Beschluss vom 19.06.2003 -
BVerwG 7 B 161.02ECLI:DE:BVerwG:2003:190603B7B161.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 19.06.2003 - 7 B 161.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:190603B7B161.02.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 161.02

  • VG Dresden - 24.10.2002 - AZ: VG 7 K 2612/00

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Juni 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht G ö d e l und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 24. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die Klägerin wendet sich gegen die Rücknahme eines Bescheides des Sächsischen Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 26. Mai 1993, mit dem festgestellt worden war, dass ihr verstorbener Ehemann berechtigt ist, wegen Schädigung seines früheren Eigentums an der Gaststätte "F." in P. eine Entschädigung zu verlangen. Diesen Bescheid hat das Landesamt am 19. September 2000 mit der Begründung zurückgenommen, es habe sich herausgestellt, dass Inhaber des Gaststättenunternehmens zum Zeitpunkt der Schädigung nicht der Ehemann der Klägerin, sondern diese selbst gewesen sei; die Klägerin habe aber für ihre Person keine vermögensrechtlichen Ansprüche innerhalb der Anmeldefrist geltend gemacht. Den Antrag auf Entschädigung für den Entzug des Gaststättenunternehmens hat das Landesamt deshalb mit Bescheid vom 19. September 2000 abgelehnt. Die hiergegen von der Klägerin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen; die Revision hat es nicht zugelassen.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Es ist kein Grund für eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO gegeben.
1. Die von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor:
a) Nach Auffassung der Klägerin hat das Verwaltungsgericht seine Pflicht zur Sachaufklärung dadurch verletzt, dass es keine Ermittlungen zu dem - für die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG maßgeblichen - Zeitpunkt angestellt habe, zu dem das Landesamt davon Kenntnis erhalten habe, dass sie selbst und nicht ihr Ehemann Inhaberin der Gaststätte gewesen sei. Diese Kenntnis habe das Landesamt lange vor Beginn der Jahresfrist gehabt, wie sich aus dem Bescheid vom 26. Mai 1993 ergebe. Dort habe das Landesamt ausdrücklich ausgeführt, dass die Klägerin Inhaberin der Gaststätte gewesen sei.
Dieses Verständnis des Bescheids ist ersichtlich verfehlt. Der Hinweis in dem Bescheid, "dass aus den gesundheitlichen Gründen das Gewerbe auf die Ehefrau des Antragstellers umgeschrieben worden" sei, ist keine eigene Feststellung des Landesamtes, sondern gibt lediglich den Vortrag der Verfügungsberechtigten als der Verfahrensbeteiligten wieder. Das Landesamt hat, wie sich aus Ziffer 2 des Bescheidtenors ergibt, vielmehr ausdrücklich festgestellt, dass "der Antragsteller (das ist der verstorbene Ehemann der Klägerin, erg.) berechtigt ist, wegen Schädigung seines früheren Eigentums an der Gaststätte 'F.' in P. ... eine Entschädigung zu verlangen". Dass das Verwaltungsgericht sonst Anlass hatte, der Frage nachzugehen, ob der Beklagte die Erkenntnis der Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Bescheids bereits vor der Vorlage der einschlägigen Steuerunterlagen gewonnen haben könnte, hat die Klägerin nicht dargelegt.
b) Die Gehörsrüge greift ebenfalls nicht durch. Nach den Ausführungen der Klägerin sei es zwischen ihr und dem "Ausgleichsamt" unstreitig gewesen, dass die Behörde die Umstände, die die Rücknahme des begünstigenden Verwaltungsaktes gerechtfertigt hätten, schon länger als ein volles Jahr vor dem Erlass des Bescheids vom 19. September 2000 gekannt habe. Wenn das Verwaltungsgericht dem "plötzlichen Sinneswandel" der Behörde - wohl in dem Bescheid vom 19. September 2000 - habe Glauben schenken wollen, hätte es hierauf in dem Verfahren hinweisen müssen, damit die Klägerin ihren Sachvortrag entsprechend ergänzen konnte; hinsichtlich des nicht erteilten Hinweises verstoße das Urteil des Verwaltungsgerichts auch gegen das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Diese Rüge ist verfehlt. Der Rücknahmebescheid des Landesamtes vom 19. September 2000 stützt sich ausdrücklich darauf, dass die Behörde erst durch die Übersendung der Steuerunterlagen im Februar 2000 davon Kenntnis erhalten habe, dass nicht der verstorbene Ehemann der Klägerin, sondern diese selbst Inhaberin der Gaststätte gewesen ist. Einen anderen Standpunkt hat das Landesamt auch im gerichtlichen Verfahren nicht eingenommen. In seinem Schriftsatz vom 27. Dezember 2000 hat es vielmehr auf die Ausführungen in dem Rücknahmebescheid Bezug genommen. Insoweit bestand keine Notwendigkeit für einen gerichtlichen Hinweis, um den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör zu wahren.
c) Einen Verfahrensfehler sieht die Klägerin ferner in der vermeintlich fehlerhaften Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Verwaltungsbehörde in dem Rücknahmebescheid überhaupt Ermessen ausgeübt habe. Damit macht die Klägerin keinen Fehler des gerichtlichen Verfahrens geltend, sondern rügt der Sache nach, dass das Verwaltungsgericht die materiellrechtlichen Anforderungen an eine behördliche Ermessensentscheidung (vgl. § 40 VwVfG) verkannt habe.
2. Der Rechtssache kommt auch nicht die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Sie möchte geklärt wissen, "ob materielle Präklusionsvorschriften dahin gehend auszulegen sind, dass sie auch dann dem potentiell Präkludierten eine Wiedereinsetzung gewähren müssen, wenn sie von einem staatlichen Organ dazu bewegt wurden, von ihrem Anspruch einfach-gesetzlich keinen Gebrauch zu machen". Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, weil sie in der Rechtsprechung des Senats geklärt ist.
Nach dem grundlegenden Urteil des Senats vom 28. März 1996 - BVerwG 7 C 28.95 - (BVerwGE 101, 39 <44>) folgt aus der Rechtsnatur des § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG als materielle Ausschlussfrist für die Anmeldung vermögensrechtlicher Ansprüche, dass auch bei unverschuldeter Fristversäumnis eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. § 32 Abs. 1 VwVfG) nicht möglich ist. Gemäß § 32 Abs. 5 VwVfG ist die Wiedereinsetzung unzulässig, wenn sich aus einer Rechtsvorschrift ergibt, dass sie ausgeschlossen ist. Diese Rechtsfolge muss nicht im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck kommen; sie tritt auch dann ein, wenn sich - wie im Fall des § 30 a VermG - aus Sinn und Zweck der Regelung ergibt, dass ein verspäteter Antragsteller materiellrechtlich endgültig seine Anspruchsberechtigung verlieren soll.
Allerdings dürfen sich Behörden unter bestimmten engen Voraussetzungen nicht auf den Ablauf einer die weitere Rechtsverfolgung abschneidenden oder die Anspruchsberechtigung vernichtenden Ausschlussfrist berufen. Wie der Senat in dem Urteil vom 28. März 1996 ausgeführt hat, ist im Bereich des Vermögensrechts eine solche Ausnahme jedenfalls dann anzunehmen, wenn erstens die Versäumung der Anmeldefrist auf staatliches Fehlverhalten bei der Anwendung von Rechtsvorschriften zurückzuführen ist, ohne deren korrekte Beachtung der Anmelder seine Rechte nicht wahren kann, und wenn zweitens durch die Berücksichtigung der verspäteten Anmeldung der Zweck des § 30 a VermG nicht verfehlt würde (BVerwGE 101, 39 <45>).
Diese Voraussetzungen sind auf der Grundlage der Ausführungen in der Beschwerdebegründung nicht gegeben. Die Klägerin macht geltend, dass sie durch die Bescheide des Landesamtes vom 26. Mai 1993 und das bestätigende Schreiben vom 3. April 1997 von der Stellung eines eigenen vermögensrechtlichen Antrags abgehalten worden sei. Es liegt auf der Hand, dass die Nichteinhaltung der Anmeldefrist, die am 31. Dezember 1992 ablief (§ 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG), nicht auf Bescheide zurückgeführt werden kann, die erst nach Ablauf der Frist ergangen sind.
3. Ebenso wenig liegt die gerügte Abweichung von dem Urteil des 9. Senats vom 23. April 1985 - BVerwG 9 C 7.85 - (NJW 1986, 207 <208> = DÖV 1986, 31 <32>) vor. Eine Divergenz scheidet bereits deshalb aus, weil diese Entscheidung nicht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift ergangen ist und deshalb die für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Vermögensrecht maßgeblichen Rechtssätze nicht enthält. Diese Maßstäbe hat das Bundesverwaltungsgericht, wie dargelegt, in dem genannten Urteil des 7. Senats vom 28. März 1996 - BVerwG 7 C 28.95 - (BVerwGE 101, 39) aufgestellt. Eine Abweichung von dieser Entscheidung ist nicht geltend gemacht worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.