Beschluss vom 24.03.2005 -
BVerwG 8 B 70.04ECLI:DE:BVerwG:2005:240305B8B70.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 24.03.2005 - 8 B 70.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:240305B8B70.04.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 70.04

  • VG Frankfurt/Oder - 07.06.2004 - AZ: VG 5 K 1061/98

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. März 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht G ö d e l , den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a g e n k o p f und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. H a u s e r
beschlossen:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 7. Juni 2004 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 62 479,87 € festgesetzt.

Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision ist begründet. Zwar kommt der Rechtssache weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu, noch wird eine Divergenz dargetan; das Urteil beruht aber auf einem von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensmangel.
1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. Daran fehlt es hier. Die von der Beschwerde auf S. 5 ihrer Beschwerdeschrift aufgeworfenen Rechtsfragen, haben schon kein fallübergreifendes Gewicht, sondern betreffen den vorliegenden Einzelfall. Zudem ist in der Recht-sprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt, dass eine materielle Beweislastentscheidung nur zu treffen ist, wenn Tatsachen, die für die Beurteilung der Redlichkeit (§ 4 Abs. 3 VermG) erheblich sind, trotz Ausschöpfens aller in Betracht kommenden Aufklärungsmöglichkeiten nicht abschließend aufklärbar sind. Wenn das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die redlichkeitsbegründenden Tatsachen nicht erwiesen sind, muss es nach dieser Rechtsprechung prüfen, ob die Grundannahme der Redlichkeit des Erwerbs durch das Bestehen greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte, die zu vernünftigen, durch Tatsachen belegbaren, ernst zu nehmenden Zweifeln an der Redlichkeit führen, erschüttert wird; dementsprechend reicht nicht schon jede entfernt liegende Möglichkeit unredlichen Verhaltens aus, dem Erwerber die Berufung auf den Rückgabeausschlusstatbestand zu versagen (vgl. Urteil vom 30. November 2000 - BVerwG 7 C 87.99 - Buchholz 428 § 4 Abs. 2 VermG Nr. 12; Urteil vom 28. Februar 2001 - BVerwG 8 C 10.00 - Buchholz 428 § 4 Abs. 2 VermG Nr. 14; Urteil vom 28. Februar 2001 - BVerwG 8 C 3.00 - Buchholz 428 § 4 Abs. 2 VermG Nr. 13). Mit dieser Rechtsprechung setzt sich im Übrigen die Beschwerde an keiner Stelle ihrer Beschwerdeschrift auseinander.
Die weiterhin von der Beschwerde erhobene Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist zudem nicht ordnungsgemäß dargetan. Die Beschwerde vermag keinen abstrakten Rechtssatzwiderspruch zwischen dem angeführten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und dem angefochtenen Urteil darzulegen. Vielmehr sind dem angefochtenen Urteil keine abstrakten Rechtssätze zu entnehmen, die ausdrücklich von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweichen. Der von der Beschwerde angeführte Beschluss vom 16. Oktober 1995 - 7 B 163.95 - (NJW 1996, 409) ist im Übrigen durch die oben genannten Urteile des Bundesverwaltungsgerichts präzisiert und gibt damit den letzten Stand der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht mehr wieder.
Die Beschwerde ist aber deswegen begründet, weil das Verwaltungsgericht, wie die Beschwerde unter Angabe der in Betracht kommenden Beweismittel im Ergebnis zutreffend rügt, gegen seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen hat.
Das Verwaltungsgericht hat zwar zutreffend angenommen, dass zwölf Jahre nach der "Republikflucht" des Beigeladenen zu 2 ein Geschehensablauf in Gang gesetzt wurde, dem ein Gesamtplan zugrunde lag, der von Anfang an darauf gerichtet war, der Klägerin zu 1 und ihren Ehemann unter vollständiger Verdrängung der Beigeladenen das Eigentum am streitbefangenen Grundstück zu verschaffen. Gleichwohl hat das Verwaltungsgericht die aus den beiden oben genannten Urteilen resultierenden Aufklärungspflichten nicht wahrgenommen.
Das Verwaltungsgericht hat nicht aufgeklärt, inwieweit eine Einflussnahme auf den Erwerbsvorgang infolge des freundschaftlichen Verhältnisses zwischen dem damaligen Ehemann der Klägerin und dem stellvertretenden Vorsitzenden des Rates der Stadt M. stattfand. Der Rat der Stadt wurde mit Wirkung zum 1. Oktober 1975 zur Treuhänderin für den dem Horst P. zustehenden Anteil am streitbefangenen Einfamilienhaus bestellt wurde und schloss später mit den Klägern einen Erbteilskaufvertrag über den 7/16 betragenden Erbteil des Beigeladenen zu 2 am streitbefangenen Grundstück. Weiterhin hat das Verwaltungsgericht nicht aufgeklärt, ob dieses freundschaftliche Verhältnis nicht der wahre Grund für das Auftreten des Leiters der Abteilung Volkseigentum und Treuhandverwaltung des Ministeriums der Finanzen der DDR, Herrn J., war, der sich für den Eigentumsübergang an die Kläger einsetzte, an den Rat des Kreises Eisenhüttenstadt herantrat und um Klärung der Eigentumsverhältnisse nachsuchte und sich auch später über den Vorgang unterrichten ließ. Das Verwaltungsgericht hat es im Gegenteil in Verkennung seiner Aufklärungspflicht ausdrücklich offen gelassen aufzuklären, "auf welche Weise der Abteilungsleiter J. ... mit der Eigentumsangelegenheit in M. ... betraut wurde" (S. 19 unten UA).
Weitere Umstände, insbesondere die Beschäftigung der Klägerin zu 1 im Gästehaus "Siehdichum" des Ministeriums des Innern der DDR, das seit 1972 als Gästehaus ausschließlich vom Ministerium für Staatssicherheit genutzt wurde, und die Tatsache, dass die Klägerin selbst Mitarbeiterin der Staatssicherheit war (vgl. die Auskunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Außenstelle Frankfurt (Oder) vom 24. Februar 1999 - Bl. 59 bis 66 der Gerichtsakte), musste dem Verwaltungsgericht Veranlassung geben, die für die Beurteilung der Redlichkeit in Betracht kommenden Umstände weiter aufzuklären.
Das Absehen von weiterer Aufklärung, weil der genannte Abteilungsleiter aus dem Finanzministerium der DDR nur infolge der Eingabe der Kläger vom 17. Oktober 1974 mit der Angelegenheit befasst sein konnte, - so das Verwaltungsgericht auf S. 20 UA - stellt nur eine Vermutung dar. Die in der mündlichen Verhandlung überreichte achtseitige handgeschriebene Eingabe der Kläger bezüglich der Mängel an der damaligen Mietsache, die sich aber auch mit Belanglosigkeiten wie dem Fällen einer Tanne oder dem Obstpflücken befasste, war keineswegs geeignet, ohne weiteres an das DDR-Finanzministerium weitergegeben zu werden. Vielmehr hätte entsprechend dem hierarchischem Staatsaufbau der DDR zunächst der Rat der Stadt M. sodann der Rat des Kreises und dann der Rat des Bezirkes in die Sache eingeschaltet werden müssen. Warum das nicht geschehen ist und direkt der Zugang zur höchsten Verwaltungsebene der DDR erfolgte, hat das Verwaltungsgericht nicht geklärt, obschon es gerade aus dem Verhalten des genannten Abteilungsleiters auf S. 14 des UA den auf einem Gesamtplan beruhenden gezielten Geschehensablauf angenommen hat, wobei das Verwaltungsgericht ausdrücklich auch auf den Umstand abgestellt hatte, dass der genannte Abteilungsleiter aus dem DDR-Finanzministerium "besonderen Wert auf die Abwicklung des Vorgangs (bis Ende 1975 den Verkauf der Anteile bzw. des gesamten Grundstücks an den Nutzer) legte".
Im Rahmen der weiteren Aufklärung wird das Verwaltungsgericht zu prüfen haben, ob etwaige Zeugen über das o.g. Freundschaftsverhältnis und ein etwa daraus entspringendes Auftreten des Abteilungsleiters J., der gegebenenfalls selbst zu vernehmen ist, Bekundungen machen können. Tatsächliche Umstände, die Anlass zu Zweifeln an der Redlichkeit der Erwerber geben, können sich aus dem gesamten Geschehensablauf ergeben. Vernünftige, durch Tatsachen belegbare, ernst zu nehmende Zweifel an der Redlichkeit können in der persönlichen Beziehung des damaligen Ehemannes der Klägerin mit einem Funktionsträger der entscheidungsbefugten Stelle liegen, aber auch in dem Auftreten des hochrangigen Vertreters des zuständigen DDR-Ministeriums, ferner in der Eigenschaft der Klägerin als Mitarbeiterin des Ministeriums für Staatssicherheit und ihre Beschäftigung in dem genannten Gästehaus der Staatssicherheit.
Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil durch Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.