Beschluss vom 23.12.2003 -
BVerwG 1 B 110.03ECLI:DE:BVerwG:2003:231203B1B110.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 23.12.2003 - 1 B 110.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:231203B1B110.03.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 110.03

  • Bayerischer VGH München - 02.01.2003 - AZ: VGH 9 B 98.34966

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Dezember 2003
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n ,
R i c h t e r und Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. Januar 2003 wird verworfen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die vor allem auf Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den Darlegungserfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Die Beschwerde rügt zunächst, das Berufungsgericht habe zur Rückkehrgefährdung der Klägerin Feststellungen getroffen, die in einem "krassen Widerspruch" zueinander stünden und "nach den Gesetzen der Logik nicht haltbar" seien (Beschwerdebegründung S. 2). Wenn als wahr unterstellt werde, dass die Klägerin in Deutschland Mitglied der eritreischen Oppositionsgruppe ELF-CL und dort auf örtlicher Ebene Leiterin der Frauen- und Jugendgruppe sei, stelle es eine logisch nicht haltbare Schlussfolgerung des Gerichts dar, sie den einfachen Mitgliedern der ELF-CL zuzurechnen (BA S. 12). Soweit die Beschwerde hiermit die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts beanstandet und daraus einen Verfahrensmangel ableiten will, übersieht sie zunächst, dass derartige Fehler revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzurechnen sind (vgl. Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266). Soweit hiervon Ausnahmen zuzulassen sind (vgl. BVerwGE 84, 271; Beschluss vom 3. April 1996 - BVerwG 4 B 253.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 269), verlangt die Behauptung eines Verstoßes gegen Denkgesetze im Tatsachenbereich die Darlegung, dass das Gericht einen Schluss gezogen hat, der schlechterdings nicht gezogen werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997- BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328). An einer derartigen Darlegung fehlt es indessen. Die Beschwerde setzt sich nicht damit auseinander, dass das Berufungsgericht seine Annahme, dass es an einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden politischen Verfolgung fehlt, unter anderem auf den Umstand stützt, dass die Klägerin als Leiterin der Frauen- und Jugendgruppe überwiegend mit gesundheitlicher Aufklärung und Unterricht über die Heimat befasst ist (BA S. 13) und ähnliche Funktionen angesichts der Vielzahl von örtlichen Untergliederungen der ELF-CL von einer großen Zahl von Mitgliedern wahrgenommen werden (BA S. 12). Soweit die Beschwerde die "Gleichstellung aller Mitglieder ohne Unterschied nach ihrer Stellung innerhalb der Partei" rügt (Beschwerdebegründung S. 2 unten), trifft dies im Übrigen nicht zu. Das Berufungsgericht ordnet die Klägerin vielmehr den Mitgliedern "mit einer unbedeutenden, von vielen Mitgliedern in ähnlicher Weise ausgeübten Funktion auf örtlicher Ebene" zu (BA S. 13). Die Beschwerde setzt sich auch nicht mit der Argumentation des Berufungsgerichts auseinander, das die von der Klägerin behauptete Kritik am eritreischen Präsidenten wegen dessen angeblicher Aussage zur Quote der HIV-Infizierten im Vergleich mit der sonst von der ELF-CL vertretenen Kritik an der eritreischen Regierung und dem Präsidenten als eher belanglos wertet (BA S. 13).
Keinen Verfahrensmangel zeigt die Beschwerde mit ihrer auf § 138 Nr. 6 VwGO gestützten Rüge auf, das Berufungsgericht habe kein eigenes Expertenwissen zur Beurteilung der Frage dargelegt, ob bei den zahlreichen Untergliederungen der ELF ähnliche Funktionen von einer großen Zahl von Mitgliedern wahrgenommen werden, es berufe sich auch nicht auf andere Expertenmeinungen, so dass dem Beschluss im Kernbereich hinreichend nachvollziehbare Gründe fehlten (Beschwerdebegründung S. 2 oben). Denn sie geht nicht darauf ein, dass das Berufungsgericht mehrere Lageberichte und Auskünfte des Auswärtigen Amtes zitiert, wonach die ELF als größte eritreische Oppositionsgruppe in mehrere Fraktionen gespalten ist und Aktivisten der unteren und mittleren Ebene aufgrund ihres oppositionellen exilpolitischen Verhaltens nicht mit staatlichen Repressalien bei einer Rückkehr zu rechnen haben (BA 9 f.). Wenn es nach zitierten und in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen mehrere Fraktionen der ELF mit Aktivisten auf unterer und mittlerer Ebene gibt, fehlt es an einer schlüssigen Darlegung, wieso sich die angefochtene Entscheidung auf kein Expertenwissen für ihre Schlussfolgerung berufe, dass "ähnliche Funktionen" wie die von der Klägerin wahrgenommenen eine große Zahl von Mitgliedern ausüben (BA S. 12).
Die Beschwerde beanstandet des Weiteren, dass das Berufungsgericht dem mit Schriftsatz vom 29. Mai 2001 beantragten Zeugenbeweis nicht nachgegangen sei, dass die Klägerin zum Volk der Jaberti gehöre, einem der zehn Völker Eritreas, dessen Angehörige der Zugehörigkeit zu militanten Gruppierungen bezichtigt würden, und dass sie mit Dr. Aberra verwandt sei, der 1991 von der EPLF erschossen worden sei, weshalb ihr die Gefahr der Verfolgung drohe. Diese Verfahrensweise findet nach Ansicht der Beschwerde im Prozessrecht keine Stütze; denn sie nehme das Ergebnis der Beweisaufnahme vorweg, indem sie die Zugehörigkeit der Klägerin zum Volk der Jaberti als nicht glaubhaft werte (Beschwerdebegründung S. 3). Mit diesem Vorbringen wird weder ein Mangel der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) noch ein Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) den gesetzlichen Darlegungsanforderungen entsprechend schlüssig dargelegt. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Beschwerde nicht mitteilt, auf welchen Zeugen sich der Antrag bezogen hat. Zudem geht die Beschwerde nicht darauf ein, dass das Berufungsgericht in dem angefochtenen Beschluss zwar zunächst die Zugehörigkeit der Klägerin zum Volk der Jaberti wegen des Vorbringens erst im Berufungsverfahren ohne Erklärung des späten Zeitpunkts und ohne nähere Angaben oder Belege zu ihrer Herkunft als nicht glaubhaft gemacht ansieht, im Folgenden aber näher darlegt, dass sich für die Klägerin auch im Falle einer solchen Zugehörigkeit keine ihr in Eritrea drohende Gefahr von asylerheblichem Gewicht ergäbe. Insbesondere setzt sie sich nicht damit auseinander, dass sich das Berufungsgericht eingehend mit den von der Bevollmächtigten der Klägerin vorgelegten Schriftstücken über das Volk der Jaberti, dessen Historie und Stellung in der eritreischen Gesellschaft, aber auch mit der Ermordung von Dr. Aberra befasst, jedoch zu dem Ergebnis gelangt, dass die angeblichen Benachteiligungen durch die vorgelegten Schriftstücke nicht belegt werden (BA S. 14 f.). Angesichts der auf mehrere Erkenntnisquellen gestützten Feststellung des Gerichts, dass es in Eritrea keine Diskriminierung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe oder zum Christentum oder Islam gebe (BA S. 15), hätte es näherer Darlegung bedurft, inwiefern der benannte Zeuge über anderweitige Erkenntnisse verfügt. Entsprechende Ausführungen wären zum Wissen des Zeugen über eine der Klägerin drohenden Gefahr wegen ihrer Verwandschaft zu Dr. Aberra erforderlich gewesen. Denn das Berufungsgericht legt dar, dass sich aus den vorgelegten Schreiben über die Ermordung von Dr. Aberra nicht ergibt, von wem und aus welchen Gründen er getötet wurde, und es belegt im Übrigen, dass in Eritrea keine Sippenhaft praktiziert wird (BA S. 15). Hiermit lässt die Beschwerde jegliche Auseinandersetzung vermissen.
Ein revisionsrechtlich relevanter Verfahrensmangel folgt auch nicht aus dem Beschwerdevorbringen, dass eine Beweiserhebung "zu der drohenden Anklageerhebung wegen Hochverrats" unterblieben sei, "wobei auch die Todesstrafe zu befürchten wäre" (Beschwerdebegründung S. 3 unten f.). Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass die Beschwerde weder das Beweisthema hinreichend bezeichnet noch die angeführten Beweismittel angibt. Unabhängig hiervon gilt Folgendes: Die Bevollmächtigte der Klägerin hatte in ihrem Schriftsatz vom 29. Mai 2001 zum Nachweis der Verfolgungsgefahr bei Rückkehr nach Eritrea auch unter dem Gesichtspunkt einer Hochverratsanklage wegen Aktivitäten innerhalb der ELF-CL die Einholung von Auskünften beim Auswärtigen Amt, dem Institut für Afrikakunde, UNHCR und amnesty international beantragt. Das Berufungsgericht hat ausweislich der Erkenntnismittelliste (Stand: 20. September 2002) Auskünfte und Berichte aller benannter Organisationen verwertet und sich mit mehreren dieser Berichte in den Entscheidungsgründen auseinander gesetzt, ohne daraus allerdings eine verfolgungsrelevante Gefährdung der Klägerin abzuleiten. Hiermit setzt sich die Beschwerde nicht auseinander und legt auch nicht dar, ob und gegebenenfalls inwiefern die verwerteten Beweismittel das Beweisersuchen vom Mai 2001 nicht abdeckten. Es fehlt auch an jeder Erläuterung, worin eine "unklare Lagebeurteilung" gelegen haben soll, nach der sich eine ergänzende Beweiserhebung geradezu habe aufdrängen müssen (Beschwerdebegründung S. 4).
Von einer weiteren Begründung des Beschlusses, u.a. hinsichtlich der von der Beschwerde geltend gemachten, indes nicht ausreichend dargelegten Divergenz (Beschwerdebegründung S. 4) sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.