum vom 1. Januar 1988 bis 31. Dezember 1998 gemäß Art. 9 § 1 Abs. 1 BBVAnpG 99 eigenständige gesetzliche Ansprüche auf rückwirkende Nachzahlung kinderbezogener Gehaltsbestandteile einräumte. Die Zuordnung dieser Ansprüche zu der Besoldungskomponente "kinderbezogener Orts- bzw. Familienzuschlag" ergibt sich eindeutig aus dem Leistungszweck. Entsprechendes gilt für die Besoldung im Jahr 1999, d.h. bis zum Ablauf der Übergangsfrist (vgl. Art. 9 § 2 BBVAnpG 99).

8 Nach alledem liegt auch der geltend gemachte Revisionszulassungsgrund der Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht vor. Das Berufungsurteil beruht nicht auf einem Rechtssatz, der von einem Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts in dem Beschluss vom 24. November 1998, a.a.O., abweicht.

9 2. Mit dem zweiten Klageantrag hat der Kläger Ansprüche auf Zahlung von Verzugszinsen auf die Erhöhungsbeträge gemäß Art. 9 § 1 Abs. 1, § 2 BBVAnpG 99 entsprechend § 288 BGB geltend gemacht. Das Berufungsgericht hat solche Ansprüche im Hinblick auf das für Besoldungsleistungen geltende gesetzliche Verzugszinsenverbot gemäß § 3 Abs. 6 BBesG verneint.

10 Die Anwendung des § 3 Abs. 6 BBesG auf die gemäß Art. 9 § 1 Abs. 1, § 2 BBVAnpG 99 gezahlten Erhöhungsbeträge greift der Kläger in der Beschwerdebegründung nicht mehr an. Er hält die Frage für rechtsgrundsätzlich bedeutsam,
ob sich bei einer erst nach mehr als einem Jahrzehnt erfolgten Nachzahlung verfassungswidrig vorenthaltener Besoldungsleistungen aus Art. 3 Abs. 1 GG ein Verzinsungsgebot jenseits von § 3 Abs. 6 BBesG ergebe, um die Gleichbehandlung von Beamten mit drei oder mehr Kindern mit anderen Beamten zu erreichen.

11 Auch diese Rechtsfrage rechtfertigt die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht:

12 Es besteht kein Klärungsbedarf, weil die Beantwortung der Frage auf der Hand liegt. Ebenso wenig wie Ansprüche auf Zahlung von Besoldungsleistungen können daran anknüpfende Zinsansprüche ohne Rücksicht auf die einfachrechtliche Lage unmittelbar auf Art. 3 Abs. 1 GG gestützt werden; sie setzen eine gesetzliche Grundlage voraus (Urteile vom 20. Juni 1996 und vom 28. April 2005, a.a.O.).

13 Auch stellt sich das Berufungsurteil jedenfalls insoweit im Ergebnis als richtig dar, als das Berufungsgericht Ansprüche auf Verzugszinsen hinsichtlich der Erhöhungsbeträge für den Zeitraum vom 1. Januar 1988 bis 31. Dezember 1998 verneint hat (§ 144 Abs. 4 VwGO). In dieser Zeit konnte die Beklagte nicht in Verzug geraten, weil keine Zahlungsverpflichtung entstanden war. Verzug kann erst eintreten, wenn und soweit die Geldforderung dem Grund nach entstanden, der Höhe nach hinreichend bestimmt und fällig geworden ist (vgl. Ernst, in: Münchener Kommentar, BGB, Band 2 a, 4. Auflage, § 286 Rn. 18, 19, 31 m.w.N.). Erst nach Eintritt dieser Voraussetzungen kann der Gläubiger Zahlung verlangen. Da Ansprüche auf Zahlung von Besoldungsleistungen durch Besoldungsgesetz begründet werden, können sie jedenfalls nicht vor dessen Inkrafttreten entstehen. Vor diesem Zeitpunkt kann der Dienstherr mit der Zahlung nicht in Verzug geraten, weil er noch nicht zur Zahlung verpflichtet ist.

14 Art. 9 § 1 Abs. 1 BBVAnpG 99 als gesetzliche Grundlage für die Nachzahlung der verfassungswidrig vorenthaltenen kinderbezogenen Gehaltsbestandteile ist gemäß Art. 12 Abs. 2 BBVAnpG 99 am 20. November 1999 in Kraft getreten; die gemäß Art. 9 § 1 Abs. 1 Satz 4 erforderliche Bekanntmachung der Erhöhungsbeträge durch das Bundesministerium des Innern datiert vom 20. Dezember 1999. Erst dadurch wurden die Voraussetzungen für die betragsmäßige Bestimmung der für die Zeit vom 1. Januar 1988 bis 31. Dezember 1998 nachzuzahlenden Erhöhungsbeträge geschaffen.

15 Dienstherren und Verwaltungsgerichte waren auch nicht befugt, Erhöhungsbeträge für diesen Zeitraum auf der Grundlage des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 24. November 1998, a.a.O., ohne gesetzliche Grundlage zu berechnen und zuzusprechen. Denn die Vollstreckungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts in dem Beschluss vom 24. November 1998, a.a.O., begründet nur Ansprüche auf Zahlung ergänzender kinderbezogener Gehaltsbestandteile für den Zeitraum ab 1. Januar 2000 (vgl. Urteil vom 17. Juni 2004 - BVerwG 2 C 34.02 - BVerwGE 121, 91 <93 ff.>).

16 3. Mit dem Hilfsantrag hat der Kläger Ansprüche auf Zahlung von Rechtshängigkeitszinsen auf die nachzuzahlenden Erhöhungsbeträge geltend gemacht. Das Berufungsgericht hat solche Ansprüche nicht für gegeben gehalten, weil die vom Kläger erhobenen Feststellungsklagen die Rechtshängigkeit der Zahlungsansprüche nicht ausgelöst hätten.

17 Der Kläger hält insoweit die Frage für rechtsgrundsätzlich bedeutsam,
ob bei langjähriger verfassungswidriger Unterschreitung der Mindestalimentation Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit der allein möglichen Feststellungsklage zuzuerkennen sind.

18 Diese Rechtsfrage rechtfertigt die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht, weil insoweit kein Klärungsbedarf besteht. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass ein Anspruch auf Rechtshängigkeitszinsen entsprechend § 291 BGB auch hinsichtlich öffentlich-rechtlicher Geldforderungen bestehen kann, wenn das einschlägige Fachgesetz keine abweichende Regelung enthält. Gemäß § 291 Satz 1 BGB entsteht ein solcher Anspruch mit dem Eintritt der Rechtshängigkeit einer Geldforderung. Dies setzt voraus, dass die Geldforderung, die den Streitgegenstand bildet, der Höhe nach feststeht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sie in der Weise konkretisiert sein, dass ihr Umfang eindeutig bestimmt ist oder rechnerisch unzweifelhaft ermittelt werden kann. Es darf keine weitere Rechtsanwendung erforderlich sein, um den Geldbetrag zu beziffern. Durch eine Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Geldforderung tritt deren Rechtshängigkeit ein, wenn die Feststellungsklage im Einzelfall als der Leistungsklage gleichwertig anzusehen und die Forderung nur dem Grunde nach streitig ist (zum Ganzen Urteile vom 28. Juni 1995 - BVerwG 11 C 22.94 - BVerwGE 99, 53 <55>; vom 28. Mai 1998 - BVerwG 2 C 28.97 - Buchholz 239.1 § 49 BeamtVG Nr. 5; vom 27. Oktober 1998 - BVerwG 1 C 38.97 - BVerwGE 107, 304 <305 ff.> und vom 22. Februar 2001 - BVerwG 5 C 34.00 - BVerwGE 114, 61 <62 ff.>). Es ist weder in der Beschwerdebegründung dargetan noch sonst ersichtlich, warum dieser Bedeutungsgehalt des Begriffs der Rechtshängigkeit für Ansprüche auf Zahlung von Besoldungsleistungen nicht gelten sollte.

19 Der vom Kläger geltend gemachte Revisionszulassungsgrund der Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt offensichtlich nicht vor. Das Berufungsurteil weicht nicht von den Rechtssätzen ab, die das Bundesverwaltungsgericht zur Frage des Eintritts der Rechtshängigkeit öffentlich-rechtlicher Geldforderungen gemäß § 291 Satz 1 BGB aufgestellt hat. Vielmehr hat das Berufungsgericht diese Rechtssätze auf den zu entscheidenden Fall angewandt.

20 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 52 Abs. 3, § 71 Abs. 1 Satz 2 GKG i.d.F. von Art. 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718).