Beschluss vom 21.12.2006 -
BVerwG 1 B 56.06ECLI:DE:BVerwG:2006:211206B1B56.06.0

Beschluss

BVerwG 1 B 56.06

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 14.02.2006 - AZ: OVG 15 A 2202/00.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Dezember 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und Hund
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. Februar 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenz und einen Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2 Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine bestimmte klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtssache aufgezeigt wird. Eine solche lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen. Die Beschwerde wirft die Frage auf,
„ob einem Asylsuchenden, der seinen Heimatstaat vorverfolgt verlassen hat, eine Rückkehr dorthin allein deshalb schon zugemutet werden kann, wenn er vor erneuter Verfolgung hinreichend sicher ist, oder ob Ausmaß und Schwere der erlittenen Vorverfolgung auch dann eine Rückkehr als unzumutbar erscheinen lassen können, wenn hinreichende Verfolgungssicherheit besteht.“

3 Die Beschwerde macht geltend, dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147/80 u.a. - BVerfGE 54, 341 <360> zufolge werde die Zumutbarkeit der Rückkehr eines Asylsuchenden in seine Heimat, wenn sich Verfolgungsmaßnahmen in seiner Person bereits früher verwirklicht hätten, „nicht zuletzt“ davon bestimmt, ob eine Wiederholungsgefahr bestehe. Auch „Art und Ausmaß“ der behaupteten Verfolgungsmaßnahmen seien in den Blick zu nehmen. Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht in dem genannten Beschluss (a.a.O.) ausgeführt, Art und Ausmaß der behaupteten Verfolgungsmaßnahmen seien, auch wenn diese der Vergangenheit angehörten, vor allem für die Frage von Bedeutung, ob dem Asylsuchenden eine Rückkehr in seine Heimat zugemutet werden könne. Dies wird vom Bundesverfassungsgericht in seiner neueren Rechtsprechung allerdings nicht dahin verstanden, dass die Versagung des Schutzes des Art. 16a Abs. 1 GG im Falle einer Vorverfolgung über die hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung hinaus von weiteren Voraussetzungen abhängt. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 <346> ausgeführt (vgl. auch BVerfG, InfAuslR 2000, 254): „Steht hingegen fest, dass der Asylsuchende wegen bestehender oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung ausgereist ist und dass ihm auch ein Ausweichen innerhalb seines Heimatstaates im beschriebenen Sinne unzumutbar war, so ist er gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG (jetzt: Art. 16a Abs. 1 GG) asylberechtigt, es sei denn, er kann in seinem eigenen Staat wieder Schutz finden. Daher muss sein Asylantrag Erfolg haben, wenn die fluchtbegründenden Umstände im Zeitpunkt der Entscheidung ohne wesentliche Änderung fortbestehen. Ist die Verfolgungsgefahr zwischenzeitlich beendet, kommt es darauf an, ob mit ihrem Wiederaufleben zu rechnen ist; eine Anerkennung als Asylberechtigter ist nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG nicht geboten, wenn der Asylsuchende vor erneuter Verfolgung hinreichend sicher sein kann (vgl. BVerfGE 54, 341 <360>). Gleiches gilt, wenn sich - bei fortbestehender regional begrenzter politischer Verfolgung - nach der Einreise in den Geltungsbereich des Grundgesetzes eine zumutbare inländische Fluchtalternative eröffnet. Dies setzt voraus, dass der vor Verfolgung Geflohene in diesen Landesteilen nicht nur vor politischer Verfolgung, sondern auch vor denjenigen Nachteilen und Gefahren hinreichend sicher ist, die ihm im Zeitpunkt seiner Flucht ein Ausweichen unzumutbar machten, und dass ihm auch keine sonstigen Nachteile und Gefahren drohen, durch die er in eine ausweglose Lage geriete.“ Ebenso stellt das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. Urteil vom 25. September 1984 - BVerwG 9 C 17.84 - BVerwGE 70, 169) darauf ab, dass einem bereits politisch verfolgten Asylbewerber der Schutz des Art. 16a Abs. 1 GG dann versagt werden kann, wenn bei seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat eine Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist. Mit diesem Maßstab ist im Übrigen berücksichtigt, dass an die Wahrscheinlichkeit des Ausschlusses erneuter Verfolgung wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen der schon einmal erlittenen Verfolgung hohe Anforderungen zu stellen sind (Urteil vom 25. September 1984 a.a.O., S. 170). Die Beschwerde, die sich mit dieser Rechtsprechung nicht wie erforderlich auseinandersetzt, macht - insbesondere vor dem Hintergrund der zitierten neueren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - einen weitergehenden Klärungsbedarf nicht ersichtlich. Auch mit ihren Angriffen gegen die rechtliche und tatsächliche Würdigung des Streitstoffes durch das Berufungsgericht kann sie die Zulassung der Revision nicht erreichen. Damit kann auch die Rüge, das Berufungsurteil weiche von dem erwähnten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juli 1980 ab, keinen Erfolg haben.

4 Die weitere von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
„ob die (nach Auffassung des 15. Senats des OVG NW erheblich verbesserte) Menschenrechtslage in der Türkei erwarten lässt, dass eine vor mehreren Jahren aus politischen Gründen verfolgte Person, die sich der Verfolgung durch Flucht ins Ausland entzogen hat, im Fall einer Rückkehr in die Türkei (und des damit verbundenen Entfallens des Verfolgungshindernisses) vor staatlicher Verfolgung hinreichend sicher ist“,
zielt nicht auf eine Rechtsfrage. Sie betrifft vielmehr in erster Linie die den Tatsachengerichten vorbehaltene Klärung der Verhältnisse in der Türkei und die von ihnen vorzunehmende Würdigung der Feststellungen daraufhin, unter welchen Voraussetzungen eine vorverfolgte Person im Falle einer Rückkehr in die Türkei vor staatlichen Verfolgungen hinreichend sicher ist. Damit kann die Beschwerde die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache ebenfalls nicht erreichen.

5 Die Beschwerde rügt schließlich als Verfahrensfehler, das Berufungsgericht habe den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Im Berufungsurteil fehle jeder Hinweis darauf, dass der Kläger während seiner rund zweijährigen Inhaftierung - wie von der Klägerin bei ihrer Anhörung am 23. Januar 1996 angegeben - derart gefoltert wurde, dass dies zu bleibenden Schäden, nämlich dem Verlust seiner Zeugungsfähigkeit geführt habe.

6 Damit und mit ihrem weiteren Vorbringen legt die Beschwerde einen Gehörsverstoß nicht schlüssig dar. Im Rechtsmittelverfahren ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten, wie es Art. 103 Abs. 1 GG gebietet, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Nicht jedes Vorbringen der Beteiligten braucht in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich beschieden zu werden. Eine Gehörsverletzung kann aber festgestellt werden, wenn die Beschwerde besondere Umstände aufzeigt, aus denen sich deutlich ergibt, dass das Gericht ein bestimmtes Vorbringen nicht ernsthaft in Erwägung gezogen hat. Solche Umstände zeigt die Beschwerde indes nicht auf. Sie macht auch nicht ersichtlich, dass der angebliche Gehörsverstoß entscheidungserheblich sein könnte. Nach den nicht mit durchgreifenden Rügen angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Kläger heute in der Türkei vor erneuter politischer Verfolgung hinreichend sicher (UA S. 11 ff.). Damit setzt sich die Beschwerde nicht wie erforderlich auseinander.

7 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1 RVG.