Beschluss vom 23.03.2007 -
BVerwG 2 B 13.07ECLI:DE:BVerwG:2007:230307B2B13.07.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 23.03.2007 - 2 B 13.07 - [ECLI:DE:BVerwG:2007:230307B2B13.07.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 13.07

  • Bayerischer VGH München - 15.11.2006 - AZ: VGH 3 B 04.2773

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. März 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dawin und Dr. Kugele
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. November 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde, die auf die Zulassungsgründe der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, und der Verfahrensverletzung, § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, gestützt ist, ist unbegründet.

2 Die als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage,
„ob ein Gericht wegen des besonderen gesetzlichen Schutzes für Schwerbehinderte (insbesondere Art. 3 III Satz 2 GG) bei der Auswahl eines Sachverständigen zur Erstellung eines Gutachtens zur Prozess- und Geschäftsfähigkeit des Klägers wegen einer psychischen Erkrankung des Klägers auf eine krankheitsbedingt bestehende Reisebeschränkung des Klägers Rücksicht zu nehmen hat und deshalb einen Sachverständigen in räumlicher Nähe zum Kläger auszuwählen hat“,
führt nicht zur Zulassung der Revision. Diese Rechtsfrage könnte in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht beantwortet werden, weil sie sich dort mangels Erheblichkeit nicht stellen würde.

3 Die Sachverhaltsermittlung durch das Berufungsgericht einschließlich der mit Hilfe eines Sachverständigen gewonnenen Erkenntnisse auf einem wissenschaftlichen Fachgebiet wird vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft, ob sie an Verfahrensfehlern leidet, die sich auf die Richtigkeit der Tatsachenfeststellung ausgewirkt haben können und ob sie auf einem Verstoß gegen allgemeine Beweiswürdigungsgrundsätze beruht. Zu den Verfahrensfehlern, die sich auf die Tatsachenfeststellung auswirken können, gehört nicht die Bestellung eines Sachverständigen, der nicht in der Nähe des Wohnortes des Probanden wohnt oder tätig ist, wenn diese räumliche Distanz ohne Bedeutung für die Arbeitsweise des Sachverständigen ist. So war es hier. Die Entfernung zwischen dem Wohnort des Klägers und dem Ort, an dem der bestellte Sachverständige beruflich tätig war, hinderte diesen nicht an einer Untersuchung des Klägers. Denn Prof. Dr. D. war bereit, sich zum Kläger zu begeben und diesen in seiner Wohnung zu untersuchen. Dass diese Untersuchung letztlich nicht stattfand, beruht darauf, dass der Kläger sich gegen eine Untersuchung durch den Sachverständigen aussprach und die Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage anregte.

4 Das Berufungsurteil leidet auch nicht an der gerügten Verletzung der Aufklärungspflicht. Die Beschwerde macht insoweit geltend, das Berufungsgericht hätte die Ärzte Dr. R. und Dr. S., die den Kläger behandelt haben, sowie Prof. Dr. B., der sich ebenfalls zum Gesundheitszustand des Klägers geäußert hatte, als Zeugen zur Frage der Prozessfähigkeit des Klägers am 25. September 1996, dem Tag der Berufungsrücknahme, vernehmen müssen.

5 Die Rüge ist nicht begründet. Unterlässt das Tatsachengericht eine Beweiserhebung, die - wie hier - von einem anwaltlich vertretenen Prozessbeteiligten nicht beantragt worden ist, so liegt darin eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) nur dann, wenn die Maßnahme sich dem Gericht hätte aufdrängen müssen. Letzteres wiederum erfordert eine Prozesssituation, in der sich das gerichtliche Ermessen hinsichtlich einer - weiteren - Sachverhaltsaufklärung überhaupt und hinsichtlich der Nutzung bestimmter Erkenntnismittel auf die Fortführung der Beweiserhebung durch bestimmte weitere Aufklärungsmaßnahmen reduziert hat. Angaben in den Akten, tatsächliche Behauptungen der Beteiligten, sonstige Hinweise und Informationen usw. müssen dem Gericht einen Anhaltspunkt für die Notwendigkeit dieser bestimmten Ermittlungen geliefert haben. So war es hinsichtlich der Vernehmung der drei Ärzte nicht.

6 Rechtserheblich war allein die Geschäftsfähigkeit des Klägers am 25. September 1996. Die ärztlichen Stellungnahmen mit den - ohnehin nur - retrospektiven Aussagen zum Gesundheitszustand des Klägers an diesem Tage sind auf der Grundlage von Untersuchungen des Klägers abgegeben worden, die, wie diejenige Prof. Dr. B., 4 bis 5 Jahre vor dem 25. September 1996 oder, wie diejenige Dr. S., 2 Monate danach stattgefunden haben. Zwar hat die Allgemeinärztin Dr. R. nach Vorlage eines zunächst undatierten, dann mit nachträglichem Datumstempel „10.6.1998“ erneut vorgelegten Attests, in dem nichts zum Zeitpunkt einer Untersuchung des Klägers angegeben war, in einer weiteren Bescheinigung vom 1. März 2000 eine „eingehende Untersuchung“ exakt am 25. September 1996 behauptet, ohne jedoch nähere Angaben zu dieser Untersuchung zu machen oder die mehrfach erbetenen, die behauptete Untersuchung bestätigenden und standesrechtlich vorgeschriebenen Praxisunterlagen vorzulegen. Ihre Diagnose hatte Dr. R. zudem auf die Ähnlichkeit der Lebensumstände des Klägers im Sommer 1996 mit denjenigen im Sommer 1991 gestützt, die für Prof. Dr. B. wesentlicher Grund für sein Urteil über den Gesundheitszustand des Klägers in dieser Zeit gewesen waren. Die Lebensumstände des Klägers im September 1996 waren indessen wesentlich andere als die im Sommer 1991. Der Gutachter war nach ausführlicher Würdigung aller Unstimmigkeiten und Mängel in den Stellungnahmen der drei Ärzte zu dem Ergebnis gelangt, die Atteste gäben keine auf zeitnahe Untersuchungen des Klägers gestützte Diagnose wieder, sondern seien aus Gefälligkeit ausgestellt worden. Bei dieser Einschätzung war der Gutachter auch bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht geblieben. Diese Prozesssituation lieferte dem Berufungsgericht keinen Ansatzpunkt, die Vernehmung der Ärzte als eine notwendige Maßnahme weiterer Sachverhaltsaufklärung anzusehen. Es konnte vielmehr die Überzeugung gewinnen, Prof. Dr. B., Dr. R. und Dr. S. hätten alles, was sie zum Gesundheitszustand des Klägers am 25. September 1996 wissen, in ihren dem Gericht übermittelten schriftlichen Äußerungen mitgeteilt, so dass es ihrer Vernehmung in der mündlichen Verhandlung nicht mehr bedurfte. Dass das Berufungsgericht auf Grund der Aussagen des Gutachters von der Geschäftsfähigkeit des Klägers am 25. September 1996 überzeugt war, also für ein Beweislasturteil kein Raum war, macht die von der Beschwerde zitierte Passage auf Seite 6 des Berufungsurteils deutlich. Der ihr von der Beschwerde gegenübergestellte Satz aus dem Urteil, wonach das Berufungsgericht „die Zweifel des Sachverständigen an der Aussagekraft der Atteste der Allgemeinärztin Dr. R. (teilt)“, besagt nichts Gegenteiliges. Während nach Auffassung des Berufungsgerichts die Aussagekraft der Atteste der Frau Dr. R. zweifelhaft ist, hält es die Darlegungen des Gutachters für überzeugend; sie setzen sich bei der tatrichterlichen Würdigung gegenüber den Aussagen von Frau Dr. R. durch und führen zur Überzeugung des Berufungsgerichts, dass der Kläger am 25. September 1996 nicht geschäftsunfähig war.

7 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 2 GKG.