Beschluss vom 20.12.2011 -
BVerwG 2 B 59.11ECLI:DE:BVerwG:2011:201211B2B59.11.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.12.2011 - 2 B 59.11 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:201211B2B59.11.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 59.11

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 15.12.2010 - AZ: OVG 3d A 305/09.O

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Dezember 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Beschwerde erscheint bereits unzulässig, weil sie den Anforderungen an die Bezeichnung des Zulassungsgrunds (§ 3 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 133 Abs. 3 Satz 2 VwGO) nicht genügt. Werden diese Bedenken zurückgestellt, kommt sinngemäß allenfalls eine Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) in Betracht. Diese hat keinen Erfolg.

2 1. Der beklagte Kriminaloberkommissar ließ zahlreiche Ermittlungsvorgänge länger als ein Jahr unbearbeitet liegen, nahm diese mit nach Hause und meldete sie schließlich als erledigt. Er wurde wegen Verwahrungsbruchs in elf Fällen, davon in drei Fällen tateinheitlich mit vollendeter bzw. versuchter Strafvereitelung im Amt im minder schweren Fall, sowie wegen Strafvereitelung im Amt im minder schweren Fall in weiteren vier Fällen, davon zwei versuchten, durch Strafurteil rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Disziplinarklageverfahren wurde ihm u.a. vorgeworfen, „im Zeitraum von Februar 2001 bis zum 14. März 2003 als Polizeivollzugsbeamter des Kriminalkommissariates B. ein Dienstvergehen durch Verwahrungsbruch in elf Fällen, davon einmal in Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt und zweimal in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung im Amt, sowie wegen Strafvereitelung im Amt in zwei Fällen und versuchter Strafvereitelung im Amt in zwei Fällen begangen zu haben“. Auf einen entsprechenden Hinweis des erstinstanzlichen Gerichts hin teilte der Kläger mit, dass auch die in der Begründung der Disziplinarklage versehentlich unberücksichtigt gebliebenen Einzelvorwürfe aus dem Strafurteil zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden sollten. Mit der Nachtragsdisziplinarklage wird dem Beklagten zusätzlich vorgeworfen, sich in vier Fällen (Fallakten der Staatsanwaltschaft Nr. 12, 29, 30 und 43) der - versuchten bzw. vollendeten - Strafvereitelung im Amt schuldig gemacht zu haben. Damit habe er gegen seine allgemeine beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht, hinsichtlich der Fallakte 12 (u.a. Aufbewahren sichergestellter Asservate in seinem Dienstzimmer) auch gegen eine Dienstanweisung über die Behandlung von Verwahrstücken verstoßen. Der Beklagte rügte einen Verstoß gegen das Substantiierungsgebot, weil „Vorwurfsformel“ und Sachverhaltsdarstellung insofern nicht übereinstimmten, als mit der Vorwurfsformel offensichtlich der gesamte vorgeworfene Sachverhalt erfasst werde, wohingegen die Nachtragsdisziplinarklage im Übrigen nur einzelne Sachverhalte erfasse.

3 Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten aus dem Dienst entfernt, die hiergegen erhobene Berufung des Beklagten blieb erfolglos. Das Berufungsgericht hat die Nachtragsdisziplinarklage für zulässig gehalten. Sie entspreche insbesondere den gesetzlichen Erfordernissen an ihre Bestimmtheit.

4 2. Die Beschwerde rügt ohne Erfolg, dass die Nachtragsklageschrift dem Bestimmtheitsgebot nicht genüge (Verstoß gegen §§ 53, 52 Abs. 2 Satz 1 LDG NRW). Zur Begründung führt die Beschwerde aus, dass an eine Nachtragsdisziplinarklage die gleichen Anforderungen zu stellen seien wie an eine Disziplinarklage und eine Anklageschrift im Strafverfahren. Disziplinarklagen wie auch Nachtragsdisziplinarklagen seien einer Auslegung nicht zugänglich. Der Grundsatz der Gewährung effektiven Rechtsschutzes verbiete, dass der betroffene Beamte die Disziplinarklage selber auslegen und insbesondere dahingehend abgleichen müsse, ob eine später erfolgte Nachtragsdisziplinarklage ausschließlich weitergehende, von der Disziplinarklage noch nicht umfasste, Vorwürfe beinhalte. Für den Beklagten sei auch nicht offenkundig ersichtlich, dass es sich um ein „Schreibversehen“ handele. Hierbei mute das Berufungsgericht dem rechtlich nicht vorgebildeten Beklagten zu viel zu. Dieser müsse sich darauf verlassen können, dass die jeweiligen behördlichen Verfügungen keine „Schreibversehen“ enthielten.

5 Im Disziplinarklageverfahren sind an die Nachtragsklageschrift (§ 53 Abs. 1 LDG NRW) die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Klageschrift. Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 LDG NRW muss diese u.a. die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, und die anderen Tatsachen und Beweismittel, die für die Entscheidung bedeutsam sind, geordnet darstellen. Die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, müssen aus sich heraus verständlich geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden (Urteile vom 23. November 2006 - BVerwG 1 D 1.06 - juris Rn. 14 <insoweit in Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 12 nicht abgedruckt> und vom 25. Januar 2007 - BVerwG 2 A 3.05 - Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 4 Rn. 27; Beschlüsse vom 13. März 2006 - BVerwG 1 D 3.06 - Buchholz 235 § 67 BDO Nr. 1 Rn. 13, vom 18. November 2008 - BVerwG 2 B 63.08 - Rn. 22 und 23 <insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 235.1 § 17 BDG Nr. 1> und vom 24. Januar 2010 - BVerwG 2 B 101.09 - juris Rn. 6; jeweils zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG bzw. zu dessen Vorgängernorm § 65 Halbs. 2 BDO sowie Beschluss vom 26. Oktober 2011 - BVerwG 2 B 69.10 - juris Rn. 6 zu § 57 Abs. 1 Satz 1 HDG). Dadurch soll sichergestellt werden, dass sich der Beamte gegen die disziplinarischen Vorwürfe sachgerecht verteidigen kann (Urteile vom 23. November 2006 - BVerwG 1 D 1.06 - Rn. 14 und 15 <insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 12, vom 25. Januar 2007 a.a.O. und vom 29. Juli 2010 - BVerwG 2 A 4.09 - juris Rn. 146; Beschlüsse vom 8. März 1985 - BVerwG 1 DB 16.85 - BVerwGE 76, 347 <349>, vom 13. März 2006 a.a.O. Rn. 13 und vom 26. Oktober 2011 a.a.O.). Auch tragen die gesetzlichen Anforderungen an die Klageschrift dem Umstand Rechnung, dass sie Umfang und Grenzen der gerichtlichen Disziplinarbefugnis festlegt. Denn gemäß § 59 Abs. 2 Satz 1 LDG NRW dürfen nur Handlungen zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden, die dem Beamten in der Klage oder der Nachtragsklage als Dienstvergehen zur Last gelegt werden (Urteile vom 25. Januar 2007 a.a.O. und vom 29. Juli 2010 a.a.O. Rn. 147). Nach alledem muss aus der Klageschrift und ebenso aus der Nachtragsklageschrift unmissverständlich hervorgehen, welche Sachverhalte angeschuldigt werden. Es ist erforderlich, aber auch ausreichend, wenn bei verständiger Lektüre aus der Klageschrift eindeutig hervorgeht, welche konkreten Handlungen dem Beamten als Dienstvergehen zur Last gelegt werden (zum Ganzen vgl. auch Beschlüsse vom 28. März 2011 - BVerwG 2 B 59.10 - juris Rn. 5 und vom 26. Oktober 2011 a.a.O.).

6 Hiervon ausgehend hat das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend einen Verstoß der Nachtragsdisziplinarklage gegen das Bestimmtheitsgebot verneint. Zwar werden im Anschuldigungssatz erneut - wie in der (ursprünglichen) Disziplinarklage - sämtliche EinzeItaten aus dem Strafurteil zum Vorwurf gemacht. Im weiteren Verlauf der Nachtragsdisziplinarklage wird jedoch ausdrücklich ausgeführt, dass über die in der (ursprünglichen) Disziplinarklage aufgeführten Fälle hinaus die weiteren vom Strafgericht abgeurteilten Fälle (Fallakten 12, 29, 30 und 43) Gegenstand des Disziplinarverfahrens sein sollten. Das Berufungsgericht weist zu Recht darauf hin, dass lediglich diese Fälle in der Nachtragsdisziplinarklage weiter dargestellt und einer disziplinarrechtlichen Bewertung unterzogen wurden, so dass der Gegenstand der Nachtragsdisziplinarklage für den Beklagten trotz der missverständlichen Formulierung des Anschuldigungssatzes eindeutig erkennbar war.

7 3. Ebenfalls ohne Erfolg führt die Beschwerde aus, das Berufungsgericht habe bei der Maßnahmebemessung nicht ausreichend gewürdigt, dass der Beklagte bei der Strafvereitelung keine Intention einer konkreten Strafvereitelung zu Gunsten der jeweils Betroffenen gehabt habe. Sein Verhalten erfülle zwar den Straftatbestand, jedoch habe er die Zielrichtung des strafrechtlichen Vorwurfes, bewusst und gewollt einzelne Personen vor einer Strafverfolgung zu schützen, nicht verfolgt. Soweit das Berufungsgericht hierzu (auf S. 40 UA) angebe, dass es diesen Umstand zwar berücksichtigt habe, dies jedoch im Hinblick auf die Strafbarkeit seiner Handlungen im Rahmen der Dienstausübung als Polizeibeamter nicht zu einer Änderung der Maßnahmenzumessung führe, habe das Gericht die diesbezüglichen Umstände nicht ausreichend gewürdigt, sondern vielmehr verkannt.

8 Mit diesen Ausführungen wird ein Zulassungsgrund im Sinne des § 67 Satz 1, § 3 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO nicht dargelegt. Sie richten sich vielmehr allgemein nach Art einer Berufung gegen die materielle Wertung des Berufungsgerichts. Soweit die Beschwerde mit ihrem Vorbringen sinngemäß einen Verfahrensfehler in Gestalt eines Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 3 LDG NRW, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) rügen will, ist die Rüge unbegründet. Die materielle Wertung des Berufungsgerichts kann grundsätzlich nicht mit der Verfahrensrüge angegriffen werden. Die Würdigung des Berufungsgerichts beruht auch nicht auf einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt oder verletzt Beweiswürdigungsgrundsätze wie etwa Auslegungsregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze. Ein Verstoß gegen die Denkgesetze liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann vor, wenn ein Schluss aus Gründen der Logik schlechthin nicht gezogen werden kann, nicht aber schon dann, wenn das Gericht andere Schlüsse gezogen hat, als sie nach Auffassung eines der Verfahrensbeteiligten hätten gezogen werden müssen, selbst wenn der vom Verfahrensbeteiligten favorisierte Schluss vielleicht sogar näher liegt als der vom Gericht gezogene (vgl. Beschluss vom 21. September 1982 - BVerwG 2 B 12.82 - juris Rn. 7 <insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 238.5 § 46 DRiG Nr. 2>).

9 Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Der Festsetzung eines Streitwertes bedarf es nicht, weil Gerichtskosten nach der Anlage zu § 75 LDG NRW erhoben werden.