Beschluss vom 20.01.2003 -
BVerwG 7 B 131.02ECLI:DE:BVerwG:2003:200103B7B131.02.0

Beschluss

BVerwG 7 B 131.02

  • VG Berlin - 25.06.2002 - AZ: VG 9 A 173.99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Januar 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
S a i l e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. Juni 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 214 206 € festgesetzt.

Der Rechtsvorgänger der Klägerin erwarb aufgrund notariellen Kaufvertrags vom 19. März 1934 ein Mietwohngrundstück mit gewerblich genutzten Räumen in Berlin-Prenzlauer Berg von jüdischen Kaufleuten. Der Beklagte übertrug das Grundstück durch Bescheid vom 11. Juni 1998 an die Beigeladene zurück. Das Verwaltungsgericht hat der nach erfolglosem Widerspruch erhobenen Klage stattgegeben, weil die gesetzliche Vermutung einer verfolgungsbedingten Veräußerung durch den Beweis widerlegt sei, dass der Verfolgte einen angemessenen und für ihn frei verfügbaren Kaufpreis erhalten habe, und keine anderen Tatsachen für einen verfolgungsbedingten Vermögensverlust sprächen. Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst. Die Beschwerde hält für klärungsbedürftig,
"ob das Verwaltungsgericht den Verkehrswert ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens für das konkrete Grundstück selbst bestimmen kann, um die Angemessenheit eines Kaufpreises im Rahmen des Schädigungstatbestandes des § 1 Abs. 6 VermG festzustellen".
Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Das Verwaltungsgericht hat den Verkehrswert anhand eines Wertermittlungsgutachtens der Oberfinanzdirektion Berlin sowie eines Vergleichsobjekts ermittelt. Dem in einem anderen Verfahren erstatteten Gutachten, das nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts den Verkehrswert für ein "in vergleichbarer Lage" befindliches und "mit Mietshäusern vergleichbaren Alters" bebautes Grundstück in Berlin-Prenzlauer Berg ermittelt hatte, entnahm das Verwaltungsgericht die Erkenntnis, dass angesichts der Marktlage in Berlin im Jahr 1935 bei entsprechenden Mietwohngrundstücken ein Verkehrswert in Höhe des 4,84-fachen der Jahresrohmiete anzunehmen gewesen sei. Bei Berücksichtigung der weiteren Umstände, dass die Anfang der 30er-Jahre niedrigen Grundstückspreise ab 1934 anzuziehen begonnen hätten und nach der Begründung der Einheitswertfestsetzung für das in Rede stehende Grundstück im Jahr 1934 das 4,5-fache der Jahresrohmiete erzielbar gewesen sei, müsse der Verkehrswert Anfang 1934 knapp unterhalb des für 1935 ermittelten Verkehrswerts gelegen haben. Dem entspreche der im März 1934 gezahlte Kaufpreis, der das 4,75-fache der Jahresrohmiete betragen habe. Diese Erwägung werde durch ein vom Beklagten genanntes, allein geeignetes Vergleichsobjekt bestätigt, bei dem sowohl der Einheitswert als auch der Kaufpreis bekannt seien und bei dessen Verkauf im Jahr 1936 das 4,64-fache der Jahresrohmiete erzielt worden sei; beim Ansatz der Jahresrohmiete sei davon auszugehen, dass der Einheitswert - übereinstimmend mit der Einheitswertfestsetzung 1935 für das in Rede stehende Grundstück - auch bei dem Vergleichsobjekt im Jahr 1935 auf das 5-fache der Jahresrohmiete festgesetzt worden sei.
Die vom Verwaltungsgericht anhand eines Verkehrswertgutachtens und eines Vergleichsobjekts angestellten Überlegungen halten sich im Rahmen des Grundsatzes, dass der Verkehrswert im Wege der freien Beweiswürdigung in erster Linie durch konkrete Vergleichsverkäufe und/oder anhand eines Sachverständigengutachtens zu ermitteln ist (Urteil vom 24. Februar 1999 - BVerwG 8 C 15.98 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 1). Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob ein Sachverständigengutachten für das konkrete Grundstück einzuholen ist, ist jedenfalls unter den hier gegebenen Voraussetzungen zu verneinen, ohne dass hierfür ein Revisionsverfahren durchgeführt werden müsste. Von der Einholung eines Sachverständigengutachtens für das konkrete Grundstück darf das Gericht hiernach absehen, wenn bereits ein Sachverständigengutachten für ein vergleichbares Grundstück in vergleichbarer Lage vorliegt, das dem Gericht unter Berücksichtigung eines weiteren Vergleichsobjekts Rückschlüsse auf den maßgeblichen Verkehrswert erlaubt. Ob das Verwaltungsgericht aus den ihm vorliegenden Unterlagen hinreichend zuverlässige Schlüsse gezogen hat, ist für die Frage der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ohne Belang. Davon abgesehen erscheinen die Erwägungen des angegriffenen Urteils zur Ermittlung des Verkehrswerts jedenfalls nicht unplausibel.
Auch die weitere Frage,
ob "das Verwaltungsgericht aufgrund des von ihm selbst geschätzten Verkehrswertes dann noch einen Abschlag von 10 % als Schwankungsbreite annehmen" durfte,
verleiht der Rechtssache nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung. Nach dem oben Gesagten kann schon keine Rede davon sein, dass das Verwaltungsgericht einen "selbst geschätzten" Verkehrswert angenommen hat. Die aufgeworfene Frage zielt vielmehr auf die Hilfsbegründung des Verwaltungsgerichts, dass der Kaufpreis auch dann angemessen gewesen sei, wenn mit dem Beklagten und der Beigeladenen für das Jahr 1934 von einem Verkehrswert in Höhe des 5-fachen der Jahresrohmiete ausgegangen werde. Ob die Toleranzgrenze, die in der Rückerstattungsrechtsprechung für Sachverständigengutachten anerkannt worden ist (Urteil vom 17. Januar 2002 - BVerwG 7 C 13.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 12), auch auf eine solche Verkehrswertschätzung anwendbar ist, würde in einem Revisionsverfahren nicht zu entscheiden sein, da das angegriffene Urteil bereits durch die auf das Sachverständigengutachten und das Vergleichsobjekt gestützte Hauptbegründung selbständig getragen wird.
2. Die Revision ist nicht wegen des gerügten Verfahrensfehlers zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO); denn dieser Fehler liegt nicht vor. Die Beschwerde sieht einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) darin, dass das vom Verwaltungsgericht herangezogene Sachverständigengutachten zwar in einem Verfahren erstellt worden sei, an dem sowohl der Beklagte als auch die Beigeladene beteiligt gewesen seien, aber seinem Inhalt nach der Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr gegenwärtig gewesen sei. Hieraus ergibt sich der geltend gemachte Verfahrensfehler nicht. Das Verwaltungsgericht hatte das Sachverständigengutachten durch ausdrücklichen Hinweis zum Gegenstand der Verhandlung gemacht. Angesichts dessen ist die Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs unbegründet, weil die Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen die prozessualen Möglichkeiten, sich das rechtliche Gehör zu verschaffen, nicht ausgeschöpft hat (vgl. Urteil vom 22. August 1985 - BVerwG 3 C 17.85 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 175). Einen Antrag auf Unterbrechung oder Vertagung der Verhandlung, der zur Verschaffung des rechtlichen Gehörs geeignet gewesen wäre, hat sie laut Verhandlungsprotokoll nicht gestellt.
3. Die erhobene Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist unzulässig, da sie nicht in der vom Gesetz verlangten Weise bezeichnet worden ist (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Beschwerde behauptet zwar Abweichungen von dem Urteil vom 17. Januar 2002 - BVerwG 7 C 13.01 - (a.a.O.), unterlässt es aber, einen vom Verwaltungsgericht aufgestellten, dessen Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz anzugeben, der nach ihrer Auffassung der Divergenzentscheidung widerspricht. Ihr Vorbringen geht über die Behauptung, dass das Verwaltungsgericht in der genannten Entscheidung aufgestellte Rechtssätze nicht oder unzutreffend angewendet habe, nicht hinaus. Derartige Anwendungsfehler könnten, selbst wenn sie vorlägen, die Divergenzrüge nicht begründen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.