Beschluss vom 21.11.2003 -
BVerwG 4 B 62.03ECLI:DE:BVerwG:2003:211103B4B62.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 21.11.2003 - 4 B 62.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:211103B4B62.03.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 62.03

  • Niedersächsisches OVG - 24.03.2003 - AZ: OVG 1 LB 3571/01

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. November 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H a l a m a und Dr. J a n n a s c h
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 24. März 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 300 000 € festgesetzt.

Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Die Beschwerde wendet sich zunächst dagegen, dass das Oberverwaltungsgericht in der Sache über den in der Berufungsinstanz gestellten Antrag entschieden hat, die Beklagte zu verpflichten, einen Bauvorbescheid über die Errichtung von zwei Windenergieanlagen zu erteilen, obwohl sich der Antrag bis zum In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27. Juli 2001 (BGBl I S. 1950) auf fünf derartige Anlagen bezogen hat. Sie meint, für die darin zu sehende Klageänderung fehle es an der Voraussetzung der Sachdienlichkeit gemäß § 91 VwGO. Mit der stillschweigenden Bejahung dieses Erfordernisses weiche das Oberverwaltungsgericht vom Beschluss des Senats vom 3. März 1995 - BVerwG 4 B 26.95 - (juris) ab. Davon kann indessen keine Rede sein. Daher bedarf auch keiner Vertiefung, in welchem Umfang die Annahme der Sachdienlichkeit nach § 91 VwGO überhaupt revisionsgerichtlicher Überprüfung unterliegt. Der Senat hat im genannten Beschluss ausgeführt, es sei - auch in Baurechtsstreitigkeiten - nicht zu beanstanden, wenn die angerufenen Gerichte darauf achteten, dass sie nur über jene (Bau)Anträge zu befinden haben, die zuvor im Verwaltungsverfahren gestellt worden sind. Es mag dahinstehen, ob in dieser Aussage überhaupt ein Rechtssatz zu sehen ist, von dem im Sinne des Revisionsrechts abgewichen werden kann. Denn das Berufungsgericht hat vorliegend keinen entgegengesetzten Rechtssatz aufgestellt. Davon abgesehen weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass die Baugenehmigungsbehörde auch im Ver-
waltungsverfahren mit den jetzt nur noch weiter verfolgten zwei Windenergieanlagen befasst war, da diese in den ursprünglich beantragten fünf Anlagen enthalten waren. Besondere Gründe, die insoweit eine andere rechtliche Beurteilung dieser zwei Standorte erfordern könnten, legt die Beschwerde nicht dar. Aus den genannten Gründen fehlt es auch der hierzu gestellten Frage an der grundsätzlichen Bedeutung. Es ist im Allgemeinen nicht zu beanstanden, wenn ein Gericht die Fortführung des Rechtsstreits als sachdienlich behandelt, in dem die Baugenehmigung (oder der Bauvorbescheid) für diejenige Zahl von Anlagen erstrebt wird, für die sie nach einer Gesetzesänderung ohne Durchführung eines anderen, hier eines immissionsschutzrechtlichen, Verfahrens weiterhin erteilt werden kann.
2. Soweit die Beschwerde (unter III.) ausführt, das angegriffene Urteil verstoße gegen die im Beschluss des Senats vom 20. August 1992 - BVerwG 4 NB 20.91 - BVerwGE 90, 329 dargestellten Grundsätze zur Anpassungspflicht nach § 1 Abs. 4 BauGB, lässt sie jede Darlegung dazu vermissen, inwieweit das Oberverwaltungsgericht durch Aufstellung eines entgegengesetzten Rechtssatzes dem Bundesverwaltungsgericht die Gefolgschaft versagt haben könnte. Vielmehr argumentiert sie im Stil einer Berufungsbegründung und führt aus, das Gericht hätte die Verbindlichkeit der Planaussage im vorliegenden Fall nicht offen lassen dürfen. Damit kann eine Divergenzrüge jedoch nicht dargelegt werden.
3. Die Beschwerde wendet sich ferner gegen die Begründung des Oberverwaltungsgerichts, dem Vorhaben der Klägerin im Bereich "Borssumer Hammrich" stehe die 21. Änderung des Flächennutzungsplans nicht entgegen. Mit dieser Änderung ist das für den genannten Bereich vorgesehene Sondergebiet Windenergienutzung aufgehoben worden, so dass im Flächennutzungsplan für das Gemeindegebiet der Beklagten nur noch das Sondergebiet "Wybelsumer Polder" dargestellt ist. Für den Windpark im "Wybelsumer Polder" besteht ein Vorhaben- und Erschließungsplan und sind Genehmigungen erteilt worden. Das Oberverwaltungsgericht hält die der 21. Änderung des Flächennutzungsplans zu Grunde liegende Abwägung wegen einer Fehlgewichtung der naturschutzfachlichen Belange für mangelhaft. Insbesondere sei die avifaunistische Wertigkeit des "Wybelsumer Polder" deutlich höher als diejenige des "Borssumer Hammrich". Die Beschwerde meint, hierauf könne sich die Klägerin nicht berufen, weil die Windenergieanlagen im "Wybelsumer Polder" bereits errichtet seien und die bestandskräftigen Zulassungsentscheidungen nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten.
3.1 Die in diesem Zusammenhang unter Hinweis auf den Beschluss des Senats vom 28. August 1987 - BVerwG 4 N 3.86 - BVerwGE 78, 85 erhobene Divergenzrüge bleibt ohne Erfolg. Im genannten Beschluss hat der Senat ausgeführt, einem Normenkontrollantrag fehle das Rechtsschutzbedürfnis, wenn er sich gegen Festsetzungen eines Bebauungsplans richtet, zu deren Verwirklichung schon eine unanfechtbare Genehmigung erteilt worden sei. Denn der Antragsteller könne dadurch, dass der Bebauungsplan für nichtig erklärt wird, seine Rechtsstellung derzeit nicht verbessern. Demgegenüber kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Klägerin des vorliegenden Verfahrens ihre Rechtsstellung mit dem angestrebten (und ergangenen) Urteil durchaus verbessern kann. Denn sie erhält einen Ausspruch, durch den die beklagte Stadt verpflichtet wird, ihr einen Bauvorbescheid für die Errichtung zweier Windenergieanlagen auf einer näher bezeichneten, von der Teilnichtigkeit des Plans nicht betroffenen, Fläche zu errichten.
3.2 Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
ob ein Planbetroffener sich bei der Aufstellung oder Änderung eines Flächennutzungsplans auf Abwägungsfehler im Rahmen der Alternativenprüfung auch dann berufen kann, wenn die von der Gemeinde getroffene Standortentscheidung an anderer Stelle bereits durch rechtsverbindlichen Bebauungsplan und entsprechende Vorhabengenehmigungen für den Planbetroffenen bestandskräftig umgesetzt worden ist,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.
Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer Vorschrift enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu klärende Fragestellung. Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung vielmehr, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus Gründen der Einheit des Rechts einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung eine Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung verlangt. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres beantworten lässt (BVerwG, Beschluss vom 28. Mai 1997 - BVerwG 4 B 91.97 - Buchholz 407.4 § 5 FStrG Nr. 10 = NVwZ 1998, 172; stRspr). So liegt es hier.
Das von der Klägerin beantragte Vorhaben dient der Nutzung der Windenergie gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB. Einem derartigen Vorhaben kann als öffentlicher Belang entgegengehalten werden, dass hierfür durch Darstellungen im Flächennutzungsplan eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist (§ 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB). Dies setzt voraus, dass die entsprechende Darstellung rechtswirksam ist. Hierzu hat der Senat in seinem Urteil vom 17. Dezember 2002 - BVerwG 4 C 15.01 - BVerwGE 117, 287 Näheres ausgeführt. Vorliegend kommt die Besonderheit hinzu, dass der Träger der Flächennutzungsplanung ursprünglich zwei Flächen für Windenergieanlagen festgesetzt hatte (16. Änderung), sich mit der vom Oberverwaltungsgericht als abwägungsfehlerhaft beanstandeten 21. Änderung dann jedoch für die Herausnahme desjenigen Bereichs entschieden hat, in dem die Klägerin ihr Vorhaben verwirklichen will. Bei der mit der 21. Änderung vorgenommenen Reduzierung der für Windenergieanlagen in Betracht kommenden Flächen hatte der Planungsträger nicht nur darüber Rechenschaft abzulegen, ob er weiterhin insgesamt in substantieller Weise Raum für die Windenergienutzung schafft (vgl. das Urteil vom 17. Dezember 2002 a.a.O. S. 295). Vielmehr hatte auch die für die Auswahl des Gebiets oder der Gebiete vorzunehmende Abwägung fehlerfrei zu erfolgen. Hierbei kam es ganz wesentlich auf die Eignung der beiden bis dahin noch bestehenden Gebiete an. Es versteht sich von selbst, dass dabei auch die Belange des Naturschutzes einschließlich des Vogelschutzes einzubeziehen waren. Diese Entscheidungen unterliegen im Rahmen eines Verfahrens auf Erteilung einer Genehmigung verwaltungsgerichtlicher Überprüfung. Zu Recht hebt das Oberverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang hervor, dass die Frage nach der Eignung der in Betracht kommenden Suchräume einen der für die Abwägungsentscheidung relevanten Gesichtspunkte darstellt. Im Rahmen der vorzunehmenden Inzidentprüfung ist das Gericht, wie auch in vergleichbaren Situationen - insbesondere der Überprüfung eines Bebauungsplans - nicht auf die Berücksichtigung der Belange des Bauantragstellers beschränkt. Auch dies hat das Oberverwaltungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats zutreffend dargestellt. Die Beklagte stellt diesen Grundsatz wohl auch nicht mehr in Frage. Dabei ist auch beim Flächennutzungsplan für die Abwägung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Plan maßgeblich (§ 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB). Hiervon ist auch das Oberverwaltungsgericht zu Recht ausgegangen. Denn es hat seiner Überprüfung die Entscheidung über die 21. Änderung zu Grunde gelegt, mit der die jetzt maßgebliche Darstellung erfolgt ist. Daraus ergibt sich, dass für die Berücksichtigung des Einwands, nach der Beschlussfassung über die 21. Änderung des Flächennutzungsplans sei ein Vorhaben- und Erschließungsplan beschlossen und seien Genehmigungen für Windenergieanlagen erteilt (und ins Werk gesetzt) worden, kein Raum bleibt. Ob der Träger der Flächennutzungsplanung dieser Rechtsfolge dadurch begegnen kann, dass er zu einem späteren Zeitpunkt erneut den Flächennutzungsplan ändert, ist im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden, da eine derartige Situation nicht vorliegt. Allerdings wird der Planungsträger seiner nochmaligen Abwägung dann die neue, veränderte Sach- und Rechtslage in jeder Hinsicht zu Grunde zu legen haben.
4.1 Die Beschwerde rügt schließlich als Verfahrensfehler, das Oberverwaltungsgericht hätte dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag Folge leisten müssen, wonach bestimmte näher aufgeführte, vom Land Niedersachsen gemeldete Vogelschutzgebiete durch die beantragten Windenergieanlagen erheblich beeinträchtigt würden. Das Oberverwaltungsgericht hat sich mit dieser Problematik in seinem Urteil unter Würdigung der Ausführungen des in der mündlichen Verhandlung angehörten Sachverständigen näher auseinander gesetzt (Urteil S. 22). Die Beschwerde lässt jegliche Auseinandersetzung mit dieser Beweiswürdigung vermissen und genügt damit nicht den Anforderungen an die Darlegung einer Aufklärungsrüge.
4.2 Auch die in diesem Zusammenhang formulierte Frage, wann ein Eingriff in ein faktisches Vogelschutzgebiet die Erheblichkeitsschwelle des Art. 4 Abs. 4 der Vogelschutz-Richtlinie überschreitet, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Die Beschwerde legt in keiner Weise dar, inwiefern die Frage ohne Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls, auf die das Oberverwaltungsgericht auch vorliegend zu Recht abgestellt hat, weiterer rechtsgrundsätzlicher Klärung zugänglich sein könnte.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 und 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Das Berufungsgericht hat in seinem Streitwertbeschluss vom 30. April 2003 näher dargelegt, dass seine Berechnung von einem pauschalierenden Ansatz in Höhe von 10 % der Herstellungskosten ausgeht. Es steht damit im Einklang mit der Praxis des Senats (vgl. auch den Beschluss des Senats vom 13. Dezember 2001 - BVerwG 4 C 3.01 -). Allerdings erschien es dem Senat angemessen, den Euro-Betrag abzurunden.