Verfahrensinformation

Gegenstand des Verfahrens sind Fragen der Anerkennung von Erfahrungszeiten für die erstmalige besoldungsrechtliche Festsetzung der Stufe des Grundgehalts. Ziel des Klägers, eines Richters am Amtsgericht, ist es, dass auch die Zeiten seiner Ausbildung und seiner Tätigkeit als Flugbegleiter sowie die Zeiten seiner Tätigkeit als Fluggastabfertiger als Erfahrungszeiten berücksichtigt werden und damit zu einer höheren Besoldung beitragen. Zeiten sind nach der gesetzlichen Regelung zu berücksichtigen, wenn die Tätigkeit für den Erwerb der nach § 9 Nr. 4 DRiG erforderlichen sozialen Kompetenz förderlich sein konnte. Das Verwaltungsgericht Berlin hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Landes hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Klage dagegen abgewiesen und die Revision zugelassen.


Pressemitteilung Nr. 81/2016 vom 22.09.2016

Zeiten einer früheren Tätigkeit als Flugbegleiter oder Fluggastabfertiger bei der Richterbesoldung nicht zu berücksichtigen

War ein Richter vor seiner Einstellung in den Richterdienst als Flugbegleiter (Steward) oder als Fluggastabfertiger tätig, sind diese Zeiten bei der Festsetzung der Erfahrungsstufe nicht zu berücksichtigen, nach der sich die Besoldung des Richters richtet. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Der Kläger steht als Richter im Dienst des beklagten Landes Berlin. Das Verwaltungsgericht hat das Land verpflichtet, die Zeiten der Tätigkeit des Klägers als Flugbegleiter sowie Fluggastabfertiger als Erfahrungszeiten gemäß § 38a Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 des Bundesbesoldungsgesetzes in der Überleitungsfassung für Berlin (BBesG Bln) anzuerkennen. Das Oberverwaltungsgericht hat dieses Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht hat die dagegen gerichtete Revision des Klägers zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:


§ 38a Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 BBesG Bln erkennt Zeiten einer Vor-Tätigkeit an, sofern sie für den Erwerb der nach § 9 Nr. 4 DRiG notwendigen sozialen Kompetenz förderlich sein konnten. Die Vorschrift ist nach Wortlaut, systematischem Zusammenhang und Sinn und Zweck der Norm eingrenzend auszulegen. Durch die Bezugnahme auf die für die richterliche Tätigkeit erforderliche soziale Kompetenz wird deutlich, dass es sich bei der Tätigkeit nicht um eine beliebige berufliche Vor-Tätigkeit handeln kann. Vielmehr muss sie einen Bezug zum Beruf des Richters aufweisen. Kennzeichnend hierfür ist die Fähigkeit, in Konfliktsituationen die divergierenden Interessen mehrerer Beteiligter auch in komplexen Lebensverhältnissen zu erfassen, zu einem Ausgleich zu bringen und ggf. hierüber auch zu entscheiden. Der Richter muss ferner die sozialen Folgen seines Handelns berücksichtigen. Andererseits muss er aber auch die erforderliche Konflikt- und Entschlussfähigkeit besitzen. Für eine (mögliche) Tätigkeit im Spruchkörper muss er über Teamfähigkeit verfügen und eine kollegiale Beratungskultur pflegen. Solche Fähigkeiten müssen im Vordergrund der in Rede stehenden Vor-Tätigkeit stehen und für diese prägend sein.


Danach reicht nicht jede berufliche Tätigkeit, die zwangsläufig mit einem Kontakt zu anderen Menschen verbunden ist, als Erfahrungszeit aus, insbesondere nicht solche Tätigkeiten, bei denen dieser soziale Umgang den anderen Menschen nur ausschnittsweise, in einer begrenzten sozialen Funktion und Situation, z.B. als Kunde, betrifft.


Diese Voraussetzungen sind bei einer Tätigkeit als Flugbegleiter nicht erfüllt. Denn der Flugbegleiter erbringt in erster Linie im Auftrag der Fluggesellschaft Leistungen, um die Verpflichtungen der Gesellschaft gegenüber ihren Kunden zu erfüllen. Bei einem Fluggastabfertiger (Bodensteward) sind Art und Maß des sozialen Kontakts zum Kunden noch geringer als bei einem Flugbegleiter.


Fußnote:

§ 38a BBesG Bln


 


Berücksichtigungsfähige Zeiten


(1)   Bei der ersten Stufenfestsetzung werden den Richtern und Staatsanwälten als Erfahrungszeiten im Sinne des § 38 Absatz 3 anerkannt:


.….


3. Zeiten einer Tätigkeit in einem anderen Beruf und die Zeiten der außer  der allgemeinen Schulbildung für einen solchen Beruf vorgeschriebenen Ausbildung, wenn während dieser Zeiten für die Ausübung des Richteramts förderliche Kenntnisse oder Erfahrungen erworben werden konnten oder die Tätigkeit für den Erwerb der nach § 9 Nummer 4 des Deutschen Richtergesetzes notwendigen sozialen Kompetenz förderlich sein konnte, bis zu fünf Jahren,


(…)


BVerwG 2 C 29.15 - Urteil vom 22. September 2016

Vorinstanzen:

OVG Berlin-Brandenburg, 4 B 23.13 - Urteil vom 17. September 2015 -

VG Berlin, 7 K 302.12 - Urteil vom 20. März 2013 -


Urteil vom 22.09.2016 -
BVerwG 2 C 29.15ECLI:DE:BVerwG:2016:220916U2C29.15.0

Keine Anrechnung einer Tätigkeit als Flugbegleiter oder Fluggastabfertiger als besoldungsrelevante Erfahrungszeiten

Leitsätze:

1. Das Recht eines Landes zur Regelung der Besoldung seiner Richter ist revisibel.

2. Eine Vortätigkeit eines Richters kann nur dann i.S.v. § 38a Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 BBesG Bln für den Erwerb der nach § 9 Nr. 4 DRiG notwendigen sozialen Kompetenz förderlich sein, wenn die Stärkung der für den Beruf des Richters wesentlichen Elemente der sozialen Kompetenz im Vordergrund dieser Vortätigkeit gestanden hat und für diese prägend gewesen ist.

3. Zeiten der Ausbildung zum Flugbegleiter, Zeiten der Tätigkeit in diesem Beruf sowie Zeiten der Berufstätigkeit als Fluggastabfertiger sind nicht als Erfahrungszeiten i.S.v. § 38a Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 BBesG Bln anzuerkennen.

  • Rechtsquellen
    DRiG § 9 Nr. 4, § 71
    BBesG Bln §§ 38, 38a

  • VG Berlin - 20.03.2013 - AZ: VG 7 K 302.12
    OVG Berlin-Brandenburg - 17.09.2015 - AZ: OVG 4 B 23.13

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 22.09.2016 - 2 C 29.15 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:220916U2C29.15.0]

Urteil

BVerwG 2 C 29.15

  • VG Berlin - 20.03.2013 - AZ: VG 7 K 302.12
  • OVG Berlin-Brandenburg - 17.09.2015 - AZ: OVG 4 B 23.13

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 22. September 2016
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung, Dr. Kenntner, Dollinger und Dr. Günther
für Recht erkannt:

  1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 17. September 2015 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Der Kläger beansprucht die Festsetzung einer höheren Stufe seines Grundgehalts als Richter.

2 Der ... geborene Kläger steht als Richter am Amtsgericht im Dienst des Beklagten. Im Rahmen seines Studiums ließ er sich während eines Urlaubssemesters im September 1994 zum Flugbegleiter ausbilden und war anschließend bis zum 5. März 1995 in diesem Beruf in Vollzeit tätig. Von Juni 1995 bis Anfang Oktober 1998 arbeitete er studienbegleitend im Umfang einer Halbtagsbeschäftigung als Fluggastabfertiger auf einem Flughafen in ....

3 Ab Oktober ... war der Kläger als Richter in ... tätig. Zum 1. März 2011 wurde er zum Beklagten abgeordnet und mit Wirkung vom 1. September 2011 zu ihm versetzt.

4 Aufgrund der zu berücksichtigenden Erfahrungszeiten setzte der Beklagte zum 1. September 2011 ein Grundgehalt der Stufe 3 fest. Dabei lehnte er die vom Kläger beantragte Anerkennung von Zeiten seiner Ausbildung zum Flugbegleiter sowie seiner Tätigkeit als Flugbegleiter und Fluggastabfertiger als besoldungsrelevante Erfahrungszeiten ab. Zur Begründung führte der Beklagte an, es bestehe keine hinreichende Gewähr dafür, dass diese Zeiten für den Erwerb der sozialen Kompetenz förderlich gewesen seien.

5 Auf die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten unter Aufhebung der ablehnenden Bescheide verpflichtet, die Zeiten vom 6. September 1994 bis 5. März 1995 sowie vom 2. Juni 1995 bis zum 3. Oktober 1998 als Erfahrungszeiten des Klägers anzuerkennen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

6 Für die anrechenbaren Erfahrungszeiten genüge nicht jede Tätigkeit in einem früheren Beruf oder in einer darauf bezogenen Ausbildung, die einzelne Aspekte der sozialen Kompetenz zu stärken vermögen. Für den Erwerb der für den Richterberuf notwendigen sozialen Kompetenz seien nur solche Tätigkeiten förderlich, bei denen der persönliche Umgang mit anderen Menschen im Vordergrund stehe und bei denen der soziale Kontakt prägend sei. Dies sei vor allem bei Berufen aus dem sozialen, erzieherischen, pflegerischen und Bildungsbereich die Regel. Diesen Anforderungen genügten die Ausbildung des Klägers zum Flugbegleiter, seine anschließende Tätigkeit in diesem Beruf sowie seine Berufstätigkeit als Fluggastabfertiger nicht.

7 Hiergegen wendet sich die bereits vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision des Klägers, mit der er beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts ... vom 17. September 2015 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ... vom 20. März 2013 mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der Bescheid der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz vom 3. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Mai 2012 aufgehoben wird, soweit darin die Festsetzung einer höheren Stufe abgelehnt worden ist, und der Beklagte verpflichtet wird, für die Bestimmung des Grundgehalts des Klägers zum 1. September 2011 die Stufe 5 festzusetzen.

8 Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.

II

9 Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt weder Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) noch revisibles Landesrecht. Das Recht eines Landes zur Regelung der Besoldung seiner Richter ist revisibel (§ 71 DRiG, § 191 Abs. 2 VwGO, § 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG und § 127 Nr. 2 BRRG in entsprechender Anwendung; vgl. Schmidt-Räntsch, DRiG, 6. Aufl., § 71 Rn. 7).

10 Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte bei der ersten Festsetzung der Stufe seines Grundgehalts die Zeiten seiner Ausbildung zum Flugbegleiter, die Zeiten seiner Tätigkeit in diesem Beruf sowie die Zeiten seiner Berufstätigkeit als Fluggastabfertiger als Erfahrungszeiten anerkennt und damit eine höhere Stufe des Grundgehalts als die bewilligte Stufe 3 festsetzt.

11 1. Für die hier umstrittene Festsetzung der Stufe des Grundgehalts eines Richters des Landes Berlin sind maßgeblich § 38 und 38a des Bundesbesoldungsgesetzes in der Überleitungsfassung für Berlin vom 21. Juni 2011 (GVBl. S. 266 <280>, BBesG Bln) in der Fassung des Gesetzes zur Besoldungsneuregelung für das Land Berlin vom 29. Juni 2011 (GVBl. S. 306).

12 Gegenstand der Verpflichtungsklage ist nicht die bloße Anerkennung von Erfahrungszeiten, sondern die Festsetzung einer höheren Stufe, die sich aus der Anerkennung von Erfahrungszeiten nach § 38a BBesG Bln ergibt. Der Gesetzgeber hat durch § 38 Abs. 2 BBesG Bln ausdrücklich vorgegeben, dass die Stufe durch schriftlichen Verwaltungsakt mit Wirkung vom ersten Tag des Monats festgesetzt wird, in dem die Ernennung wirksam wird.

13 Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 BBesG Bln wird das Grundgehalt der Richter, soweit die Besoldungsordnung, wie hier, nicht feste Gehälter vorsieht, nach Stufen bemessen. Mit der ersten Ernennung mit Anspruch auf Dienstbezüge im Anwendungsbereich des Gesetzes wird grundsätzlich ein Grundgehalt der Stufe 1 festgesetzt, soweit nicht nach § 38a Abs. 1 BBesG Bln Zeiten anerkannt werden. § 38a Abs. 1 Nr. 1 und 2 BBesG Bln regeln die Anerkennung von Zeiten einer nach dem Erwerb der Befähigung zum Richteramt aufgenommenen beruflichen juristischen Tätigkeit im Dienst eines öffentlich-rechtlichen Dienstherrn oder im Dienst von öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften und ihren Verbänden (Nr. 1) sowie der Zeiten einer Tätigkeit als Rechtsanwalt, Notar oder als Assessor bei einem Rechtsanwalt oder Notar und der Zeiten einer nach dem Erwerb der Befähigung zum Richteramt aufgenommenen beruflichen juristischen Tätigkeit bei einem privatrechtlichen Arbeitgeber (Nr. 2). Die hier maßgebliche Regelung des § 38a Abs. 1 Nr. 3 BBesG Bln schreibt vor, dass dem Richter bei der ersten Stufenfestsetzung die Zeiten einer Tätigkeit in einem anderen Beruf und die Zeiten der außer der allgemeinen Schulbildung für einen solchen Beruf vorgeschriebenen Ausbildung als Erfahrungszeiten anerkannt werden, wenn während dieser Zeiten für die Ausübung des Richteramts förderliche Kenntnisse und Erfahrungen erworben werden konnten (Alt. 1) oder die Tätigkeit für den Erwerb der nach § 9 Nr. 4 DRiG notwendigen sozialen Kompetenz förderlich sein konnte (Alt. 2). § 9 Nr. 4 DRiG bestimmt, dass in das Richterverhältnis nur berufen werden darf, wer über die erforderliche soziale Kompetenz verfügt.

14 Zeiten einer Vortätigkeit sind nur dann als Erfahrungszeiten nach § 38a Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 BBesG Bln anzuerkennen, wenn die Stärkung der für den Beruf des Richters wesentlichen Elemente der sozialen Kompetenz im Vordergrund dieser Vortätigkeit stand und für diese prägend war.

15 Unerheblich ist der Umstand, dass § 38a Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 BBesG Bln von der "notwendigen" sozialen Kompetenz spricht, während § 9 Nr. 4 DRiG die "erforderliche" soziale Kompetenz als Voraussetzung für die Berufung in das Richterverhältnis nennt. Denn der Landesgesetzgeber hat ausdrücklich auf die bundesgesetzliche Regelung Bezug genommen.

16 Durch § 9 DRiG hat der Bundesgesetzgeber in Ausgestaltung des Art. 33 Abs. 2 GG diejenigen Kriterien bestimmt, denen der Bewerber bei der Einstellung in ein Richteramt genügen muss. Die soziale Kompetenz ist dabei ein Teilelement der persönlichen Eignung des Bewerbers (Silberkuhl, in: GKÖD, DRiG, § 9 Rn. 25 m.w.N.).

17 Als Elemente dieser sozialen Kompetenz, die ein Bewerber für ein Richteramt - idealerweise - in sich vereinen soll, sind in den Beratungen zum Gesetz zur Reform der Juristenausbildung vom 11. Juli 2002 (BGBl. I S. 2592), durch das § 9 DRiG neu gefasst worden ist, u.a. Leistungsbereitschaft und Belastbarkeit, Konflikt- und Entschlussfähigkeit, Kooperationsfähigkeit, soziales Verständnis, gesellschaftliches Engagement, Gerechtigkeitssinn und verantwortungsbewusste Ausübung der der Dritten Gewalt anvertrauten Macht genannt worden (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 14/8629, S. 7 und 13 f.). Hinzu kommt die Fähigkeit, sich gegenüber Nichtjuristen verständlich ausdrücken und ihnen komplexe Begriffe und Fragestellungen erläutern zu können.

18 § 38a Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 BBesG Bln ist nach seinem Wortlaut, wegen des Zusammenhangs mit Art. 33 Abs. 2 GG und nach seinem Sinn und Zweck eingrenzend auszulegen. Diese einschränkende Auslegung folgt auch aus dem Umstand, dass die auf die Vortätigkeit zurückzuführende Stärkung der für den Richterberuf erforderlichen sozialen Kompetenz als ein Bündel von Eigenschaften nicht objektiv messbar ist ("förderlich sein konnte") und der Gesetzgeber im Hinblick hierauf auch dem Aspekt keine Bedeutung beigemessen hat, ob die Vortätigkeit vollzeitig oder nur in Teilzeit ausgeübt wurde.

19 Durch die Bezugnahme auf die für die richterliche Tätigkeit erforderliche soziale Kompetenz hat der Landesgesetzgeber besondere Anforderungen an die Vortätigkeit aufgestellt. Es genügt nicht jede Tätigkeit, die in irgendeiner Hinsicht die soziale Kompetenz eines Menschen gestärkt hat. Vielmehr muss die berufliche Vortätigkeit gerade diejenigen Fähigkeiten und Eigenschaften gefördert haben, die für den Richterberuf neben der fachlichen Kompetenz von maßgebender Bedeutung sind. Hierzu zählt insbesondere die Fähigkeit, in Konfliktsituationen die divergierenden Interessen mehrerer Beteiligter auch in komplexen Lebensverhältnissen zu erfassen, zu einem Ausgleich zu bringen und ggf. hierüber auch zu entscheiden. Der Richter muss ferner die sozialen Folgen seines Handelns berücksichtigen. Andererseits muss er aber auch die erforderliche Konflikt- und Entschlussfähigkeit besitzen. Für eine (mögliche) Tätigkeit im Spruchkörper muss er über Teamfähigkeit verfügen und eine kollegiale Beratungskultur pflegen.

20 Dass der Landesgesetzgeber nur solche Vortätigkeiten als relevant angesehen hat, die diese spezifischen sozialen Fähigkeiten und Eigenschaften des Richters gestärkt haben, lässt sich auch den Materialien zu § 38a Abs. 1 BBesG Bln entnehmen (Abgeordnetenhaus Berlin, Gesetz zur Besoldungsneuregelung für das Land Berlin und zur Änderung des Landesbeamtenversorgungsgesetzes, Entwurf des Senats, Drs. 16/4078, S. 39 f.). Denn der Gesetzgeber hat ausdrücklich von einer bloßen Ermessensermächtigung an die Verwaltung abgesehen und die anerkennungsfähigen Zeiten im Gesetz selbst bestimmt.

21 Auch die Systematik der einzelnen Regelungen des § 38a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BBesG Bln spricht für eine einschränkende Auslegung der Nummer 3 Alt. 2. Zunächst hat der Gesetzgeber durch § 38a Abs. 1 Nr. 1 und 2 BBesG Bln bestimmt, dass die Zeiten einer vor der Berufung in das Richterverhältnis liegenden beruflichen Tätigkeit in einem "klassischen" juristischen Beruf, z.B. juristische Tätigkeit bei einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn oder Tätigkeit als Rechtsanwalt oder Notar, als Erfahrungszeiten i.S.d. § 38 Abs. 3 BBesG Bln anzuerkennen sind. Die Vertiefung der für den Richterberuf unabdingbaren juristischen Fachkenntnisse im Anschluss an den Erwerb der Befähigung zum Richteramt prägt die Bestimmungen der Nummer 1 und 2 ebenso wie die Regelung in Nummer 3 Alt. 1. Die in Nummer 3 Alt. 1 zum Ausdruck kommende Gleichstellung der Vertiefung der juristischen Kenntnisse des späteren Richters in einem anderen Beruf mit den Tätigkeiten in einem "klassischen" juristischen Beruf i.S.d. Nummern 1 und 2 belegt, dass der auf die Vortätigkeit zurückzuführende Zugewinn an juristischen Fachkenntnissen bei den Fällen des § 38a Abs. 1 Nr. 1, 2 und 3 Alt. 1 BBesG Bln vergleichbar sein muss. Dann gilt das Erfordernis der spürbaren Stärkung gerade der die richterliche Tätigkeit prägenden - sozialen - Eigenschaften auch für die hier relevante Regelung des § 38a Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 BBesG Bln.

22 Die Bezugnahme auf die für die Tätigkeit als Richter spezifischen sozialen Fähigkeiten bringt zum Ausdruck, dass das mit jeder beruflichen Tätigkeit nahezu zwangsläufig verbundene Maß an sozialem Kontakt zu anderen Menschen, sei es der Auftraggeber, ein Vorgesetzter oder ein Kollege, für die Anerkennung der Vortätigkeit als Erfahrungszeit nach § 38a Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 BBesG Bln nicht ausreicht. Andernfalls hätte das Merkmal der Möglichkeit der Förderung der für den Beruf des Richters notwendigen sozialen Kompetenz keine Bedeutung mehr. Zudem könnte sich das Besoldungssystem der Sache nach wieder einem System annähern, das ausschließlich an das Lebensalter des ernannten Richters anknüpft. Das bisherige, jüngere Bewerber wegen ihres Alters diskriminierende Besoldungssystem (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - 2 C 6.13 - BVerwGE 150, 234 Rn. 14 m.w.N.) wollte der Landesgesetzgeber gerade durch die Regelungen der §§ 38 und 38a BBesG Bln aufgeben (Abgeordnetenhaus Berlin, Gesetz zur Besoldungsneuregelung für das Land Berlin und zur Änderung des Landes Beamtenversorgungsgesetzes, Entwurf des Senats, Drs. 16/4078, S. 39 f.).

23 Die Anwendung des § 38a Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 BBesG Bln ist aber nicht auf den "klassischen" juristischen Berufen nahestehende Vortätigkeiten wie etwa die als zertifizierter Mediator und die hierfür vorgeschriebene Ausbildung beschränkt. In Betracht kommen vielmehr auch Vortätigkeiten in Berufen wie etwa dem des Lehrers, des Psychologen oder Seelsorgers und auch solche Tätigkeiten aus dem karitativen oder dem pflegerischen-sozialen Bereich, die keine universitäre Ausbildung voraussetzen und bei denen der persönliche Umgang mit anderen Menschen nicht nur auf eine bestimmte soziale Funktion begrenzt ist.

24 2. Diese Voraussetzungen für die Anerkennung von Zeiten einer Vortätigkeit eines Richters als Erfahrungszeiten nach § 38a Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 BBesG Bln sind sowohl bei der Ausbildung zum und der Tätigkeit als Flugbegleiter (a) als auch bei der Tätigkeit als am Flughafen eingesetzter Fluggastabfertiger (b) nicht erfüllt.

25 a) Da der Kläger gegen die tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zu den typischen Tätigkeitsbereichen eines Flugbegleiters (Steward) keine Verfahrensrügen erhoben hat, sind diese nach § 137 Abs. 2 VwGO bindend.

26 Aufgabe eines Flugbegleiters ist die Erbringung von Serviceleistungen vor, während und nach einem Flug. Diese Leistungen erbringt der Flugbegleiter im Auftrag und nach Weisung seines Arbeitgebers, der Fluggesellschaft. Sie dienen lediglich der Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen der Fluggesellschaft gegenüber den Passagieren, die hier somit nur in ihrer begrenzten sozialen Funktion als Kunden betroffen sind.

27 b) Nach den wiederum vom Kläger nicht angegriffenen und deshalb bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hat ein Fluggastabfertiger (Bodensteward) u.a. die Aufgabe, die Flugscheine der Passagiere am Schalter zu überprüfen, ihnen Sitzplätze zuzuweisen und die Bordkarten auszugeben. Ferner fertigt er das Fluggepäck ab und kontrolliert die Reisedokumente der Passagiere. Angesichts des Umstands, dass der persönliche Kontakt zwischen dem Fluggastabfertiger und dem Fluggast noch wesentlich kürzer ist als bei einem Flugbegleiter, scheidet hier die Annahme, diese berufliche Tätigkeit habe für die für den Beruf des Richters notwendige soziale Kompetenz förderlich sein können, erst recht aus.

28 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Beschluss vom 19.07.2017 -
BVerwG 2 KSt 1.17ECLI:DE:BVerwG:2017:190717B2KSt1.17.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 19.07.2017 - 2 KSt 1.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:190717B2KSt1.17.0]

Beschluss

BVerwG 2 KSt 1.17

  • VG Berlin - 20.03.2013 - AZ: VG 7 K 302.12
  • OVG Berlin-Brandenburg - 17.09.2015 - AZ: OVG 4 B 23.13

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Juli 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und Dollinger
beschlossen:

Auf die Gegenvorstellung der Prozessbevollmächtigten des Klägers wird der Wert des Streitgegenstandes für das Revisionsverfahren auf 24 556,68 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Gegenstand des Streitverfahrens war das Begehren des Klägers auf Anerkennung bestimmter Zeiten als besoldungsrelevante Erfahrungszeiten.

2 Das Verwaltungsgericht ist in seinem der Klage stattgebenden Urteil aufgrund von §§ 39 ff. und §§ 52 f. GKG von einem Streitwert von 8 139,05 € ausgegangen. Das Oberverwaltungsgericht hat den Streitwert im Beschluss vom 17. September 2015 auf 10 183,68 € festgesetzt. Im Beschluss vom 4. Januar 2016 hat sich der Senat bei der vorläufigen Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes für das Revisionsverfahren dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 17. September 2015 angeschlossen. In dem Streitwertbeschluss vom 20. September 2016 ist der Senat demgegenüber aufgrund von § 47 Abs. 1 Satz 1 und § 42 Abs. 1 Satz 2 und § 52 Abs. 2 GKG vom Regelstreitwert ausgegangen.

3 Mit Beschluss vom 28. März 2017 hat das Oberverwaltungsgericht den Antrag des Klägers, den Streitwertbeschluss vom 17. September 2015 zu ändern, abgelehnt. Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf eine erhöhte Besoldung gehöre zu den als Teilstatus bezeichneten Rechtspositionen, die im Gerichtskostengesetz nicht speziell geregelt seien. Der Streitwert für den Teilstatus werde in Anwendung von § 52 Abs. 1 GKG entsprechend der Höhe des zweifachen Jahresbetrages der Differenz zwischen dem innegehabten und dem erstrebten Teilstatus bemessen (unter Hinweis auf Nr. 10.4 des sog. Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).

II

4 Die Gegenvorstellung der Prozessbevollmächtigten des Klägers gibt dem Senat Anlass, seinen Streitwertbeschluss vom 20. September 2016 zu ändern und den Streitwert konkret nach Maßgabe von § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG zu berechnen.

5 Einer Empfehlung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. NVwZ 2013, Beilage 2, S. 57 ff.) ist nicht zu folgen, wenn diese mit der gesetzlichen Regelung nicht im Einklang stehen. Dies gilt hier für die Empfehlung in Ziffer 10.4 des Streitwertkatalogs im Verhältnis zu § 42 Abs. 1 GKG.

6 Wie sich unmittelbar aus § 42 Abs. 1 Satz 2 GKG ergibt, gilt die gesetzliche Regelung des § 42 Abs. 1 GKG auch für Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis, über die von den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit entschieden wird. Die Sondervorschrift des § 52 Abs. 6 GKG ist hier nicht anwendbar. Dementsprechend richtet sich der Streitwert nach § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG bei dem hier geltend gemachten Anspruch auf wiederkehrende Leistungen aus dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis des Klägers als Richter des beklagten Landes nach dem dreifachen Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistungen, wenn nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist.

7 In dem vom Kläger ursprünglich angegriffenen Bescheid vom 3. Januar 2012 hat der Beklagte mit Wirkung vom 1. September 2011 aufgrund der zu berücksichtigenden Erfahrungszeiten von sechs Jahren und neun Monaten ein Grundgehalt der Stufe 3 festgesetzt. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hat der Kläger die Verpflichtung des Beklagten beantragt, bestimmte Zeiten als Erfahrungszeit nach § 38 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 2 BBesG Bln anzuerkennen. Bei zutreffender rechtlicher Einordnung dieses Begehrens ist Gegenstand der Klage die Verpflichtung des Dienstherrn gemäß § 38 Abs. 2 Satz 2 BBesG Bln zum Erlass eines schriftlichen Verwaltungsakts, der die vom Kläger geltend gemachte Stufe des Grundgehalts festsetzt. Dementsprechend hat der Kläger im Revisionsverfahren beantragt, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der Bescheid des Beklagten vom 3. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Mai 2012 aufgehoben wird, soweit darin die Festsetzung einer höheren Stufe abgelehnt worden ist, und der Beklagte verpflichtet wird, für die Bestimmung des Grundgehalts des Klägers zum 1. September 2011 die Stufe 5 festzusetzen.

8 Da die Sache am 21. Dezember 2015 beim Bundesverwaltungsgericht eingegangen ist, richtet sich die Wertberechnung gemäß § 40 GKG nach den für dieses Datum maßgeblichen Grundgehaltssätzen. Im Dezember 2015 betrug der Unterschied zwischen dem Grundgehalt eines Richters des beklagten Landes der Besoldungsgruppe R1 der Stufe 3 und dem der Stufe 5 pro Monat 682,13 €. Daraus errechnet sich gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG der Gesamtbetrag von 24 556,68 €.

9 Die Entscheidung ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG in entsprechender Anwendung).