Beschluss vom 21.02.2008 -
BVerwG 2 B 6.08ECLI:DE:BVerwG:2008:210208B2B6.08.0

Beschluss

BVerwG 2 B 6.08

  • Bayerischer VGH München - 15.11.2007 - AZ: VGH 16b D 07.952

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Februar 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und Dr Heitz
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. November 2007 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 69 BDG gestützte Beschwerde des Beklagten kann keinen Erfolg haben.

2 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen, weil die Berufungsbegründung erst nach Ablauf der antragsgemäß verlängerten Berufungsbegründungsfrist eingegangen ist. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren, weil der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Fristversäumnis verschuldet habe. Dies sei dem Beklagten zuzurechnen.

3 Auf Grund des Darlegungserfordernisses gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, § 69 BDG ist der Senat darauf beschränkt, über die Revisionszulassung ausschließlich auf der Grundlage der Beschwerdebegründung des Beklagten zu entscheiden. Darüber hinausgehende Ausführungen zu Fragen der Zurechnung des Anwaltsverschuldens gemäß § 3 BDG, §§ 60, 173 Satz 1 VwGO, § 85 Abs. 2 ZPO, die der Beklagte nicht angesprochen hat, sind dem Senat verwehrt.

4 Der Beklagte hält die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, ob einen Rechtsanwalt auch dann ein Verschulden an der Versäumung einer Rechtsmittelbegründungsfrist trifft, wenn er sich die Handakte, in der die Frist notiert ist, für die auf seinem Computer (Notebook) zu fertigende Rechtsmittelbegründung nicht hat vorlegen lassen, weil er sie nach seiner Einschätzung hierfür nicht benötigt hat.

5 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO obliegt es dem Beschwerdeführer, diese Voraussetzungen darzulegen (Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>; stRspr).

6 Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der vom Beklagten aufgeworfenen Frage offensichtlich nicht gegeben. Denn diese Frage ist durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichtshofs geklärt.

7 Danach gehört es zu den Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts in Fristensachen, den Betrieb seiner Anwaltskanzlei so zu organisieren, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hergestellt werden und vor Fristablauf beim zuständigen Gericht eingehen. Der Rechtsanwalt muss Vorkehrungen treffen, die gewährleisten, dass Fristen richtig berechnet werden und der Fristenlauf zuverlässig überwacht wird. Hierfür muss er sicherstellen, dass der Zeitpunkt des Fristablaufs in einem Fristenkalender notiert und dies in der Handakte vermerkt wird (stRspr; vgl. nur Beschluss vom 3. Dezember 2002 - BVerwG 1 B 429.02 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 24).

8 Bei Fristen für die Begründung eines Rechtsmittels muss der Rechtsanwalt dafür Sorge tragen, dass er sich rechtzeitig auf die Fertigung der Rechtsmittelbegründung einstellen sowie Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen vor Fristablauf Rechnung tragen kann. Zu diesem Zweck muss er Vorkehrungen treffen, die gewährleisten, dass zusätzlich eine Vorfrist notiert wird, die angemessene Zeit vor Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist endet, und dem Rechtsanwalt beim Ablauf dieser Vorfrist die Handakte vorgelegt wird (stRspr; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 9. Juni 1994 - I ZB 5/94 - NJW 1994, 2831 und vom 6. Juli 1994 - VIII ZB 26/94 - NJW 1994, 2551).

9 Diese allgemeinen Sorgfaltsanforderungen muss jeder Rechtsanwalt kennen und beachten. Sie beanspruchen ausnahmslos Geltung, ohne dass es auf die Arbeitsweise des Rechtsanwalts und die Ausstattung seiner Kanzlei ankommt. Der Rechtsanwalt kann nicht darüber disponieren, welche Sorgfaltsanforderungen ihm in welchem Umfang abverlangt werden. Auch ein Rechtsanwalt, der ganz oder teilweise „papierlos“ arbeitet, muss sicherstellen, dass Fristen, bei Rechtsmittelbegründungsfristen zusätzlich geeignete Vorfristen, zuverlässig notiert und überwacht werden und er bei Ablauf der Vorfrist umfassende Kenntnis von der Rechtsmittelsache erhält. Dies kann gegebenenfalls auch durch geeignete elektronische Vorkehrungen geschehen.

10 Die Beschwerdebegründung zeigt auch nicht auf, dass dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs ein Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO anhaftet, weil der Verwaltungsgerichtshof die Frage des Verschuldens des Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist im Ergebnis rechtsfehlerhaft beantwortet hat (vgl. hierzu Urteil vom 14. Dezember 1961 - BVerwG 3 B 148.60 /3 C 138.60 - BVerwGE 13, 239 <240>; Beschlüsse vom 4. Juli 1968 - BVerwG 8 B 110.67 - BVerwGE 30, 111 <113> und vom 3. Dezember 2002 a.a.O.). Vielmehr lässt der Vortrag des Beklagten nur den Schluss zu, dass seinen Prozessbevollmächtigten jedenfalls deshalb ein Verschulden trifft, weil er das Vorfristerfordernis nicht beachtet hat. Weder aus der Beschwerdebegründung noch aus der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags (Schriftsätze vom 29. Juni und vom 6. August 2007) geht hervor, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten überhaupt Vorkehrungen für die Notierung von Vorfristen getroffen hat. Auch die eidesstattlichen Versicherungen des Prozessbevollmächtigten vom 29. Juni und vom 6. August 2007 und des mit ihm in Bürogemeinschaft tätigen Rechtsanwalts S. vom 29. Juni 2007 enthalten keinen Hinweis darauf, dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten Vorfristen für Rechtsmittelbegründungsfristen notiert worden sind.

11 Hätte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten seine Sorgfaltspflichten erfüllt, so wäre für die Berufungsbegründungsfrist eine Vorfrist notiert worden, bei deren Ablauf der Prozessbevollmächtigte vollständige Kenntnis vom Inhalt der Handakte in der Rechtsmittelsache erhalten hätte. Dies hätte ihn in die Lage versetzt, die fehlerhafte Eintragung der Berufungsbegründungsfrist noch rechtzeitig vor Fristende zu bemerken.

12 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 77 Abs. 4 BDG. Gerichtsgebühren werden gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 BDG nicht erhoben.