Beschluss vom 24.10.2011 -
BVerwG 8 B 56.11ECLI:DE:BVerwG:2011:241011B8B56.11.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 24.10.2011 - 8 B 56.11 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:241011B8B56.11.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 56.11

  • VG Cottbus - 29.03.2011 - AZ: VG 1 K 40/09

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. Oktober 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin zu 1 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29. März 2011 ergangenen Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin zu 1 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 271,85 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Klägerin zu 1 begehrt als Miterbin die Zahlung einer Entschädigung an die Erbengemeinschaft nach ihrem Vater für ein Grundstück, das ursprünglich ihrem Großvater gehörte und im Jahr 1968 aufgrund des Aufbaugesetzes in Anspruch genommen und in Volkseigentum überführt wurde. Das Verwaltungsgericht hat einen Schädigungstatbestand verneint und die Revision nicht zugelassen.

2 Die allein auf Verfahrensfehler gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. Die weitgehend in Form einer Berufungsbegründung gehaltene Beschwerde lässt das Vorliegen eines Verfahrensmangels nicht erkennen.

3 Der gerügte Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 VwGO liegt nicht vor. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO enthält als prozessrechtliche Vorschrift Vorgaben, die die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts als Vorgang steuern (vgl. Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 Rn. 5; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 132 Rn. 48). Das Gericht hat seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen. Es darf nicht einzelne nach seiner materiellrechtlichen Rechtsauffassung entscheidungserhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse aus seiner Würdigung ausblenden. Zu dem Gesamtergebnis des Verfahrens gehören insbesondere die Erklärungen der Verfahrensbeteiligten, der Inhalt der vom Gericht beigezogenen Akten sowie die im Rahmen einer Beweiserhebung getroffenen tatsächlichen Feststellungen, unbeschadet der Befugnis des Gerichts, die Erklärungen der Verfahrensbeteiligten, den Inhalt beigezogener Akten sowie das Ergebnis einer Beweisaufnahme frei zu würdigen (vgl. u.a. Beschluss vom 14. Januar 2010 - BVerwG 6 B 74.09 - Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 87 Rn. 2 m.w.N.).

4 Die „Freiheit“, die der Überzeugungsgrundsatz dem Tatsachengericht zugesteht, bezieht sich auf die Bewertung von Tatsachen und Beweisergebnissen, also auf die Würdigung der für die Feststellung des Sachverhalts maßgebenden Umstände. Die Einhaltung der daraus entstehenden verfahrensmäßigen Verpflichtungen ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter ein aus seiner Sicht fehlerhaftes Ergebnis der gerichtlichen Verwertung des vorliegenden Tatsachenmaterials rügt, aus dem er andere Schlüsse ziehen will als das angefochtene Urteil. Die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts darf vom Revisionsgericht nicht daraufhin überprüft werden, ob sie überzeugend ist, ob festgestellte Einzelumstände mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die abschließende Würdigung des Sachverhalts eingegangen sind und ob solche Einzelumstände ausreichen, die Würdigung zu tragen. Solche Fehler sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO deshalb grundsätzlich nicht begründen (stRspr, vgl. u.a. Beschlüsse vom 12. Januar 1995 - BVerwG 4 B 197.94 - Buchholz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 4 S. 1 <4>, vom 2. November 1995 a.a.O. S. 18 ff., vom 8. April 2008 - BVerwG 9 B 13.08 - Buchholz 451.29 Schornsteinfeger Nr. 44 Rn. 10 und vom 28. Oktober 2010 - BVerwG 8 B 23.10 - juris).

5 Das Vorbringen der Beschwerde, das angefochtene Urteil habe aktenkundige entscheidungserhebliche Umstände unberücksichtigt gelassen, nämlich die, die sich aus dem 20-seitigen Beschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 30. November 1995 ergeben, ist nicht geeignet, in diesem Sinn einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz darzulegen. Das Verwaltungsgericht hat den Beschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) im Rehabilitierungsverfahren nicht übersehen (vgl. UA S. 20). Die Beschwerde zieht das auch nicht ernsthaft in Zweifel, sondern rügt lediglich, dass das Verwaltungsgericht nicht die von der Klägerin zu 1 gewünschten Bewertungen des Landgerichts übernommen hat. Damit wendet sich die Beschwerde gegen die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts, die grundsätzlich dem materiellen Recht zuzurechnen ist.

6 Soweit die Beschwerde einen Verstoß gegen Art. 19 GG darin sieht, dass die im Termin anwesende Klägerin zu 1 aufgrund des ausführlichen Sachvortrags in der mündlichen Verhandlung „keinen einzigen Satz“ mehr hervorgebracht habe und sich nach dem Termin in ärztliche Behandlung habe begeben müssen, lässt sie nicht erkennen, was die Klägerin zu 1 hätte vortragen wollen und inwieweit dies nach der allein entscheidenden materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.

7 Auch die Behauptung der Beschwerde, das Verwaltungsgericht habe § 86 VwGO verletzt, lässt nicht erkennen, welche Tatsachen das Gericht unter Verstoß gegen die Untersuchungsmaxime nicht hinreichend aufgeklärt haben soll. Vielmehr wendet sich die Beschwerde auch insoweit nur gegen die Würdigung der Tatsachen durch das Verwaltungsgericht.

8 Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe nicht festgestellt, ob die Privatperson Paul G. Eigentümer des streitgegenständlichen Grundstücks gewesen sei, übersieht die Ausführungen des Urteils auf den Seiten 29 f. Die in diesem Zusammenhang erhobene Behauptung eines Verstoßes gegen das Willkürverbot rügt letztlich wiederum nur, dass das Verwaltungsgericht nicht der Rechtsauffassung der Kläger gefolgt ist.

9 Die Rüge, die Beweismittel der Klägerseite seien nicht vollständig im Tatbestand des Urteils wiedergegeben worden, ist schließlich nicht nachvollziehbar. Gemäß § 117 Abs. 3 VwGO ist der Sach- und Streitstand im Tatbestand nur seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen. Beweisanträge hat die auch in der Vorinstanz anwaltlich vertretene Klägerin zu 1 ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 29. März 2011 nicht gestellt. Der behauptete Verstoß gegen Denkgesetze wird nicht dargelegt.

10 Von einer weiteren Darstellung der Gründe wird gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.

11 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG. Dabei war zu berücksichtigen, dass das Beschwerdeverfahren nur von der Klägerin zu 1, die eine von vier Mitgliedern der Erbengemeinschaft ist, betrieben wurde. Der Streitwert bemisst sich deshalb nur nach dem ihrem Erbanteil entsprechenden Anteil an der im Fall eines Erfolges der Klage zu erwartenden Entschädigung (vgl. Beschlüsse vom 2. August 1999 - BVerwG 8 KSt 12.99 - Buchholz 360 § 13 GKG Nr. 105 und vom 27. März 2007 - BVerwG 8 B 17.07 - juris Rn. 7).