Beschluss vom 23.01.2004 -
BVerwG 7 B 31.03ECLI:DE:BVerwG:2004:230104B7B31.03.0

Beschluss

BVerwG 7 B 31.03

  • VG Dresden - 21.11.2002 - AZ: VG 3 K 2597/00

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Januar 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht G ö d e l und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Die Anträge der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts werden abgelehnt.
  2. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 21. November 2002 wird aufgehoben.
  3. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  4. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  5. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 42 948 € festgesetzt.

1. Der Antrag der Kläger, ihnen gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 und 121 Abs. 1 ZPO für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen, hat keinen Erfolg. Sie sind nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage, die Kosten des Beschwerdeverfahrens selbst aufzubringen. Die Klägerin zu 1 verfügt nach ihren Angaben über ein Kontoguthaben in Höhe von 8 230 €. Ihr ist es zumutbar, einen Teil dieses Vermögens für die Prozessführung im Beschwerdeverfahren einzusetzen (§ 166 VwGO i.V.m. § 115 Abs. 2 ZPO). Entsprechendes gilt für den Kläger zu 2, der über Wertpapiere - unter Berücksichtigung eines hälftigen Anteils der Ehefrau - im Wert von 11 600 € verfügt. Soweit der Kläger zu 2 als Zweck dieser Mittel die Durchführung von Reparaturen zur Erhaltung des von ihm bewohnten Hauses anführt, fehlt es an einem Nachweis, dass das Vermögen zur baldigen Erhaltung des Hausgrundstücks dient (vgl. § 115 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 88 Abs. 2 Nr. 2 BSHG). Für die Putzerneuerung nimmt der Kläger zu 2 auf ein Angebot Bezug, das bereits vom 19. Dezember 1996 datiert. Davon abgesehen würden bei Kosten (Gerichts- und Anwaltsgebühren) in Höhe von ca. 850 € für das Beschwerdeverfahren die zur Erhaltung des Hauses notwendigen Reparaturen durch den Einsatz des entsprechenden Teils des Vermögens für die Prozessführung nicht gefährdet.
2. In der Sache begehren die Kläger die Verpflichtung der Beklagten festzustellen, dass sie nach dem Vermögensgesetz (VermG) Anspruch auf den Erlös aus der Veräußerung des Grundstücks Thomas-Mann-Straße 2 in B. haben, der auf den früheren Miteigentumsanteil ihrer Rechtsvorgänger von zwei Fünfteln an dem Grundstück entfällt. Ihre Rechtsvorgänger schlugen im November 1973 die Erbschaft hinsichtlich dieses Miteigentumsanteils aus; der Miteigentumsanteil wurde in das Eigentum des Volkes überführt. Die Kläger machen geltend, dass die Erbausschlagung wegen der Überschuldung des Grundstücks erfolgt sei (§ 1 Abs. 2 VermG). Der Antrag der Kläger hatte im Verwaltungsverfahren keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil es an einer Überschuldung des Grundstücks zum Zeitpunkt der Erbausschlagung gefehlt habe; die Revision hat es nicht zugelassen.
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision ist begründet. Zwar kommt der Rechtssache weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu, noch weicht das Urteil des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Es liegt jedoch ein Verfahrensmangel vor, auf dem das Urteil beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
a) Die Kläger möchten geklärt wissen, "ob der das Grundstück belastende Hauszinssteuerabgeltungsbetrag als Verbindlichkeit i.S. des § 1 Abs. 2 VermG zu behandeln ist". Diese Frage ist nur im begrenzten Umfang einer generellen Klärung zugänglich, zu der es aber der Durchführung eines Revisionsverfahrens nicht bedarf. Der Hauszinssteuerabgeltungsbetrag ist an die Stelle der sog. Hauszinssteuer getreten, die nach dem Gesetz über den Geldentwertungsausgleich bei bebauten Grundstücken vom 1. Juni 1926 (RGBl I S. 251) zur Abschöpfung der Vermögensvorteile erhoben wurde, die Grundstückseigentümer infolge der Währungsentwicklung mit der Abwertung der Verbindlichkeiten erlangt hatten (vgl. Hermann/Broschat, OV spezial 1994,
3 f.). Grundsätzlich kann eine im Zeitpunkt der Erbausschlagung noch valutierende Belastung aus der Hauszinssteuerabgeltung nach § 2 der Verordnung über die Aufhebung der Gebäudeentschuldungssteuer - zukünftig: Aufhebungsverordnung - vom 31. Juli 1942 (RGBl I S. 501) auf der Passivseite bei der Prüfung einer Überschuldung und der Kausalität i.S. des § 1 Abs. 2 VermG berücksichtigt werden. Als Altbelastung können auch solche vor der Gründung der DDR entstandene Belastungen in die Kausalitätsbetrachtung einbezogen werden, die nicht dazu dienten, das Grundstück zum bestimmungsgemäßen Gebrauch zu erhalten (Urteil vom 11. Februar 1999 - BVerwG 7 C 4.98 - BVerwGE 108, 281 <287>).
Die Berücksichtigung des Hauszinssteuerabgeltungsbetrags ist unabhängig davon, ob es sich um eine auf dem Grundstück ruhende öffentliche Abgeltungslast (vgl. § 2 Abs. 2 der Aufhebungsverordnung) oder um eine Abgeltungshypothek (vgl. § 8 der Verordnung zur Durchführung der Aufhebungsverordnung vom 31. Juli 1942, RGBl I S. 503) handelt. Voraussetzung ist allerdings, dass überhaupt noch eine valutierende Belastung zum Zeitpunkt der Erbausschlagung bestand; dies bedarf hier der näheren Klärung, weil nach dem in den Akten befindlichen Grundbuchauszug eine unter dem 13. Oktober 1948 eingetragene Hypothek über ein Abgeltungsdarlehen in Höhe von 3 905,85 DM der Deutschen Notenbank im März 1960 offenbar gelöscht worden ist. Falls der Abgeltungsbetrag zum Zeitpunkt der Erbausschlagung noch nicht getilgt war, bedarf es ferner der Prüfung, ob die Hauszinssteuer bzw. der Abgeltungsbetrag bereits bei der Festsetzung des Einheitswertes Wert mindernd angesetzt worden ist (vgl. z.B. Kluger in: Kimme, Offene Vermögensfragen, § 1 Rn. 221; § 37 Abs. 1 der Durchführungsbestimmungen zum Reichsbewertungsgesetz für die Bewertung des Vermögens nach dem Stand vom 1. Januar 1935 vom 2. Februar 1935 RGBl I S. 81). Die Belastung darf nicht doppelt negativ berücksichtigt werden. Die Klärung dieser Fragen ist dem Tatsachengericht vorbehalten (vgl. Beschluss vom 8. Oktober 1999 - BVerwG 7 B 130.99 - Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 3; auch Urteil vom 25. Oktober 2001 - BVerwG 7 C 3.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 20 S. 82).
b) Entgegen der Auffassung der Kläger weicht das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab. Das Verwaltungsgericht hat keinen die Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der im Widerspruch zu dem in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. März 1995 - BVerwG 7 C 48.94 - (Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 40, insoweit aber nicht abgedruckt) enthaltenen Rechtssatz steht, dass Verbindlichkeiten, die deutlich unterhalb des Einheitswertes lagen, keine Überschuldung des Vermögenswertes begründen konnten, "es sei denn der bauliche Zustand des Grundstücks war derart schlecht, dass der Zeitwert wesentlich unter dem Einheitswert lag". Die Kläger tragen insoweit lediglich vor, dass das Verwaltungsgericht zwar einen Reparaturbedarf festgestellt, die angeführten Mängel aber "bei der Ermittlung der Aktiva des Vermögenswertes" nicht berücksichtigt hätte. Der Sache nach machen die Kläger damit eine unterbliebene Anwendung eines vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Rechtssatzes geltend. Die unrichtige Anwendung eines solchen Rechtssatzes stellt aber keine Divergenz i.S. des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO dar.
c) Dagegen ist die Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) begründet. Die Kläger rügen, dass das Verwaltungsgericht kein Sachverständigengutachten zur Höhe des unmittelbar bevorstehenden Instandsetzungsbedarfs eingeholt habe. Zwar haben die anwaltlich vertretenen Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht keinen Beweisantrag gestellt. Auch ohne einen solchen Antrag musste sich aber dem Verwaltungsgericht die Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den Kosten der notwendigen Reparaturen aufdrängen.
Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Erbausschlagung im Jahr 1973 ein Reparaturbedarf bestand; die vorhandenen Gebäudeunterlagen stützten den Vortrag der Kläger u.a. zur Schadhaftigkeit des Wasserleitungsnetzes und der Abflussrohre des Daches samt Dachrinnen und der Schornsteine. Ohne weitere Aufklärung zum Kostenaufwand für die Reparaturen hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass der vorhandene Instandsetzungsbedarf nicht in einem Umfang unaufschiebbar notwendig gewesen sei, der über die "mindestens anzusetzende Aktiva" (11 717 M) wesentlich hinausgehe. Zur Feststellung, welchen Aufwand eine dem damaligen Standard entsprechende fachmännische Instandsetzung der Dacheindeckung und der Dachrinnen sowie des Wasserleitungsnetzes und der Schornsteine nach den seinerzeit für private Eigentümer maßgebenden Bau- und Handwerkerpreisen erfordert hätte, bedarf es besonderen technischen Sachverstands. Aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts ergibt sich nicht, dass das Gericht selbst über die erforderliche Sachkunde für diese Beurteilung verfügt. Die Begründung des Verwaltungsgerichts für den Verzicht auf eine Beweiserhebung, dass Indizien für Umfang und Höhe des Bedarfs, z.B. eingeholte Kostenvoranschläge oder ein konkret ermittelbarer Finanzierungsbedarf, fehlten, spricht nicht gegen eine weitere Aufklärung, sondern macht diese gerade erforderlich.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.