Beschluss vom 24.11.2003 -
BVerwG 1 B 100.03ECLI:DE:BVerwG:2003:241103B1B100.03.0

Beschluss

BVerwG 1 B 100.03

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 18.12.2002 - AZ: OVG 9 A 873/99.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. November 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H u n d und R i c h t e r
beschlossen:

  1. Dem Beigeladenen wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt ..., beigeordnet.
  2. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 2002 wird aufgehoben.
  3. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  4. Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor (§ 166 VwGO, §§ 114 ff. ZPO).
Die Beschwerde ist mit der Rüge eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) begründet. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurück.
Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht den in der Berufungsverhandlung unbedingt gestellten Beweisantrag auf Vernehmung des Vaters des Beigeladenen als Zeugen nicht mit der gegebenen Begründung hätte ablehnen dürfen. Das Zeugnis war dazu beantragt (vgl. GA S. 209), "dass der Vater des Beigeladenen jeweils in den Jahren 1993, 1995 und 1998 Ziel von Anschlägen des irakischen Geheimdienstes bzw. Agenten der irakischen Zentralregierung war bzw. im Jahre 1998 der Vater des Beigeladenen gemeinsam mit dem Beigeladenen Ziel solcher Anschläge war". Das Berufungsgericht hat zur Ablehnung des Beweisantrags ausgeführt (vgl. Protokoll der Berufungsverhandlung, GA S. 332 ff., 336), der Anschlag des Jahres 1993 könne als wahr unterstellt werden; hinsichtlich der weiter behaupteten Anschläge bestehe keine Grundlage für eine Beweiserhebung, weil das persönliche Vorbringen des Beigeladenen hierzu unsubstantiiert, detailarm bzw. in wichtigen Teilen widersprüchlich sei.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist zwar anerkannt, dass die Tatsachengerichte auch substantiierten Beweisanträgen zum Verfolgungsgeschehen nicht nachgehen müssen, wenn die Schilderungen des Asylbewerbers zu seinem Verfolgungsschicksal in wesentlichen Punkten unzutreffend oder in nicht auflösbarer Weise widersprüchlich sind (Beschluss vom 26. Oktober 1989 - BVerwG 9 B 405.89 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 212 = InfAuslR 1990, 38; Beschluss vom 9. September 1997 - BVerwG 9 B 412.97 - <juris>; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. März 1997 - 2 BvR 323/97 - <juris>). Hierauf bezieht sich wohl die Ablehnungsbegründung des Berufungsgerichts. Sie trifft aber im vorliegenden Fall nicht zu. Denn der Beigeladene hatte sich zum Beweis dafür, dass seine Behauptungen über weitere Anschläge, die gegen ihn und seinen Vater in den Jahren 1995 und 1998 verübt worden seien, gerade auf das Zeugnis seines inzwischen als Flüchtling in Großbritannien anerkannten Vaters als Zeugen berufen. Diesen zur Stützung des eigenen Vortrags durch einen unmittelbar an dem behaupteten Geschehen beteiligten Zeugen gerichteten Beweisantrag (vgl. hierzu auch den Beschluss vom 27. März 2000 - BVerwG 9 B 518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60 = InfAuslR 2000, 412) durfte das Berufungsgericht nicht schon deshalb ablehnen, weil es den Vortrag des Beigeladenen aus den von ihm dargelegten Gründen für unglaubhaft gehalten hat, zumal es selbst - im Wege der "Wahrunterstellung" - davon ausgegangen ist, dass der erste Anschlag im Jahre 1993 "möglicherweise" tatsächlich stattgefunden hat (BA S. 9). Allein deshalb, weil das Berufungsgericht zu der "Überzeugung" gelangt ist, "dass die von dem Beigeladenen weiter behaupteten Attentate auf seinen Vater in den Jahren 1995 und 1998 nicht stattgefunden haben" (BA S. 10), durfte es den substantiierten Zeugenbeweisantrag nicht ablehnen. Die gegebene Begründung kann die Ablehnung eines substantiierten Zeugenbeweisantrags nur dann tragen, wenn im Einzelfall - wie in den vom Bundesverwaltungsgericht durch die zitierten Entscheidungen überprüften Verfahren - unschlüssige, gänzlich unglaubhafte oder unsubstantiierte Angaben zum Verfolgungsschicksal gemacht werden, die nach ihrem tatsächlichen Inhalt keinen Anlass geben, einer daraus hergeleiteten Verfolgungsfurcht näher nachzugehen. Ob die Ablehnung des Beweisantrags im Hinblick auf den Aufenthalt des Zeugen im Ausland unter den Voraussetzungen des entsprechend anzuwendenden § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO in Betracht gekommen wäre, ist nicht zu prüfen (vgl. Beschluss vom 27. März 2000, a.a.O.).