Beschluss vom 21.07.2010 -
BVerwG 4 B 3.10ECLI:DE:BVerwG:2010:210710B4B3.10.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 21.07.2010 - 4 B 3.10 - [ECLI:DE:BVerwG:2010:210710B4B3.10.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 3.10

  • Hessischer VGH - 26.10.2009 - AZ: VGH 3 A 1771/08

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Juli 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.

2 1. Die Divergenzrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) genügen nicht den Darlegungsanforderungen gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Die Darlegung einer Divergenz setzt voraus, dass ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender abstrakter Rechtssatz benannt wird und dass zum anderen ein dem widersprechender, die Entscheidung tragender Rechtssatz eines der gesetzlich benannten Gerichte zu der gleichen Frage aufgezeigt wird.

3 1.1 Mit ihrer ersten Divergenzrüge macht die Klägerin geltend, die Auffassung des Berufungsgerichts, dass bei einem im unbeplanten Innenbereich liegenden Vorhaben in der Regel nur die die nähere Umgebung tatsächlich prägenden Nutzungen vom Erdgeschoss bis zum Dachgeschoss ins Verhältnis zueinander zu setzen seien, stehe im Widerspruch zum Urteil des Senats vom 18. Mai 2001 - BVerwG 4 C 8.00 - (Buchholz 406.12 § 13 BauNVO Nr. 9). Zur Begründung zitiert die Klägerin zwar mehrere Rechtssätze aus diesem Urteil. Einen Rechtssatzwiderspruch zeigt die Klägerin damit aber nicht auf. Abgesehen davon, dass das Berufungsgericht die zitierten Rechtssätze seiner Entscheidung ausdrücklich - unter wörtlicher Wiedergabe - zugrunde gelegt hat (UA S. 10), wird nicht beachtet, dass es dem Gericht an dieser Stelle um eine Beurteilung des Vorhabens „jenseits einer detaillierten Quadratmeterberechnung“ nach dem äußeren Erscheinungsbild geht. Die in Bezug genommene Entscheidung des Senats enthält keine Aussagen dazu, nach welchen Grundsätzen das äußere Erscheinungsbild eines Gebäudes mit Blick auf die wohnliche Nutzung zu beurteilen ist. Den vom Senat aufgestellten Grundsatz, dass die Büronutzung regelmäßig nicht mehr als die Hälfte der Wohnungen und auch nicht mehr als die Hälfte der Wohnfläche umfassen darf, hat das Berufungsgericht beachtet. In Übereinstimmung mit der in Bezug genommenen Rechtsprechung ist das Berufungsgericht auch davon ausgegangen, dass die vom Senat aufgestellten Regeln nicht rechtssatzartig angewendet werden dürfen.

4 Abgesehen davon hat das Berufungsgericht seine Entscheidung selbständig tragend darauf gestützt, dass auch bei einem auf die die jeweilige Nutzungsart entfallenden Vergleich der jeweils in Anspruch genommenen Quadratmeter der Anteil der Wohnnutzung überwiege (UA S. 12 - 15). Hiergegen erhebt die Klägerin zwar auch Rügen, die jedoch erfolglos bleiben. Ist aber die vorinstanzliche Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt.

5 1.2 Die zur nachfolgenden „differenzierteren Betrachtungsweise“ erhobene Divergenzrüge (Beschwerdebegründung S. 4 - 7) erschöpft sich in dem Vorwurf, die Berechnung des Berufungsgerichts beruhe auf einer offenkundig falschen und willkürlichen Zuordnung des als „Keller“ bezeichneten Raums zur Wohnnutzung (Beschwerdebegründung S. 5); eine Begründung, warum dieser als „Keller“ bezeichnete Raum mit einer Größe von 5,575 qm nun in der Berechnung dem Wohnen in vollem Umfang zugeschlagen werde, lasse sich der Entscheidung nicht entnehmen (Beschwerdebegründung S. 6). Die Klägerin zitiert zwar Rechtssätze aus der angefochtenen Entscheidung, zeigt aber keinen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts auf, zu dem sich das Berufungsgericht in Widerspruch gesetzt haben könnte. Sie wendet sich vielmehr nach Art einer Berufungsbegründung lediglich gegen die Würdigung des Berufungsgerichts, das bei der Beurteilung der konkreten Umstände der Nutzung des als „Keller“ bezeichneten Raums den Raum dem „Wohnen“ zugeordnet hat, und macht geltend, das Berufungsgericht habe verkannt, dass maßgebend für die Zuordnung die prägende Nutzung durch das dort fest installierte Kompressionsgerät und der Flüssigkeitsabscheider für die Behandlungsstühle sei.

6 Die Rüge der Klägerin im Zusammenhang mit den Ausführungen des Berufungsgerichts zur Flächenberechnung des Verwaltungsgerichts (Beschwerdebegründung S. 6), das den als „Vorratskeller“ bezeichneten Raum mit einer Größe vom 19,52 qm der Praxisnutzung - in seiner Funktion als „Demonstrationsraum“ (VG UA S. 7) - zugeschlagen hat (UA S. 15), betrifft ebenfalls nur die Sachverhaltswürdigung und geht zudem am rechtlichen Ansatz des Berufungsgerichts vorbei. Das Berufungsgericht geht - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - davon aus, dass beide angefochtenen Genehmigungsbescheide einer getrennten rechtlichen Bewertung zu unterziehen waren (UA S. 8, 15). Unter Anlegung der von dem Verwaltungsgericht herangezogenen Berechnungskriterien wäre aber nach der tatsächlichen Würdigung des Berufungsgerichts der im Keller befindliche Vorratskeller/Verbrauchsmaterial nicht als Aufenthaltsraum zu veranschlagen gewesen, da dieser nach seiner Bezeichnung in den Bauvorlagen für die Baugenehmigung vom 21. Oktober 2002 offensichtlich nicht dem dauernden Aufenthalt von Menschen habe dienen sollen. Hierzu macht die Klägerin lediglich geltend, die Berechnung des Verwaltungsgerichts sei nicht zu bemängeln; es werde verkannt, dass die Beigeladene in dem Bauantrag selbst die Flächen als Nutzflächen der Praxis für den Aufenthalt für Menschen bezeichnet habe. Ein Zulassungsgrund wird damit nicht aufgezeigt. Das Berufungsgericht, das bei den Kellerräumen nicht danach differenziert hat, ob es sich um Räume handelt, die zum dauernden Aufenthalt für Menschen geeignet sind, hat im Übrigen den in der Baugenehmigung vom 21. Oktober 2002 als „Vorratskeller“ bezeichneten Raum mit einer Größe vom 19,52 qm der Praxisnutzung zugerechnet.

7 1.3 Soweit die Klägerin im Rahmen der Divergenzrüge darauf abhebt, das Berufungsgericht habe den Demonstrationsraum im Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats als nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO zulässige Anlage für gesundheitliche Zwecke angesehen, anstatt ihn der Praxis zuzuschlagen (Beschwerdebegründung S. 7 - 9), wird nicht beachtet, dass das Gericht entscheidungstragend davon ausgeht, dass, selbst wenn man den Raum als Annex zu der Zahnarztpraxis ansehe und ihn mit 19,52 qm ebenso wie den hälftigen Kellerflur mit 4,68 qm der freiberuflichen Tätigkeit zurechne, nach der 50 %-Betrachtung der Wohnanteil entsprechend dem vor Ort gewonnenen tatsächlichen Eindruck überwiege (UA S. 16). Die hiergegen erhobenen Rügen bleiben - wie unter 1.2 und 1.3 ausgeführt - indes erfolglos.

8 1.4 Die Divergenzrüge, mit der die Klägerin sinngemäß geltend macht, das Berufungsgericht habe nicht beachtet, dass eine nichtbewältigte Lärmproblematik nach § 15 BauNVO genehmigungsrelevant sei, insbesondere wenn selbst nach der vorgelegten, offenkundig fehlerhaft erstellten Lärmprognose eine Nutzung nicht oder nur mit erheblichen Nutzungseinschränkungen möglich sei (Beschwerdebegründung S. 9 - 12), genügt ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen. Die Klägerin zitiert zwar das Berufungsgericht mit dem Rechtssatz: „Die Frage, ob diese Werte tatsächlich eingehalten werden, betrifft nicht die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung, sondern allein die Frage, ob die bauaufsichtlich angeordneten Nebenbestimmungen von dem Bauherrn eingehalten werden“. Die ausführlich zitierten Passagen aus dem Urteil des Senats vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - (BVerwGE 98, 235) verhalten sich jedoch nicht zu diesem Gesichtspunkt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht nicht - wie von der Klägerin geltend gemacht (Beschwerdebegründung S. 11) - festgestellt, dass nach der Lärmprognose, die der Baugenehmigung zugrunde liegt, eine Einhaltung der Grenzwerte zweifelhaft oder gar unmöglich sei.

9 2. Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützten Grundsatzrügen bleiben ebenfall erfolglos.

10 2.1 Die von der Klägerin aufgeworfene Grundsatzrüge zur Frage, ob ausschließlich die Nutzungen im Erd- bis Dachgeschoss ins Verhältnis zueinander zu setzen sind (Beschwerdebegründung S. 12), scheitert - wie unter 1.1 dargelegt - daran, dass das Berufungsgericht seine Entscheidung selbständig tragend darauf gestützt hat, dass auch bei einem auf die die jeweilige Nutzungsart entfallenden Vergleich der jeweils in Anspruch genommenen Quadratmeter der Anteil der Wohnnutzung überwiege.

11 2.2 Die Grundsatzrüge zur Lärmproblematik (Beschwerdebegründung S. 12 f.) beruht auf Prämissen, die das Berufungsgericht nicht festgestellt hat. Aussagen dazu, dass von dem Vorhaben Belästigungen oder Störungen ausgehen könnten, die unzumutbar sind, hat das Berufungsgericht - wie bereits dargelegt - nicht getroffen.

12 3. Schließlich macht die Klägerin als Verfahrensrüge i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend, das Berufungsgericht habe zu Unrecht ihren Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage des ausreichenden Lärmschutzes abgelehnt (Beschwerdebegründung S. 13 - 16). Sie setzt sich dabei aber nicht damit auseinander, dass die beantragte Sachverhaltsermittlung nach der für die Beurteilung von Verfahrensfehlern maßgeblichen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts nicht entscheidungserheblich war, sondern behauptet lediglich, die Bewältigung der Lärmproblematik sei genehmigungsrelevant. Auf das von der Klägerin mit ihrem Beweisantrag als ungeeignet und fehlerhaft angegriffene Gutachten hat sich das Berufungsgericht nicht gestützt. Maßgeblich war für das Berufungsgericht vielmehr, dass für die streitbefangene Baugenehmigung verschiedene Immissionsrichtwerte als verbindliche Auflage gelten, die den Werten der TA-Lärm für Innenräume entsprechen, deren Einhaltung aber nicht die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung betrifft, sondern eine Frage der Bauüberwachung ist. Auch der Hinweis der Klägerin auf den Beschluss des Senats vom 16. Dezember 2008 - BVerwG 4 B 68.08 - (BRS 73 Nr. 82 Rn. 4) belegt, dass sie im Gewande der Verfahrensrüge letztlich nur Kritik an der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts übt. Ein Verfahrensfehler wird damit nicht aufgezeigt.

13 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.