Beschluss vom 20.08.2010 -
BVerwG 1 B 10.10ECLI:DE:BVerwG:2010:200810B1B10.10.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.08.2010 - 1 B 10.10 - [ECLI:DE:BVerwG:2010:200810B1B10.10.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 10.10

  • OVG Mecklenburg-Vorpommern - 12.03.2010 - AZ: OVG 2 L 18/09

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. August 2010
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 12. März 2010 aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Gründe

1 Die Beschwerde hat mit einer Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Erfolg. Der Kläger rügt der Sache nach zu Recht, dass das Berufungsgericht seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat (Art. 103 Abs. 1 GG). Denn das Berufungsgericht hat wesentliches Vorbringen des Klägers nicht in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen und erwogen.

2 Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten, wie es Art. 103 Abs. 1 GG vorschreibt, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Etwas anderes gilt aber, wenn besondere Umstände deutlich ergeben, dass das Gericht bestimmtes Vorbringen nicht berücksichtigt hat (stRspr, vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/92 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>). Dies ist hier der Fall.

3 Der Kläger, der die Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis erstrebt, hatte im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemacht, zwar könne er nach Syrien zurückreisen, aber seiner Lebenspartnerin und den gemeinsamen Kindern, mit denen er zusammenlebe, sei eine Rückkehr nach Syrien aus rechtlichen Gründen unmöglich. Deshalb sei auch ihm die Ausreise nach Syrien im Hinblick auf Art. 6 GG rechtlich nicht möglich im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG.

4 Das Verwaltungsgericht hatte in diesem Zusammenhang ein rechtliches Ausreisehindernis angenommen. Im von der Ausländerbehörde betriebenen Verfahren auf Zulassung der Berufung hatte der Kläger erneut auf Art. 6 GG hingewiesen. Das Berufungsgericht ist in seiner Entscheidung hierauf nicht eingegangen. Es hat lediglich ausgeführt, bereits das Verwaltungsgericht habe festgestellt, dass dem Kläger die Ausreise nicht unmöglich sei; es sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass diese Feststellung unrichtig sei. Die vom Kläger geltend gemachten Auswirkungen des Art. 6 GG auf das Vorliegen eines rechtlichen Ausreisehindernisses gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG hat das Berufungsgericht nicht angesprochen.

5 Die Frage, ob eine Rückkehr des Klägers nach Syrien rechtlich möglich ist, ist für das Berufungsgericht ersichtlich entscheidungserheblich gewesen. Denn es hat die Möglichkeit für Frau und Kinder des Klägers, nach Syrien auszureisen, angesprochen, letztlich aber offengelassen. Unter den hier gegebenen Umständen ist deshalb davon auszugehen, dass das Berufungsgericht die vom Kläger mehrfach betonten Schutzwirkungen des Art. 6 GG für die Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis übersehen hat.

6 Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.