Beschluss vom 20.08.2009 -
BVerwG 1 B 13.09ECLI:DE:BVerwG:2009:200809B1B13.09.0

Leitsatz:

Ob die Wirkungen einer Ausweisung schon zum Zeitpunkt der Ausweisung oder erst später zu befristen sind, ist eine Frage des Einzelfalls. Sie hängt unter anderem vom Ausmaß der vom Ausländer ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, der Vorhersehbarkeit der zukünftigen Entwicklung dieser Gefahr sowie den schutzwürdigen Interessen des Ausländers und seiner Angehörigen ab.

Beschluss

BVerwG 1 B 13.09

  • Niedersächsisches OVG - 26.02.2009 - AZ: OVG 11 LB 232/07

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. August 2009
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 26. Februar 2009 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der 1971 geborene Kläger und Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger, der sich seit 1982 auf Dauer in der Bundesrepublik Deutschland aufhält. Er erhielt 1988 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und 1990 eine Aufenthaltsberechtigung. Nach einer Reihe von Straftaten und Verurteilungen - zuletzt wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren - wurde er mit Bescheid vom 8. Juni 2004 ausgewiesen. Aus der Haft wurde er Anfang 2007 auf Bewährung entlassen. Seine Klage gegen die Ausweisung blieb beim Berufungsgericht ohne Erfolg, nachdem ihr erstinstanzlich stattgegeben worden war.

II

2 Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist zum Teil schon nicht zulässig, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt, zum Teil ist sie unbegründet.

3 1. Die Beschwerde hält die Frage für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), „ob bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung deren Befristung mit zu überprüfen ist“ (Schriftsatz vom 27. April 2009). Sie beruft sich auf Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts, wonach in Fällen, in denen der Schutzbereich des Art. 8 EMRK oder von Art. 6 Abs. 1 und 2 GG berührt ist, die Möglichkeit der Befristung von der Ausländerbehörde im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung mit zu prüfen ist. Eine solche Prüfung sei auch im vorliegenden Fall zur Ermöglichung des Zusammenlebens des Klägers mit seinem neugeborenen Kind geboten gewesen. Demgegenüber habe das Oberverwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil eine solche Überprüfung als entbehrlich angesehen. Daher bestehe rechtlicher Klärungsbedarf.

4 Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde eine grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfrage, die in dem angestrebten Revisionsverfahren verallgemeinerungsfähig beantwortet werden könnte, nicht auf. Nimmt man die von ihr formulierte Frage wörtlich und bezieht sie nur auf die Pflicht zur Prüfung einer Befristung bereits im Rahmen des Ausweisungsverfahrens, wäre sie ohne weiteres zu bejahen. Denn in der Rechtsprechung des Senats ist anerkannt, dass es Fälle geben kann, in denen es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK gebietet, die Wirkung der Ausweisung schon im Zeitpunkt ihres Erlasses zu befristen (vgl. Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 < 324>). Dies setzt notwendig die Prüfung voraus, ob im Einzelfall derartige Voraussetzungen vorliegen. Diese Prüfung hat das Berufungsgericht der Sache nach im Übrigen auch vorgenommen, indem es bei Abwägung der schutzwürdigen Belange des Klägers mit dem öffentlichen Interesse am Schutz der Allgemeinheit eine spätere Befristung für ausreichend angesehen hat (UA S. 17 f).

5 Versteht man die Frage weitergehend dahin, dass geklärt werden soll, unter welchen Voraussetzungen eine Ausweisung nur mit gleichzeitiger Befristung ihrer Wirkungen verfügt werden darf, legt die Beschwerde nicht dar, dass sich diese Frage anhand des Falles des Klägers verallgemeinerungsfähig beantworten lässt und damit eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Allein der Umstand, dass der Kläger Vater eines neugeborenen Kindes seiner deutschen Verlobten ist, reicht für sich allein nicht aus, um einen Anspruch auf Befristung zusammen mit der Ausweisung zu begründen. Es hängt vielmehr von den gesamten Umständen des Einzelfalles, insbesondere dem Ausmaß der vom Ausländer ausgehenden Gefahr, der Vorhersehbarkeit der zukünftigen Entwicklung dieser Gefahr und den schutzwürdigen Belangen des Ausländers und seiner Angehörigen, ab, ob eine Befristung schon bei der Ausweisung von Amts wegen geboten ist oder eine Befristung auf Antrag nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ausreicht. Dies ist eine Frage des Einzelfalles, die die Zulassung einer Grundsatzrevision nicht rechtfertigt.

6 2. Die Beschwerde rügt weiter eine Divergenz der angefochtenen Entscheidung von „höchstrichterlicher Rechtsprechung“ (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Sie beruft sich darauf, dass nach einer nicht näher bezeichneten Fundstelle aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung, bei der es sich soweit ersichtlich um ein Zitat aus dem Urteil des Senats vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 30.02 - (BVerwGE 121, 297 <314 f.>) handelt, die Befristung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung zu prüfen sei und die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts hiervon abweiche (Schriftsatz vom 5. Mai 2009).

7 Damit ist eine Divergenz nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend aufgezeigt. Denn abgesehen von der fehlenden genauen Bezeichnung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts handelt es sich bei dem angeführten Satz aus dem Urteil des Senats vom 3. August 2004 a.a.O. S. 314 zu Punkt 3 nicht um einen divergenzfähigen entscheidungstragenden Rechtssatz, weil die Ausführungen im Rahmen der Hinweise an das Tatsachengericht für die Behandlung des Falles nach der Zurückverweisung enthalten sind. Im Übrigen fehlt es auch an einer Bezeichnung eines bestimmten hiervon abweichenden Rechtssatzes aus der berufungsgerichtlichen Entscheidung.

8 Unabhängig davon bemerkt der Senat allerdings, dass die Auffassung des Berufungsgerichts, wonach eine Befristungsentscheidung „in der Regel“ der Ausweisung nachfolgt (UA S. 19), sich weder der vom Berufungsgericht hierfür angegebenen Entscheidung des Senats vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - (BVerwGE 130, 20) noch der oben zu 1. angeführten Rechtsprechung des Senats entnehmen lässt. Vielmehr ist nach dieser Rechtsprechung die Frage, ob die Ausweisung von vornherein oder erst nachträglich zu befristen ist, eine Frage des Einzelfalles, die von einer Gesamtwürdigung der Umstände unter Berücksichtigung der oben zu 1. aufgezeigten Gesichtspunkte abhängt. Da das Berufungsgericht, wie oben zu 1. dargelegt, im Rahmen seiner Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Fall des Klägers der Sache nach eine solche Abwägung vorgenommen hat, ist aber weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass seine Entscheidung auf den Ausführungen über ein Regel-Ausnahme-Verhältnis auf Seite 19 der Urteilsgründe beruht. Insoweit kommt - abgesehen von sonstigen Darlegungsmängeln - auch eine Umdeutung der Divergenzrüge in eine Grundsatzrüge nicht in Betracht.

9 3. Ohne Erfolg beruft sich die Beschwerde schließlich darauf, dass in Bezug auf die in der Ausweisungsverfügung enthaltene Ankündigung der Abschiebung aus der Haft ein Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vorliege, weil das angefochtene Urteil insoweit keine Begründung enthalte. Darin liege ein Verstoß gegen § 138 Nr. 6 VwGO. Da der Kläger zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung bereits aus der Haft entlassen gewesen sei, dürfe er nicht mehr auf der Grundlage dieser Ankündigung abgeschoben werden.

10 Zwar weist die Beschwerde zutreffend darauf hin, dass das Berufungsurteil hinsichtlich der Ankündigung der Abschiebung aus der Haft keine Begründung enthält. Die Beschwerde kann mit dieser Rüge aber keinen Erfolg haben, weil sich die Abweisung der Klage insoweit jedenfalls im Ergebnis als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO in entsprechender Anwendung auf das Beschwerdeverfahren). Denn die Ankündigung der Abschiebung aus der Haft (jetzt: § 59 Abs. 5 Satz 2 AufenthG) ist mit der Haftentlassung des Klägers gegenstandslos geworden, so dass der Kläger dadurch nicht mehr beschwert ist und damit auch kein Rechtsschutzinteresse an einer Aufhebung dieses Teils der Verfügung hat. Entgegen der im Beschwerdeverfahren vertretenen Rechtsauffassung der Beklagten kann der Kläger aufgrund der Ankündigung der Abschiebung aus der Haft nicht mehr abgeschoben werden. Hierzu bedarf es jetzt vielmehr einer Abschiebungsandrohung gemäß § 59 Abs. 1 AufenthG.

11 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Beschluss vom 30.09.2009 -
BVerwG 1 B 20.09ECLI:DE:BVerwG:2009:300909B1B20.09.0

Beschluss

BVerwG 1 B 20.09

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. September 2009
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge des Klägers gegen den Beschluss des Senats vom 20. August 2009 - BVerwG 1 B 13.09 - wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Rügeverfahrens.

Gründe

1 Die Anhörungsrüge ist unbegründet und daher gemäß § 152a Abs. 4 Satz 2 VwGO zurückzuweisen.

2 Der Kläger beanstandet, der Senat habe bei der Frage, ob im Berufungsurteil die Frage der Befristung zum Zeitpunkt der Ausweisung geprüft worden sei, das Gegenteil dessen aus dem Urteil herausgelesen, was darin auf Seite 19 ausgeführt werde. Dort sei nämlich dargelegt, dass der Kläger keinen Anspruch darauf habe, dass die Ausweisung ihm gegenüber von Anfang an nur befristet ergehe, vielmehr folge die Befristung in der Regel der Ausweisung nach. Der Senat komme hingegen zu dem Ergebnis, das Berufungsgericht habe die Frage der Befristung zum Zeitpunkt der Ausweisung geprüft, was nicht zutreffe.

3 Die Anhörungsrüge hat keinen Erfolg. Denn aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich schon nicht, inwiefern der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör durch die vom Senat zur Befristungsfrage getroffene Auslegung des Berufungsurteils verletzt sein soll. Vielmehr liegt es im Rahmen der dem Senat obliegenden Auslegung des Inhalts des Berufungsurteils, wenn er diesem der Sache nach die vom Kläger als fehlend beanstandete Prüfung der Befristungsfrage entnimmt. Der Senat hat sich bei seiner Auslegung der Urteilsgründe auf die dortigen Ausführungen auf Seite 17 f. gestützt, in deren Rahmen das Berufungsgericht die zugunsten des Klägers sprechenden Belange erörtert und in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen hat, dass der Kläger zu gegebener Zeit von der Türkei aus einen Befristungsantrag stellen könne (UA S. 17 unten). In Wahrheit erhebt der Kläger mit seinem Vorbringen eine Sachrüge und wendet sich gegen die inhaltliche Richtigkeit der Senatsentscheidung. Darauf kann eine Anhörungsrüge aber nicht gestützt werden.

4 Im Übrigen bezieht sich die Rüge auch nicht - wie geboten - auf einen die Entscheidung des Senats tragenden Gesichtspunkt. Die in der Anhörungsrüge zitierte Passage gehört zu den Erwägungen des Senats, mit denen er eine klärungsbedürftige Grundsatzfrage revisiblen Rechts verneint. Dies wird tragend damit begründet, dass die aufgeworfene Frage, ob eine Pflicht zur Prüfung einer Befristung bereits im Rahmen des Ausweisungsverfahrens besteht, ohne weiteres zu bejahen ist. Lediglich ergänzend und für die Zurückweisung der Grundsatzrüge nicht tragend weist der Senat darauf hin (vgl. BA S. 3: „im Übrigen“), dass das Berufungsgericht eine solche Prüfung der Sache nach vorgenommen hat.

5 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.