Beschluss vom 22.11.2006 -
BVerwG 1 B 212.06ECLI:DE:BVerwG:2006:221106B1B212.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 22.11.2006 - 1 B 212.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:221106B1B212.06.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 212.06

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 10.08.2006 - AZ: OVG 9 A 908/06.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. November 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und Prof. Dr. Dörig
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. August 2006 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die allein auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde ist unzulässig. Sie legt den geltend gemachten Zulassungsgrund nicht in einer Weise dar, die den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entspricht.

2 Die Beschwerde meint, das Berufungsurteil weiche von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab, wie sie insbesondere in dessen Urteilen vom 1. November 2005 (BVerwG 1 C 21.04 ) und vom 19. September 2000 (BVerwG 9 C 12.00 ) ihren Ausdruck gefunden habe. Danach sei Voraussetzung einer Widerrufsentscheidung (unzutreffend spricht die Beschwerde insoweit von „Anerkennungsentscheidung“), dass sich die zum Zeitpunkt der Anerkennungsentscheidung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Heimatstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgung auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht. Von dieser Rechtsprechung sei das Berufungsgericht „verdeckt“ abgewichen. Es sei zwar richtig, dass eine Rückkehr des alten Regimes im Irak unwahrscheinlich ist, auf der anderen Seite könne beim besten Willen nicht die Rede davon sein, dass sich bislang eine wirksame neue staatliche Machtstruktur gebildet habe. Es herrschten vielmehr bürgerkriegsähnliche Verhältnisse, denen namentlich auch Schiiten, also die Volksgruppe, der der Kläger angehöre, offenbar aus religiösen Motiven zum Opfer fielen. Die derzeitige irakische Regierung, deren Stabilität anzuzweifeln sei, sei bisher nicht in der Lage gewesen, auch nur halbwegs friedfertige Zustände zu schaffen. Wenn das Berufungsgericht weiter zu dem Ergebnis komme, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohe, könne dies nur „als blauäugige Verkennung der Realitäten“ gewertet werden. Hierfür spreche auch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Juli 2006 (BVerwG 1 C 15.05 ), die eine genaue Prüfung der Verfolgung religiöser Minderheiten im Irak fordere.

3 Mit diesem Vorbringen und den weiteren Ausführungen der Beschwerde ist eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht dargetan. Diese setzt vielmehr die Bezeichnung eines inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatzes voraus, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung unter anderem des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Daran fehlt es hier. Das bloße Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung solcher Rechtssätze genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 (n.F.) VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328). Die Beschwerde räumt selbst ein, dass das Berufungsgericht seiner Entscheidung sowohl die abstrakten Voraussetzungen als auch den Wahrscheinlichkeitsmaßstab für einen Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde gelegt hat. Sie benennt keinen abweichenden Rechtssatz aus der Entscheidung, sondern wendet sich in der Art einer Berufungsbegründung gegen die aus ihrer Sicht unzutreffende Subsumtion des Berufungsgerichts unter die auch aus Sicht der Beschwerde korrekten Voraussetzungen. Damit kann sie die Zulassung der Revision nicht erreichen. Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht unter lediglich formaler Bezugnahme auf die Maßstäbe des Bundesverwaltungsgerichts in der Sache abweichende abstrakte Kriterien angewandt habe. Wie die Stabilität der derzeitigen irakischen Regierung und ihre Fähigkeit zur Gewährleistung von Schutz gegenüber Minderheiten einzuschätzen und wie wahrscheinlich dem Kläger neue Verfolgungsmaßnahmen drohen, sind typischerweise - und so auch hier - Fragen der Sachverhalts- und Beweiswürdigung, bei der das Berufungsgericht zu anderen Ergebnissen gekommen ist als sie der Kläger für richtig hält. Eine Abweichung von den vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten rechtlichen Maßstäben ist hierbei aber nicht ersichtlich. Im Übrigen hat das Berufungsgericht selbst offengelassen, ob die derzeitige irakische Regierung ein Machtgebilde darstellt, das eine „gewisse Stabilität“ aufweist und „die Fähigkeit zur Schaffung und Aufrechterhaltung einer übergreifenden Friedensordnung besitzt“ (BA S. 10). Eine dem Kläger derzeit drohende beachtliche Verfolgungsgefahr hat es deshalb verneint, weil für das Gericht nicht erkennbar war, dass dem Kläger Gefahren unter Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG drohen (BA S. 11 f.). Dass insoweit eine Maßstabsabweichung vorliegt, ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht, auch nicht unter Berücksichtigung des Verweises auf das Senatsurteil vom 18. Juli 2006.

4 Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

5 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.